JudikaturJustiz7Ob198/00v

7Ob198/00v – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Dr. Werner O*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des einstweiligen Verfahrenssachwalters Dr. Kurt B*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 5. April 2000, GZ 52 R 49/00p-219, womit infolge Rekurses des einstweiligen Verfahrenssachwalters der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 30. November 1999, GZ 33 P 78/97i-206, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Weil "aufgrund der Form und des Inhalts zahlloser Eingaben des Dr. Werner O*****" (im Folgenden Betroffener) Anhaltspunkte vorlägen, dass dieser seine Interessen in mehreren von ihm beim Bezirksgericht Innsbruck angestrengten Zivilverfahren nicht ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst wahrzunehmen imstande sei, wurde betreffend den Genannten ein Sachwalterbestellungsverfahren eingeleitet und Dr. Kurt B*****, Rechtsanwalt *****, zum Verfahrenssachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG bestellt.

Ein Antrag des Verfahrenssachwalters, ihn infolge beruflicher Überlastung seines Amtes zu entheben, blieb in allen drei Instanzen erfolglos (zuletzt 7 Ob 362/98f).

Mit der Begründung, der Betroffene habe Strafanzeige gegen ihn erstattet und ihn darin ua des "Befugnismissbrauches aus vollkommener Aktenunkenntnis" bezichtigt, beantragte der Verfahrenssachwalter neuerlich ihn zu entheben.

Das Erstgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 23. 8. 1999 ab, weil die vom Antragsteller als Begründung für seine Enthebung angeführten Schreiben des Betroffenen jene Anhaltspunkte bestätigten, die für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters sprächen. Die zahllosen Schreiben des Betroffenen, die dieser nicht nur an den einstweiligen Verfahrenssachwalter, sondern an mehrere Stellen adressierte, stellten keinen Grund für die Enthebung des Antragstellers dar. Dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs des Verfahrenssachwalters gab das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 22. 9. 1999 keine Folge.

Nur wenige Tage danach stellte Dr. B***** wieder einen Enthebungsantrag. Der Betoffene habe ihn in einem Schreiben vom 24. 9. 1999, das er auch der Staatsanwaltschaft Innsbruck übermittelt haben dürfte, als "so unendlich dumm, dass man keine weiteren Worte verlieren müsse", bezeichnet. Ein weiteres Schreiben vom 4. 10. 1999 enthalte die Passage "dieses Verhalten bestätigt zweifelsfrei die mangelnde Geistesgesundheit von Dr. Maria-Elisabeth G***** (Erstrichterin) und von Dr. Kurt B*****." Er habe deshalb beim Bezirksgericht Innsbruck eine Privatanklage gegen den Betroffenen erhoben und beabsichtige zudem, in den nächsten Tagen eine Unterlassungsklage einzubringen. Im Hinblick auf diese Verfahren sei es ihm nicht mehr möglich, als einstweiliger Sachwalter für den Betroffenen aufzutreten.

Das Erstgericht wies auch diesen Enthebungsantrag ab. Die vom Betroffenen gemachten Äußerungen legten eben gerade die Vermutung nahe, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters im Sinne des § 173 ABGB zuträfen. Wenn der Sachwalter nur zum Zwecke des Erreichens seiner Enthebung eine Klage einbringe, so sei dies kein Grund, ihn zu entheben, "da es sich doch vorderhand nur um die Vertretung des Betroffenen im Sachwalterschaftsverfahren handelt und dieser aufgrund seiner Professionalität trotzdem in der Lage ist, diese Aufgabe in der für den Betroffenen und das Verfahren nötigen Art und Weise wahrzunehmen".

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung der ersten Instanz und sprach dabei aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Regelungen über die notwendige und freiwillige Entschuldigung des Vormunds (§§ 191 bis 195 ABGB) seien auch auf den Sachwalter analog anzuwenden. Gemäß § 194 ABGB dürfe zum Vormund (Sachwalter) ua nicht bestellt werden, wer mit dem Minderjährigen (Betroffenen) in Feindschaft gelebt habe oder mit ihm in einen Rechtsstreit verwickelt sei. Hinsichtlich des Begriffs der "Feindschaft" im Sinne des § 194 ABGB sei ein strenger Maßstab anzulegen. Nicht jedes gespannte, gestörte oder durch gegenseitige Ablehnung beherrschte Verhältnis könne darunter subsumiert werden. Der betreffende Entschuldigungsgrund müsse in der Person des Sachwalters gelegen sein und liege daher nicht vor, wenn sich nur der Betroffene gegenüber dem Sachwalter feindselig verhalte. Die vom einstweiligen Verfahrenssachwalter für seine Enthebung ins Treffen geführten Äußerungen des Betroffenen stellten keinen Enthebungsgrund dar, weil er damit keine in seiner Person gelegenen Gründe geltend mache. Auch die Privatanklage des Verfahrenssachwalters nach §§ 111, 115, 152 Abs 1 StGB stelle keinen Enthebungsgrund dar. Der Oberste Gerichtshof habe in seiner Entscheidung 7 Ob 362/98f zum Ausdruck gebracht, dass von einem berufsmäßigen Parteienvertreter grundsätzlich eine die Objektivität wahrende Distanz zur Persönlichkeit des Betroffenen und seinen Äußerungen erwartet werden könne. Die Äußerungen des Betroffenen erschienen auch nicht geeignet, den Ruf eines seit Jahren etablierten Anwalts in Misskredit zu bringen. Eine diesbezügliche Gefahr sei insbesondere bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck nicht gegeben, die ihrerseits seit Jahren mit Anwürfen des Betroffenen gegen ihre eigenen Vertreter konfrontiert werde. Von einem als Verfahrenssachwalter bestellten berufsmäßigen Parteienvertreter sei in gleicher Weise wie von den in diesem Verfahren tätigen Richtern zu verlangen, dass er in der Lage sei, die inkriminierten Äußerungen vor dem Hintergrund des Gegenstandes dieses Verfahrens von seiner Person zu abstrahieren, weil in gleicher oder ähnlicher Weise auch andere Personen, seien es Richter, Staatsanwälte oder Rechtsanwälte, die im Verfahren des Betroffenen involviert gewesen seien, beschimpft und beleidigt worden seien. Mit Rücksicht auf das bisherige Verhalten des Betroffenen wären im Falle eines Wechsels des einstweiligen Verfahrenssachwalters entsprechende Äußerungen auch hinsichtlich des Nachfolgers zu erwarten. Der Oberste Gerichtshof habe selbst massive Drohungen gegenüber dem Sachwalter verbunden mit Aggressionshandlungen nicht als Enthebungsgrund gewertet. Auch die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Betroffenen rechtfertige für sich allein nicht die Enthebung des Sachwalters. Ob die Ausführungen des Erstgerichtes, wonach der Verfahrenssachwalter die Privatanklage nur dem Zweck der Enthebung dienen könnte, zuträfen, könne unerörtert bleiben, weil von einem Rechtsanwalt erwartet werden könne, dass er ungeachtet der beleidigenden Äußerungen seine als einstweilige Sachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG ohnehin nur eingeschränkte Vertretung des Betroffenen ohne Verletzung seiner gesetzlichen und standesrechtlichen Pflichten wahrnehme.

Seinen Ausspruch der Unzulässigkeit des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, bei der nach richterlichem Ermessen vorzunehmenden Beurteilung, ob eine die Interessen des Betroffenen gefährdende Kollision vorliege, sei stets auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Der Entscheidung komme daher über den Einzelfall hinaus keine Bedeutung zu.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Verfahrenssachwalters, der beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass seinem Antrag auf Enthebung als einstweiliger Sachwalter stattgegeben werde.

Der Revisionsrekurs ist - wie die folgenden Ausführungen zeigen werden - entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurswerber vertritt - ebenso wie das Rekursgericht - die Auffassung, dass die §§ 191 bis 195 ABGB im Sachwalter(bestellungs)verfahren analog anzuwenden seien - und dass daher die von ihm erhobene Privatanklage iSd § 194 ABGB einen "Rechtsstreit" zwischen ihm und den Betroffenen darstelle und dementsprechend ein Ausschließungsgrund vorliege.

Zunächst ist zu untersuchen, ob die Untauglichkeits- und Entschuldigungsgründe der §§ 191 bis 195 ABGB im Sachwalter(bestellungs)verfahren voll anzuwenden sind. Während ein Teil der Lehre diese Gesetzesstellen nicht als Bestellungshindernisse, sondern nur als Wertungsgesichtspunkte für die richterliche Ermessensentscheidung auffasst (Maurer/Tschugguel, Sachwalterrecht2 Rz 3 zu § 280 ABGB; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 5 zu §§ 280 f; jüngst Feil, Verfahren außer Streitsachen2, 698), wollen sie andere Autoren im Rahmen der allgemeinen Bestellungsvoraussetzungen analog anwenden (Kremzow, Sachwalterrecht, 67; Schlemmer in Schwimann ABGB2 Rz 2 zu § 280). Der Oberste Gerichtshof hat erstmals zu 3 Ob 543, 1548/92 = RZ 1994/15 ausgesprochen, dass für Sachwalter nicht nur § 200 ABGB analog anzuwenden sei, sondern auch die Bestimmungen über die notwendige und freiwillige Entschuldigung eines Vormunds (§§ 191 bis 195 ABGB) analog zur Anwendung kämen, ohne dies aber weiter zu begründen. Im Wesentlichen nur unter Zitierung dieser Entscheidung wurde zu 8 Ob 506/93 (= ÖA 1994, 70) und 6 Ob 28/97d sowie 1 Ob 252/97h an dieser Ansicht festgehalten. Auch zu 7 Ob 362/98f wurde unter Hinweis auf 8 Ob 506/93 ausgesprochen, dass bei der Bestellung einer Person zum Sachwalter auch die Vorschriften über die notwendige und freiwillige Entschuldigung des Vormunds zur Anwendung kämen, dabei aber relativierend hinzugefügt, dass § 195 ABGB "zumindest als Wertungsrichtlinie" zu verstehen sei. Zu 4 Ob 176/98f wurde die Frage der Bedeutung der Untauglichkeits- und Entschuldigungsgründe der §§ 191 bis 195 ABGB im Sachwalterverfahren unter Hinweis auf die divergierenden Meinungen ausdrücklich offengelassen, weshalb von einer gefestigten bzw gesicherten ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung dazu nicht gesprochen werden kann.

Schlemmer (aaO) stimmt einer analogen Anwendung der §§ 191 bis 195 ABGB in Sachwalterverfahren im Rahmen der allgemeinen Bestellungsvoraussetzungen mit der Begründung zu, dabei handle es sich "überwiegend um allgemeine Auswahlkriterien für gesetzliche Vertreter, bei denen nicht einsichtig wäre, warum ihre Anwendung bei Sachwaltern ausgeschlossen sein sollte".

Dieser Auffassung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. In den Erläuterungen zur RV 742 XV. GP, 20 zum Bundesgesetz vom 2. 2. 1983 über die Sachwalterschaft für behinderte Personen wird betreffend die neue Fassung des § 280 ABGB ausgeführt, das geltende Recht verweise bezüglich der Grundsätze für die Bestellung eines Kurators auf das Vormundschaftsrecht. Diese Verweisung trage jedoch nicht den verschiedenen Arten der Kuratel oder Sachwalterschaft Rechnung. Sachgerechter sei es, dem Gericht bei der Auswahl des Sachwalters oder Kurators einen weiten Ermessensspielraum zu geben, es aber besonders zu verpflichten, dabei die Bedürfnisse des Pflegebefohlenen, vor allem die Art seiner Angelegenheiten, zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat sodann den letzten Satz des § 280 ABGB der RV ("Die §§ 191 bis 195 sind anzuwenden.") nicht übernommen, ohne im AB dafür eine Begründung zu geben. In Konnex mit den zitierten Erläuterungen der RV und den dort hervorgehobenen Zielsetzungen erscheint eine analoge Anwendung insbesondere des § 194 ABGB in einem Fall wie dem vorliegenden dahin, dass ein "Rechtsstreit" zwischen einem zum Verfahrenssachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG bestellten Rechtsanwalt und dem Betroffenen in gleicher Weise wie ein Rechtsstreit zwischen einem Minderjährigen und seinem Vormund ein absolutes Bestellungshindernis darstellte, nicht sachgerecht. Vielmehr ist der Ansicht beizutreten, dass die Bestimmungen des § 194 ABGB in einem Fall wie dem vorliegenden nur als Richtlinien zu berücksichtigen und anhand der Kriterien des Einzelfalls zu gewichten sind.

Tut man dies hier, so kann aus den schon vom Rekursgericht zutreffend dargelegten Gründen der Umstand, dass der Verfahrenssachwalter gegen den Betroffenen Privatanklage erhoben hat (und daher wohl mit diesem als im Sinne des § 194 ABGB "in einen Rechtsstreit verwickelt" anzusehen ist - vgl etwa Kremzow aaO, 71, wonach unter "Rechtsstreit" jedes gerichtliche Verfahren, nicht nur ein Zivilprozess zu verstehen ist), hier keinen Ausschließungs- oder Entschuldigungsgrund darstellen. Aktenkundig (der mittlerweile fünfbändige Akt besteht zum Großteil aus Eingaben des Betroffenen) ist, dass sich der Betroffene praktisch über jeden, sei er Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt, mit dem er im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens in Berührung kommt, in abfälliger Weise äußert, Strafanzeigen erhebt, die Einleitung eines Sachwalterverfahrens gegen diese Personen anregt etc. Der Ansicht der Vorinstanzen, dies relativiere die unter anderem auch gegen den Verfahrenssachwalter vorgebrachten Anwürfe und Beleidigungen derart, dass darin insbesondere auch unter Berücksichtigung der Privatanklagenerhebung kein tauglicher Enthebungsgrund erblickt werden kann, ist daher zuzustimmen. Nach der Aktenlage kann entgegen den Ausführungen des Revisionsrekurses nicht angenommen werden, dass das Verhalten des Betroffenen den Ruf des Verfahrenssachwalters als Anwalt gefährden könnte. Der in diesem Zusammenhang vertretenen Ansicht des Revisionsrekurswerbers, ein Anwalt habe aus beruflichen Rücksichten eher um seinen Ruf besorgt zu sein als etwa ein Richter oder Staatsanwalt, ist zu widersprechen. Dass die Äußerungen des Betroffenen über den Verfahrenssachwalter insbesondere nicht geeignet sein können, dessen Ansehen bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck herabzusetzen, weil deren Angehörige ja selbst in gleicher Weise vom Betroffenen beschimpft und beleidigt wurden, müsste für den Revisionsrekurswerber an sich ohne weiters einsichtig sein.

Da sich die Entscheidungen der Vorinstanzen - zumindest im Ergebnis - frei von Rechtsirrtum erweisen, war dem Revisionsrekurs des Verfahrenssachwalters ein Erfolg zu versagen.