JudikaturJustiz6Ob48/22k

6Ob48/22k – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei A* N*, vertreten durch Dr. Manfred Sommerbauer und DDr. Michael Dohr, LL.M. LL.M., Rechtsanwälte in Wiener  Neustadt, gegen die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei G* Rechtsanwälte GmbH, *, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG, wegen Unterlassung, hier wegen einstweiliger Verfügung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. Februar 2022, GZ 12 R 12/22f 17, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1 Nach ständiger Rechtsprechung werden in die Ehre oder den wirtschaftlichen Ruf des Prozessgegners eingreifende Parteibehauptungen im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege unabhängig von der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit des Verfahrens als gerechtfertigt angesehen, sofern sie nicht vorsätzlich wider besseres Wissen erhoben werden. Das Interesse an einer funktionierenden Rechtspflege gebietet es, Parteien eines Gerichtsverfahrens nicht mit einer abschreckenden Verantwortlichkeit nach § 1330 ABGB zu belasten. Der Rechtfertigungsgrund erfordert zudem, dass dieses Vorbringen nicht nur zeitlich aus Anlass bzw im Rahmen eines Verfahrens erstattet wird, sondern auch einen – wenn auch großzügig zu beurteilenden – inhaltlichen Zusammenhang mit dem Verfahrensgegenstand aufweist (6 Ob 28/17m [ErwGr 3.1. f und 4.3.]; vgl RS0022781; RS0022784).

[2] Auch der Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung iSd § 113 StGB, der grundsätzlich gegen § 1330 ABGB verstößt, kann durch das Interesse an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und damit im Zusammenhang die Ausübung eines Rechts (Prozesshandlung) gerechtfertigt (iSd § 114 StGB) sein, sodass kein Unterlassungsanspruch besteht (6 Ob 83/04f; 6 Ob 109/00y).

[3] 1.2 Der im Zivilverfahren Beklagte handelt grundsätzlich in Ausübung eines Rechts iSd § 114 StGB, wenn er zur Abwehr gegen ihn erhobener zivilrechtlicher Forderungen im entsprechenden Verfahren schriftlich oder mündlich zur Sache Stellung bezieht. Darunter fällt bei grundrechtsbewusstem Verständnis (Art 6 Abs 1 MRK) nicht nur ein zur entsprechenden Rechtsverfolgung „notwendiges“, sondern jedes Vorbringen, das – ohne Anlegen eines strengen Maßstabs – aus der Sicht eines verständigen Beobachters in der Rolle der Prozesspartei der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann, sofern es nicht bewusst wahrheitswidrig erstattet wird. In diesem Rahmen ist es auch legitim, über ein Bestreiten der gegen den Äußernden im Zivilverfahren erhobenen Vorwürfe hinausgehende ehrenrührige Anschuldigungen gegen den Prozessgegner oder einen Zeugen zu erheben, die dessen Glaubwürdigkeit erschüttern sollen (15 Os 28/18h [Vorwurf der Fälschung einer Satzung]; 15 Os 85/07z; vgl RS0122921). Dabei ist von einer ex-ante-Betrachtung auszugehen und unmaßgeblich, ob sich das Vorbringen ex post tatsächlich als notwendig erweist (vgl 25 Ds 1/21w; RS0130930).

[4] In diesem Zusammenhang wurde auch bereits ausgesprochen, dass das den Tatsachen entsprechende Vorbringen, dass gegen einen Zeugen – wenn auch wegen eines anderen Sachverhalts – ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs anhängig ist, um damit die Glaubwürdigkeit der (den Standpunkt der Gegenseite im Zivilprozess stützenden) Aussage dieser Beweisperson in Zweifel zu ziehen, nicht (von Vornherein) gänzlich ungeeignet ist, dem eigenen Verfahrensstandpunkt zum Durchbruch zu verhelfen (25 Ds 1/21w).

[5] 2. Für das Prozessvorbringen durch einen Rechtsanwalt besteht der Rechtfertigungsgrund des § 9 Abs 1 RAO (RS0031998). Danach ist er befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Ein Rechtsanwalt ist daher im Rahmen seiner berufsmäßigen Parteienvertretung verpflichtet, alles zu unternehmen, was den Interessen seines Klienten dienlich ist (RS0055917 [T2]). Wesentliche Voraussetzung der Rechtfertigung ist hiebei, dass die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich erfolgt (RS0114015 [T5]). Die Grenze, die der Rechtsanwalt in seiner Tätigkeit nicht überschreiten darf, liegt sehr hoch. Sie ist definiert durch den dem Rechtsanwalt erteilten Auftrag, durch sein Gewissen und den zu vermeidenden Widerstreit mit dem Gesetz (RS0120386 [T4]). In die Beurteilung ist das dahinter stehende Recht des Mandanten zur Abwehr gegen ihn erhobener zivilrechtlicher Forderungen (siehe Punkt 1.1 f) einzubeziehen (vgl 6 Ob 148/00h).

[6] 3. Die hier beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft vertrat in einem Verfahren vor dem Handelsgericht Wien wegen Zuhaltung eines Liegenschaftskaufvertrags die dort beklagte Gesellschaft rechtsfreundlich. Das Rekursgericht war der Ansicht, das Erstgericht habe es als bescheinigt angesehen, dass der Kläger im Verfahren des Handelsgerichtes Wien als Zeuge geführt werde und es zentrales Beweisthema in diesem Verfahren sei, ob aus Anlass eines vom Kläger mit dem Geschäftsführer der dort Beklagten geführten Telefonats ein mündlicher Kaufvertrag über die Liegenschaft abgeschlossen worden sei. Davon ausgehend sei die Erstattung eines Vorbringens durch die hier Beklagte in einem vorbereitenden Schriftsatz, dass der für das Zustandekommen des behaupteten mündlichen Kaufvertragsabschlusses maßgebliche Zeuge rechtskräftig wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs und Bestimmung zur Untreue zu fünf Jahren Haft verurteilt worden sei, um damit die Glaubwürdigkeit der Aussage des Zeugen in Zweifel zu ziehen, nicht (von vornherein) gänzlich ungeeignet, dem Verfahrensstandpunkt der dort Beklagten zum Durchbruch zu verhelfen. Da damit auch kein unrichtiges Vorbringen erstattet worden sei und sich dieses auch als ausreichend sachbezogen erweise, sei dieses Prozessvorbringen gerechtfertigt.

[7] Diese Beurteilung hält sich im Rahmen der erörterten Rechtsprechungsgrundsätze.

[8] 4. Auch mit seinem Hinweis auf § 78 Abs 2 ZPO zeigt der Kläger keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf. Der Revisionsrekurs behauptet nicht, dass diese Bestimmung über den prozessual zulässigen Inhalt vorbereitender Schriftsätze dem Schutz der Ehre oder des wirtschaftlichen Rufs von Zeugen dienen soll (vgl zum Zweck dieser bereits seit der Stammfassung [RGBl 1895/113] bestehenden Bestimmung als inhaltliche Abgrenzung zur mündlichen Verhandlung: 688 BlgAH XI. Sess 212 [1893]; siehe auch Neumann, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen² [1927] 622; vgl Horten , ZPO [1907] § 78 Rz 817 [347]). Darüber hinaus werden Tatsachenvorbringen und Beweismittel, die dazu dienen, die Glaubwürdigkeit von Zeugen oder Parteien zu erschüttern, nicht für unzulässig erachtet („Hilfsbeweise“; Horten , ZPO [1907] § 78 Rz 813 [346]; vgl 6 Ob 148/00h [auch unter Hinweis auf 6 Ob 305/98s: „Ehrenbeleidigung“ nach § 1330 ABGB]; RS0040246). Die erörterte Rechtsprechung zu § 114 StGB (siehe Punkt 1.2) knüpft das Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes überdies nicht an die prozessordnungskonforme Ausführung der ehrenrührigen Äußerung.

[9] 5. Auf eine Überschreitung des Mandats durch die Beklagte hat sich der Kläger in seinem Revisionsrekurs nicht mehr gestützt . Zudem kommt für die Frage, ob sich der Rechtsanwalt im Einzelfall innerhalb der Grenzen seines Berufsrechts gehalten hat, seine subjektive Meinung in Betracht (arg „was er ... für dienlich erachtet“) und zwar sowohl was den Glauben des Fürwahrhaltens, als auch was den Glauben der Erheblichkeit des Vorbringens anlangt (RS0072222; RS0072150). Ob die Beklagte von ihrem Mandanten den konkreten Auftrag hatte, das hier inkriminierte Vorbringen zu erstatten, ist daher ohnehin nicht ausschlaggebend. Auch aus den fehlenden Bedenken der Vorinstanzen betreffend das Vorliegen der Passivlegitimation der Beklagten ergibt sich nicht zwangsläufig, dass die inkriminierte Äußerung in Überschreitung ihrer Vollmacht erfolgte (vgl etwa 6 Ob 135/18y), zumal sich Ansprüche aus § 1330 ABGB nicht nur gegen den unmittelbaren Täter richten – also gegen jene Person, von der die Beeinträchtigung ausgeht –, sondern auch gegen den Mittäter, den Anstifter und den Gehilfen (RS0031901).

[10] 6. Zusammenfassend bringt der außerordentliche Revisionsrekurs somit keine Rechtsfragen der von § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass er spruchgemäß zurückzuweisen war.

Rechtssätze
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