JudikaturJustiz5Ob55/22g

5Ob55/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers Dipl. Ing. P* G*, vertreten durch Mag. Stephan Hemetsberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Dipl. Ing. T* W*, 2. Dr. C* W*, 3. A* W*, 4. Dr. M* P*, 5. Verlassenschaft nach S* P*, zuletzt *, 6. R* W*, alle vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 2 MRG iVm §§ 3 und 6 Abs 1 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den [richtig] Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Jänner 2022, GZ 38 R 274/21g 68, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Erhaltungspflicht des Vermieters findet auch im Anwendungsbereich des MRG grundsätzlich an der Unwirtschaftlichkeit der Erhaltung des Gebäudes ihre Grenze (§ 6 MRG; RIS Justiz RS0020813).

[2] Nur bei den privilegierten Erhaltungsarbeiten iSd § 3 Abs 3 Z 2 lit a bis c MRG ist der Einwand der Unwirtschaftlichkeit unbeachtlich (RS0069990; vgl auch RS0114401; RS0069992). Arbeiten, die kraft eines öffentlich-rechtlichen Auftrags vorzunehmen sind (lit a), die der Behebung von Baugebrechen, die die Sicherheit von Personen oder Sachen gefährden, dienen (lit b) oder die zur Aufrechterhaltung des Betriebs von bestehenden Wasserleitungs-, Lichtleitungs-, Gasleitungs-, Beheizungs- (einschließlich der zentralen Wärmeversorgungsanlagen), Kanalisations- und sanitären Anlagen erforderlich sind (lit c), sind daher jedenfalls durchzuführen.

[3] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gilt das aber nicht, wenn eine „erhaltende“ Sanierung ausgeschlossen ist und praktisch einem Neubau gleichkommende Maßnahmen erforderlich sind. Dies führt vielmehr zum „rechtlichen Untergang“ des Mietobjekts iSd § 29 Abs 1 Z 2 MRG iVm § 1112 ABGB, sodass der Mieter sich infolge Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr erfolgreich auf § 3 Abs 3 Z 2 MRG berufen kann (5 Ob 192/07g = RS0122971, RS0069990 [T2], RS0027764 [T4]; vgl auch 5 Ob 34/11b, 5 Ob 537/89 und 5 Ob 275/03g = RS0118608 [Unmöglichkeit von Erhaltungsarbeiten nach Abbruch des Hauses]).

[4] Entgegen der Auffassung des Rechtsmittelwerbers setzt dieser Fall des „rechtlichen Untergangs“ des Mietobjekts iSd § 29 Abs 1 Z 2 MRG iVm § 1112 ABGB nicht voraus, dass ein Abbruchbescheid besteht. Die Erlassung eines Abbruchbescheids für sich allein führt auch nicht zur Auflösung des Bestandverhältnisses (und reicht daher nicht aus, die Pflicht des Vermieters zur Vornahme von Erhaltungsarbeiten nach § 3 Abs 3 Z 2 lit a bis c MRG entfallen zu lassen). Die Vertragsbeendigung nach § 29 Abs 1 Z 2 MRG iVm § 1112 ABGB ist vielmehr erst die Folge davon, dass die Baugebrechen, die zur Bescheiderlassung geführt haben, aus technischen Gründen nicht behoben werden können oder der Bestandgeber diese nicht behebt und dazu auch nicht verpflichtet ist (RS0027764; RS0122970). Diese Frage haben die Gerichte selbstständig zu beurteilen (vgl 5 Ob 31/11m).

[5] 2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist der dem Antragsteller vermietete Hallenteil einsturzgefährdet und aus technischer Sicht abbruchreif. Zur Herstellung eines gefahrlosen Zustands müsste er abgetragen und vollkommen neu errichtet werden. Die Durchführung von (wohl gemeint: bloßen) Erhaltungsarbeiten ist nicht mehr möglich.

[6] Das Rekursgericht hat dabei auch der zuletzt genannten Schlussfolgerung des Erstgerichts, dass die Durchführung von Erhaltungsarbeiten nicht mehr möglich sei, ausdrücklich Feststellungscharakter zuerkannt. Die Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0118891). Eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts liegt hier angesichts des Gesamtkontextes und der diese Schlussfolgerung rechtfertigenden Feststellungen zum konkreten Bauzustand nicht vor.

[7] Auch die Einordnung eines Bauzustands als rechtlicher Untergang des Bestandobjekts insbesondere zur Festlegung der Grenzen der Erhaltungspflicht des Vermieters ist eine Wertungsfrage des Einzelfalls ( Riss in Hausmann/Vonkilch , Wohnrecht – MRG 4 § 3 MRG Rz 9c). Eine vom Obersten Gerichtshof iSd § 62 Abs 1 AußStrG im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung dieser Frage zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Der Mietgegenstand ist aus technischer Sicht abbruchreif und die einzige technisch geeignete Methode zur Behebung dieses Bauzustands ist der Abriss und Neubau der Lagerhalle. Die Schlussfolgerung des Rekursgerichts, darin liege ein (rechtlicher) Untergang des Bestandobjekts iSd § 29 Abs 1 Z 2 MRG, der der Erhaltungspflicht des Vermieters iSd § 3 Abs 3 Z 2 MRG die Grundlage entzieht, steht mit der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang.

[8] 3. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf. Dieser ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtssätze
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