JudikaturJustiz4Ob20/23d

4Ob20/23d – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische Zahnärztekammer, *, vertreten durch Dr. Friedrich Schulz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. T*, vertreten durch lawpoint Hütthaler Brandauer Akyürek Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. U* GmbH, *, Deutschland, 2. D* GmbH, *, Deutschland, beide vertreten durch Saxinger, Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 32.000 EUR), im Verfahren über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 18. November 2022, GZ 5 R 160/22x 45, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 26. September 2022, GZ 28 Cg 43/21s 40, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.1. Erstreckt sich der Anwendungsbereich des Art 3 lit d der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Patientenmobilitätsrichtlinie), wonach im Fall der Telemedizin die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht gilt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist, nur auf Zwecke des Kostenersatzes im Sinne ihres Art 7?

1.2. Für den Fall, dass Frage 1.1. verneint wird, ordnet Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, ein allgemeines Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an?

1.3. Ordnet die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (E Commerce Richtlinie) ein Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an?

2.1. Bezieht sich die „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ im Sinne des Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, ausschließlich auf medizinische Einzelleistungen, die (grenzüberschreitend) mit Unterstützung von Informations und Kommunikationstechnologien (IKT) durchgeführt werden, oder auf einen gesamten Behandlungsvertrag, der ebenso körperliche Untersuchungen im Wohnsitzstaat des Patienten umfassen kann?

2.2. Falls körperliche Untersuchungen umfasst sein können, müssen IKT unterstützte Leistungen überwiegen, damit eine „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ vorliegt, und bejahendenfalls nach welchen Kriterien ist das Überwiegen zu beurteilen?

2.3. Ist eine medizinische Behandlung insgesamt als grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistung im Sinne des Art 3 lit d und e der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, zu sehen, wenn der aus Sicht des Patienten im anderen Mitgliedstaat ansässige Gesundheitsdienstleister, mit dem der Patient einen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat (hier: Zahnklinik), einen Teil der Gesamtbehandlung IKT gestützt erbringt, der andere Teil der Gesamtleistung hingegen von einem im selben Mitgliedstaat wie der Patient ansässigen Gesundheitsdienstleister (niedergelassener Zahnarzt) erbracht wird?

3.1. Ist Art 2 lit n in Verbindung mit Art 3 lit d und Art 4 lit a der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, und in Verbindung mit Art 5 Abs 3 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsrichtlinie) dahingehend auszulegen, dass eine in Deutschland ansässige Zahnklinik in Fällen von „Gesundheitsversorgung durch Telemedizin“ in Österreich die dort geltenden nationalen berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln (insbesondere §§ 24, 26, 31 des österreichischen Zahnärztegesetzes) einzuhalten hat?

3.2. Ist Art 5 Abs 3 der Berufsqualifikationsrichtlinie, RL 2005/36/EG, dahin auszulegen, dass sich ein Gesundheitsdienstleister in einen anderen Mitgliedstaat begibt, wenn er rein IKT unterstützte medizinische Leistungen erbringt? Verneinendenfalls, liegt ein Begeben in einen anderen Mitgliedstaat vor, wenn er durch Erfüllungsgehilfen im Wohnsitzstaat des Patienten körperliche Untersuchungen oder Behandlungen durchführen lässt?

4. Steht die Dienstleistungsfreiheit gemäß den Art 56 ff AEUV den Vorgaben des österreichischen Zahnärztegesetzes entgegen, das in den §§ 24 ff ZÄG primär eine unmittelbare und persönliche Berufsausübung vorsieht und einen freien Dienstleistungsverkehr nur im Rahmen des § 31 ZÄG „vorübergehend“ für „EWR Staatsangehörige“, und zwar für Konstellationen wie die vorliegende, in der ein ausländischer Zahnarzt – grundsätzlich dauerhaft – im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrags Leistungen teils IKT unterstützt aus dem Ausland (im Sinne einer grenzüberschreitenden Korrespondenzdienstleistung) und teils im Inland durch Beiziehung eines berufsberechtigten österreichischen Zahnarztes als Erfüllungsgehilfen erbringt.

II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Text

Begründung:

Zu I.:

A. Sachverhalt

[1] Die Klägerin, eine Körperschaft öffentlichen Rechts mit Sitz in Wien, ist gesetzlich zur Wahrnehmung der Interessen der Österreichischen Zahnärzte und Dentisten berufen. Die Beklagte ist eine in Österreich ansässige Zahnärztin, die unstrittig befugt ist, Patienten im Inland im Rahmen eines von ihr mit diesen geschlossenen Behandlungsvertrags zahnärztlich zu untersuchen und zu behandeln.

[2] Die beiden Nebenintervenientinnen sind Teile eines weltweit tätigen Dentalunternehmens. Die Erstnebenintervenientin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Deutschland und dem Unternehmensgegenstand „Erbringung von Dienstleistungen im Bereich von lifestyle Produkten für Endkunden“. Sie bewirbt ein zahnmedizinisches Kieferregulierungsverfahren mittels transparenter Mundzahnschienen, das unter der Marke „DrS*“ vertrieben wird. Über ihre Internetseite www.drs*.at können (potentielle) Kunden einen Wunschstandort in Österreich wählen und bei dem entsprechenden sogenannten „Partnerzahnarzt“ (wie der Beklagten) einen Termin anfragen. Die Beklagte führt bei Zustandekommen eines derartigen Termins in der eigenen Ordination eine Anamnese durch, ein Aufklärungsgespräch sowie einen 3D Scan des Gebisses und die für die Zahnschienentherapie allenfalls erforderlichen Vorbehandlungen. In der Folge übermittelt die Beklagte das Bildmaterial sowie eine Empfehlung hinsichtlich des Kieferregulierungsverfahrens an die Zweitnebenintervenientin. Bei dieser handelt es sich ebenfalls um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Sitz in Deutschland. Die Gesellschafter der Nebenintervenientinnen sind keine Zahnärzte. Allerdings verfügt die Zweitnebenintervenientin über eine Zulassung und die sonstigen notwendigen Genehmigungen nach deutschem Krankenanstaltenrecht, um an einem Standort in Deutschland ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum zu betreiben („Zahnklinik“).

[3] Für den vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass (nur) die Zweitnebenintervenientin mit den Patienten einen Behandlungsvertrag abschließt, der alle Leistungen im Zusammenhang mit einer „DrS*“ Zahnregulierung umfasst. Die Zahnschienen bezieht sie über die Erstnebenintervenientin, die diese wiederum bei Dritten in Auftrag gibt. Die weitere Betreuung erfolgt mittels App der Zweitnebenintervenientin, indem die Patienten regelmäßig Bilder ihrer Zähne an sie übermitteln. Weiters steht die Zweitnebenintervenientin in einer Vertragsbeziehung mit der Beklagten und vergütet ihr deren Leistungen, die sie im Rahmen der „DrS* Behandlung“ für die jeweiligen Patienten erbringt.

B. Vorbringen der Parteien

[4] Die Klägerin macht einen Unterlassungsanspruch nach dem Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Fallgruppe Rechtsbruch, geltend. Sie will (soweit im Provisorialverfahren in dritter Instanz noch von Relevanz), der Beklagten mit einstweiliger Verfügung bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils verbieten lassen, an zahnärztlichen Tätigkeiten, die in Österreich durch ausländische Gesellschaften erbracht werden, welche weder eine Befugnis zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs nach dem Zahnärztegesetz in Österreich noch eine krankenanstaltsrechtliche Betriebsbewilligung nach österreichischem Recht haben, unmittelbar oder mittelbar mitzuwirken, beispielsweise dadurch, dass sie Abdrücke bei Zahnfehlstellungen, sei es auch auf digitale Weise durch einen Intraoralscanner, für die Erst- oder Zweitnebenintervenientin vornimmt.

[5] Die Beklagte wendete ein, die Zweitnebenintervenientin, mit der sie kooperiere, sei eine nach deutschem Recht zugelassene private Krankenanstalt, deren Tätigkeiten unter telemedizinischen Aspekten in Österreich zulässig seien. Gleiches gelte für die arbeitsteilige Zusammenarbeit mit der Beklagten im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung. Die Beklagte führe ihre Tätigkeiten unmittelbar und persönlich sowie weisungsunabhängig durch.

C. Bisheriges Verfahren

[6] Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die Beklagte wirke nicht an zahnärztlichen Tätigkeiten der Nebenintervenientinnen mit. Es lägen zwei getrennt voneinander zu betrachtende Behandlungsverträge vor, weswegen die Beklagte nicht als Erfüllungsgehilfin zu qualifizieren sei und daher auch nicht an fremden zahnärztlichen Tätigkeiten im Inland mitwirke.

[7] Das Rekursgericht gab dem Sicherungsantrag im Wesentlichen – mit Ausnahme der beispielsweisen Nennung der Mitwirkung an zahnärztlichen Tätigkeiten der Erstnebenintervenientin – statt. Die Beklagte agiere als Erfüllungsgehilfin der Zweitnebenintervenientin im Rahmen der zwischen dieser und den Patienten geschlossenen Behandlungsverträge. Die Zweitnebenintervenientin verfüge über keine Berechtigung für die Erbringung zahnärztlicher Leistungen in Österreich. Ihre durch die Beklagte als Erfüllungsgehilfin in Österreich erbrachten Behandlungsleistungen würden unmittelbar und ohne Einsatz von Informations und Kommunikationstechnik bzw technologie ausgeführt. Die Beklagte wirke daher an zahnärztlichen Tätigkeiten mit, die durch eine ausländische Gesellschaft im Inland erbracht würden, ohne dass diese eine Befugnis zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs nach dem Zahnärztegesetz (ZÄG) oder eine krankenanstaltenrechtliche Betriebsbewilligung nach österreichischem Recht hätte. Damit verstoße sie einerseits gegen die Regelungen zur Zusammenarbeit nach § 24 ZÄG und beteilige sich andererseits als Gehilfin an einem Verstoß einer ausländischen GmbH gegen den Berufsvorbehalt nach §§ 3, 4 Abs 3 ZÄG und sohin einem Lauterkeitsverstoß im Sinne des § 1 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Auf eine Vertretbarkeit der Rechtsansicht könne sich die Beklagte im Hinblick auf die Entscheidung 4 Ob 158/20v nicht berufen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr über den Revisionsrekurs der Beklagten zu entscheiden, womit diese beantragt, den Antrag der Klägerin auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Gänze abzuweisen.

D. Anzuwendendes Unionsrecht

[9] 1.1. Nach Art 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, […] verboten.

[10] 1.2. Nach Art 62 AEUV sind die die Niederlassungsfreiheit betreffenden Art 51 bis 54 AEUV auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit anwendbar.

[11] 1.3. Art 54 AEUV stellt Gesellschaften mit Sitz in der Union den natürlichen Personen, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, grundsätzlich gleich.

[12] 2.1. Die Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Patientenmobilitätsrichtlinie) enthält gemäß deren Art 1 Abs 1

Bestimmungen zur Erleichterung des Zugangs zu einer sicheren und hochwertigen grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung und fördert die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Gesundheitsversorgung, wobei die nationalen Zuständigkeiten bei der Organisation und Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen uneingeschränkt geachtet werden. Diese Richtlinie zielt ferner darauf ab, ihr Verhältnis zum bestehenden Rechtsrahmen für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, Verordnung (EG) Nr. 883/2004, im Hinblick auf die Ausübung der Patientenrechte zu klären.

[13] Sie legt in ihrem Art 4 die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung fest. Dort heißt es:

Leistungen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung werden – unter Beachtung der Grundsätze Universalität, Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung und Solidarität – im Einklang mit folgenden Regelungen erbracht: a) Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats; […]

[14] Nach den Begriffsbestimmungen in Art 3 lit e ist eine

grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung die Gesundheitsversorgung, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Versicherungsmitgliedstaat erbracht oder verschrieben wird.

[15] 2.2. Gemäß Art 3 lit d bezeichnet

Behandlungsmitgliedstaat den Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet Gesundheitsdienstleistungen für den Patienten tatsächlich erbracht werden. Im Fall der Telemedizin gilt die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist.

[16] Eine nähere Definition und Regelung der „Telemedizin“ enthält die Patientenmobilitätsrichtlinie nicht.

[17] 2.3. Die Patientenmobilitätsrichtlinie enthält allerdings Bestimmungen zur Kostenerstattung für telemedizinische Leistungen.

[18] So heißt es im Erwägungsgrund 26 :

Das Recht auf Erstattung der Kosten der in einem anderen Mitgliedstaat erbrachten Gesundheitsdienstleistungen durch die gesetzliche Sozialversicherung der Patienten als Versicherte ist vom Gerichtshof in mehreren Urteilen anerkannt worden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Vertragsbestimmungen zum freien Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Empfänger von Gesundheitsdienstleistungen, einschließlich der Personen, die eine medizinische Behandlung benötigen, einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben. Dies sollte auch für die Empfänger von Gesundheitsdienstleistungen gelten, die eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Gesundheitsversorgung auf anderem Wege, etwa durch elektronische Gesundheitsdienstleistungen (e Health), in Anspruch nehmen möchten.

[19] Demzufolge ist in Art 7 Abs 7 normiert:

Der Versicherungsmitgliedstaat kann einem Versicherten, der einen Antrag auf Kostenerstattung im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Gesundheitsversorgung stellt, wozu auch eine Gesundheitsversorgung mit Mitteln der Telemedizin gehören kann, dieselben – auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene festgelegten – Voraussetzungen, Anspruchskriterien sowie Regelungs und Verwaltungsformalitäten vorschreiben, die er für die gleiche Gesundheitsversorgung im eigenen Hoheitsgebiet heranziehen würde. […]

[20] 2.4. Schließlich finden sich zu telemedizinischen Leistungen noch Regelungen allgemeiner Art in der Patientenmobilitätsrichtlinie:

[21] Erwägungsgrund 56 lautet:

Die technischen Entwicklungen bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen mit Hilfe der IKT können dazu führen, dass die Ausübung der Überwachungsaufgaben durch die Mitgliedstaaten unklar wird, und können dadurch die Freizügigkeit von Gesundheitsdienstleistungen behindern und zusätzliche Risiken für den Gesundheitsschutz schaffen. Sehr unterschiedliche und inkompatible Formate und Normen gelten für die IKT gestützte Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen in der Union, was sowohl Hindernisse für diese Art der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung als auch mögliche Risiken für den Gesundheitsschutz schafft. Daher ist es notwendig, dass die Mitgliedstaaten die Interoperabilität der IKT Systeme anstreben. Der Einsatz von IKT Systemen im Gesundheitswesen fällt jedoch vollständig in nationale Zuständigkeit. Deshalb sollte in dieser Richtlinie die Bedeutung der Weiterverfolgung der Interoperabilität anerkannt und die Verteilung der Zuständigkeiten geachtet werden, indem Bestimmungen festgelegt werden, nach denen die Kommission und die Mitgliedstaaten gemeinsam die Entwicklung von Maßnahmen vorantreiben sollen, die rechtlich nicht verbindlich sind, jedoch den Mitgliedstaaten zusätzliche Werkzeuge zur Förderung der Interoperabilität der IKT Systeme im Bereich der Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen und den Zugang der Patienten zu elektronischen Gesundheitsanwendungen erleichtern, sofern die Mitgliedstaaten beschließen, diese einzuführen.

[22] Dementsprechend enthalten die Art 14 und 15 über „Elektronische Gesundheitsdienste“ bzw die „Zusammenarbeit bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien“ (nur) Regelungen zu einem freiwilligen Netzwerk.

[23] 2.5. Gemäß Art 2 lit n lässt zudem die Patientenmobilitätsrichtlinie die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationsrichtlinie) „unberührt“ .

[24] 3. Art 5 der Berufsqualifikationsrichtlinie, RL 2005/36/EG , normiert den „Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit“ und lautet:

(1) Unbeschadet spezifischer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts sowie der Artikel 6 und 7 dieser Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Dienstleistungsfreiheit nicht aufgrund der Berufsqualifikationen einschränken,

a) wenn der Dienstleister zur Ausübung desselben Berufs rechtmäßig in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist und

b) […].

(2) Die Bestimmungen dieses Titels gelten nur für den Fall, dass sich der Dienstleister zur vorübergehenden und gelegentlichen Ausübung des Berufs nach Absatz 1 in den Aufnahmemitgliedstaat begibt.

Der vorübergehende und gelegentliche Charakter der Erbringung von Dienstleistungen wird im Einzelfall beurteilt, insbesondere anhand der Dauer, der Häufigkeit, der regelmäßigen Wiederkehr und der Kontinuität der Dienstleistung.

(3) Begibt sich der Dienstleister in einen anderen Mitgliedstaat, so unterliegt er im Aufnahmemitgliedstaat den berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln, die dort in unmittelbarem Zusammenhang mit den Berufsqualifikationen für Personen gelten, die denselben Beruf wie er ausüben, und den dort geltenden Disziplinarbestimmungen; zu diesen Bestimmungen gehören etwa Regelungen für die Definition des Berufs, das Führen von Titeln und schwerwiegende berufliche Fehler in unmittelbarem und speziellem Zusammenhang mit dem Schutz und der Sicherheit der Verbraucher.

[25] Gemäß Art 7 können Mitgliedstaaten Melde und Nachweispflichten für den Fall festlegen, dass ein Dienstleister zur Erbringung von Dienstleistungen von einem Mitgliedstaat in einen anderen wechselt.

[26] In Erwägungsgrund 4 heißt es zudem:

Für Dienstleistungen der Informationsgesellschaft, die im Fernabsatz erbracht werden, gilt neben dieser Richtlinie noch die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt.

[27] 4. Auch für die Auslegung des Begriffs „Telemedizin“ liegt ein Rückgriff auf die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (E Commerce Richtlinie) nahe.

[28] Ein Dienst der Informationsgesellschaft ist gemäß deren Art 2 lit a iVm Art 1 Nr 2 der RL 98/34/EG idF der RL 98/48/EG eine

Dienstleistung der Informationsgesellschaft, dh jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung. Im Sinne dieser Definition bezeichnet der Ausdruck ,im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung‘ eine Dienstleistung, die ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird.

[29] Nach Art 2 lit ii umfasst der koordinierte Bereich keine Anforderungen betreffend Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden .

[30] In Erwägungsgrund 18 heißt es:

[…] Tätigkeiten, die ihrer Art nach nicht aus der Ferne und auf elektronischem Wege ausgeübt werden können, wie […] oder ärztlicher Rat mit einer erforderlichen körperlichen Untersuchung eines Patienten, sind keine Dienste der Informationsgesellschaft.

E. Nationales Recht

[31] 1. Im österreichischen Umsetzungsgesetz zur Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU , dem EU Patientenmobilitätsgesetz ( EU PMG, BGBl I Nr 32/2014 ), sowie der Regierungsvorlage dazu (33 dB XXV GP) finden sich ebensowenig Regelungen oder Ausführungen zu telemedizinischen Leistungen wie im Zahnärztegesetz.

[32] 2. Gemäß § 3 Abs 1 Zahnärztegesetz ( ZÄG ) darf der zahnärztliche Beruf nur nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes ausgeübt werden.

[33] Der zahnärztliche Beruf umfasst nach § 4 Abs 2 ZÄG jede auf zahnmedizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit einschließlich komplementär und alternativmedizinischer Heilverfahren, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird.

[34] Der Angehörigen des zahnärztlichen Berufs vorbehaltene Tätigkeitsbereich umfasst gemäß § 4 Abs 3 ZÄG unter anderem die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten und Anomalien der Zähne, deren Behandlung, wozu auch kosmetische und ästhetische Eingriffe an den Zähnen zählen, sofern diese eine zahnärztliche Untersuchung und Diagnose erfordern, sowie die Verordnung von Heilmitteln, Heilbehelfen und zahnmedizinisch diagnostischen Hilfsmitteln.

[35] Angehörige des zahnärztlichen Berufs haben ihren Beruf laut § 24 Abs 1 ZÄG persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Angehörigen des zahnärztlichen Berufs oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe, insbesondere in Form von Ordinations- und Apparategemeinschaften (§ 25) oder Gruppenpraxen (§ 26), auszuüben. Weiters dürfen sie sich im Rahmen ihrer Berufsausübung der Mithilfe von Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren genauen Anordnungen und unter ihrer ständigen Aufsicht handeln ( § 24 Abs 2 ZÄG ).

[36] Eine Gruppenpraxis kann gemäß § 26 Abs 1 Z 2 ZÄG zwar in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben werden. Voraussetzung ist aber unter anderem, dass alle Gesellschafter zur selbständigen Berufsausübung berechtigte Angehörige des zahnärztlichen Berufs sind ( § 26 Abs 3 Z 1 ZÄG ).

[37] § 31 ZÄG regelt den „freien Dienstleistungsverkehr“ und lautet auszugsweise:

(1) Staatsangehörige eines EWR Vertragsstaats oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die den zahnärztlichen Beruf in einem der übrigen EWR Vertragsstaaten oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft rechtmäßig ausüben, dürfen von ihrem ausländischen Berufssitz oder Dienstort aus im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs vorübergehend in Österreich ohne Eintragung in die Zahnärzteliste zahnärztlich tätig werden.

(2) Vor der erstmaligen Erbringung einer zahnärztlichen Dienstleistung in Österreich, die einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet erfordert, hat der/die Dienstleistungs erbringer/Dienstleistungserbringerin der Österreichischen Zahnärztekammer im Wege der Landeszahnärztekammer jenes Bundeslandes, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, unter Beifügung folgender Urkunden schriftlich Meldung zu erstatten: […]

[38] In der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung wurde bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung nur auf berufsberechtigte natürliche Personen abstelle, nicht aber auf Gesellschaften mit beschränkter Haftung, noch dazu, wenn deren Gesellschafterstruktur nicht § 26 ZÄG genüge (vgl 4 Ob 158/20v).

[39] 3. Ein Verstoß gegen den sogenannten „Zahnärztevorbehalt“ des ZÄG löst nicht nur verwaltungsrechtliche Sanktionen aus. Vielmehr handelt nach ständiger Rechtsprechung der österreichischen Gerichte lauterkeitswidrig im Sinne des § 1 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), wer als Mitbewerber in den gesetzlichen Vorbehaltsbereich einer fremden Gewerbeberechtigung oder eines Berufs (wie Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Ziviltechniker) eingreift, wenn sein Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von rechtstreuen Mitbewerbern nicht bloß unerheblich zu beeinflussen ( RS0077985 [T14]).

[40] Zudem wurde in der Judikatur bereits ausgesprochen, dass ein Angehöriger eines freien Berufs mit Sitz im Ausland die im Inland geltenden Berufs und Standesregeln einzuhalten hat, sobald er auch im Inland tätig wird ( RS0051613 [T2]).

[41] Auf Unterlassung kann nach der Rechtsprechung nicht nur der unmittelbare Täter in Anspruch genommen werden, sondern auch Mittäter, Anstifter oder Gehilfen – die ebenso selbständige Unternehmer sein können, wenn sie es übernommen haben, für einen Auftraggeber bestimmte Leistungen zu erbringen –, sofern diese die Tatumstände kennen, die die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens begründen. Dem Kennen dieser Umstände ist das vorwerfbare Nichtkennen gleichzuhalten (vgl RS0079765 [T28], RS0031329 ).

F. Begründung der Vorlagefragen

[42] 1. Zunächst ist zu klären, ob die Beklagte überhaupt im Sinne des Klagebegehrens an zahnärztlichen Tätigkeiten mitwirkt, die in Österreich durch ausländische Gesellschaften erbracht werden.

[43] 1.1. Aufgrund des vom Rekursgericht als bescheinigt erachteten Sachverhalts ist davon auszugehen, dass ein einheitlicher Behandlungsvertrag vorliegt und die Beklagte lediglich im Rahmen ihrer Vertragsbeziehung zur Zweitnebenintervenientin als deren Erfüllungsgehilfin tätig wird, Leistungserbringer gegenüber dem Patienten im Rechtssinne sohin die Zweitnebenintervenientin ist.

[44] 1.2. Aus Sicht des vorlegenden Gerichts stellt sich daher zunächst die Frage, wo die zahnärztlichen Leistungen in rechtlicher Hinsicht „erbracht“ werden, insbesondere, ob das Herkunftslandprinzip gilt und Leistungsort daher Deutschland ist, wo die Zweitnebenintervenientin zulässiger Weise eine Zahnklinik betreibt.

[45] 1.3. Daher wird einleitend gefragt, (1) ob sich der Anwendungsbereich des Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, wonach im Fall der Telemedizin die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht gilt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist, nur auf Zwecke des Kostenersatzes im Sinne ihres Art 7 erstreckt, oder ein allgemeines Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen anordnet, bzw ob dieses aus der E Commerce Richtlinie ableitbar ist.

[46] 2.1. Zur Klärung der Anwendung der Patientenmobilitätsrichtlinie auf den vorliegenden Fall bedarf es auch der Beantwortung der Frage (2), ob sich die „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ im Sinne des Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie ausschließlich auf medizinische Einzelleistungen bezieht, die (grenzüberschreitend) mit Unterstützung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) durchgeführt werden, oder auf einen gesamten Behandlungsvertrag, der ebenso körperliche Untersuchungen im Wohnsitzstaat des Patienten umfassen kann, sowie, ob die IKT unterstützten Leistungen überwiegen müssen, damit eine „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ vorliegt. Bei einer Verbindung zwischen diesen beiden Leistungsarten (wie im vorliegenden Fall) bedarf es der Klärung, ob hier insgesamt von einer grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistung im Sinne des Art 3 lit d und e der Patientenmobilitätsrichtlinie auszugehen ist.

[47] 2.2. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat etwa bereits festgehalten, dass ein Vermittlungsdienst als „Dienst der Informationsgesellschaft“ qualifiziert werden kann, aber etwas anderes zu gelten hat, wenn dieser offensichtlich integraler Bestandteil einer Dienstleistung ist, die rechtlich anders einzustufen ist ( C 390/18 , Airbnb Ireland , Rn 50).

[48] 3.1. Zur Frage des auf „Telemedizin“ anwendbaren Rechts ist im vorliegenden Fall auch das Zusammenspiel der Patientenmobilitätsrichtlinie mit der Berufsqualifikationsrichtlinie von entscheidender Bedeutung, insbesondere (in Bezug auf „Telemedizin“) das Verhältnis zwischen Art 2 lit n, Art 3 lit d und Art 4 lit a der Patientenmobilitätsrichtlinie einerseits und Art 5 Abs 3 der Berufsqualifikationsrichtlinie, wonach ein Dienstleister, der sich in einen anderen Mitgliedstaat „begibt“, im Aufnahmemitgliedstaat den berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln unterliegt, andererseits, sowie auch das Verhältnis zwischen der E Commerce Richtlinie – und zwar insbesondere deren Art 2 lit a, lit ii und Erwägungsgrund 18 – und der Berufsqualifikationsrichtlinie, insbesondere deren Art 5 und Erwägungsgrund 4, und den Art 2 lit n, Art 3 lit d, und Art 4 lit a der Patientenmobilitätsrichtlinie.

[49] 3.2. In anderem Zusammenhang hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits ausgesprochen, dass die geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen, die grenzüberschreitend geleistet wird, ohne dass sich die handelnden Personen in den anderen Mitgliedstaat begeben, nicht unter Art 5 der Berufsqualifikationsrichtlinie, RL 2005/36/EG falle, weil dieser nur für den Fall gelte, dass sich der Dienstleister in den Aufnahmemitgliedstaat begibt ( C 342/14 , X Steuerberatungsgesellschaft/FA , Rn 34 f).

[50] 3.3. Gerade bei Gesundheitsdienstleistungen könnte man aber zum Schutz der Patienten argumentieren, dass auch bei reinen (grenzüberschreitenden) Korrespondenzdienstleistungen und ungeachtet des Herkunftslandsprinzips zusätzlich Berufsregeln des Wohnsitzstaats des Patienten eingehalten werden müssen.

[51] 4.1. Geht man davon aus, dass die von der Beklagten durchgeführten zahnärztlichen Leistungen nicht nur in faktischer, sondern auch in rechtlicher Hinsicht in Österreich „erbracht“ werden, wird in der Folge zu beurteilen sein, ob die Beklagte, indem sie nicht aufgrund eines eigenen Behandlungsvertrags, sondern nur als Gehilfin der Zweitnebenintervenientin tätig wird, an einem Lauterkeitsverstoß im Sinne eines Rechtsbruchs durch Verstoß gegen den Zahnärztevorbehalt mitwirkt.

[52] 4.2. Die Zweitnebenintervenientin verfügt zwar über eine Zulassung als Privatklinik in Deutschland, in Österreich aber über keine krankenanstaltsrechtliche Betriebsbewilligung oder eine Berechtigung nach dem ZÄG. Auch ihre Gesellschafterstruktur widerspricht den Vorgaben des ZÄG.

[53] 4.3. Insofern stellt sich die Frage, ob die Regelungen des österreichischen Zahnärztegesetzes, die in den §§ 24 ff ZÄG primär eine unmittelbare und persönliche Berufsausübung vorsehen und einen freien Dienstleistungsverkehr nur im Rahmen des § 31 ZÄG „vorübergehend“ für „EWR Staatsangehörige“ (nach der Rechtsprechung natürliche Personen), mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß den Art 56 ff AEUV in Einklang zu bringen sind, und zwar für Konstellationen wie die vorliegende, in der ein ausländischer Zahnarzt – grundsätzlich dauerhaft – im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrags Leistungen teils IKT unterstützt aus dem Ausland (im Sinne einer grenzüberschreitenden Korrespondenzdienstleistung) und teils im Inland durch Beiziehung eines berufsberechtigten österreichischen Zahnarztes als Erfüllungsgehilfen erbringt.

[54] 4.4. Bezogen auf die Zweitnebenintervenientin ist weiters fraglich, ob auch eine (analoge) Anwendung der Regelungen zu Gruppenpraxen in § 26 ZÄG, wonach Gesellschafter nur Zahnärzte sein dürfen, gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt.

[55] Dies ist angesichts der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (C 158/96, Rn 51), wonach es den Mitgliedstaaten nur erlaubt ist, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Umfangs der medizinischen und pflegerischen Versorgung oder eines bestimmten Niveaus der Heilkunde im Inland für die Gesundheit oder selbst das Überleben ihrer Bevölkerung erforderlich ist (vgl auch C 385/99) zweifelhaft, zumal nicht zwingend ist, dass natürliche Personen ein höheres Niveau gewährleisten können als juristische Personen.

Zu II.:

[56] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens beruht auf § 90a Abs 1 GOG.

Rechtssätze
4
  • RS0134672OGH Rechtssatz

    25. Januar 2024·3 Entscheidungen

    Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1.1. Erstreckt sich der Anwendungsbereich des Art 3 lit d der Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Patientenmobilitätsrichtlinie), wonach im Fall der Telemedizin die Gesundheitsversorgung als in dem Mitgliedstaat erbracht gilt, in dem der Gesundheitsdienstleister ansässig ist, nur auf Zwecke des Kostenersatzes im Sinne ihres Art 7? 1.2. Für den Fall, dass Frage 1.1. verneint wird, ordnet Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, ein allgemeines Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an? 1.3. Ordnet die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (E-Commerce-Richtlinie) ein Herkunftslandprinzip für telemedizinische Leistungen an? 2.1. Bezieht sich die „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ im Sinne des Art 3 lit d der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, ausschließlich auf medizinische Einzelleistungen, die (grenzüberschreitend) mit Unterstützung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) durchgeführt werden, oder auf einen gesamten Behandlungsvertrag, der ebenso körperliche Untersuchungen im Wohnsitzstaat des Patienten umfassen kann? 2.2. Falls körperliche Untersuchungen umfasst sein können, müssen IKT-unterstützte Leistungen überwiegen, damit eine „Gesundheitsversorgung im Fall der Telemedizin“ vorliegt, und bejahendenfalls nach welchen Kriterien ist das Überwiegen zu beurteilen? 2.3. Ist eine medizinische Behandlung insgesamt als grenzüberschreitende Gesundheitsdienstleistung im Sinne des Art 3 lit d und e der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, zu sehen, wenn der aus Sicht des Patienten im anderen Mitgliedstaat ansässige Gesundheitsdienstleister, mit dem der Patient einen Behandlungsvertrag abgeschlossen hat (hier: Zahnklinik), einen Teil der Gesamtbehandlung IKT -gestützt erbringt, der andere Teil der Gesamtleistung hingegen von einem im selben Mitgliedstaat wie der Patient ansässigen Gesundheitsdienstleister (niedergelassener Zahnarzt) erbracht wird? 3.1. Ist Art 2 lit n in Verbindung mit Art 3 lit d und Art 4 lit a der Patientenmobilitätsrichtlinie, RL 2011/24/EU, und in Verbindung mit Art 5 Abs 3 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Berufsqualifikationenrichtlinie) dahingehend auszulegen, dass eine in Deutschland ansässige Zahnklinik in Fällen von „Gesundheitsversorgung durch Telemedizin“ in Österreich die dort geltenden nationalen berufsständischen, gesetzlichen oder verwaltungsrechtlichen Berufsregeln (insbesondere §§ 24, 26, 31 des österreichischen Zahnärztegesetzes) einzuhalten hat? 3.2. Ist Art 5 Abs 3 der Berufsqualifikationenrichtlinie, RL 2005/36/EG, dahin auszulegen, dass sich ein Gesundheitsdienstleister in einen anderen Mitgliedstaat begibt, wenn er rein IKT-unterstützte medizinische Leistungen erbringt? Verneinendenfalls, liegt ein Begeben in einen anderen Mitgliedstaat vor, wenn er durch Erfüllungsgehilfen im Wohnsitzstaat des Patienten körperliche Untersuchungen oder Behandlungen durchführen lässt? 4. Steht die Dienstleistungsfreiheit gemäß den Art 56 ff AEUV den Vorgaben des österreichischen Zahnärztegesetzes entgegen, das in den §§ 24 ff ZÄG primär eine unmittelbare und persönliche Berufsausübung vorsieht und einen freien Dienstleistungsverkehr nur im Rahmen des § 31 ZÄG „vorübergehend“ für „EWR-Staatsangehörige“, und zwar für Konstellationen wie die vorliegende, in der ein ausländischer Zahnarzt – grundsätzlich dauerhaft – im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvertrags Leistungen teils IKT unterstützt aus dem Ausland (im Sinne einer grenzüberschreitenden Korrespondenzdienstleistung) und teils im Inland durch Beiziehung eines berufsberechtigten österreichischen Zahnarztes als Erfüllungsgehilfen erbringt?