JudikaturJustiz6Ob112/09b

6Ob112/09b – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Parteien 1. Stella D*****, 2. Wolf D*****,

3. B*****, eingetragener Verein, alle *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Parteien V***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs (Streitwert im Provisorialverfahren 25.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 31. März 2009, GZ 1 R 205/08m-8, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte meint unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 15 Os 6/08h (MuR 2008, 181), für den Fall, dass mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage nicht ausgeschlossen werden könnten, sei von der für „den Angeklagten" günstigeren Variante auszugehen. Auf diesen Grundsatz habe das Rekursgericht nicht ausreichend Bedacht genommen.

1.1. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung, in der der Oberste Gerichtshof den erwähnten Rechtssatz aufstellte, erging in einem medienrechtlichen Entschädigungsverfahren. Wesentliches Begründungselement war § 14 StPO nF und der dort festgeschriebene Grundsatz „in dubio pro reo". Ein derartiger Grundsatz existiert für das Zivilverfahren nicht.

1.2. Sowohl der (für Wettbewerbssachen als Fachsenat zuständige) 4. Senat (4 Ob 71/06d ÖBl 2007/4; 4 Ob 98/07a ecolex 2008/52 [Ch. Schumacher] = AnwBl 2008/8127 [Baumann/Duursma] = ÖBl 2008/14 [Gamerith]; 4 Ob 236/07w ÖBl 2008/68 [Kresbach/Schnider]) als auch der (für Verfahren nach § 1330 ABGB als Fachsenat zuständige) erkennende Senat (6 Ob 218/08i MuR 2009, 78 [Windhager]) haben bereits ausgesprochen, dass auch die Anwendung der Unklarheitenregel am Grundrecht der Meinungsfreiheit zu messen sei; liege die Annahme eines bestimmten Tatsachenkerns nahe, der wahr ist und die damit verbundenen Werturteile als nicht exzessiv rechtfertigt, müsse die entfernte Möglichkeit einer den Kläger noch stärker belastenden Deutung unbeachtlich bleiben; das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schließe es somit aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen. Für die Beklagte kann daraus jedoch nichts gewonnen werden, weil es eines Rückgriffs auf die Unklarheitenregel im vorliegenden Fall gar nicht bedarf. Mit den vom Rekursgericht verbotenen Äußerungen hat die Beklagte nämlich den Klägern im Kern vorgeworfen, deren Umgang mit den Spendengeldern sei nicht transparent, die Erstklägerin beziehe - als Vorsitzende des drittklagenden Vereins - ein Geschäftsführergehalt von monatlich netto 3.500 EUR sowie der Zweitkläger von 15.000 EUR und gegen den drittklagenden Verein laufe ein Verfahren.

Die Auffassung des Rekursgerichts, dass es sich dabei um Tatsachenbehauptungen handelt, ist nicht zu beanstanden. Dass diese wahr wären, behauptet die Beklagte im Revisionsrekursverfahren nicht einmal.

2. Gibt der Beklagte die Behauptung eines Dritten wieder, trifft ihn nicht nur die Beweislast hinsichtlich der wahrheitsgetreuen Wiedergabe der fremden Äußerungen, sondern auch hinsichtlich der Richtigkeit der - selbst in Vermutungsform - geäußerten Vorwürfe, weil unter Verbreiten jede Weitergabe fremder Behauptungen - auch wenn diese nur in Vermutungsform einen Tatverdacht aussprechen - anzusehen ist (6 Ob 2071/96v; 6 Ob 220/01y MuR 2001, 373). Entgegen der im außerordentlichen Revisionsrekurs vertretenen Meinung geht es im vorliegenden Verfahren daher nicht darum, ob „negative Schlagzeilen" über „mediale Kritik" hinausgehen oder ob „schaler Beigeschmack" ein Werturteil ist. Die Beklagte hat den Beweis für die Wahrheit der von ihr wiedergegebenen fremden Äußerungen nicht erbracht, ja nicht einmal offen gelegt, wessen Äußerungen sie wiederholt („wird mancherorts gemunkelt"). Daran ändert auch nichts, wenn möglicherweise tatsächlich „negative Schlagzeilen" erschienen sind oder „gemunkelt" wird. Die Beklagte hat sich von den Vermutungen und Verdächtigungen nicht distanziert (6 Ob 220/01y).