JudikaturJustiz5Ob105/11v

5Ob105/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. August 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Grundbuchsache der Antragstellerin M*****, vertreten durch Dr. Kurt Lehner, öffentlicher Notar in Oberwart, als Verlassenschaftskuratorin in der Verlassenschaftssache nach E*****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, wegen Einverleibung der Herrenlosigkeit von Miteigentumsanteilen ob der Liegenschaft EZ ***** GB *****, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 28. März 2011, AZ 13 R 49/11w, womit über Rekurs der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Oberpullendorf vom 22. November 2010, TZ 477/2011, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die am 1. 6. 2002 verstorbene E***** war zu 3/30stel Anteilen Miteigentümerin der Liegenschaft EZ ***** GB *****, bestehend aus dem 359 m² großen, unbebauten Grundstück Nr *****.

Die für die Verstorbene bestellte Verlassenschaftskuratorin beantragte unter Vorlage einer von ihr abgegebenen Dereliktionserklärung vom 19. 11. 2010 und eines diese Dereliktionserklärung genehmigenden Beschlusses des Verlassenschaftsgerichts vom 28. 12. 2010 die Einverleibung der Herrenlosigkeit in Ansehung der bezeichneten Liegenschaftsanteile.

Das Erstgericht wies den Antrag ab.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Dereliktion von Liegenschaftsanteilen fehle.

Das Rekursgericht vertrat zusammengefasst die Auffassung, dass jene Überlegungen, die zur Unzulässigkeit der Dereliktion von Wohnungseigentum führten, auch für die Dereliktion von Miteigentumsanteilen zu gelten hätten. Aufgrund der durch das Miteigentum begründeten gegenseitigen Pflichten, derer sich ein Miteigentümer nicht einseitig entledigen könne, sei die Dereliktion von Miteigentumsanteilen unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Antragstellerin ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach Rechtsprechung (5 Ob 126/98k NZ 1999, 166 [insoweit zust Hoyer , NZ 1999, 161]; RIS Justiz RS0110725) und herrschender Lehre ( Klang in Klang 2 II 256; Spielbüchler in Rummel 3 § 387 Rz 1; Dengler , Dereliktion und Okkupation von Liegenschaften, NZ 1983, 182; Hoyer , Die Dereliktion von Liegenschaften und deren Verbücherung, in FS Brauneder [2008]) 181 [182]; Klicka in Schwimann 3 II § 387 Rz 1; Eccher in KBB 3 § 387 Rz 1; Mader in ABGB-ON 1.00 § 387 Rz 1) besteht auch die Möglichkeit der Preisgabe unbeweglicher Sachen. Lediglich die grundbücherliche Behandlung ist umstritten: Während die Rechtsprechung die Eintragung der Herrenlosigkeit fordert, sieht Hoyer unter Verweis auf den Unterschied zwischen „schlichter“ Löschung und Einverleibung der Löschung in letzterer die Lösung ( Hoyer , Verbücherung der Dereliktion einer Liegenschaft, NZ 1999, 161).

2. In der Entscheidung 5 Ob 197/02k (wobl 2003/56 [zust Oberhofer ]) wurde unter Aufrechterhaltung der Auffassung, dass auch Liegenschaften derelinquiert werden können, die Dereliktion von Wohnungseigentum als unzulässig und nicht verbücherungsfähig angesehen. Tragende Begründung dafür war, dass der Wohnungseigentümer als Mitglied im Personenverband (Wohnungs )Eigentümergemeinschaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten habe, an deren Einhaltung die übrigen Wohnungseigentümer interessiert seien. Er könne sich dieser Pflichten nicht durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft unter Preisgabe des Wohnungseigentumsobjekts entledigen. Ein Ausscheiden nicht durch Anteilsübertragung an einen Rechtsnachfolger, sondern durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft unter Preisgabe des Objekts sei dem Gesetz fremd. Es kenne nur den Verzicht auf das Wohnungseigentum und die Ausschließung eines Wohnungseigentümers; auch im letzteren Fall komme es zu keinem einer Herrenlosigkeit auch nur ähnlichen Stadium. Der Ausgeschlossene bleibe ungeachtet des rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils bis zur freiwilligen Veräußerung (Übereignung) oder bis zum Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren vollberechtigter Mit und Wohnungseigentümer.

3. Es bedarf daher einer Auseinandersetzung damit, ob diese in 5 Ob 197/02k angestellten Überlegungen auch für die Dereliktion schlichter Miteigentumsanteile gelten:

3.1 Oberhofer verweist in seiner Glosse zu wobl 2003/56 darauf, dass sich die Frage aufdränge, ob die Dereliktion eines schlichten Miteigentumsanteils nicht genauso unzulässig sei wie die Dereliktion von Wohnungseigentum. Schließlich sei auch der Wohnungseigentümer zugleich schlichter Miteigentümer der Liegenschaft. Die vom Obersten Gerichtshof gegen die Derelinquierbarkeit vorgebrachten Argumente würden wenn auch nicht in identer Form für ideelle Miteigentümer ebenso gelten. Auch letztere hätten nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Sie seien aus dem schuldrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis ganz allgemein zur Rücksichtnahme auf die Mitgemeinschafter und gemäß § 839 ABGB zur anteiligen Lastentragung verpflichtet. Auch ein schlichter Miteigentümer sollte sich dieser Pflichten nicht einseitig durch Preisgabe seines Miteigentumsanteils entledigen können. Es könne vielleicht Sinn machen, die Zulässigkeit der Dereliktion ideeller Miteigentumsanteile im Einzelfall davon abhängig zu machen, ob berechtigte Interessen der Mitgemeinschafter verletzt würden.

3.2 Rassi (in Kodek , Grundbuchsrecht § 10 Rz 48) vertritt ebenfalls die Auffassung, dass die Unzulässigkeit der Dereliktion bei Wohnungseigentum auch für schlichtes Miteigentum gelte (ebenso Rassi , Grundbuchsrecht, Rz 232).

3.3 Demgegenüber geht ein Teil der Lehre, wenngleich ohne nähere Auseinandersetzung mit gegenteiligen Argumenten, davon aus, dass auch schlichte Miteigentumsanteile derelinquiert werden können ( Hoyer in FS Brauneder 182; Eccher in KBB 3 § 387 Rz 1; Mader in ABGB ON 1.00 § 387 Rz 6 jeweils unter Hinweis auf die implizite - Bejahung der Möglichkeit der Dereliktion von schlichten Miteigentumsanteilen durch Spielbüchler in Rummel 3 § 387 Rz 4).

3.4 Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs sprechen die tragenden Argumente der Entscheidung 5 Ob 197/02k für eine Gleichbehandlung von Wohnungseigentum und schlichten Miteigentumsanteilen in der Frage der Zulässigkeit der Dereliktion:

3.4.1 Auch schlichte Miteigentümer einer Liegenschaft stehen in Rechtsgemeinschaft. Die Teilhaber trifft nach herrschender Ansicht aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses eine Treuepflicht (3 Ob 2032/96m SZ 70/114; Gamerith in Rummel 3 § 825 Rz 11; weitere Nachweise bei Sailer in KBB 3 § 825 Rz 5).

3.4.2 Die gemeinschaftlichen Nutzen und Lasten, so etwa die Grundsteuer, werden gemäß § 839 ABGB nach dem Verhältnis der Anteile ausgemessen.

3.4.3 Ließe man die Dereliktion von Miteigentumsanteilen zu, müssten die auf die derelinquierten Anteile, die den übrigen Miteigentümern nicht zuwachsen ( Spielbüchler in Rummel 3 § 387 Rz 4; Hoyer in FS Brauneder 188), entfallenden Lasten von den übrigen Miteigentümern die sich gegen die Dereliktion nicht zur Wehr setzen können getragen werden (vgl etwa zur Gesamtschuldnerhaftung der Miteigentümer für die Grundsteuer § 9 Abs 2 GrStG [Grundsteuergesetz 1955 BGBl 1955/149 idgF]).

3.4.4 Ebenso wie bei Wohnungseigentum ist auch bei schlichtem Miteigentum ein einseitiger Austritt unter Preisgabe des Miteigentumsanteils im Gesetz nicht vorgesehen. Vielmehr muss der Miteigentümer, der die Gemeinschaft nicht aufrecht erhalten will, gemäß § 830 ABGB die Aufhebung durch Teilungsklage verlangen. Auch das in § 835 ABGB erwähnte „Austrittsrecht“ der Miteigentümer wird von der herrschenden Ansicht lediglich im Sinn der Möglichkeit, die Aufhebung der Gemeinschaft gemäß § 830 ABGB zu verlangen, verstanden ( Sailer in KBB 3 § 834 Rz 4 mwN). Der Gesetzgeber kennt somit auch bei schlichtem Miteigentum ein Ausscheiden eines Miteigentümers durch einseitigen Austritt aus der Gemeinschaft nicht.

3.4.5 Wegen des auch bei schlichtem Miteigentum tragfähigen Arguments, dass sich ein Miteigentümer nicht durch einseitigen Austritt aus der Miteigentumsgemeinschaft unter Preisgabe des Miteigentumsanteils seiner im Privatrecht begründeten Pflichten gegenüber den übrigen Miteigentümern entledigen können soll, ist dem Rekursgericht darin beizupflichten, dass eine Dereliktion schlichter Miteigentumsanteile grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

3.4.6 Darauf, ob im konkreten Anlassfall tatsächlich die Interessen der übrigen Miteigentümer beeinträchtigt werden könnten, kann es schon wegen der Besonderheiten des einseitigen Grundbuchsverfahrens, dem die Durchführung eines Beweisverfahrens fremd ist, nicht ankommen.

4. Dem unberechtigten Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.