JudikaturJustiz7Ob261/55

7Ob261/55 – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. Juni 1955

Kopf

SZ 28/145

Spruch

Die Bestimmung des § 93 ABGB., wonach die eheliche Gemeinschaft nicht eigenmächtig aufgehoben werden darf, ist durch § 55 EheG. nicht aufgehoben worden.

Nur schwere Eheverfehlungen des Ehemannes heben die Folgepflicht der Ehefrau auf.

Entscheidung vom 1. Juni 1955, 7 Ob 261/55.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Erstgericht nahm als erwiesen an, daß die Streitteile bereits in den Jahren 1935 bis 1938 getrennt gelebt haben. Als sie in der Folge den gemeinsamen Haushalt wieder aufgenommen haben, sei es zwischen ihnen fortwährend zu Streitigkeiten gekommen, in deren Verlauf der Kläger die Beklagte wiederholt grundlos mit Ausdrücken wie "Kanaille, Zauk, Fes, Bißgurn" beschimpft habe. Die Beklagte hingegen habe nur einmal dem Mann gegenüber den Ausdruck "alter Esel" gebraucht. Schließlich habe der Kläger der Beklagten einen Kübel voll Wasser hinaufgeschüttet. Er habe auch das Waschwasser in einen Kochtopf statt in den Ausguß geleert. Schließlich stellte das Erstgericht noch eine Reihe von Eheverfehlungen des Klägers fest, die jedoch von der Beklagten nicht zum Gegenstande ihres Mitverschuldensantrages gemacht worden waren, so daß sie dem Kläger auch nicht angelastet werden können, so die unzulängliche Versorgung der Beklagten mit Wirtschaftsgeld und die Vernachlässigung der Frau dadurch, daß er entgegen ihrem Wunsch das Gasthaus allein zu besuchen pflegte. Die Beklagte habe im September 1951 eine Scheidungsklage eingebracht und ihr Begehren auf die oben angeführten unleidlichen Verhältnisse gestützt. Im Zuge des Verfahrens habe sie über Ersuchen des Klägers die eheliche Gemeinschaft mit ihm wieder aufgenommen, aber nach kurzer Zeit die Hausgemeinschaft wieder aufgelöst. Die Streitteile seien sodann dahin übereingekommen, daß sie in Zukunft im gleichen Hause getrennt wohnen würden. Hierauf habe die Beklagte am 3. November 1951 ihre Scheidungsklage mit dem Bemerken zurückgezogen, daß sie es bei der räumlichen Trennung bewenden lasse. Ende 1952 habe der Kläger die Beklagte zum erstenmal durch Dr. B. zu einer Aussprache, die den Zweck verfolgt habe, die Ehegemeinschaft wieder aufzunehmen, auffordern lassen. Aber sowohl diese Aussprache als auch weitere Aufforderungen des Klägers seien daran gescheitert, daß die Beklagte sich auf die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung berufen habe und sich zu einer Wiederaufnahme der Ehegemeinschaft nicht habe verstehen können. Die Beklagte habe dem Kläger zwar das Angebot gemacht, ihm den Haushalt zu führen, jedoch jeden weiteren persönlichen Kontakt mit ihm abgelehnt. In einem solchen Anbot liege jedoch keine Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft. § 93 ABGB. sei durch § 55 EheG. derogiert worden. Das bedeute, daß die Vereinbarung der Streitteile über den abgesonderten Wohnort voll wirksam sei. Der Kläger könne daher der Beklagten aus ihrer Weigerung, mit ihm die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, keinen Vorwurf machen. Im übrigen habe die Beklagte triftige Gründe, die Folgepflicht zu verweigern, und könne daher ihr Verhalten nicht als Scheidungsgrund gewertet werden. Dem Kläger liege eine Reihe von Eheverfehlungen zur Last, die im Hinblick auf die häusliche Trennung noch nicht verfristet seien und die ihm auch keineswegs verziehen worden seien. Das Erstgericht gelangte daher zur Abweisung des auf § 49 EheG. gestützten Scheidungsbegehrens.

In der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung machte der Kläger als neuen Scheidungsgrund geltend, daß die Beklagte, als er infolge Erkrankung mit seiner Unterhaltsleistung in Verzug geraten sei, sofort gegen ihn Exekution geführt habe. Schließlich stützte der Kläger sein Scheidungsbegehren auch auf § 55 EheG. Die Beklagte bestritt dieses Vorbringen und erhob gegen die Scheidung, soweit sie nunmehr auf § 55 EheG. gestützt werde, Widerspruch.

Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat entgegen der Meinung des Erstgerichtes die Rechtsansicht, daß § 93 ABGB., der den Ehegatten nicht gestattet, die eheliche Verbindung eigenmächtig aufzuheben, durch § 55 EheG. keineswegs aufgehoben worden sei. Die zwischen den Ehegatten getroffene Vereinbarung über die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei daher nicht rechtswirksam. Möge die Beklagte auch triftige Gründe zur Trennung von ihrem Ehegatten gehabt haben, so könne sie diesen Zustand doch nicht perpetuieren. Sie müsse entweder dem ernstlichen Verlangen des Mannes auf Wiedervereinigung Rechnung tragen oder aus dessen ehewidrigem Verhalten die Konsequenz der Ehescheidung ziehen. Da noch die Frage zu untersuchen sei, ob die Klage im Sinne des § 49 letzter Satz EheG. sittlich gerechtfertigt sei, und das Erstgericht verneinendenfalls auch noch auf den weiteren Scheidungsgrund des § 55 EheG. werde eingehen müssen, sei das Ersturteil aufzuheben gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Oberste Gerichthof vermag der von der Beklagten vertretenen, auf Wentzel (in Klang 2. Aufl. I 396) und Schwind ("Abgesonderter Wohnort und einstweiliger Unterhalt", ÖJZ. 1949 S. 141, und Kommentar zum österr. Eherecht S. 29) gestützten Rechtsansicht, daß der Bestimmung des § 93 ABGB. durch § 55 EheG. derogiert worden sei, nicht beizupflichten. Das von Schwind und Wentzel gebrauchte Argument, es widerspreche dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und der inneren Logik, daß das Gesetz bestimmte Handlungen verbiete, demjenigen aber, der sich über das Verbot hinwegsetze, dann erlaube, aus dem gesetzwidrigen Tatbestand für sich Rechte abzuleiten, ist nicht überzeugend. Das ABGB. hat wohl vor Inkrafttreten des Ehegesetzes den Ehegatten, selbst wenn sie die häusliche Gemeinschaft bereits aufgehoben hatten, die Scheidung der Ehe von Tisch und Bett oder die Trennung der Ehe durch Richterspruch gestattet. Allerdings hat es eine Aufhebung der Ehegemeinschaft nicht gerade zur Voraussetzung für das auf Scheidung oder Trennung gerichtete Begehren gemacht. Der Hinweis des Klägers auf Lenhoff (Klang 1. Aufl. I/1 S. 628 ff.) ist daher verfehlt. Es sei auch zugegeben, daß der Hinweis des angefochtenen Beschlusses, die Möglichkeit, die Dispens vom Eheverbot des Ehebruches zu erlangen, bedeute noch lange nicht, daß der Gesetzgeber den Ehebruch billige, kein wirksames Gegenargument gegen die Auffassung der Beklagten liefert. Damit ist aber für den Standpunkt der Rekurswerberin nichts gewonnen; denn aus der Tatsache allein, daß das Ehegesetz bei dreijähriger Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft den Ehegatten eine Scheidungsklage gewährt, kann nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber damit die eigenmächtige Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft, die dem Wesen der Ehe, vor allem den mit ihr verbundenen Pflichten der Ehegatten (§§ 91, 92 ABGB.), widerspricht, als einen dem Gesetze gemäßen Zustand behandeln will. Wenn das Gesetz dennoch an einen verpönten, zumindest von einem Ehegatten herbeigeführten oder doch mit dessen Willen bestehenden Zustand ein Klagerecht knüpft, mag dies seine Erklärung darin finden, daß ein öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung zerrütteter Ehen nicht unter allen Umständen besteht. Unverständlich ist, was mit der Heranziehung der Bestimmungen des § 115 EheG. und des § 71 der 1. DVzEheG. gewonnen werden soll. Die erstangeführte gesetzliche Vorschrift ist nicht auf eine vom Gesetze verpönte Handlung der Parteien, nämlich auf die eigenmächtige Aufhebung der Ehegemeinschaft, sondern auf die durch Richterspruch herbeigeführte Scheidung von Tisch und Bett, die die Parteien zum getrennten Leben berechtigt, aufgebaut. Die zweite Bestimmung hat keineswegs für den österreichischen Rechtsbereich, wie die Rekurswerberin irrig meint, deutsche Verfahrensvorschriften eingeführt (s. § 108 EheG.). Daß die Bestimmung des § 93 ABGB. nicht mehr restlos gilt, ist unbestritten. Aus dem Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz auf die Anerkennung der Rechtswirksamkeit der einverständlichen Aufhebung der Ehegemeinschaft zu schließen, ist abwegig. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß das Eherecht eine Reihe von Bestimmungen, so unter anderem die bereits angeführten §§ 91 und 92 ABGB., enthält, die den Ehegatten keineswegs gleiche Rechte einräumen. Daß die eben genannten Gesetzesvorschriften nicht außer Kraft getreten sind, wird weder in der Judikatur noch in der Lehre bezweifelt. Im übrigen steht die Bestimmung des § 93 ABGB. mit dem erwähnten Grundsatz keineswegs im Widerspruch, weil ja der angeführten Gesetzesstelle - ihre Geltung vorausgesetzt - für beide Ehegatten Geltung zukommt. Jedenfalls darf weder die Bestimmung des § 93 ABGB. noch die des § 55 EheG. unter Bedachtnahme auf Vorschriften des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches ausgelegt werden; beide sind vielmehr im Rahmen des österreichischen Rechtsbereich; zu verstehen. Diese Überlegungen führen dazu, daß die Meinung, es sei dem § 93 ABGB. durch § 55 EheG. derogiert, abzulehnen ist. Daraus folgt, daß die über die Aufhebung der Ehegemeinschaft getroffene Vereinbarung für die Parteien nicht verbindlich ist (so schon Lenhoff in Klang 1. Aufl. I/1 S. 628 ff. und in letzter Zeit SZ. XXVI 118). Die Ehegattin ist daher grundsätzlich verpflichtet, der mit einer solchen Vereinbarung nicht im Einklang stehenden Aufforderung des Mannes, die Ehegemeinschaft wieder aufzunehmen, Folge zu leisten. Nicht jeder auf Seite des Ehemannes gelegene Scheidungsgrund macht die Ehegattin ihrer Folgepflicht ledig. Nur dann, wenn sich der Ehemann besonders schwere Eheverfehlungen, wie Ehebruch, fortgesetzte empfindliche Verletzungen der ehelichen Treue, Mordversuch, schwere Mißhandlungen oder Drohungen, hat zuschulden kommen lassen, mag eine Weigerung der Frau, mit ihm die häusliche Gemeinschaft zu teilen, begrundet erscheinen, und nur dann wäre ihre Ablehnung nicht als Eheverfehlung zu werten (JBl. 1951 S. 459, JBl. 1953 S. 97, 1 Ob 6/55).

Solche schwere Eheverfehlungen liegen aber dem Kläger nicht zur Last.

Da sich das Erstgericht, von seiner unrichtigen Rechtansicht ausgehend, nicht mit der Frage der Ehezerrüttung und auch nicht damit befaßt hat, ob und inwieweit das Verhalten der Beklagten mit den dem Kläger angelasteten Eheverfehlungen im Zusammenhange steht (§ 49 letzter Satz EheG.), erscheint schon aus diesem Gründe die Aufhebung des Ersturteiles gerechtfertigt. Das Erstgericht wird sich nunmehr auch mit der neuen Behauptung des Klägers auseinanderzusetzen haben, die Beklagte habe sich insofern einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht, als sie, obwohl der Kläger nur infolge Krankheit mit der Leistung des Unterhaltes in Verzug geraten sei, sofort Exekution geführt habe. Es werden vor allem die über diese Behauptung angebotenen Beweise aufzunehmen sein. Werden Eheverfehlungen der Beklagten erwiesen, so sind sie nicht für sich allein, sondern in ihrer Gesamtheit dahin zu beurteilen, ob sie als schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG. anzusehen sind. Es ist ferner festzustellen, ob durch das Verhalten der Beklagten oder durch die Eheverfehlungen des Klägers oder aber durch das Verhalten bei der Ehegatten die Ehe so tief zerrüttet wurde, daß mit der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Ehegemeinschaft nicht mehr gerechnet werden kann. Auch im Hinblick auf die Bestimmung des letzten Satzes des § 49 EheG. werden entsprechende Feststellungen zu treffen sein. Gelangt das Erstgericht zu der Auffassung, daß das auf § 49 EheG. gestützte Scheidungsbegehren nicht berechtigt sei, wird es sich mit dem auf § 55 EheG. gegrundeten Begehren zu befassen, die Berechtigung und Beachtlichkeit des erhobenen

iderspruches der Beklagten zu beurteilen und sodann neuerlich über den Urteilsantrag der Streitteile abzusprechen haben.