JudikaturJustiz6Ob61/22x

6Ob61/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Mag. Wessely Kristöfel, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E* S*, vertreten durch Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* - Verein *, vertreten durch Mag. Helwig Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 6. Oktober 2021, GZ 21 R 127/21s 21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 28. April 2021, GZ 6 C 423/20m 16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen .

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

[2] Der im Jahre 2008 verstorbene Vater der Klägerin war Eigentümer einer Liegenschaft, auf der sich im Wesentlichen ein W ohn haus (Althaus), ein ehemaliges Betriebsgebäude (Konfektion) und ein parkähnlicher Garten befinden. Der Nachlass wurde zu zwei Neuntel der Klägerin, zu fünf Neuntel ihrer Schwester und zu je einem Neuntel den Kindern der vorverstorbenen zweiten Schwester der Klägerin eingeantwortet.

[3] Am 5. 7. 1976 trafen die Klägerin und ihre beiden Schwestern mit ihrer Mutter nachstehende Vereinbarung:

„Erklärung: Für den Fall, dass ich Miteigentümer des Haus- und Grundbesitzes [...] von Ing. H* H*, werden sollte – erkläre ich mich mit einem Wohn- und Nutzungsrecht auf Lebensdauer für unsere Mutter H* H* einverstanden und verzichte auf Teilungsklage. Auch räumen sich die Unterfertigten gegenseitiges Vorkaufsrecht auf die Anteile des anderen ein.“

[4] Die Vereinbarung wurde mit der Absicht aufgesetzt, die Mutter abzusichern und ihr zu ermöglichen, zu ihren Lebzeiten die gesamte Liegenschaft unentgeltlich zu nutzen und die aus der Liegenschaft gezogenen Erträge dazu zu verwenden, das Wohnhaus (Althaus) zu erhalten.

[5] Nach dem Tod ihres Ehemanns bewohnte die Mutter die Liegenschaft zunächst allein. Da ihr die Betreuung des Hauses und des Gartens zu beschwerlich wurden, ersuchte sie die Schwester der Klägerin und deren Lebensgefährten, sie bei der Haus- und Gartenarbeit zu unterstützen. Ende 2011 zogen diese schließlich in das Althaus ein. Im Jahr 2012 übersiedelte die Mutter in ihre Eigentumswohnung nach Tulln. Ab dann verbrachte sie durchschnittlich ein bis zwei Tage pro Woche sowie mehrere Tage zu Weihnachten und Ostern auf der Liegenschaft. Sie vereinbarte mit der Schwester der Klägerin , dass sie jederzeit in das Haus zurückkehren könne.

[6] Am 29. 7. 2016 schlossen die Mutter als Vermieterin und der beklagte Verein als Mieter, vertreten durch seinen Obmann, den Lebensgefährten der Schwester der Klägerin, einen Mietvertrag über die Räumlichkeiten im Erdgeschoß der ehemaligen Konfektion samt der dazugehörigen Gartenflächen. Die Schwester der Klägerin unterfertigte den Mietvertrag ebenfalls, um zu bekräftigen, dass er auch in ihrem Interesse war. Die Zustimmung der Klägerin wurde nicht eingeholt. Der Beklagte betreibt dort eine Tagesbetreuungseinrichtung für Kinder. Eine Vernachlässigung oder ein sonst für die Eigentümer nachteiliger Gebrauch der Liegenschaft durch den Beklagten steht nicht fest. Im Frühjahr 2020 zog die Mutter zurück auf die Liegenschaft.

[7] Seit dem Stilllegen der Konfektion im Jahr 1987 war insbesondere das Erdgeschoß der Konfektion nahezu durchgehend vermietet, um das Haupthaus erhalten zu können. Nach dem Tod ihres Ehemanns flossen die Mieteinnahmen auf ein eigenes Konto der Mutter und wurden für die Erhaltung der Liegenschaft verwendet. Die Pension der Mutter reichte (und reicht) zur Erhaltung des Althauses nicht aus.

[8] Die Klägerin begehrt mit ihrer im August 2020 eingebrachten Klage die Räumung der vom Beklagten titellos genutzten Räumlichkeiten. Ihre Mutter als Vermieterin sei weder Miteigentümerin noch Nutzungsberechtigte der Liegenschaft, weil sie ihr Nutzungsrecht durch den Umzug nach Tulln zur Gänze verloren habe. Auch die Schwester der Klägerin sei als Mehrheitseigentümerin nicht berechtigt gewesen, einen solchen Mietvertrag abzuschließen. Der Beklagte nutze die Liegenschaft zum Nachteil der Klägerin.

[9] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es nahm Bezug auf die Auslegung der Vereinbarung vom 5. 6. 1976 in der Entscheidung 2 Ob 102/18s und führte ergänzend aus, dass der Mutter aufgrund dieser Vereinbarung das Recht eingeräumt worden sei, im eigenen Namen Mietverträge abzuschließen und die Mietzinse einzuziehen, soweit dies zur Gewährleistung ihres Wohnrechts nötig sei. Zwar sei die Mutter mangels tatsächlicher Ausübung ihres Wohnrechts im Juli 2007 zum Abschluss des hier zu beurteilenden Mietvertrags gegenüber den Miteigentümern der Liegenschaft nicht berechtigt gewesen. Dennoch sei der Mietvertrag – inter partes – gültig zustande gekommen, weil eine Rechtseinräumung durch den Nichtberechtigten nicht zur Nichtigkeit des Vertrags führe, sondern diesen bloß mit einem Rechtsmangel behafte. Die Mutter habe nicht auf ihre Rechte aus der Vereinbarung vom 5. 6. 1976 verzichtet. Durch ihre Rückkehr auf die Liegenschaft im Frühling 2020 seien diese wieder aufgelebt, und sie sei ab diesem Zeitpunkt auch gegenüber der Klägerin wieder zur verfahrensgegenständlichen Vermietung berechtigt gewesen. Seit diesem Zeitpunkt sei die Titelkette geschlossen gewesen. Eine titellose Benützung der Liegenschaft durch den Beklagten liege daher nicht vor.

[10] Das Berufungsgericht teilte die Beurteilung des Erstgerichts und ergänzte, der Mutter sei durch die Vereinbarung eine „Art Verwaltervollmacht“ eingeräumt worden, im Zuge derer sie auch zum Abschluss des Bestandvertrags im eigenen Namen berechtigt gewesen sei. Auch wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht auf der Liegenschaft gewohnt habe, sei ihr Recht jedenfalls wieder mit der Rückkehr im Frühjahr 2020, somit vor Einbringung der Räumungsklage, aufgelebt.

[11] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil im vorliegenden Fall zu klären sei, ob bereits durch die Entscheidung 2 Ob 102/18s eine ordentliche Verwaltung der Liegenschaft durch die Mutter ausgeschlossen worden sei oder nicht.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig . Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

[13] 1.1. Zwar war in der Entscheidung 2 Ob 102/18s, die Ansprüche der Klägerin gegenüber ihrer Schwester auf Abgeltung einer übermäßigen Nutzung der Liegenschaft betraf, die auch hier maßgebliche Vereinbarung vom 5. 6. 1976 auszulegen (dazu Punkt 3.2.). Weder der Beklagte noch die Nutzungsberechtigte waren aber Parteien dieses außerstreitigen Verfahrens. Eine Bindung an die dortige Entscheidung besteht daher im vorliegenden Fall schon deshalb nicht (vgl RS0041572 [T28]; RS0039843 [T18]). Auch materielle Nahebeziehungen bzw Abhängigkeiten zwischen den Streitgegenständen, teleologische Sinnzusammenhänge der Entscheidungsgegenstände oder Rechtsverhältnisse, das Gebot der Entscheidungsharmonie oder das Bedürfnis nach Rechtssicherheit sind keine hinreichenden Gründe für eine Erweiterung der Bindungswirkung (RS0102102 [T15]). Schon deshalb fehlt es der in der Zulassungsbegründung als erheblich erachteten Frage an Relevanz.

[14] 1.2. Die genannte Entscheidung setzte sich aber ohnehin nicht damit auseinander, ob die Mutter aufgrund der Vereinbarung zum Abschluss von Mietverträgen berechtigt oder der hier zu beurteilende Mietvertrag gegenüber der Klägerin wirksam war. Ihr lag überdies schon aufgrund der hier festgestellten danach eingetretenen Umstände nicht der selbe Sachverhalt zugrunde.

[15] 2. Die von der Klägerin behauptete Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[16] 3.1. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 f ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei ist aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915 [T2]; RS0014160 [T27]). Für die Beurteilung der „Absicht“ der Parteien im Sinn des § 914 ABGB kommt es maßgebend auf den Zweck der Regelung an, den die Beteiligten redlicherweise unterstellen mussten (RS0017915 [T23]). Treten nach Abschluss des Geschäfts Konfliktfälle auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, dann ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten (RS0017758).

[17] Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss, entziehen sie sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen generellen Aussagen. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, sofern nicht eine krasse Fehlbeurteilung zu erkennen ist (RS0112106 [insb T3]; RS0042936 [insb T17]; vgl RS0042776).

[18] 3.2. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in der Entscheidung 2 Ob 102/18s mit der Auslegung des der Mutter in der Vereinbarung vom 5. 6. 1976 eingeräumten Nutzungsrechts befasst und ausgeführt, dass der Mutter mit dieser Vereinbarung kein Recht zur uneingeschränkten Nutzung der Liegenschaft iSd § 509 ABGB, sondern ein einem höchstpersönlichen Wohnrecht entsprechendes, obligatorisches Nutzungsrecht mit der zusätzlichen Befugnis, die zur Gewährleistung des Wohnungsrechts nötigen Erträgnisse der Liegenschaft einzuziehen, eingeräumt worden sei. Die Vertragsparteien hätten eine Absicherung der Wohnversorgung der Mutter erreichen wollen. Diese sollte die gesamte Liegenschaft unentgeltlich nutzen und die aus der Liegenschaft gezogenen Erträge zur Erhaltung des Wohnhauses verwenden dürfen. Ihr sollten die Erträgnisse der Liegenschaft zwar nicht umfassend, aber in jenem Umfang zustehen, in dem sie zur Aufrechterhaltung der Wohnmöglichkeit auf der Liegenschaft erforderlich waren.

[19] 3.3. Auch im vorliegenden Verfahren schlossen sich die Vorinstanzen dieser Beurteilung an. Ausgehend von diesem Zweck der Vereinbarung war das Erstgericht der Auffassung, dass der Mutter damit zur Erzielung der erforderlichen Erträge auch das Recht eingeräumt worden sei, im eigenen Namen Mietverträge über Teile der Liegenschaft abzuschließen, weil ihre Absicherung konterkariert würde, könnten die Miteigentümer der Liegenschaft darüber entscheiden, ob vermietet werde oder nicht. Gerade das vorliegende Verfahren zeige, dass die Klägerin als Miteigentümerin unter keinen Umständen mit einem Neuabschluss von Mietverträgen einverstanden wäre. Dadurch würde aber die in der Vereinbarung intendierte Absicherung der Mutter, auf der Liegenschaft weiter wohnen zu können, unterlaufen.

[20] Diese, auch vom Berufungsgericht gebilligte, Auslegung der gegenständlichen Vereinbarung ist nicht korrekturbedürftig. Des vom Berufungsgericht zusätzlich erwogenen Rückgriffs auf eine „Art Verwaltervollmacht“ der Mutter bedurfte es somit nicht. Auf eine von der Revision ins Treffen geführte allfällige Erhaltungspflicht der Eigentümer kommt es angesichts dieser Auslegung der getroffenen Nutzungsvereinbarung ebenso wenig an wie auf den gesetzlich vorgesehenen Umfang der Befugnisse eines Miteigentümers der Liegenschaft oder eines dinglich Wohnungsberechtigten. Soweit die Revision davon ausgeht, die Mieterträgnisse seien zur Erhaltung der Gebäude nicht nötig gewesen, entfernt sie sich von den Feststellungen.

[21] 4. Weshalb die dem Beklagten mietvertraglich gestattete Untervermietung des Bestandobjekts und die Mitvermietung großer Gartenflächen den Rahmen des der Mutter eingeräumten Rechts zur Vermietung von Liegenschaftsteilen überschritten haben sollen, legt die Revision nicht dar. Bereits das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin mit ihrem erstmals im Rechtsmittelverfahren erstatteten weiteren Vorbringen zu angeblich außergewöhnlichen und nachteiligen Bedingungen des hier gegenständlichen Mietverhältnisses gegen das Neuerungsverbot verstößt (§ 504 Abs 2 ZPO), sodass darauf nicht eingegangen werden kann und insoweit auch keine Feststellungsmängel vorliegen.

[22] 5. Gegen die Auffassung der Vorinstanzen, durch die vorübergehende Verlegung des Wohnsitzes der Mutter sei das ihr eingeräumte lebenslängliche Nutzungsrecht nicht erloschen (vgl § 529 ABGB), trägt die Revision keine Argumente vor. Der Beurteilung, seit dem Wiedereinzug der Mutter übe diese ihre Rechte aus der Vereinbarung vom 5. 6. 1976 jedenfalls wieder aus, sodass keine titellose Benützung durch den Beklagten vorliege, tritt die Revision lediglich mit dem Argument entgegen, mit der Vereinbarung vom 5. 6. 1976 sei der Mutter von vornherein gar kein Recht zum Abschluss von Mietverträgen eingeräumt worden. Damit zeigt sie keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf (vgl oben Punkt 3.3.).

[23] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Kosten für Sendungen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs von ERV Teilnehmern direkt an andere – so für die Zustellung nach § 112 ZPO an andere Rechtsvertreter – sind mangels gesetzlicher Grundlage nicht zu honorieren (6 Ob 134/18a [ErwGr 3.]; RS0132145).