JudikaturJustiz6Ob26/24b

6Ob26/24b – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. N*, geboren am * 2009, 2. E*, geboren am * 2012, 3. J*, geboren am * 2016, über den Revisionsrekurs des Vaters DI C*, vertreten durch Dr. Claudia Stoitzner, MBA, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. August 2023, GZ 44 R 305/23p 83, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 1. Juni 2023, GZ 1 Pu 143/21s 77, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Minderjährigen auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen verpflichteten den Vater zur Zahlung von Unterhalt für seine drei minderjährigen Kinder.

Rechtliche Beurteilung

[2] Der Vater strebt mit seinem Revisionsrekurs den Entfall seiner – von den Vorinstanzen nach der Prozentwertmethode ermittelten – Zahlungspflicht, in eventu deren Reduktion um 50 % anstelle von 30 % an, vermag aber – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – darin keine erhebliche Rechtsfrage anzusprechen.

[3] 1.1. Als wesentliche Grundlage für die Entscheidung über seine Unterhaltspflicht bemängelt der Vater das Ausmaß der von den Vorinstanzen zugrundegelegten Kontaktzeiten. Er wünscht eine Korrektur im Sinne einer Berücksichtigung (noch) noch weitergehender Ferienzeiten und der Anrechnung stundenweise erfolgter Kontakte.

[4] 1.2. Die Ermittlung des Betreuungsausmaßes erfolgt nun aber nicht in Form einer „Berechnung“ von Kontakttagen schlicht nach (exakter) stundenweiser Zeiterfassung der persönlichen Anwesenheit und deren Summation; sie ist vielmehr in einer generalisierenden und wertenden Betrachtung (1 Ob 25/21i [Rz 17]; 4 Ob 45/19z [ErwGr 2.1 f]) vorzunehmen. Eine Berücksichtigung weiterer Kontakttage durch Addition von „geleisteten“ Stunden (wie dies der Vater im Hinblick auf seine Anwesenheit bei Sportveranstaltungen und Mittagessen vornimmt) ist daher nicht angebracht (so bereits 5 Ob 2/12y [ErwGr 6.]; vgl auch 4 Ob 45/19z [ErwGr 2.1.]; 1 Ob 23/18s [Aufenthalt von 11:30 Uhr bis 17:00 Uhr kein zusätzlicher Kontakttag]).

[5] 1.3. Das Rekursgericht behandelte die Beweisrüge des Vaters und übernahm die Feststellungen des Erstgerichts. Danach steht gleichteilige Betreuung für die Sommerferien 2021 und 2022 fest sowie drei zusätzliche Tage in den Weihnachtsferien 2021 und in den übrigen Ferienzeiten (Semester-, Oster- und Herbstferien und an sonstigen Feier- und schulfreien Tagen im Mai und Juni) „immer nur 1 bis 2 zusätzliche Betreuungstage“.

[6] Die ab Jänner 2023 wochenweise abwechselnd gepflogenen Kontakte (Donnerstag nach der Schule/Kindergarten bis Montag Schulbeginn eine Woche, Donnerstag nach der Schule/Kindergarten bis Freitag Schulbeginn die andere Woche; davor waren die Betreuungsleistungen geringer) wurden vom Rekursgericht im Rahmen einer wertenden Durchschnittsbetrachtung mit 2,5 Tagen pro Woche ohnehin großzügig zugunsten des Vaters bemessen. Das Rekursgericht führte dem Vater vor Augen, dass bei gänzlich „geteilten“ Ferienzeiten (die es mit 107 Tagen bzw 15 Wochen annahm) weitere 53 Tagen zu seinen Gunsten zu veranschlagen wären, aber auch dann (nur) ein (Gesamt-)Betreuungsausmaß von 145 Tagen pro Jahr vorläge. Selbst eine vom Vater im Revisionsrekurs monierte längere „Ferienzeit“ (von 112 anstatt 107 Tagen pro Jahr) führte daher zu keiner relevanten Änderung. Dann stünden 16 „Ferienwochen“ (56 Tage an Betreuungszeit des Vaters) nur mehr 36 „Normalwochen“ (90 Tage) gegenüber, sodass sich ein (Gesamt-)Betreuungsausmaß von 146 Tagen (40 %) pro Jahr ergäbe.

[7] 2.1. Die in der Rechtsprechung herangezogenen Modelle der Festlegung des Unterhalts (Leistung von Geldunterhalt bemessen nach der „Prozentwertmethode“ ohne und mit [„Prozentabzugsmethode“] Abzügen, Entfall der Geldunterhaltspflicht beim „betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell“) versuchen in einem Gesamtbild den ganz unterschiedlich und vielfältig ausgestalteten Lebensverhältnissen gerecht zu werden, wobei naturgemäß Grenzziehungen erfolgen müssen, letztlich aber immer auf den konkreten Einzelfall zugeschnittene Ermessensentscheidungen zu treffen sind.

[8] Voraussetzung für die Anwendung des – vom Vater angestrebten – betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells (im Sinn eines gänzlichen Entfalls von Regelunterhaltsleistungen in Geld) ist nicht nur, dass die Betreuungsleistungen der Eltern annähernd gleichwertig sind, sondern dies auch für die sonstigen Naturalleistungen zutrifft und zudem ihr maßgebliches Einkommen „halbwegs gleich hoch“ ist (RS0131785; RS0130655; RS0131331 ).

[9] Ob das Ausmaß der Betreuung (bei Vorliegen der weiteren genannten Voraussetzungen) einen Entfall der Geldunterhaltspflicht rechtfertigt, ist dabei jeweils im konkreten Einzelfall zu beurteilen (vgl RS0047452 [T14, T16]). So verneinte der Oberste Gerichtshof das Vorliegen einer nahezu gleichwertigen Betreuung etwa bei einem Betreuungsverhältnis von 42 % zu 58 % (vgl 5 Ob 2/12y ; 1 Ob 13/19x ; 1 Ob 89/22b [153 Tagen]) oder noch geringerer Betreuungsleistungen jenes Elternteils, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält (vgl etwa 9 Ob 57/17y [39 %]; 5 Ob 189/18g , 3 Ob 101/19b [38 %]). Demgegenüber erachtete er eine Betreuung durch diesen Elternteil zu rund 43 % ( 4 Ob 16/13a [158 Betreuungstage]) oder mehr ( 6 Ob 55/16f : rund 44 % [160 Betreuungstage]; 4 Ob 45/19z [gleichteilige Ferienbetreuung und ansonsten 3 Tage im Schnitt, also nach der vom Vater vorgenommenen Berechnung der Ferienzeit 164 Betreuungstage, somit 45 %]) als annähernd gleichwertig.

[10] 2.2. Der Vater konzentriert sich bei seinen Ausführungen zu einer Unsachlichkeit im Sinne eines „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ auf einen fiktiven Vergleich eines Betreuungsverhältnisses zwischen (von ihm ohnehin nicht erreichten) 155 Betreuungstagen einerseits und 156 Betreuungstagen andererseits (als knapp unterhalb und oberhalb der in der Rechtsprechung gezogenen Grenzen für die Anwendung des betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells liegend) und legt bei der Ausmessung der Geldzahlungspflicht im Rahmen der Prozentabzugsmethode einen Abschlag von maximal 20 % zugrunde.

[11] 2.3. Sich für den konkreten Fall nicht stellende Fragen theoretischer Natur (in Bezug auf ein bloß auf die Betreuungsverhältnisse fokussiertes und im konkreten Fall nicht gegebenes Ausmaß einer Betreuung von 155 Tagen) zu lösen, ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271). Es beschäftigt sich der Vater zudem weder mit der Frage der Gleichwertigkeit seiner sonstigen Naturalleistungen im Vergleich zu den (nur als Beweismittel zitierten, aber nicht festgestellten) der Mutter noch legt er im Revisionsrekurs dar, dass das maßgebliche Einkommen „halbwegs gleich hoch“ sei.

[12] 3.1. Darüber hinaus trifft auch nicht zu, dass in der Rechtsprechung höchstens ein Abschlag von 20 % bei einem über das Übliche hinausgehenden Ausmaß an Betreuungsleistungen gewährt wird.

[13] 3.2. Im Gegenteil betonte der Oberste Gerichtshof wiederholt, dass starre und allgemein verbindliche prozentuelle Werte für Abschläge für „übermäßige“ Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils nicht festzulegen sind, weil Unterhaltsentscheidungen Ermessensentscheidungen sind (RS0128043; RS0047419 [insb T19, T27]). Prozentsätze haben nur den Charakter einer Orientierungshilfe (4 Ob 16/13a). Abschläge in Höhe von 10 % pro Tag pro Woche, der über den üblichen Durchschnitt an Betreuung hinausgeht, stellen nur eine Richtschnur dar (RS0128043 [T2]), zumal es immer auf eine wertende Gesamtbetrachtung der jeweiligen Betreuungsleistungen ankommt (RS0128043 [T12]). Es bestanden daher auch bei höheren Abzügen keine Bedenken (5 Ob 2/12y [40 %]; 8 Ob 69/15b [30 %]).

[14] 3.3. Aus dem Umstand, dass der Oberste Gerichtshof auch Reduktionen von mehr als 20 % zugelassen hat, kann im Übrigen nicht – wie dies der Revisionsrekurs tut – auf eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung geschlossen werden. Ein weiter Rahmen für eine Reduktion des „Prozentunterhalts“ ist gerade die Folge des Gebots, trotz der Vielfalt familiärer Lebens und Betreuungssituationen, die sich der Festlegung von starren Prozentsätzen entzieht, jeweils im Einzelfall angemessenen Unterhalt iSd § 231 Abs 1 ABGB festzulegen.

[15] 4. Der Revisionsrekurs vermag damit insgesamt weder eine erhebliche Rechtsfrage anlässlich der Festlegung des Unterhalts im konkreten Fall darzulegen noch eine dabei den Vorinstanzen anzulastende Ermessensüberschreitung. Es wird (auch für die Jahre 2021 und 2022) im Revisionsrekurs mit dem Hinweis auf – von den Vorinstanzen ohnehin schon beim Abschlag mitberücksichtigte – Ausgaben nicht schlüssig aufgezeigt, warum gar kein Unterhalt zustehen oder warum die Unterhaltspflicht um 50 % zu reduzieren sein sollte, wenn darauf nur ganz pauschal, unkonkret und ohne weitere Darlegungen verwiesen wird. Mit solchen Ausführungen wird der Revisionsrekurs den Anforderungen an die Darstellung einer erheblichen Rechtsfrage in Bezug auf eine Überschreitung des den Vorinstanzen zukommenden Ermessens nicht gerecht. Die Entscheidung der Vorinstanzen bedarf damit keiner Korrektur im Einzelfall.

[16] 5. Gemäß § 101 Abs 2 AußStrG findet in Verfahren über Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder ein Kostenersatz nicht statt, sodass den Kindern die Kosten für die Revisionsrekursbeantwortung nicht zu ersetzen sind.

Rechtssätze
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