JudikaturJustiz6Ob644/95

6Ob644/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. November 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Helene M*****, vertreten durch Dr.Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wider den Gegner der gefährdeten Partei Verein Z*****, vertreten durch Dr.Nikolaus Siebenaller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung einer einstweiligen Verfügung, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 10.April 1995, AZ 46 R 371/95 (ON 31), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 18.Mai 1994, GZ 38 C 1042/91b-24 (richtig 38 C 1042/91b-24a), bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die einstweilige Verfügung vom 22.Oktober 1991 aufgehoben wird.

Die gefährdete Partei hat die Verfahrenskosten einschließlich der Rechtsmittelkosten vorläufig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die gefährdete Partei ist Inhaberin eines Rennstalls, dem ua ein näher bezeichnetes Traber-Rennpferd angehört. Mit rekursgerichtlicher einstweiliger Verfügung vom 22.Oktober 1991 wurde das vom Gegner der gefährdeten Partei - einem Verein, der in Österreich alle Traber-Rennsportveranstaltungen organisiert - mit Schreiben vom 23. Mai 1991 für das klägerische Rennpferd (wegen behaupteten Dopings) bis Ende 1991 ausgesprochene Startverbot für alle in ganz Österreich stattfindenden Rennen aufgehoben. Die einstweilige Verfügung galt bis zur rechtskräftigen Erledigung der von der gefährdeten Partei einzubringenden Klage auf Aufhebung des Startverbotes. Den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen diese einstweilige Verfügung wies der erkennende Senat mit Beschluß vom 9. Jänner 1992, AZ 6 Ob 642/91, mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig zurück.

Am 17.Mai 1993 beantragte die gefährdete Partei - die rechtzeitig die ihr aufgetragene Sicherheitsleistung von 100.000 S erlegt und die Klage eingebracht hatte - mangels weiterer Gefährdung die Aufhebung der von ihr beantragten einstweiligen Verfügung, weil das Verbot ab 1. Jänner 1992 nicht mehr rechtswirksam sei.

Das zur Bewilligung der einstweiligen Verfügung zuständige Gericht sprach seine Unzuständigkeit nach § 399 Abs 2 EO aus und überwies den Antrag gemäß § 44 JN an das Prozeßgericht. Das Rekursgericht trug über Rekurs der gefährdeten Partei mit rechtskräftigem Beschluß vom 25. November 1993, ON 24, der ersten Instanz die sachliche Entscheidung über den Aufhebungsantrag auf. Zwar habe nach § 399 Abs 2 EO über Anträge nach § 399 Abs 1 Z 1 bis 4 EO dann, wenn der Prozeß in der Hauptsache noch anhängig ist, das Prozeßgericht erster Instanz zu entscheiden, doch liege hier ein solcher Antrag nicht vor. Insbesondere könne der Antrag auch nicht unter § 399 Abs 1 Z 2 EO subsumiert werden, weil eine zwischenzeitige Änderung der Verhältnisse seit Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht behauptet worden sei. Es sei daher in dem hier zu beurteilenden Sonderfall nach § 387 EO nach wie vor das zur Bewilligung der einstweiligen Verfügung berufene Gericht zuständig.

Dieses wies nun den Aufhebungsantrag mit der Begründung ab, daß das Rechtfertigungsverfahren noch nicht rechtskräftig erledigt sei. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung erster Instanz, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht ging die zweite Instanz im wesentlichen davon aus, daß die einstweilige Verfügung, dem Antrag der gefährdeten Partei entsprechend, bis zur rechtskräftigen Erledigung der von der gefährdeten Partei einzubringenden Klage auf Aufhebung des Startverbotes Geltung habe. Vorher könne sie nur bei Vorliegen einer der in § 399 Abs 1 Z 1 bis 4 EO angeführten - hier indes von der gefährdeten Partei nicht geltend gemachten - Gründe aufgehoben werden.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der gefährdeten Partei ist zulässig und berechtigt.

Auch für einen von der gefährdeten Partei selbst gestellten Antrag auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung gilt § 402 Abs 1 EO, wonach § 521a ZPO in Fällen der Entscheidung über einen Antrag auf ... Aufhebung einer einstweiligen Verfügung sinngemäß anzuwenden ist. Insoweit findet keine Beschränkung auf Fälle, in denen der Antrag vom Gegner der gefährdeten Partei ausgeht, statt. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist somit das Rekursverfahren auch über einen von der gefährdeten Partei gestellten Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung zufolge Anwendbarkeit des § 402 Abs 1 EO zweiseitig und bei bestätigenden Entscheidungen von der Rechtsmittelbegünstigung dieser Bestimmung erfaßt. Das Rechtsmittel ist damit nicht absolut unzulässig.

Einstweilige Verfügungen erlöschen nicht von selbst mit dem Ablauf der Verfügungsfrist (§ 391 Abs 1 EO), sondern bleiben bis zu ihrer Aufhebung wirksam (WBl 1992, 195; ÖBl 1988, 15 mit Anm von Schmidt ua; Rechberger-Simotta, Exekutionsverfahren2 Rz 965 mwN). Gemäß § 399 Abs 1 Z 2 EO kann außer den in den §§ 386 und 391 angeführten Fällen

der Aufhebung einer getroffenen Verfügung die Aufhebung ... beantragt

werden: ... 2. wenn sich inzwischen die Verhältnisse, in Anbetracht

deren die einstweilige Verfügung bewilligt wurde, derart geändert haben, daß es des Fortbestandes dieser Verfügung zur Sicherung der Partei, auf deren Antrag sie bewilligt wurde, nicht mehr bedarf. Nach herrschender Auffassung sind die Aufhebungsgründe des § 399 EO nicht taxativ aufzählt (WBl 1992, 195; SZ 60/60 ua). Zeitablauf wird als eigener Aufhebungsgrund iS der Z 2 leg.cit. anerkannt (EFSlg 52.465, 46.931; Heller-Berger-Stix EO4 2887 mwN). Gemäß § 402 Abs 2 ZPO sind die Einstellungsgründe des § 39 Abs 1 EO - darunter vor allem jener der Z 6 - auch im Provisorialverfahren anzuwenden (4 Ob 122/89 in einem Rechtsfall über die Zurückziehung des Sicherungsantrages; EFSlg 44.365; Heller-Berger-Stix aaO 2889). Von der gefährdeten Partei gestellte Anträge auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung - wie hier - unterfallen § 39 Abs 1 Z 6 EO, wonach die Exekution einzustellen ist, wenn der Gläubiger das Exekutionsbegehren zurückgezogen hat, wenn er auf den Vollzug der bewilligten Exekution überhaupt oder für eine einstweilen noch nicht abgelaufene Frist verzichtet hat, oder wenn er von der Fortsetzung des Exekutionsverfahrens abgestanden ist. Auch im Sicherungsverfahren kann die gefährdete Partei von ihrem Sicherungsbegehren durch Verlangen nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung jederzeit Abstand nehmen, ohne daß zuvor ein allfälliges Rechtfertigungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sein müßte. Der von den Vorinstanzen angenommene Abweisungsgrund liegt demnach nicht vor.

Auf den Einwand in der (Revisions)Rekursbeantwortung, daß die Gegnerin der gefährdeten Partei gegen die Ausfolgung der Sicherheitsleistung - was erkennbar Grund für den vorliegenden Antrag der gefährdeten Partei ist - keinen Einwand habe und demnach der gefährdeten Partei die Beschwer fehle, kann wegen des Neuerungsverbotes nicht eingegangen werden.

Die Rechtsprechung erachtet die Bestimmung des § 399 Abs 2 letzter Satz EO, wonach der Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung ... der einstweiligen Verfügung eine mündliche Verhandlung vorauszugehen hat, als zwingend und einen Verstoß dagegen als mit Nichtigkeit bedroht (zuletzt JBl 1995, 532 mwN und Anm von König). Im Sinne der Regelung des § 45 Abs 3 EO hat über Einstellungs-(Aufhebungs-)anträge, die von der gefährdeten Partei selbst gestellt werden, keine mündliche Verhandlung der Parteien stattzufinden. Bei einem von der gefährdeten Partei ausgehenden Antrag auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung muß daher das Gericht keine mündliche Verhandlung iS des § 399 Abs 2 letzter Satz EO vornehmen.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der gefährdeten Partei erweist sich demnach als zulässig und berechtigt, wobei es entgegen dem Vortrag im außerordentlichen Revisionsrekurs auf Fragen der Selbstbindung eines Gerichtes an seine eigene Entscheidung nicht mehr ankommt.

Die Kostenentscheidung fußt auf analoger Anwendung des § 393 Abs 1 EO.

Rechtssätze
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