JudikaturJustiz4Ob253/97b

4Ob253/97b – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. September 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Alexander D*****, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch die Mutter Cornelia D*****, diese vertreten durch Dr.Eduard Pranz und andere Rechtsanwälte in St.Pölten, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 16.April 1997, GZ 10 R 104/97i-124, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Herzogenburg vom 12.Februar 1997, GZ 3 P 1079/95y-120, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 4.März 1983***** geschieden. Der Minderjährige befindet sich in der Obsorge der Mutter.

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 20.Februar 1992 war der Vater schuldig erkannt worden, ab 1.Dezember 1991 zum Unterhalt des Kindes monatlich S 2.700 zu zahlen (ON 104). Zu dieser Zeit hatte der Vater weiters für seine (zweite) Ehefrau und für einen Sohn aus zweiter Ehe zu sorgen. Sein monatliches Nettoeinkommen betrug rund S 16.500.

Am 27.Juni 1995 beantragte die Mutter die Erhöhung der Unterhaltsleistungen des Vaters ab 1.Juli 1995 auf S 4.200 (ON 105). Der Vater beantragte demgegenüber, die Unterhaltsbeiträge ab 1.August 1995 auf S 2.400 herabzusetzen, weil sein Sohn mittlerweile eine Tischlerlehre begonnen habe (ON 106).

Mit Beschluß des Rekursgerichtes vom 10.April 1996 wurden die väterlichen Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom 1.Juli bis 31.Juli 1995 auf S 4.100 erhöht und ab 1.August 1995 auf S 2.600 herabgesetzt (ON 113).

Am 8.November 1996 stellte die Mutter - in Erwiderung auf den Antrag des Vaters, seine Unterhaltspflicht ab 1.August 1996 auf monatlich S

1.500 herabzusetzen (ON 114) - den Antrag, rückwirkend für die Zeit vom 1.Juni 1994 bis zum 30.Juni 1995 den Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 4.100 (statt bisher S 2.700) zu verpflichten (ON 115).

Der Vater sprach sich dagegen aus. Er habe 1994 weniger verdient als 1996. Der Minderjährige verdiene nun im zweiten Lehrjahr monatlich laufend netto S 5.480 zuzüglich Sonderzahlungen (ON 116).

Das Erstgericht erhöhte die monatliche Unterhaltsleistung des Vaters für die Zeit vom 1.Juni bis zum 31.Dezember 1994 auf S 3.600 und für die Zeit vom 1.Jänner bis zum 30.Juni 1995 auf S 4.100; das Mehrbegehren von S 500 für die Zeit vom 1.Juni bis 31.Dezember 1994 wies es ab. Es stellte fest, daß der Vater 1994 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen einschließlich der Sonderzahlungen von S 21.064 und 1995 von S 22.473 bezogen habe. Der Vater habe eine weitere Sorgepflicht gegenüber dem Sohn aus zweiter Ehe und seiner Ehefrau zu erfüllen. Nach herrschender Rechtsprechung sei das Einkommen des Vaters im Jahre 1994 mit 17 % und im Jahre 1995 mit 18 % belastbar. Daraus ergäben sich die festgelegten Unterhaltsbeträge.

Das Rekursgericht wies den Erhöhungsantrag ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Seit ein verstärkter Senat des Obersten Gerichtshofes erkannt habe, daß Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können, seien zahlreiche Entscheidungen ergangen, die sich mit der Vertrauenslage des Unterhaltsschuldners, dem Verbrauch seines Einkommens und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für die Vergangenheit, auch wenn für diese Zeit eine gerichtliche Festsetzung vorgelegen sei, auseinandergesetzt hätten. Dennoch sollte nicht außer acht gelassen werden, daß bei der Unterhaltsbemessung die Grundsätze der Billigkeit und Angemessenheit bestimmend seien. Der Vater sei 1994 und 1995 als Vorarbeiter beschäftigt gewesen. Von seinem Einkommen habe er monatlich S 2.700 für den Minderjährigen gezahlt. Mit dem verbleibenden Einkommen habe er den Unterhalt für den am 24. Jänner 1985 geborenen zweiten Sohn und teilweise für seine zweite Ehefrau und für sich bestritten. Da das Einkommen des Vaters dem österreichischen Durchschnitt entspreche und damit insgesamt vier Personen das Auslangen finden mußten, könne nicht angenommen werden, daß der Vater in den Jahren 1994 und 1995 Ersparnisse angesammelt habe. Als die Mutter im Juni 1995 die Erhöhung der väterlichen Unterhaltsbeiträge für den Minderjährigen beantragt und das Rekursgericht den Unterhaltsbeitrag auf S 4.100 angehoben habe, hätte der Vater berechtigt darauf vertrauen dürfen, daß allfällige weitere in der Vergangenheit liegende Unterhaltsansprüche des Minderjährigen in diesem Unterhaltsfestsetzungsverfahren abgehandelt worden seien. Der Minderjährige sei Tischlerlehrling im zweiten Lehrjahr und beziehe nach Abzug der Berufsausbildungskosten ein anrechenbares Einkommen von monatlich rund S 5.650. Dazu erhalte er von seinem Vater - nach einer mittlerweile beschlossenen Herabsetzung (ON 121) - monatlich S 1.800. Der Vater verdiene im Monatsdurchschnitt rund S 23.000. Nach dem Beschluß des Erstgerichtes müßte der Vater dem Minderjährigen insgesamt S 14.700 nachzahlen. Es liege auf der Hand, daß der Vater damit ungewöhnlich belastet würde und er nicht nur seine eigenen Bedürfnisse deutlich mindern müßte, sondern auch seine Ehefrau und sein zweiter Sohn in einem erheblichen Maß in der Bedürfnisbefriedigung eingeschränkt würden. Dabei ginge auch die Angemessenheit, die § 140 Abs 1 ABGB normiere, verloren. Andererseits verfüge der Minderjährige bereits über ein laufendes Eigeneinkommen. Durch die Zuwendung eines Betrages von rund S 15.000 bestehe die Gefahr einer Überalimentierung in dem Sinne, daß sich der Jugendliche einen Lebensstil aneignen könnte, der seinen laufenden Einkünften nicht entspreche. Da der Minderjährige in absehbarer Zeit seine Lehre abgeschlossen haben und dann selbsterhaltungsfähig sein werde, sollte er mit Erreichen der Selbsterhaltungsfähigkeit in der Lage sein, seinen Lebensstil nach seinem Einkommen auszurichten, um nicht bereits in jungen Jahren mit Schulden belastet zu sein. Wegen der Zuwendung des größeren Geldbetrages könnte er sich jedoch dann bereits an ein angenehmeres Leben gewöhnt haben, das deutlich mehr Kosten verursachte, als seinen Bezügen entspreche.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist berechtigt.

Nach der seit der Entscheidung des verstärkten Senates 6 Ob 544/87 =

SZ 61/143 = EvBl 1988/123 = JBl 1988, 586 (zust. Pichler) = EFSlg

57.045/3 = ÖA 1988, 79 = AnwBl 1989, 294 (Heller) = RdW 1988, 351

ständigen Rechtsprechung und ganz einhelliger Lehre (Reischauer in Rummel ABGB2, Rz 4 zu § 1418; Harrer/Heidinger in Schwimann, ABGB2, Rz 4 zu § 1418 mwN aus dem Schrifttum) können Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden und unterliegen nur der Verjährung des § 1480 ABGB. Demnach können solche Ansprüche nicht nur rückwirkend geltend gemacht (ÖA 1994, 20 U 71; ÖA 1994, 195 uva; Purtscheller/Salzmann Unterhaltsbemessung 137 ff;

Schwimann, Unterhaltsrecht 18), sondern auch erhöht werden (EvBl 1990/50 = EFSlg 61.502; JBl 1991, 309; ÖA 1995, 88 U 116 uva;

Schwimann aaO). Die Änderung der Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit kann folgerichtig auch dann erfolgen, wenn für diese Zeit - wie hier - schon eine gerichtliche Festsetzung oder eine vergleichsweise Regelung vorlag, die wegen Änderung der Verhältnisse nicht mehr bindend blieb (EvBl 1990/50 = EFSlg 61.502). Dem Minderjährigen kann es auch nicht schaden, daß hier die Mutter zunächst eine Erhöhung des Unterhaltes erst ab 1.Juli 1995 beantragte, dann aber im Hinblick auf die mittlerweile gewonnene Kenntnis vom Einkommen des Vaters rückwirkend eine Erhöhung schon ab 1. Juni 1994 begehrte.

Wie der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen hat, kann keine Rede davon sein, daß der Unterhaltsschuldner durch das Unterbleiben der früheren Geltendmachung in einer entstandenen Vertrauenslage zu schützen wäre. Die gesetzliche Unterhaltsschuld entsteht unmittelbar mit den Bedürfnissen des nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes, das keine eigenen Einkünfte hat, und nicht erst durch deren gerichtliche Geltendmachung. Die Unterhaltsschuld ist eine Bringschuld, die der Unterhaltspflichtige dem Kind laufend zu erbringen hat. Kommt er seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht, wie dies bei jeder anderen fälligen Schuld auch zu erwarten ist, aus eigenem nach und muß er dazu mit gerichtlicher Hilfe gezwungen werden, kann er sich innerhalb der Verjährungsfrist nicht auf eine durch seine eigene Säumnis entstandene "Vertrauenslage", also die Hoffnung, er werde nicht zur Einhaltung seiner gesetzlichen Verpflichtung herangezogen werden, berufen (EFSlg 66.376).

Die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches für die Vergangenheit hängt auch nicht davon ab, ob der Unterhaltspflichtige sein Einkommen bereits verbraucht hat oder nicht (EFSlg 69.146).

Im vorliegenden Fall hat sich der Vater im übrigen weder in erster Instanz noch im Rekurs darauf berufen, daß er im Vertrauen auf die gerichtlichen Unterhaltsbemessungsbeschlüsse sein ganzes Einkommen verbraucht und keinerlei Ersparnisse angelegt habe. Das Rekursgericht hat diesen Gesichtspunkt vielmehr von Amts wegen herangezogen.

Eine analoge Anwendung des Grundsatzes, daß Lohn-, Gehalts-, Pensions- und Unterhaltszahlungen, die gutgläubig verbraucht worden sind, nicht zurückgefordert werden können (SZ 11/86 = Jud 33 neu; SZ 54/147 uva; Honsell/Mader in Schwimann aaO Rz 4 und 18 zu § 1437) kommt nicht in Frage. Vom Fehlen aller anderen Voraussetzungen abgesehen, kann sich ein Unterhaltsschuldner auch nicht auf einen gutgläubigen Verbrauch seines Einkommens berufen, wenn er durch Jahre hindurch trotz gestiegenen Einkommens die gleiche Unterhaltsleistung erbracht hat. Dem Vater, dessen Einkommen seit der Bemessung im Jahre 1992 jedes Jahr gestiegen ist, mußte bewußt sein, daß damit (und auch allenfalls im Hinblick auf steigende Bedürfnisse des Minderjährigen) seine Unterhaltspflicht steigt.

Da ein S 2.700 übersteigender Unterhaltsanspruch nicht Gegenstand der früheren Entscheidung war, steht dem Unterhaltserhöhungsbegehren des Minderjährigen - unbeachtet der Tatsache, daß der frühere Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten worden war - auch nicht die Rechtskraft entgegen (ÖA 1992, 57 mwN; Purtscheller/Salzmann aaO 131).

Abschließend sei nur noch bemerkt, daß die Befürchtung des Rekursgerichtes, der Minderjährige werde durch den Empfang des Rückstandes von rund S 14.000 zu einem für seine Verhältnisse allzu sorglosen Umgang mit Geld verleitet, nicht geteilt werden kann.

Aus diesen Erwägungen war in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Rechtssätze
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