JudikaturJustiz6Ob130/06w

6Ob130/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, Estland, vertreten durch Dr. Lothar Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Andreas F*****, 2. Österreichischer Rundfunk, beide *****, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung (Streitwert insgesamt 19.621,67 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. März 2006, GZ 2 R 219/05y-65, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Juli 2005, GZ 17 Cg 12/02z-61, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich des Erstbeklagten aufgehoben und dem Berufungsgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 29. 10. 2001 wurde im Fernsehprogramm 3sat ein Bericht mit dem Titel „Connect Europa: Kanditat Estland" ausgestrahlt. Dieser enthielt unter anderem folgenden Text:

Rund 6.000 Kronen verdient ein Arbeitnehmer in Estland. Netto bleiben dann rund 4.500 Kronen oder 330 EUR pro Monat über. Der Steuersatz von 26 % ist für alle gleich hoch, egal ob sie Lohn- oder Einkommensteuer zahlen. Die Verlierer dieses Systems sind einfache Arbeiterinnen, wie hier in der Firma K***** [Klägerin]. Die meisten Esten lehnen das ab und wünschen sich progressiv steigende Steuersätze. Bis es die wirklich gibt, weicht man in die Schattenwirtschaft aus, um Steuern zu sparen. Auch K***** [Klägerin] zahlt einen Teil des Lohnes im Briefumschlag, unversteuert. Die Klägerin erblickt darin den - nach ihren Behauptungen unzutreffenden - Vorwurf der Steuerhinterziehung und begehrt von den Beklagten unter Berufung auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB die Unterlassung der Behauptung, sie zahle einen Teil des Lohnes im Briefumschlag, unversteuert, insbesondere im Zusammenhang mit der Anmerkung, dass in die Schattenwirtschaft ausgewichen werde, um Steuern zu sparen, sowie von Behauptungen gleichen Inhalts; außerdem begehrt sie den Widerruf dieser Behauptung und die Veröffentlichung des Widerrufs im Abendprogramm von 3sat. Der Beitrag stammte vom Erstbeklagten und sei von der Redaktion des Zweitbeklagten produziert worden; dieser sei auch verantwortlicher Medienunternehmer und -inhaber. Die Beklagten beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Der Erstbeklagte sei Mitarbeiter der A ***** GmbH (kurz: A *****); diese, nicht der Zweitbeklagte, habe den Beitrag produziert und an 3sat veräußert. Dort sei auch die Endredaktion erfolgt, in deren Zuge eine Kürzung des Beitrags ohne Wissen des Erstbeklagten vorgenommen worden sei. Ursprünglich habe die inkriminierte Textpassage wie folgt gelautet:

Auch K***** [Klägerin] zahlte bis zur Privatisierung im Jahr 1994 einen Teil des Lohnes im Briefumschlag, unversteuert. Nach der Übernahme des größten Arbeitgebers Estlands durch eine schwedische Investorengruppe wurden diese Praktiken aber gestoppt und die Gehaltszahlung auf das in Europa übliche System der Banküberweisungen umgestellt. Heute ist K***** [Klägerin] nicht nur der wichtigste und im Export erfolgreichste Betrieb des Landes, sondern auch der größte Steuerzahler Estlands.

Anlässlich seiner Einvernahme als Partei gab der Erstbeklagte gegenüber dem Erstgericht an, er habe das Drehbuch verfasst und Regie geführt. Der Film sei dann unter seiner Leitung geschnitten, getextet und abgegeben worden. Damit sei seine Tätigkeit beendet gewesen. Es komme (aber) immer wieder vor, dass aus aktuellen Gründen Beiträge gekürzt und geändert werden. Im konkreten Fall sei es ein Interview mit dem damaligen Staatspräsidenten von Estland gewesen. Dieses sei der 3sat-Redaktion in Österreich in einer ihm nicht geläufigen Form übermittelt worden. In weiterer Folge führte der Erstbeklagte aus:

Ich berufe mich auf das Redaktionsgeheimnis, wenn ich gefragt werde, wer tatsächlich den Film dann so zusammengeschnitten hat, wie er letztlich gesendet wurde. Ich selbst war damals gar nicht in Wien. Ich war sehr empört, weil der Text im Sinn verändert wurde. Ich kann nur so viel angeben, dass es sich bei dem Redakteur, der die Veränderung vorgenommen hat, nicht um einen Mitarbeiter von A ***** handelte, sondern um jemanden, der in einem ähnlichen Verhältnis zum Zweitbeklagten steht wie ich. .... Die Änderung ist in den Räumen des Zweitbeklagten durch einen Redakteur der 3sat-Redaktion ORF geschehen.

Daraufhin brachte die Klägerin vor, die „Verantwortlichkeit" des Erstbeklagten werde auch darauf gestützt, dass er sich hinsichtlich der Frage auf das Redaktionsgeheimnis berufen habe, wer den Film zusammengeschnitten habe. Die Beklagten hielten dem entgegen, die Berufung auf das Redaktionsgeheimnis könne nicht haftungsbegründend sein, weil sonst der Sinn und Zweck eines Redaktionsgeheimnisses untergraben würden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, dass der Beitrag von A ***** im Auftrag der 3sat-Redaktion Österreich hergestellt worden sei. Der Erstbeklagte sei als freier Mitarbeiter des Zweitbeklagten für die Gestaltung der Sendung verantwortlich gewesen und auch vom Zweitbeklagten bezahlt worden. Der Film sei unter seiner Leitung geschnitten, getextet und abgegeben worden. Nicht erwiesen sei, dass der Beitrag ursprünglich den vom Erstbeklagten behaupteten Text aufgewiesen habe, dass der Text wegen des eingefügten Interviews zum gesendeten Text zusammengeschnitten worden sei und dass dies - so es doch geschehen sein sollte - außerhalb der Verantwortung des Erstbeklagten erfolgt sei. Der inkriminierte Text stamme vielmehr vom Erstbeklagten. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte das Erstgericht dazu unter anderem aus, die massiven Bedenken dagegen, dass der inkriminierte Text nicht vom Erstbeklagten stamme, würden durch den Umstand bestärkt, dass dieser sich, befragt nach dem Namen desjenigen, der den Film zusammengeschnitten haben soll, auf das Redaktionsgeheimnis berufen habe, „ohne dass ein Grund erkennbar ist, welcher Schutzzweck damit erreicht werden sollte." In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht schließlich, dass der gesendete Beitrag angesichts des unrichtigen Vorwurfs der Steuerhinterziehung die Ehre und den wirtschaftlichen Ruf der Klägerin schädige, somit gegen § 1330 Abs 1 und 2 ABGB verstoße, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichts zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteige und dass hinsichtlich des Erstbeklagten der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei; zur Frage, ob die Berufung einer Partei auf das Redaktionsgeheimnis im Sinne des § 31 MedG einen genügenden Grund für eine Aussageverweigerung im Sinne des § 381 ZPO darstellt, liege eine Entscheidung mit ausführlicher Begründung und Stellungnahme zu veröffentlichten Lehrmeinungen nicht vor. Das Erstgericht habe die Aussageverweigerung des Erstbeklagten zu seinen Lasten nach § 381 ZPO gewürdigt; die unrichtige Anwendung des § 381 ZPO verwirkliche einen Verfahrensmangel. § 31 MedG schütze zwar nur den Zeugen, der sich auf das Redaktionsgeheimnis berufe. Allerdings solle es verhindern, dass Informationsquellen versiegen, weil Informanten damit rechnen müssten, die Preisgabe ihrer Identität könnte durch den Staat erzwungen werden. Das Redaktionsgeheimnis trage aber auch dem besonderen Vertrauensverhältnis Rechnung, das zwischen den Mitarbeitern der Redaktion bestehe und das den Zwang zur Zeugenaussage gerade zum „Zwang zum Verrat und zur Denunziation" machen würde. Diese Überlegungen würden auch für Parteiaussagen gelten. Verweigere daher eine Partei die Aussage aus Gründen, die sie als Zeuge zur Berufung auf das Redaktionsgeheimnis berechtigen würde, liege ein „genügender Grund" im Sinne des § 381 ZPO vor. Das Erstgericht habe in seine Beweiswürdigung zu Lasten des Erstbeklagten auch dessen Berufung auf das Redaktionsgeheimnis einfließen lassen. Seine Entscheidung sei daher mangelhaft.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig; er ist auch berechtigt. Der Erstbeklagte hat dem Klagebegehren insbesondere entgegen gehalten, der ursprüngliche Text des von ihm verfassten Beitrags sei von jemandem geändert worden, der in einem ähnlichen Verhältnis zum Zweitbeklagten stehe wie er selbst. Dessen Namen nenne er jedoch unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis nicht.

Nach § 31 Abs 1 MedG haben (unter anderem) Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes das Recht, in einem Verfahren vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde als Zeugen die Beantwortung von Fragen zu verweigern, die die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen oder die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen betreffen. Nach der Rechtsprechung des Obersten

Gerichtshofs sowohl in Strafverfahren (11 Os 5/03 = MR 2005, 231

[Rami]) als auch in Zivilverfahren (1 Ob 15/91 = MR 1991, 235 [Korn])

steht eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis grundsätzlich nur Zeugen zu. Dies entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 31 Abs 1 MedG, sondern den ausdrücklichen Intentionen des historischen Gesetzgebers (2 BlgNR 15. GP, 43). Auch die überwiegende Lehre ist dieser Ansicht (vgl etwa Hartmann/Rieder, MedienG [1981] 189; Brandstetter/Schmid, MedienG² [1999] § 31 Rz 8; Foregger/Litzka, MedienG4 [2000] 162; Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4 [2000] 105; Spenling in Fasching/Konecny, ZPO² [2004] § 380 Rz 4).

Swoboda (Das Recht der Presse² [1999] 155) geht zwar ebenfalls von der Anwendbarkeit des § 31 Abs 1 MedG auf Zeugen aus, warnt aber vor Missbrauchsmöglichkeiten; das Redaktionsgeheimnis könnte durch die Einleitung von Verfahren gegen den Medienmitarbeiter unterlaufen werden. Polley (in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² [2005] § 31 Rz 11) meint, das Redaktionsgeheimnis müsse unabhängig von der Zufälligkeit gelten, ob jemand als Zeuge oder als Prozesspartei zu vernehmen ist. Korn (MR 1991, 235 [Entscheidungsanmerkung]; Der Persönlichkeitsschutz gegenüber Massenmedien aus der Sicht eines Rechtsanwaltes, in Koziol/Warzilek, Persönlichkeitsschutz gegenüber Massenmedien, 419) hat dargelegt, dass in Zivilverfahren die Berufung einer Partei auf das Redaktionsgeheimnis aus Gründen, die sie als Zeuge zur Berufung auf das Redaktionsgeheimnis berechtigen würden, einen genügenden Grund im Sinne des § 381 ZPO darstelle; eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis werde im Regelfall zum Nachteil der beweisbelasteten Partei auszulegen sein.

In Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des § 31 Abs 1 MedG, der nur von Zeugen spricht, und des belegbaren Willens des historischen Gesetzgebers hält der erkennende Senat an der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fest. Einer Partei eines Zivilprozesses steht es ohne nachteilige Auswirkungen daher nicht zu, die Aussage lediglich unter (allgemeinem) Hinweis auf das Redaktionsgeheimnis im Sinne des § 31 MedG zu verweigern. Selbst Korn (aaO) spricht von den „Gründen", die zur Berufung auf das Redaktionsgeheimnis berechtigen würden, bzw von einer Auslegung zum Nachteil der beweisbelasteten Partei „im Regelfall". Eine Ausweitung des Redaktionsgeheimnisses - wie dies offensichtlich dem Erstbeklagten vorschwebt - auch auf Parteien gegen den eindeutigen Wortlaut des § 31 MedG muss dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, auch wenn die in der Literatur vorgetragenen Bedenken gegen seine Beschränkung auf Zeugen und die damit eröffneten Umgehungsmöglichkeiten nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Für den Zivilprozess legt § 381 ZPO fest, dass das Gericht unter sorgfältiger Würdigung alle Umstände zu beurteilen hat, welchen Einfluss es auf die Herstellung des Beweises hat, wenn eine Partei ohne genügende Gründe die Aussage oder die Beantwortung einzelner Fragen ablehnt. Es erscheint dabei durchaus nicht ausgeschlossen, in einer Berufung auf das Redaktionsgeheimnis einen derartigen „genügenden Grund" zu sehen. Um dies im Einzelfall beurteilen zu können, bedarf es aber einer Konkretisierung dieses Grundes durch die Partei. Davon ist offensichtlich auch das Erstgericht ausgegangen. Dabei darf der Zweck des Redaktionsgeheimnisses nicht außer Acht gelassen werden. Es dient dem Schutz der Vertraulichkeit von Informanten, Informationsquellen und Unterlagen (15 Os 69/03 = MR 2003, 290; Brandstetter/Schmid, MedienG² [1999] § 31 Rz 1; Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4 [2000] 105). Geschützt werden sollen zum einen die Identitäten derjenigen Personen, die sowohl den Medien als auch den einzelnen Journalisten Informationen zukommen lassen. Zum anderen sind auch sämtliche Unterlagen, aus denen ein Rückschluss auf die Informanten gezogen werden könnte, durch das Redaktionsgeheimnis dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden entzogen (Zöchbauer, Grundfragen des Medienstrafrechts [1992] 112; Edinger, Selbst recherchiertes Filmmaterial als Schutzobjekt des Redaktionsgeheimnisses, JSt 2005, 145).

Im vorliegenden Verfahren liegt es nicht auf der Hand, wie dem dargestellten Zweck des Redaktionsgeheimnisses durch die Berufung des Erstbeklagten darauf zum Durchbruch verholfen werden soll. Der Erstbeklagte behauptet, einen Beitrag verfasst zu haben, den ein anderer Mitarbeiter des Zweitbeklagten dahin abgeändert habe, dass er im Sinne des § 1330 ABGB bedenkliche Aussagen enthielt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Mitarbeiter als Informant oder Informationsquelle in den Schutz des Redaktionsgeheimnisses gelangen müsste. Jedenfalls wäre es Sache des Erstbeklagten gewesen, dies näher darzulegen.

Der Erstbeklagte hat dies - trotz nachfolgender Erörterung im Verfahren erster Instanz - nicht getan. Die Würdigung seiner Weigerung, den Namen des Mitarbeiters zu nennen, im Sinne des § 381 ZPO durch das Erstgericht erfolgte daher zu Recht. Damit hat das Berufungsgericht aber insoweit zu Unrecht einen Mangel des Verfahrens erster Instanz angenommen, sodass seine Entscheidung hinsichtlich des Erstbeklagten aufzuheben und ihm insoweit eine neuerliche Entscheidung aufzutragen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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