JudikaturJustiz7Ob2326/96a

7Ob2326/96a – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Helmut Destaller ua Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Karl K*****, Inhaber der prot. Firma Karl K*****, vertreten durch Dr.Johannes Dörner und Dr.Alexander Singer, Rechtsanwälte in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert S 250.000,--), infolge außerordentlicher Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 4.April 1996, GZ 3 R 63/96a-70, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 7.Dezember 1995, GZ 22 Cg 198/93d-63, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

1. Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

2. Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und das angefochtene Berufungsurteil, das in seinem klagsstattgebenden Teil zufolge der Zurückweisung der außerordentlichen Revision der beklagten Partei unberührt bleibt, in seinem klagsabweisenden Teil dahin abgeändert, daß es insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, auf den östlich und nördlich der auf dem Grundstück ***** der KG S***** Grundbuch G***** errichteten Produktionshalle mit der Anschrift G*****straße 96, G*****, befindlichen Park- und Rangierflächen es zu unterlassen, Kühlwagen und Kühlcontainer mit eingeschaltetem Kühlaggregat abzustellen, wenn durch die eingeschalteten Kühlaggregate auf das Grundstück der Klägerin Nr.***** der KG S***** Grundbuch G***** ein Lärmpegel von mehr als 57 dB (A) gemessen an der Grundstücksgrenze einwirkt und der abgestellte Kühlwagen und/oder Kühlcontainer mit eingeschaltetem Kühlaggregat nicht be- oder entladen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 134.226,20 (darin S 18.954,20 an USt und S 20.501,-- an Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit S 20.553,-- (darin S 3.430,50 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 25.445,-- (darin S 13.250,-- Barauslagen und S 2.032,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Dem Kostenrekurs der klagenden Partei gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichtes wird keine Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Baurechtsberechtigte der EZ ***** KG S***** mit dem Grundstück ***** = G*****straße 94. Im Norden grenzt daran das der beklagten Partei gehörige Grundstück ***** in der EZ 1502 KG S***** einliegend. Beide Grundstücke befinden sich laut Flächenwidmungsplan in einem "Industrie- und Gewerbegebiet I", sie sind voneinander durch eine Zufahrtsstraße getrennt. Die beklagte Partei betreibt auf ihrem Grundstück eine Fleischverarbeitungs- und Wurstfabrik. Im Betriebsgebäude der klagenden Partei befindet sich im ersten Stock eine (bewohnte) Betriebswohnung. Beide Grundstücke befinden sich rund 100 m östlich von der Autobahn A ***** und liegen in der Einflugschneise des Flughafens G*****.

Dem Bescheid des Magistrates der Stadt G***** vom 9.5.1986 (= Beilage ./5, deren Echtheit und Richtigkeit von beiden Parteien nicht bestritten wurde) ist zu entnehmen, daß die Betriebsanlagenbewilligung der beklagten Partei den An- und Abtransport von Fleisch mittels Kühl-LKWs vom und zum Betriebsgebäude vorsieht und daher mitumfaßt (S.3 der Beilage ./5). Auflagen dazu (vgl. S.5 bis 9 der Beilage 5) wurden der beklagten Partei nicht erteilt. Die Kühl-LKWs der beklagten Partei und ihrer Zulieferfirmen enthalten eigene Kühlaggregate, die sich automatisch einschalten und dabei den Dieselmotor des LKWs in Betrieb setzen. Es besteht die Möglichkeit, daß die Aggregate der auf dem Betriebsgelände des Beklagten abgestellten LKWs in der Zeit von 6 Uhr früh bis 22 Uhr abends mittels Stromzufuhr vom Betriebsgebäude her betrieben werden. In der Zeit von 22 Uhr abends bis 6 Uhr früh wird diese Stromzufuhr mittels eines installierten Zeitschalters aber unterbrochen. In dieser Zeit können die Kühlaggregate daher nur mehr über den Dieselmotor des entsprechenden LKWs betrieben werden. Zusätzlich zu den mobilen Kühlaggregaten betreibt die beklagte Partei eine stationäre Kühlanlage, welche leiser als die Kühlaggregate auf den Lastwägen und Containern funktioniert. Die Kühl-LKWs und Kühlcontainer werden nicht nur auf dem Betriebsgelände, sondern auch auf der Zufahrtsstraße abgestellt; die Kühlaggregate werden zum Teil auch in der Nacht betrieben. Für das nach dem Flächenwidmungsplan als Industrie- und Gewerbegebiet I ausgewiesene Gelände ist nach der Ö-Norm S 5021 die "Kategorie 5" maßgeblich, in der zulässige (Lärm )Immissionen im Rahmen des Fremdgeräuschpegels mit 55 dB (A) untertags und 45 dB (A) nachtsüber vorgesehen sind. Die zumutbaren Immissionswerte an der jeweiligen Grundstücksgrenze betragen 65 dB (A) untertags und 55 dB (A) nachts. Bei laufendem Betrieb der stationären Kühlgeräte, wenn die mobilen Kühlgeräte sohin nicht in Betrieb sind, beträgt der Fremdgeräuschpegel, der dem Grundgeräuschpegel entspricht, an der Grundstücksgrenze 54 dB (A). Bei Inbetriebnahme eines mobilen Kühlaggregates erfährt der Lärmpegel eine Steigerung auf 59 dB (A), bei Inbetriebnahme von zwei mobilen Kühlaggregaten auf 62 dB (A) und bei Inbetriebnahme von drei mobilen Kühlaggregaten auf 69 dB (A). Eine Schallpegelsteigerung um 3 dB (A) wird als deutlich wahrnehmbar empfunden. Die Kühlleistung der Kühlaggregate auf den LKWs bzw Kühlcontainern wird gedrosselt, sobald die erforderliche Temperatur erreicht wird, wobei die tatsächlichen Lauf- und Abschaltzeiten von der Außentemperatur und der Lademenge abhängig sind. Dadurch bedingte unterschiedliche Lärmimmissionen sind aber nicht als "Lärmspitzen" anzusehen, weil darunter nur extrem kurze Anhebungen des Grundlärms über den Geräuschpegel verstanden werden. Eine Erhöhung des Schallpegels um 10 dB wird als Verdoppelung der Lautstärke wahrgenommen. Die zuvor zitierten Meßdaten beziehen sich auf die Wahrnehmung des von den Kühlaggregaten ausgehenden Lärms auf dem klägerischen Grundstück.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten nach mehrfacher Klagsmodifikation die im Spruch ersichtlichen Unterlassungen.

Der Beklagte widersetzte sich diesem Unterlassungsbegehren mit der Begründung, daß die Lärmimmission das ortsübliche Maß nicht übersteige. Bei seinem Unternehmen handle es sich um eine behördlich genehmigte Betriebsanlage, weshalb der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 364a ABGB nicht zustehe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der laut Ö-Norm S 5021 in Industrie- und Gewerbegebieten zu tolerierende Fremdgeräuschpegel von tagsüber 55 dB (A) und nachts von 45 dB (A) werde tagsüber bei gleichzeitiger Inbetriebnahme von drei Aggregaten und nachts sogar bei Inbetriebnahme von nur einem Aggregat überschritten. Wenn der Fremdgeräuschpegel 54 dB (A) betrage und eine Steigerung um bloß 3 dB (A) bereits als deutlich wahrnehmbar empfunden werde, sei eine 57 dB (A) übersteigende Lärmimmission bereits als die ortsübliche Benützung beeinträchtigend anzusehen.

Das Berufungsgericht gab nach einer teilweisen Beweiswiederholung der Berufung des Beklagten teilweise Folge, verpflichtete ihn mit der angefochtenen Entscheidung, das Abstellen von Kühlwägen mit eingeschalteten (mobilen) Kühlaggregaten auf den bezeichneten Park- und Rangierflächen zwischen 22 Uhr nachts und 6 Uhr früh dann zu unterlassen, wenn durch die eingeschalteten Kühlgeräte auf dem Grundstück der Klägerin ein Lärmpegel von mehr als 57 dB (A) entsteht, und wies das Unterlassungsbegehren für die Zeit von 6 - 22 Uhr ab. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für unzulässig. Der vorliegende Unterlassungsanspruch sei nach § 364 Abs 2 ABGB und sohin danach zu beurteilen, durch welches Ausmaß des Lärmpegels das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Benützung des davon betroffenen Grundstückes beeinträchtigt werde. Das Erstgericht habe undifferenziert und ohne Rücksichtnahme auf die Zeit der Be- und Entladetätigkeit im Rahmen der Betriebsabläufe dem Beklagten das Abstellen von Kühlwägen und Kühlcontainern mit eingeschalteten Kühlaggregaten bei Erreichen eines gewissen Lärmwertes untersagt. Das ursprüngliche Klagebegehren habe nur auf ein Verbot, LKWs und Kühlcontainer mit eingeschalteten Kühlaggregaten außerhalb der Be- und Entladetätigkeit abzustellen, gezielt, auch in ihrer Berufungsbeantwortung gestehe die Klägerin dem Beklagten eine Überschreitung der festgestellten Lärmgrenze bei den betriebsnotwendigen Be- und Entladetätigkeiten zu. Außerhalb der Be- und Entladezeiten sei von einem Fremdgeräuschpegel, der dem Grundgeräuschpegel entspreche, sohin von 54 dB (A) als ortsüblichem Immissionswert auszugehen und in diesem Sinne daher das Klagebegehren in der Zeit von 22 Uhr nachts bis 6 Uhr früh gerechtfertigt. Da der Beklagte den Unterlassungsanspruch der Klägerin nach wie vor bestreite und keineswegs anerkannt habe, sei wegen der deshalb anzunehmenden Wiederholungsgefahr der Anspruch der Klägerin grundsätzlich berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung vom Beklagten erhobene ao. Revision war gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Daß ein Lärmanstieg um 3 dB (A) keine Beeinträchtigung darstelle, stellt eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung dar. Im übrigen ist auf die nachstehenden Ausführungen zu verweisen.

Hingegen ist die Revision der klagenden Partei berechtigt. Die (von der Klägerin bekämpfte) Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die temperaturgesteuerte automatische Inbetriebnahme der Kühlanlagen von dauergeparkten LKWs bis zu ihrer Be- und Entladung und danach mit von über den Dieselmotor der Fahrzeuge betriebenen Kühlaggregaten von der Betriebsanlagegenehmigung untertags gedeckt sei, kann letzterer nicht entnommen werden. Dies hat das Berufungsgericht in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Aufhebungsbeschluß ON 18 (AS 148) noch zutreffend erkannt. In der festgestellten Vorgangsweise des Beklagten liegt vielmehr eine vom Betriebsanlagengenehmigungsbescheid nicht gedeckte Ausweitung seiner Betriebstätigkeit, um sich dadurch zusätzliche Kühlkapazität zu verschaffen, obwohl die Kühlung von Fleisch bzw Fleischprodukten in abgestellten LKWs grundsätzlich mit anderen Methoden, so zB durch die stationär im Betrieb des Beklagten eingerichtete Anlage, bewerkstelligt werden könnte.

Geht man von der Auslegung des Begriffes "behördlich genehmigte Anlage" im Sinne des § 364a ABGB in der Rechtsprechung (vgl. SZ 55/172, MietSlg 34.032 und SZ 48/15) aus, so ist die festgestellte Ausweitung der Betriebstätigkeit außerhalb der genehmigten Räume in mobilen Einheiten davon nicht umfaßt. Damit stellt sich der vorliegende Unterlassungsanspruch der klagenden Partei als ein nach § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilender dar. Dieser Untersagungsanspruch besteht dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benützung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen. Lärmeinwirkungen sind mittelbare Immissionen, die nur soweit, als sie das ortsübliche Ausmaß überschreiten und die ortsübliche Benützung wesentlich beeinträchtigen, verboten werden können. Die örtlichen Verhältnisse sind in beiden Richtungen zu beachten, sowohl für das Maß der Immission als auch für das Maß der Beeinträchtigung. Wesentlich sind neben dem Grad und der Dauer der Einwirkung sowie ihrer Störungseignung auch das Herkommen und das öffentliche Interesse. In Industrie- und Gewerbegebieten sind unvermeidliche Folgen der Nachbarschaft von Gewerbe- und Industriebetrieben hinzunehmen, was aber einen Schutz vor Immissionen nicht ausschließt. Der Ö-Norm S 5021 kommt kein Verordnungscharakter zu, der Nachweis, daß ihr Inhalt Verkehrssitte geworden wäre, wurde nicht erbracht (vgl MGA ABGB34 § 861/72 f). Eine Anwendung dieser Norm auf den vorliegenden Fall scheidet daher aus. Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse und nicht die Planungen (Flächenwidmungspläne) (vgl. Spielbüchler in Rummel ABGB2 § 364 Rz 13). Für das menschliche Empfinden ist hinsichtlich der Störintensität eines Geräusches aber nicht nur seine Lautstärke, sondern vor allem auch die Frequenz und die Beschaffenheit des jeweiligen Geräusches von Bedeutung (vgl. ecolex 1993, 451). Bei der Beurteilung der Störungsintensität ist daher auf die Empfindlichkeit eines Durchschnittsmenschen abzustellen (vgl. SZ 45/98, ImmZ 1985, 398, JBl 1990, 786). Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß der ortsübliche Fremdgeräuschpegel 54 dB untertags und 45 dB nachts beträgt und daß auch durch ein untertags in Betrieb genommenes Kühlaggregat ein um 3 dB höherer, deutlich als über dem ortsüblichen Geräuschpegel wahrnehmbarer Lärm erzeugt wird. Beide Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß diese Lärmbelästigung von den Bewohnern der Betriebswohnung auf dem klägerischen Grundstück als störend empfunden wird. Zur ortsüblichen Benützung einer Betriebsliegenschaft gehört auch das Bewohnen einer baubehördlich bewilligten Werkswohnung, die zur Beaufsichtigung des Betriebes dienlich ist. Wird von den Bewohnern dieser Werkswohnung der von der Nachbarliegenschaft ausgehende Lärm als wesentliche Beeinträchtigung aufgefaßt, so ist dadurch auch die ortsübliche Benützung der Betriebsliegenschaft beeinträchtigt.

Bei Unterlassungsklagen ist ein bestimmtes (nicht zu eng gefaßtes, weil sonst leicht zu umgehendes) Gebot notwendig, welche Handlungen wann und wo zu unterlassen sind; es ist aber nicht am begehrten Spruch zu haften, sondern das Gericht hat unter Berücksichtigung der in der Klage angeführten Tatsachen zu beurteilen, ob ein minus oder nur ein (unzulässiges) aliud zugesprochen werden könnte. Ein Verbot an den Lärmverursacher, einen bestimmten Geräuschpegel nicht zu überschreiten, wird von der österreichischen Rechsprechung anerkannt (vgl. SZ 50/99 sowie 8 Ob 635/92 und 7 Ob 636/94). Bei einem solchen Verbot ist es dem Beklagten überlassen, wie er sich an die Beschränkung hält oder diese fahrlässig überschreitet.

Aus den dargelegten Gründen war daher der Revision der klagenden Partei Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Dem Kostenrekurs der Klägerin gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung (ON 64) war keine Folge zu geben, weil das Erstgericht die Stellungnahme der Klägerin vom 19.4.1994 (ON 39) zu Recht nach TP 1 honoriert hat.

Rechtssätze
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