JudikaturJustiz6Ob129/00i

6Ob129/00i – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Hopf als weitere Richter in der Firmenbuchsache der W***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in P*****, über den Revisionsrekurs des Antragstellers Dr. Georg B*****, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 28. März 2000, GZ 6 R 50/99m-15, mit dem der Beschluss des Landes- als Handelsgerichtes Linz vom 11. Februar 1999, GZ 34 Fr 90/99d-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Im Firmenbuch des Landesgerichtes Linz ist die W***** GmbH mit dem Sitz in P***** eingetragen. Gesellschafter sind Margarethe W***** mit einer Stammeinlage von 250.000 S und Mag. Ing. August W***** mit einer Stammeinlage von 450.000 S. Die Gesellschaft verfügt derzeit über keinen Geschäftsführer.

Der Antragsteller wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. 12. 1998, AZ 8 Cga 109/98m, in dem vom ehemaligen Geschäftsführer der Gesellschaft Mag. Ing. August W***** gegen diese eingeleiteten Verfahren zum Prozesskurator gemäß § 8 ZPO für die beklagte Gesellschaft und mit Beschluss vom 26. 1. 1999 zum Prozesskurator gemäß § 8 ZPO in fünf weiteren gegen die Gesellschaft geführten Arbeitsrechtsverfahren, die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden waren, bestellt.

Der Prozesskurator stellte am 4. 2. 1999 den Antrag, für die Gesellschaft einen Geschäftsführer gemäß § 15a GmbHG zu bestellen und diesem insbesondere die Vertretung der Gesellschaft in den anhängigen Arbeitsgerichtsverfahren aufzutragen.

Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil ohnehin ein Prozesskurator bestellt worden sei und daher keine Dringlichkeit im Sinn des § 15a GmbHG vorliege.

Das Rekursgericht wies zunächst den dagegen erhobenen Rekurs des Prozesskurators und Antragstellers zurück, weil dieser kein Beteiligter im Sinn des § 15a GmbHG sei. Mit Beschluss vom 20. 1. 2000, 6 Ob 125/99x, hob der erkennende Senat diesen zurückweisenden Beschluss auf und trug dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf, weil dem Prozesskurator einer GmbH auch ein persönliches rechtliches Interesse an der Entscheidung über die Bestellung eines Notgeschäftsführers zuzubilligen und seine Rekurslegitimation im Sinne der §§ 9 AußStrG und 15a GmbHG zu bejahen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hat das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluss bestätigt. Die Bestellung eines Notgeschäftsführers gemäß § 15a Abs 1 GmbHG setze das Vorliegen eines dringenden Falles voraus. Diese Voraussetzung fehle, wenn schon ein Prozesskurator vorhanden sei. Der Antrag sei ausschließlich darauf gestützt worden, dass eine Vertretung der Gesellschaft in den anhängigen Arbeitsgerichtsverfahren dringend geboten erscheine. Dem im Rekurs angestellten Versuch, die Dringlichkeit damit zu begründen, dass es einem Notgeschäftsführer eher möglich sei, die zur Prozessführung notwendigen Informationen zu erlangen, sei zu erwidern, dass der Prozesskurator darauf seinen Antrag nicht gestützt habe. Eine gesellschaftsinterne Behebung des Vertretungsmangels wäre ohne Schwierigkeit jederzeit möglich. Gläubigerinteressen habe der nach § 8 ZPO bestellte Prozesskurator nicht zu wahren. Ein eigenes dringendes Interesse habe der Prozesskurator nicht dargetan.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Verhältnis des § 15a GmbHG zu § 8 ZPO fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

Soweit die zur Vertretung der Gesellschaft erforderlichen Geschäftsführer fehlen, hat sie in dringenden Fällen das Gericht auf Antrag eines Beteiligten für die Zeit bis zur Behebung des Mangels zu bestellen (§ 15a Abs 1 GmbHG). Diese Bestimmung wurde mit der GmbHG-Novelle 1980 eingeführt. Nach den Gesetzesmaterialien (RV, 5 BlgNR 15. GP, 6) sei der Umstand, dass häufig die zur Vertretung der Gesellschaft erforderlichen Organe fehlten, geeignet, der Gesellschaft, ihren Gläubigern und Arbeitnehmern schweren Schaden zuzuführen. Deshalb werde die bewährte aktienrechtliche Parallelbestimmung (§ 76 AktG) übernommen.

Schon vor Einführung dieser Bestimmung stand die Möglichkeit zur Beseitigung des Vertretungsmangels durch gerichtliche Bestellung eines Kurators nach den §§ 8 oder 116 ZPO oder in analoger Anwendung der §§ 269, 271, 276 ABGB zur Verfügung. Darüber, in welchem Verhältnis diese Bestimmungen zu § 15a GmbHG und § 76 AktG stehen, geben weder das Gesetz noch die Gesetzesmaterialien Auskunft. In Lehre und Rechtsprechung herrscht Einigkeit darüber, dass zum Kreis der antragsberechtigten Beteiligten insbesondere Gesellschafter und auch Dritte zählen, die einen Anspruch gegen die Gesellschaft durchsetzen wollen (Koppensteiner, GmbHG2 Rz 7 zu § 15a GmbHG mwN). Von Amts wegen kann das Gericht jedenfalls nicht vorgehen. Ein derartiger Antrag wurde hier in den Arbeitsgerichtsverfahren von den dortigen Klägern (ehemaliger Geschäftsführer und Mitgesellschafter und Arbeitnehmer) nicht gestellt. Vor Bestellung des Antragstellers zum Prozesskurator gemäß § 8 ZPO durch das Prozessgericht und dessen - grundsätzlich zulässigem (6 Ob 125/99x) - Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers konnte das Firmenbuchgericht einen solchen daher auch nicht bestellen. Auf Grund der rechtskräftigen Bestellung eines Prozesskurators für die beklagte Partei in mehreren Verfahren stellt sich auch nicht die Frage, ob seit dem Inkrafttreten des § 15a Abs 1 GmbHG die Bestellung eines Prozesskurators überhaupt noch zulässig ist oder ob nur mehr die Bestellung eines Notgeschäftsführers nach dieser Bestimmung erfolgen kann. Die von Wünsch (GmbHG, Rz 35 zu § 15a GmbHG mwN) vertretene Auffassung, dass es sich bei § 15a GmbHG um die lex specialis handle, weshalb für die Anwendung der Vorschriften über den Prozess-(und Abwesenheits-)kurator kein Platz sei, kann daher hier jedenfalls auf sich beruhen.

Die weitaus überwiegende Lehre bejaht im Übrigen die weiterhin bestehende Möglichkeit der Bestellung eines Prozess-(bzw Abwesenheits)kurators (für Österreich: Umfahrer, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung5, Rz 193; Strasser in Schiemer/Jabornegg/Strasser, Kommentar zum Aktiengesetz3, Rz 28 zu §§ 75, 76 AktG; Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechtes5, 371; für Deutschland zur vergleichbaren Rechtslage etwa: Uwe H. Schneider in Scholz, Kommentar zum GmbHG9, Rz 47 zu § 6 dGmbHG mwN).

Hiezu wird in der Lehre die Ansicht vertreten, dass trotz eines bereits bestellten Kurators unter Umständen die Dringlichkeit der Ersatzbestellung im Sinn des § 15a GmbHG (bzw § 76 AktG) nicht entfalle, weil der Aufgabenbereich des Kurators eng begrenzt sei und im Lauf der Zeit Handlungen notwendig werden könnten, die dem Kurator als solchen nicht zustünden. Denn der Kurator (bzw in Deutschland: Prozesspfleger) vertrete die Gesellschaft lediglich im Prozess und habe darüber hinaus keine organschaftlichen Befugnisse. Die Bestellung eines "Prozesspflegers" schließe die Bestellung des Notgeschäftsführers nicht aus, könne seine Bestellung aber überflüssig machen (Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Rz 38 zu § 42 dGmbHG; Uwe H. Schneider aaO mwN aus der deutschen Lehre;

Lutter/Hommelhoff, GmbHG15 Rz 26 vor § 35 GmbHG; Hefermehl in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz Rz 7 zu § 86 dAktG;

Mertens/Stein, Das Recht des Geschäftsführers der GmbH2, Rz 34 zu § 35 dGmbHG).

Einhelligkeit besteht insoweit, dass dann, wenn schon ein Prozesskurator (Prozesspfleger) bestellt ist, jedenfalls der Prozess selbst kein Interesse mehr an der Bestellung eines Notgeschäftsführers begründet (Koppensteiner aaO, Rz 5; Gellis/Feil, Kommentar zum GmbH-Gesetz4, Rz 3 zu § 15a GmbHG; Mertens/Stein aaO; Kölner Kommentar zum Aktiengesetz2, Rz 6 zu § 85 dAktG; Hüffer, Aktiengesetz2, Rz 3 zu § 85 dAktG).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und überwiegenden Lehre muss der Notgeschäftsführer nicht unbedingt für die gesamte Geschäftsführung bestellt werden. Es ist zulässig, den Tätigkeitsbereich des Notgeschäftsführers auf die einzelne dringend notwendig gewordene Rechtshandlung zu beschränken (SZ 58/181 mit Nachweisen aus der Lehre; JBl 1992, 597; Koppensteiner aaO Rz 11). Wird daher die Bestellung eines Notgeschäftsführers zur Vertretung der Gesellschaft, die keinen Geschäftsführer hat und für die auch noch kein Prozesskurator bestellt wurde, in einem gegen sie zu führenden Verfahren beantragt, könnte dessen Wirkungskreis auf diesen Aufgabenkreis eingeschränkt werden. Es macht nun aber keinen Unterschied, ob die Gesellschaft als Verfahrenspartei im Verfahren durch einen Prozesskurator nach § 8 ZPO oder durch einen Notgeschäftsführer nach § 15a GmbHG vertreten wird. Die unterschiedliche Bestellungsart zieht gleiche Wirkungen nach sich.

Der erkennende Senat folgt daher den aufgezeigten Lehrmeinungen, dass jedenfalls dann, wenn bereits ein Prozesskurator nach § 8 ZPO bestellt wurde und keine weiteren dringenden Vertretungsagenden als jene der konkreten Prozessführung anstehen, mangels Dringlichkeit kein Anlass zur Bestellung eines Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG besteht.

Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller gar nicht behauptet, dass die Gesellschaft außerhalb der Prozessführung auch andere dringende und mangels Geschäftsführerbestellung undurchführbare Aufgaben zu bewältigen hätte. Der zur sinnvollen Vertretung im Prozess allenfalls erforderliche Informationsfluss zwischen der Gesellschaft (den Gesellschaftern) und ihrem gerichtlich bestellten Verfahrensvertreter ist von der für seine Bestellung herangezogenen gesetzlichen Grundlage (§ 8 ZPO oder § 15a GmbHG) nicht betroffen. Dass und warum eine sinnvolle Prozessvorbereitung im vorliegenden Fall von einer über die Vertretung im Verfahren hinausgehenden organgleichen Stellung des gerichtlich bestellten Vertreters der Gesellschaft erforderlich sein sollte und inwiefern eine Verletzung von Datenschutzbestimmungen drohe, wurde vom Antragsteller nicht weiter ausgeführt.

Es gibt aber auch keinen Hinweis auf weitere gegen die Gesellschaft anhängige oder unmittelbar bevorstehende Prozesse. In den bereits anhängigen Verfahren ist der Vertretungsmangel schon behoben und jeweils dieselbe Person zum Prozesskurator bestellt worden.

Die den Antrag des Prozesskurators auf Bestellung eines Notgeschäftsführers abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher zu bestätigen.