JudikaturJustiz6Ob95/12g

6Ob95/12g – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. September 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen A***** P*****, geboren am 23. Juni 1981, *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters V*****, dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 28. Februar 2012, GZ 20 R 163/11m 52, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 29. August 2011, GZ 12 P 180/10d 38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Übrigen infolge Nichtanfechtung in Rechtskraft erwachsen sind, werden dahin abgeändert , dass der nachfolgende Ausspruch zu entfallen hat:

„Der Sachwalter hat weiters folgende konkrete Angelegenheit zu besorgen (§ 268 Abs 3 Z 1 ABGB):

regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung.“

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen bestellten für den Betroffenen gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB (insoweit bereits rechtskräftig) einen Sachwalter zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungen, zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten sowie zur Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen; vom Wirkungsbereich des Sachwalters wurde die Verfügung über das gesamte laufende Einkommen des Betroffenen ausgenommen.

Darüber hinaus trugen sie dem Sachwalter gemäß § 268 Abs 3 Z 1 ABGB die „regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung“ auf.

Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, entgegen der früheren Rechtslage (vor dem KindRÄG 2001 beziehungsweise dem SWRÄG 2006) habe der Sachwalter gemäß § 282 ABGB nunmehr einerseits persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen zu halten und andererseits sich um dessen gebotene ärztliche und soziale Betreuung zu bemühen. Diese Bemühungspflicht treffe den Sachwalter unabhängig von seinem Wirkungskreis, gebe ihm jedoch keine Vertretungsbefugnis, sofern sein Wirkungskreis nicht ausdrücklich die ärztliche und soziale Betreuung umfasse; in letzterem Fall habe das Gericht den Wirkungskreis präzise zu umschreiben. Im vorliegenden Fall erscheine die vom Erstgericht vorgenommene Konkretisierung hinsichtlich der Kontrolle des Gesundheitszustands des Betroffenen sinnvoll: Der Betroffene könne derzeit seine medizinischen Angelegenheiten durchaus ohne Gefahr eines Nachteils selbst wahrnehmen; bei akuten Psychoseschüben wäre er jedoch nicht in der Lage, sich um seinen Gesundheitszustand zu kümmern, wobei allerdings mit einem neuerlichen Krankheitsschub allenfalls auch erst in einigen Jahren zu rechnen sei. Die vom Erstgericht vorgenommene Bestellung nach § 268 Abs 3 Z 1 ABGB sei dahin zu verstehen, dass diesbezüglich dem Sachwalter auch die Vertretungsbefugnis zukomme, was insofern sinnvoll sei, als zum Zweck der regelmäßigen Gesundheitskontrolle allenfalls auch der Abschluss von Behandlungsverträgen erforderlich sei. Die faktische Kontrolle des Gesundheitszustands sei daher von Fachpersonal vorzunehmen; dies werde aber erst durch die Übertragung der Vertretungsbefugnis an den Sachwalter ermöglicht.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Sachwalters ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS Justiz RS0008563; zur Rechtslage aufgrund SWRÄG 2006 und Außerstreitgesetz 2003 vgl 3 Ob 109/09i EF Z 2010/16; 1 Ob 83/11d iFamZ 2012/16 [ Parapatits ]) ist der Sachwalter legitimiert, im eigenen Namen ein Rechtsmittel zu erheben, wenn er geltend macht, dass der Umfang der ihm eingeräumten Rechte und Pflichten zu wenig deutlich beschrieben wurde; dies gilt auch dann, wenn er sich wie hier gegen den Umfang seiner Bestellung wendet.

2. Der Betroffene hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt. Obwohl §§ 117 ff AußStrG im Gegensatz zu § 249 Abs 3 AußStrG 1854 nicht mehr ausdrücklich vorsieht, dass dem Betroffenen, wenn er nicht selbst das Rechtsmittel erhebt, dieses zuzustellen ist, und es dem Betroffenen frei steht, eine Rechtsmittelbeantwortung einzubringen, war dem Betroffenen dennoch die Möglichkeit der Beantwortung des Revisionsrekurses des Sachwalters einzuräumen: Nach § 48 AußStrG ist das Rechtsmittelverfahren in Außerstreitsachen nunmehr grundsätzlich zweiseitig ausgestaltet.

3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrmals klargestellt, dass durch § 282 Abs 2 ABGB idF KindRÄG 2001 beziehungsweise § 282 Satz 1 ABGB idF SWRÄG 2006 die den Sachwalter treffenden Pflichten gegenüber der früheren Rechtslage tendenziell eingeschränkt werden sollten; der Sachwalter hat mit der behinderten Person persönlichen Kontakt zu halten und sich darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird. Diese „Bemühungspflicht“ trifft jeden Sachwalter unabhängig von seinem Wirkungskreis, also auch den nur für eine einzelne Angelegenheit bestellten Sachwalter und insbesondere auch Sachwalter, in deren Wirkungskreis keine Angelegenheiten der Personensorge fallen; sie ist rein faktisch zu verstehen und gibt dem Sachwalter keine Vertretungsbefugnis. Außerdem verlangt das Gesetz vom Sachwalter nicht mehr die Sicherstellung der Personensorge; sollen dem Sachwalter tatsächlich konkrete Befugnisse im Wirkungskreis „Personensorge“ zukommen, versetzt ihn insoweit nur eine präzise Bestimmung im Bestellungsbeschluss in die Lage, seine Rechte und Pflichten verlässlich abzuschätzen (3 Ob 109/09i; 1 Ob 83/11d; vgl auch 5 Ob 54/06m FamZ 2006/34 [ Parapatits ]).

So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 3 Ob 109/09i die Anordnung der „Personensorge“ und in der Entscheidung 1 Ob 83/11d die Anordnung der „Sicherstellung der sozialen und medizinischen Versorgung“ für nicht zulässig erklärt.

4. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen die „regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung“ angeordnet. Sollte diese Anordnung also dahin zu verstehen sein, dass die Kontrolle vom Sachwalter selbst auszuüben ist, das Erstgericht immerhin spricht davon, „den Sachwalter mit der regelmäßigen Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen betrauen“ zu wollen , wäre sie ohnehin von der Bemühungspflicht des § 282 Satz 1 ABGB erfasst und bräuchte nicht extra angeordnet zu werden; insoweit wäre der hier zu beurteilende Fall mit dem der Entscheidung 1 Ob 83/11d zugrunde liegenden vergleichbar. Versteht man die Anordnung hingegen so wie das Rekursgericht als Einräumung der Vertretungsbefugnis im Bereich „Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen“, ist sie überflüssig: Das Erstgericht hat den Sachwalter ohnehin mit der Vertretung bei Geschäften, die über das tägliche Leben hinausgehen, betraut; dazu gehören aber auch Verträge betreffend die Kontrolle des Gesundheitszustands des Betroffenen und Behandlungsverträge mit Ärzten oder Spitälern. Für eine Anregung auf Erweiterung der Sachwalterschaft im Fall eines Psychoseschubs des Betroffenen benötigt der Sachwalter schließlich entgegen der Meinung des Erstgerichts ohnehin keine eigene Bestellung.

5. Die Bestellung des Sachwalters für die „regelmäßige Kontrolle des Gesundheitszustandes des Betroffenen, insbesondere hinsichtlich seiner psychischen Erkrankung“ hatte demnach zu entfallen.

Rechtssätze
2