JudikaturJustiz4Ob198/05d

4Ob198/05d – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß als Vorsitzende und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. Eva T*****, 2. Dr. Günter K*****, beide vertreten durch Newole Kienast Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Ärztekammer für Wien, *****, vertreten durch Dr. Claudia Patleych, Rechtsanwältin in Wien, 2. Wiener Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, sowie dem Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien Univ. Prof. Dr. Gerhart A*****, vertreten durch Dr. Friedrich Spitzauer und Dr. Georg Backhausen, Rechtsanwälte in Wien, wegen 40.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 35.000 EUR), über die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 23. Juni 2005, GZ 1 R 26/05h-53, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Oktober 2004, GZ 10 Cg 175/02v-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kläger sind schuldig, den Beklagten die mit jeweils 2.046,13 EUR (darin 341,02 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Nebenintervenient war Inhaber einer Einzelkassenvertragsstelle der Zweitbeklagten für Radiologie im 22. Wiener Gemeindebezirk. Er betrieb diese an der Adresse *****.

Die Zuerkennung einer Kassenplanstelle im Wirkungsbereich der Beklagten erfolgt im gesetzlich normierten Einvernehmen von Erst- und Zweitbeklagter, die darüber auch Vereinbarungen getroffen haben. Die Ausschreibung einer Kassenvertragsstelle setzt voraus, dass entweder der bisherige Inhaber die Kassenvertragsstelle kündigt oder die Kassenvertragsstelle auf andere Weise erledigt ist, also etwa durch den Tod des bisherigen Inhabers. Eine neue Planstelle können die Beklagten nur einvernehmlich schaffen. Zumindest interimistisch kann mit Ärzten auch ein Verrechnungsabkommen geschlossen werden. Dieses kommt sowohl für die Ärzte als auch für die Patienten einem Kassenvertrag gleich. In dem zwischen der Erstbeklagten und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger abgeschlossenen „Gesamtvertrag" sind die Kassenvertragsstellen in Wien nur numerisch genannt; eine Liste mit deren genauer Örtlichkeit besteht nicht. Daher wird eine Kassenvertragsstelle in der Zeitschrift „doktorinwien" auch nur unter Angabe des Bezirks ausgeschrieben, in dem sie liegt.

Am 5. 2. 2001 fand ein Gespräch zwischen dem Nebenintervenienten, dem Leiter der Rechtsabteilung der Erstbeklagten und der innerhalb der Zweitbeklagten für die Kassenvertragsvergabe zuständigen Abteilungsleiterin statt. Bei diesem Gespräch äußerte der Nebenintervenient, er wolle seinen Kassenvertrag zurücklegen. An einem weiteren Gespräch am 12. 4. 2001 nahm auch der Sohn des Nebenintervenienten teil. Der Nebenintervenient erklärte, für eine neu zu schaffende Gruppenpraxis wollten sich sein Sohn und ein weiterer Radiologe als dessen Partner bewerben. Er beabsichtige, hierzu seinen Kassenvertrag zu kündigen.

Die Absicht des Nebenintervenienten, seine Ordination seinem Sohn im Rahmen einer Gruppenpraxis zu übergeben, war den Vertretern der Beklagten bereits seit 16. 3. 2001 bekannt gewesen. Sie konnten dem Nebenintervenienten zwar keine konkreten Versprechungen machen, was diesem auch klar war. Da sich allerdings sein Sohn und dessen Partner gemeinsam bewerben wollten, dachten weder die auf Seiten der Beklagten mit der Angelegenheit befassten Personen noch der Nebenintervenient daran, dass diese Gruppenpraxis nicht zustande kommen würde. Man ging davon aus, dass sie der Sohn des Nebenintervenienten und dessen Partner zuerkannt erhalten würden. Am 24. 4. 2001 entschied sich der Nebenintervenient, seinen Kassenvertrag zu kündigen, sodass eine offizielle Ausschreibung erfolgen konnte. Er teilte der Erstbeklagten mit, dass er seinen Kassenvertrag im Interesse einer Gruppenpraxis zum ehestmöglichen Termin kündigen wolle. Die Gruppenpraxis solle von seinem Sohn und dessen Partner betrieben werden. Dieses Kündigungsschreiben hatte der Nebenintervenient mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Erstbeklagten vorbesprochen, der ihm zwar nicht den wörtlichen Inhalt und die Ausdrücke, wie sie im Schreiben stehen sollten, vorgesagt oder diktiert, die Inhalte und die grundsätzliche Formulierung aber mit ihm erörtert hatte.

In weiterer Folge teilte die Erstbeklagte der Zweitbeklagten mit, dass der Kassenvertrag gekündigt sei. Der Leiter der Rechtsabteilung der Erstbeklagten hatte zuvor mit dem Nebenintervenienten wegen des Inhalts und der Bedeutung des Kündigungsschreibens keine Rücksprache gehalten, sondern ebenso wie die Zweitbeklagte die Kündigung für ordnungsgemäß gehalten.

Die Zweitbeklagte schrieb im Zusammenwirken mit der Erstbeklagten in der Zeitschrift „doktorinwien", Ausgabe Mai 2001, eine Kassenplanstelle für Radiologie als Gruppenpraxis in Wien 22 aus. Für diese Kassenplanstelle bewarben sich unter anderem die Kläger sowie der Sohn des Nebenintervenienten und dessen Partner. Im Juni 2001 fand eine Niederlassungsausschusssitzung der Erstbeklagten statt. Es erfolgte eine Reihung der Bewerber, wobei auf Grund der zu vergebenden Punkte der Sohn des Nebenintervenienten und dessen Partner erstgereiht wurden. Zweitgereihte waren die Kläger. Eine Gruppenpraxis-OEG muss erst zum Zeitpunkt der förmlichen Unterfertigung der Gruppenpraxis-Kassenvertragsurkunde im Firmenbuch eingetragen sein.

In der Folge konnten sich der Sohn des Nebenintervenienten und dessen Partner nicht über den Inhalt des zur Errichtung der Gruppenpraxis-OEG abzuschließenden Gesellschaftsvertrags einigen. Am 3. 7. 2001 teilte der Sohn des Nebenintervenienten seinem Partner mit, er brauche ihn in seiner Ordination „so dringend wie eine Pneumonie"; er benötige ihn für die geplante Gruppenpraxis nicht; der Partner hätte ohnehin nur als Strohmann fungieren sollen. Am 17. 7. 2001 informierte der Zweitkläger den (ehemaligen) Partner des Sohns des Nebenintervenienten, dass ihn der Nebenintervenient tags zuvor gefragt habe, ob er mit seinem Sohn die Gruppenpraxis führen wolle. Ende August/Anfang September 2001 waren sämtliche Versuche gescheitert, eine Gruppenpraxis zwischen dem Sohn des Nebenintervenienten und dessen (ehemaligen) Partner am Standort der Ordination des Nebenintervenienten zustande zu bringen. Mit Schreiben vom 9. 11. 2001 ersuchte die Erstbeklagte die Kläger, mit dem Nebenintervenienten „zwecks Übergabemodalitäten Verhandlungen aufzunehmen und sich ins Einvernehmen zu setzen". Bereits zuvor hatte der Nebenintervenient mit Schreiben vom 30. 10. 2001 seine Absicht erklärt, die Kündigung seines Kassenvertrags zu widerrufen. Am 14. 11. 2001 informierte ihn die Zweitbeklagte, dass seine mittlerweile erfolgte „Rückziehung der Vertragskündigung" rechtlich nicht möglich und das Kassenvertragsverhältnis mit 30. 6. 2001 rechtskräftig beendet sei. Die Zweitbeklagte schloss mit dem Nebenintervenient ein Verrechnungsabkommen, welches sukzessive bis 30. 6. 2002 verlängert wurde.

Mitte Dezember 2001 fand ein Treffen zwischen dem Erstkläger, dem Nebenintervenienten und dessen Sohn sowie anderen Beteiligten statt. Dabei erklärte der Nebenintervenient, sein Sohn müsse in irgendeiner Form in die Gruppenpraxis einbezogen werden. Es kam zu keiner Einigung über die Übergabemodalitäten, insbesondere nicht über den Preis der Ordination. Der Nebenintervenient setzte den Wert mit einer Bandbreite von 24,2 bis 26,8 Mio S fest, die Kläger gingen von einer Bandbreite von rund 9,7 bis 13,2 Mio S aus. Beide Seiten hatten diese Werte von Sachverständigen ermitteln lassen.

Anlässlich einer Sitzung bei der Erstbeklagten am 20. 12. 2001 beharrte der Nebenintervenient darauf, dass es bei der Gruppenpraxis der Kläger jedenfalls zu einer stillen Teilhaberschaft seines Sohns kommen müsse. Außerdem gab es weiterhin Differenzen über den Kaufpreis für die Ordination sowie die weiteren Modalitäten und den künftigen Ablauf der Verhandlungen. Erörtert wurde, dass der wahre Wert der Ordination von einem unabhängigen und von beiden Seiten akzeptierten Sachverständigen ermittelt werden sollte. Die Vertreter der Erstbeklagten griffen allerdings „in dieses Beziehungsgeflecht" nicht ein, sondern hofften, die Parteien würden sich einigen. Die Beklagten boten auch nicht an, selbst ein Schätzungsgutachten einzuholen oder die Ordination zu visitieren. Sie gingen davon aus, dass die Vertragskündigung des Nebenintervenienten wirksam sei. Dass dies nicht der Fall wäre, wurde auch von keinem der bei dieser Sitzung Anwesenden erörtert.

Am 21. 2. 2002 teilten die Kläger dem Nebenintervenienten mit, seine Ordination zu einem angemessenen Schätzpreis kaufen zu wollen. Dies lehnte der Nebenintervenient ab, was die Kläger der Zweitbeklagten mitteilten. Dabei ersuchten sie die Zweitbeklagte, ihnen die Möglichkeit der Niederlassung in unmittelbarer Nähe der bisherigen Kassenvertragsstelle des Nebenintervenienten zu gewähren; sie schlugen auch einen konkreten Standort vor. Diesem Ersuchen kamen die Beklagten nicht nach. Dass sie daran gehindert gewesen wären, einvernehmlich eine neue Kassenvertragsstelle zu schaffen, steht nicht fest. Grundsätzlich bestand damals zusätzlicher Bedarf an medizinischer Versorgung mit Radiologiepraxen in Wien 22. In weiterer Folge einigten sich die Kläger und der Nebenintervenient zwar, einen dritten Sachverständigen mit einem (objektiven) Gutachten über den Wert der Ordination zu betrauen. Zur Ausarbeitung des Gutachtens kam es allerdings nicht, weil sich der Nebenintervenient weigerte, dem Sachverständigen die Unterlagen vollständig zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen einer weiteren Sitzung bei der Erstbeklagten am 26. 6. 2002 erklärte der Nebenintervenient, seine Ordination nicht mehr den Klägern verkaufen zu wollen. Am 17. 7. 2002 verständigten die Kläger die Erstbeklagte vom endgültigen Scheitern der Verhandlungen.

Bereits am 23. 4. 2002 hatte sich der Nebenintervenient an die Landesberufungskommission für Wien gewendet, wovon die Kläger allerdings nichts wussten. Diese stellte am 7. 11. 2002 fest, dass der Kassenvertrag zwischen der Zweitbeklagten und dem Nebenintervenienten ununterbrochen aufrecht sei. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Vertragskündigung sei bedingungsfeindlich, der Nebenintervenient habe seine Kündigung an die Bedingung geknüpft, dass sein Sohn und dessen (damaliger) Partner die Gruppenpraxis betreiben sollten. Die Vertreter der Beklagten hielten diese Entscheidung zwar nicht für richtig, zu einer Anrufung des VfGH kam es aber nicht. Auch ein Widerruf der Ausschreibung erfolgte nie. Die Kläger begehren die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden und Nachteile, die ihnen durch die Verweigerung der Vertragserfüllung bzw Invertragnahme hinsichtlich der im Mai 2001 ausgeschriebenen Kassenvertragsstelle für Radiologie in Wien 22 entstehen, und zwar insbesondere für die Einkommensdifferenz zwischen ihrem Einkommen als angestellte Ärzte und jenem als Kassenvertragsärzte für Radiologie in Wien 22, *****, sowie die Zahlung von jeweils 20.000 EUR; diese Einkommensdifferenz sei im Jänner 2003 gegeben gewesen. Die von den Beklagten ausgeschriebene Kassenvertragsstelle in Wien 22 sei ihnen am 9. 11. 2001 zugesprochen worden. Die ihnen oktroyierte Verpflichtung, sich mit dem Nebenintervenienten über die Übergabemodalitäten ins Einvernehmen zu setzen, sei rechtswidrig gewesen; der konkrete Standort des Nebenintervenienten sei auch nicht Teil der Ausschreibung gewesen. Dennoch hätten sich die Beklagten ohne Begründung geweigert, den Klägern eine Kassenvertragsstelle an einem anderen Ort zuzuerkennen. Die Beklagten hätten außerdem sicher zu stellen gehabt, dass die ausgeschriebene Kassenvertragsstelle tatsächlich zur Verfügung steht, jedenfalls aber eine VfGH-Beschwerde gegen die Entscheidung der Landesberufungskommission erheben müssen. Die Beklagten hafteten für den Nichterfüllungsschaden aus dem „zugesprochenen Kassenvertrag", für das Erfüllungsinteresse nach vergaberechtlichen Grundsätzen auf Grund ihrer Weigerung, mit den Klägern bzw der Gruppenpraxis-OEG als Bestbietern einen Kassenvertrag abzuschließen, und auf Grund der Sorgfaltspflichtverletzung im Zusammenhang mit der Kündigung des Kassenvertrags durch den Nebenintervenienten bzw im Rahmen des Verfahrens vor der Landesberufungskommission. Hätten sie den Nebenintervenienten richtig belehrt, hätte er den Vertrag rechtswirksam gekündigt und die Landesberufungskommission hätte die Kündigung nicht für unwirksam erklären können.

Die Beklagten und der Nebenintervenient beantragen, das Klagebegehren abzuweisen. Es sei die konkrete Kassenvertragsstelle des Nebenintervenienten ausgeschrieben worden, deren Kündigung Voraussetzung für die Ausschreibung gewesen sei. Infolge der Entscheidung der Landesberufungskommission sei daher letztlich die Ausschreibung nichtig gewesen. Zur Erhebung einer VfGH-Beschwerde seien sie nicht verpflichtet gewesen. Die Kläger hätten auch lediglich eine Option auf Abschluss eines Kassenvertrags erlangt; das Schreiben vom 9. 11. 2001 sei kein Zuschlag. Der Nebenintervenient habe seinen Kassenvertrag lediglich zu Gunsten seines Sohns aufgeben wollen. Bei richtiger Belehrung hätte er nicht gekündigt, sodass ein allfälliges Fehlverhalten der Vertreter der Beklagten für den Schaden der Kläger nicht kausal gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Beklagten, die einen gesetzlich normierten Versorgungsauftrag zu erfüllen haben, wären verpflichtet gewesen, die Grundsätze des Vergaberechts zu beachten. Zu dessen fundamentalen Grundsätzen zähle unter anderem, dass ein Vergabeverfahren nur durchgeführt werden dürfe, wenn tatsächlich die Absicht bestehe und die Voraussetzungen geschaffen seien, die Leistung zu vergeben. Die Beklagten wären daher verpflichtet gewesen, das Ausschreibungsverfahren in den Abschluss eines Einzelvertrags mit dem Bestbieter münden zu lassen. Nach dem Ausscheiden der Erstgereihten seien dies die Kläger gewesen. Die Beklagten hätten auch zu verantworten, dass die Landesberufungskommission die Kündigung des Kassenvertrags durch den Nebenintervenienten für unwirksam erklärt habe. Vertreter der Erstbeklagten seien diesem nämlich bei der Verfassung des Kündigungsschreibens behilflich gewesen. Die Ratschläge und Informationen im Zusammenhang mit der Bedingungsfeindlichkeit von Kündigungen seien unrichtig gewesen; die Zweitbeklagte habe das Kündigungsschreiben ohne Weiteres der Ausschreibung zu Grunde gelegt. Die Beklagten hätten sich sorgfaltswidrig verhalten und ihre Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Klägern verletzt. Die Schutz- und Sorgfaltspflichten ergäben sich aus dem zwischen den Beklagten abgeschlossenen „Gesamtvertrag", der auch Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter entfalte. Weiters hätten die Beklagten durch die Ausschreibung den Rechtsschein erweckt, dass der bestgereihte Bewerber die ausgeschriebene Kassenvertragsstelle auch tatsächlich erhalten werde. Die Beklagten hätten für die Kläger eine neue Kassenvertragsstelle schaffen müssen. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, hätten sie nicht dargetan; die Ausschreibung sei auch nie widerrufen worden. Die Kläger hätten bei Zuerkennung der Kassenvertragsstelle nach Abzug aller Kosten jährlich jeweils rund 340.000 EUR vor Steuern verdient. Unter Berücksichtigung ihres derzeitigen Einkommens als angestellte Ärzte belaufe sich daher ihr monatlicher Verdienstentgang auf jeweils 20.583,33 EUR.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Ausgeschrieben worden sei eine Vertrags-Gruppenpraxis mit zwei Ärzten an einem konkreten Praxisstandort anstelle des bislang dort (allein) tätigen Vertragsarztes. Auf Grund der Entscheidung der Landesberufungskommission sei von einem aufrechten Kassenvertrag mit dem bisherigen Vertragsarzt, dem Nebenintervenienten, auszugehen. Daraus könnten die Kläger allenfalls einen Vertrauensschaden ableiten, nicht aber ein Erfüllungsinteresse. Die Kläger hätten auch keinen Anspruch auf Abschluss eines vom ursprünglich vorgesehenen Standort unabhängigen Vertrags, weil sie nicht dargetan hätten, dass sie auch diesbezüglich Bestbieter geworden wären. Aus der dem Nebenintervenienten zugekommenen Beratung könnten die Kläger keine Ansprüche ableiten; es sei nicht erkennbar, welche Schutz- und Sorgfaltspflichten zu ihren Gunsten auf Grund des Kontakts zwischen den Beklagten und dem Nebenintervenienten entstanden wären bzw dass der Zweck dieser Gesprächsführung auch die Wahrung der Interessen potenzieller Interessenten an einer frei werdenden Planstelle umfassen könnte.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt nicht vorliegt; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Die Kläger werfen den Beklagten „Verweigerung der Vertragserfüllung bzw Invertragnahme" hinsichtlich der im Mai 2001 ausgeschrieben gewesenen Kassenvertragsstelle für Radiologie in Wien 22 vor. Sie begehren das Erfüllungsinteresse und legen ihren rechtlichen Ausführungen die Annahme zugrunde, eine Standortverknüpfung der Ausschreibung mit der Praxis des Nebenintervenienten sei nie erfolgt. Im Übrigen sei es den Beklagten auch unbenommen, eine weitere Kassenvertragsstelle für die Kläger zu schaffen.

Voraussetzung für die Ausschreibung einer Kassenvertragsstelle der Zweitbeklagten sind entweder die Kündigung einer solchen durch den bisherigen Inhaber oder eine Erledigung auf andere Weise, etwa durch den Tod des bisherigen Vertragsinhabers. Seit Frühjahr 2001 schreibt die Erstbeklagte Kassenverträge nur mehr nach schriftlicher Kündigung aus vor, weil es davor zu Missständen gekommen war. Der Gesamtvertrag zwischen der Erstbeklagten und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger nennt die Kassenvertragsstellen nur numerisch; eine Liste nach der genauen Örtlichkeit dieser Stellen in Wien gibt es nicht. Auch die Ausschreibung einer Kassenvertragsstelle erfolgt nur mit Angabe des Bezirks, in dem sie liegt. Die Rückgabe des Kassenvertrags durch den Nebenintervenienten war Voraussetzung für die Ausschreibung der Kassenvertragsstelle (als Gruppenpraxis) im Mai 2001.

Gegenstand der Ausschreibung war der Kassenvertrag des Nebenintervenienten, auch wenn diese lediglich eine Kassenvertragsstelle für Radiologie in Wien 22 erwähnt. Davon gingen auch die Kläger aus (vgl ihr eigenes Vorbringen in dem von ihnen gegen den Nebenintervenienten betriebenen Verfahren GZ 56 Cg 15/03t [Seite 2, Punkt 2. und 3. der Klage]). Dass die Zweitbeklagte beabsichtigt hätte, die Kassenvertragsstelle zusätzlich zu jener des Nebenintervenienten auszuschreiben, behaupten die Kläger gar nicht. Ebenso wenig stützen sie ihr Begehren darauf, dass sie dies angenommen hätten. Dies ließe sich auch dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Auf die Frage der Standortgebundenheit der Kassenvertragsstelle kommt es in diesem Zusammenhang daher nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass Voraussetzung für die Ausschreibung der Kassenvertragsstelle (als Gruppenpraxis) die Rückgabe (= Kündigung) des Kassenvertrags durch den Nebenintervenienten war.

Die Beklagten könnten einvernehmlich eine weitere Kassenvertragsstelle schaffen. Einen gesetzlich oder vertraglich verankerten Anspruch darauf haben die Kläger aber nicht dargetan. Ein solcher besteht auch nicht. Dass das Erstgericht das Bestehen eines zusätzlichen Bedarfs an medizinischer Versorgung mit Radiologiepraxen in Wien 22 festgestellt hat, ändert daran nichts.

Den weiteren rechtlichen Überlegungen ist daher zu Grunde zu legen, dass sich die Ausschreibung vom Mai 2001 auf die Kassenvertragsstelle des Nebenintervenienten bezogen hat und Voraussetzung für den Abschluss des Gruppenpraxis-Kassenvertrags die Kündigung dieses Einzelkassenvertrags gewesen ist.

2. Die Kläger machen geltend, die Zweitbeklagte habe die Ausschreibung nie widerrufen; das Berufungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass den Klägern ohnehin bereits der Zuschlag erteilt worden und das Kassenvertragsverhältnis dadurch zustande gekommen sei. Damit treffe die Beklagten jedenfalls die Haftung für das Erfüllungsinteresse.

Nach § 338 Abs 1 ASVG bedürfen die Verträge zwischen den Trägern der Sozialversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten zu ihrer Rechtsgültigkeit der schriftlichen Form. Die Mitteilung der Erstbeklagten, dass im Einvernehmen mit der Zweitbeklagten den Klägern die Gruppenpraxis-Kassenplanstelle „Medizinische Radiologiediagnostik, 1220 Wien, *****" - dabei handelt es sich um den Praxissitz des Nebenintervenienten - zugesprochen worden sei, vermag einen solchen Vertrag nicht zu ersetzen.

Selbst wenn man aber von einem Vertragsschluss ausginge, stünde den Ansprüchen der Kläger auf Ersatz des Erfüllungsinteresses der Wegfall der Geschäftsgrundlage entgegen:

Die Landesberufungskommission hat mit Bescheid vom 7. 11. 2002 festgestellt, dass der Einzelvertrag zwischen dem Nebenintervenienten und der Zweitbeklagten über den 30. 6. 2001 hinaus ungekündigt fortbesteht. An diesen rechtskräftigen Bescheid sind die Gerichte gebunden (RIS-Justiz RS0021153, RS0036981). Damit steht fest, dass die Zweitbeklagte die Kassenvertragsstelle zu Unrecht ausgeschrieben hat.

Hinweise darauf, dass zum Zeitpunkt des Schreibens vom 9. 11. 2001 nicht sowohl die Kläger als auch die Beklagten von der Rechtswirksamkeit der Kündigung des Nebenintervenienten ausgegangen wären und den Vertrag über die Gruppenpraxis nicht zumindest schlüssig davon abhängig gemacht hätten (vgl Bollenberger in KBB [2005] § 901 ABGB Rz 9 mwN), finden sich weder in den Feststellungen noch im Parteienvorbringen. Die nachfolgende Entscheidung der Landesberufungskommission hätte dann aber einem Kassenvertrag über die Kassenvertragsstelle des Nebenintervenienten - wäre ein solcher Vertrag zustande gekommen - die Grundlage entzogen. In diesem Fall wären daher allenfalls Ansprüche der Kläger auf Ersatz des Vertrauensschadens nach Vertragsaufhebung denkbar, nicht jedoch Ansprüche auf das Erfüllungsinteresse.

Damit geht auch die Argumentation der Kläger ins Leere, die Beklagten hätten ein Schutzgesetz verletzt und gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben verstoßen, weil sie von den Klägerin eine „vorvertragliche Einigung" mit dem Nebenintervenienten gefordert hätten, ohne dass dies Bestandteil der Ausschreibung gewesen war.

Selbst wenn nämlich die Beklagten eine Einigung der Kläger mit dem Nebenintervenienten nicht verlangen durften (vgl 7 Ob 299/00x = ZAS 2002/8 [Schrammel]) und unter diesem Gesichtspunkt ein Kassenvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen wäre, hätte sich dieser wiederum auf die Kassenvertragsstelle des Nebenintervenienten bezogen. Diesem Vertrag wäre aber in weiterer Folge die Geschäftsgrundlage entzogen worden.

3. Die Kläger stützen ihre Ansprüche weiters auf Verstöße der Beklagten gegen fundamentale Grundsätze des Vergaberechts. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit Ausschreibungen der öffentlichen Hand ausnahmsweise auch der Ersatz des Erfüllungsinteresses möglich ist, wenn ohne die Pflichtverletzung

der Vertrag zustande gekommen wäre (1 Ob 539/88 = SZ 61/90; 4 Ob

535/89 = RdW 1990, 43; 7 Ob 568/94 = SZ 67/182), dem Schadenersatz

begehrenden Kläger also der Zuschlag hätte erteilt werden müssen (6 Ob 177/03b = RdW 2004/704; 8 Ob 39/05a). Dies hat der Kläger zu beweisen, dem eine solche Beweisführung im Hinblick auf seine Fachkunde auch zumutbar ist; eine Beweislastverschiebung ist nicht gerechtfertigt (1 Ob 110/02m = wbl 2003/256; 6 Ob 177/03b). Wie schon dargelegt, hat die Zweitbeklagte im Mai 2001 die Kassenvertragsstelle nach ihren eigenen Vorgaben zu Unrecht ausgeschrieben, weil der Einzelvertrag zwischen dem Nebenintervenienten und der Zweitbeklagten über den 30. 6. 2001 hinaus ungekündigt fortbestand. Hätte die Ausschreibung aber gar nicht stattfinden dürfen, ist auch der Beweis unmöglich, dass die Kläger Bestbieter gewesen wären. Im Sinne der Entscheidung 6 Ob 177/03b hätte daher (auch) den Klägern der Zuschlag nicht erteilt werden dürfen, war die Ausschreibung doch „bereits in der Wurzel mangelhaft", worauf ja die Kläger in ihrer außerordentlichen Revision selbst abstellen.

Der Oberste Gerichtshof hat im Übrigen auch wiederholt ausgesprochen, dass die Frage, ob ein zwingender Grund für den Widerruf der Ausschreibung nach Ablauf der Angebotsfrist vorliegt, nach objektiven Kriterien zu lösen ist. Der Auftraggeber muss eine Ausschreibung auch dann widerrufen können, wenn nach deren Beginn schwerwiegende, schon vor Beginn von ihm fahrlässig verursachte Fehler hervorkommen, deren mangelnde Korrektur dem Grundsatz der sparsamsten Verwendung öffentlicher Mittel zuwiderlaufen könnte (stRsp s 4 Ob 86/05s mwN). Eine solche Situation lag hier aus Sicht der Beklagten vor. Während des Vergabeverfahrens stellte sich auf Grund der Entscheidung der Landesberufungskommission heraus, dass die ausgeschriebene Kassenvertragsstelle gar nicht frei geworden war. Dies hätte sie zum Widerruf der Ausschreibung berechtigt. Allein der Umstand, dass dieser Widerruf nicht ausdrücklich erfolgte, vermag jedenfalls ein Erfüllungsinteresse der Kläger nicht zu begründen.

Soweit daher die Kläger die - vom Berufungsgericht zugrunde gelegte - Beweislastverteilung als „unerträglichen Wertungswiderspruch" bekämpfen und die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises für sich in Anspruch nehmen, kommt es darauf gar nicht an. Dies gilt auch für die behauptete Überraschung der Kläger durch die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts.

4. Die Kläger wollen ihre Ansprüche auch daraus ableiten, dass der Nebenintervenient sein „verunglücktes Kündigungsschreiben" mit Hilfe eines Mitarbeiters der Erstbeklagten verfasst habe. Die Kläger sehen darin eine maßgebliche Pflichtverletzung im Sinne der unter 3. dargestellten Rechtsprechung: Hätte das Kündigungsschreiben keine Bedingung enthalten, wäre die Ausschreibung jedenfalls rechtens erfolgt und die Entscheidung der Landesberufungskommission undenkbar gewesen.

Die Berufung auf diese Anspruchsgrundlage muss allein schon daran scheitern, dass - was auch die Kläger nicht bestreiten - Zweck der Gesprächsführung des Mitarbeiters der Erstbeklagten mit dem Nebenintervenienten nicht (auch) die Wahrung der Interessen potenzieller Bewerber (für die freiwerdende Kassenvertragsstelle) war. Gerade dies wäre aber Voraussetzung für eine Einbeziehung der Kläger in den Schutzbereich des Verhältnisses zwischen Nebenintervenient und Erstbeklagter gewesen (vgl RIS-Justiz RS0114126). Die Vorinstanzen haben im Übrigen nicht festgestellt, dass der Nebenintervenient bereit gewesen wäre, seinen Kassenvertrag auch ohne Aufnahme der Bedingung zu Gunsten seines Sohnes zu kündigen. Der Nebenintervenient hat dies ausdrücklich bestritten.

5. Nach Auffassung der Kläger hat das Berufungsgericht verkannt, dass die von den Beklagten geschlossene Vereinbarung Beilage ./1 als Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter anzusehen sei, der auch die Kläger erfasse. Sie werfen den Beklagten vor, entgegen ihren vertraglichen Verpflichtungen kein Schätzgutachten über den Wert der Ordination des Nebenintervenienten eingeholt und diese auch nicht visitiert zu haben; die Beklagten hätten auch nicht die Möglichkeit wahrgenommen, den Klägern die Niederlassung an einer in unmittelbarer Nähe der Ordination des Nebenintervenienten an deren Stelle neu errichteten Planstelle zu gestatten.

Der Oberste Gerichtshof hat die Vereinbarung der Beklagten als Zusatzvereinbarung zum zwischen der Erstbeklagten und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger abgeschlossenen „Gesamtvertrag" gewertet, der im Zusammenhang mit einer Ordinationsübernahme Schutzwirkungen auch für die Vertragsärzte entfaltet (7 Ob 165/03w = RdM 2003/102). Ob sich die Schutzwirkungen lediglich auf den bisherigen Vertragsarzt oder auch auf den „prospektiven Übernehmer einer Ordination" erstrecken, wie die Kläger meinen, kann dahingestellt bleiben. Auch in diesem Zusammenhang ist maßgeblich, dass dem gesamten Ausschreibungs- und Vergabeverfahren durch die Entscheidung der Landesberufungskommission die Grundlage entzogen worden ist.

Damit war der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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