JudikaturJustiz4Ob180/23h

4Ob180/23h – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka und die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten, als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der betroffenen Person S*, geboren * 1991, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. Arno Klecan, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. August 2023, GZ 45 R 279/23x 190, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Bei der 32jährigen Betroffenen wurden eine Anpassungsstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Ihre Kritik- und Urteilsfähigkeit ist herabgesetzt; sie kann leicht manipuliert werden und sich keinen Überblick über komplexe Angelegenheiten verschaffen.

[2] Sie wohnt in einer Gemeindewohnung in Wien, bezieht Mindestsicherung und verfügt als Vermögen nur über knapp 700 EUR. Diesem steht eine Verbindlichkeit gegen den Energieversorger in mehr als doppelter Höhe gegenüber. Gegen sie waren 87 Gerichtsverfahren, hauptsächlich Exekutions- und Strafverfahren (Suchtmittel), anhängig.

[3] Sie hat seit 2017 (häufig wechselnde) Sachwalter für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten, Sozialversicherungspartnern und privaten Vertragspartnern sowie für die Einkommens- und Vermögensverwaltung.

[4] 2019 starb ihr Vater, Alleinerbin ist seine Lebensgefährtin, die Mutter der Betroffenen. Die Mutter bot der Betroffenen als Pflichtteil 6/10 Anteile an einer Liegenschaft in Traiskirchen sowie ein Wohngebrauchsrecht bei gleichberechtigter Mitbenützung der Mutter an. Dieser Vorschlag wurde pflegschaftsgerichtlich nicht genehmigt, weil die Mutter-Tochter-Beziehung sehr wechselhaft ist und eine Abhängigkeit der Betroffenen von ihrer Mutter vermieden werden soll.

[5] Die Betroffene lehnt das von ihrer Erwachsenenvertreterin angestrengte Verfahren zur Höhe des Pflichtteils (289.000 EUR oder 550.000 EUR) ab und hat bereits mehrfach angeboten, auf ihren Pflichtteil ganz zu verzichten. Sie hat zweimal sogar schon entsprechende Verträge bei einem Notar unterfertigt.

[6] Die Betroffene beantragte die Aufhebung der Erwachsenenvertretung wegen Wegfall der Voraussetzungen.

[7] Die Vorinstanzen schränkten die Erwachsenenvertretung auf die Vermögensverwaltung und die Vertretung in Zusammenhang mit der Verlassenschaft nach dem Vater ein. Zwar habe sich die gesundheitliche Situation stabilisiert, doch sei die Betroffene weiterhin leicht manipulierbar und nur beschränkt planungsfähig. Der Erhalt eines Pflichtteils von rund 290.000 EUR würde zum Verlust der Sozialhilfe führen, ohne dass er das Auskommen der erst 32jährigen Betroffenen für den Rest ihres Lebens sichern könne.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher nicht zulässig .

[9] 1. Gemäß § 271 ABGB ist (nur) insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als die betroffene Person bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann; sie dafür keinen Vertreter hat; einen solchen nicht wählen kann oder will; und auch eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt.

[10] Die Gefahr eines Nachteils für die betroffene Person liegt vor, wenn ohne Vertretung ein Schaden an Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre oder Vermögen der Person droht, sei es durch die – nicht sachgerechte und deshalb schadensträchtige – Gestion der Person, sei es wegen deren Unfähigkeit, irgendwelche Angelegenheiten zu besorgen ( Weitzenbock in Schwimann/Kodek , ABGB 5 [2018] § 271 ABGB Rz 3). Ein Nachteil kann insbesondere auch darin liegen, dass die betroffene Person sich die finanziellen Ressourcen nimmt, um auch langfristig im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten ihre Lebensverhältnisse nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten zu können (vgl 1 Ob 237/14f ).

[11] 2. Ob und in welchem Umfang eine gerichtliche Erwachsenenvertretung wegen Wegfalls der Voraussetzungen einzustellen ist, ist immer eine Frage des Einzelfalls, aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (RS0106166 [insbes T11 und T12]; RS0106744). Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist daher nur zur Korrektur grober Fehlbeurteilungen angezeigt.

[12] Einen solchen Fall zeigt das Rechtsmittel der Betroffenen nicht auf:

[13] 2.1. Der Revisionsrekurs verweist auf eine Kommentarstelle, nach der es nicht auf das objektive Wohl des Betroffenen ankomme, sondern darauf, ob der geäußerte Wunsch sein Wohl gefährde ( Schneider/Verweijen , [richtig:] Vor AußStrG § 116a Rz 11). Diese bezieht sich aber nicht auf die Frage, ob ein Erwachsenenvertreter zu bestellen ist, sondern darauf, welche Wünsche des Betroffenen vom Erwachsenenvertreter zu berücksichtigen sind.

[14] 2.2. Dass die Vermögensverwaltung durch einen Erwachsenenvertreter unzulässig sei, weil sie einer „Enteignung“ der Betroffenen gleichkomme, überzeugt nicht. Das Gesetz spricht die Vermögensverwaltung (nicht wie der Revisionsrekurs fordert: „Vermögensanlage“) vielmehr ausdrücklich als möglichen Tätigkeitsbereich eines Erwachsenenvertreters an (§ 247 ABGB).

[15] 2.3. Die Behauptung der Betroffenen, dass sie trotz Erbschaft von fast 300.000 EUR weiter Sozialhilfe beziehen könne [gemeint offenbar: und den Pflichtteil daher gar nicht angreifen müsse], ist nicht mit § 7 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in Einklang zu bringen.

[16] Die Ankündigung, dass die Betroffene eine fixe Vollzeitstelle in Aussicht habe (laut Rekurs: bei einem Würstelstand, laut Revisionsrekurs nun als Reinigungskraft in einem anderen Unternehmen) dokumentiert entgegen ihrer Ansicht gerade, dass sie ihren Lebensunterhalt (zumindest derzeit) nicht aus eigenem Einkommen bestreiten kann.

[17] Ganz abgesehen davon wird damit die Gefahr nicht gebannt, dass die vermögenslose Betroffene unbedacht auf ihren nicht unbeträchtlichen Pflichtteil verzichtet.

[18] 2.4. Auch aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen für Psychologie lassen sich entgegen der Ansicht der Betroffenen keine Rückschlüsse auf ihre finanzielle Lage ziehen. Seine Ausführungen zu ihrer „materiellen Existenz“ liegen außerhalb seines Fachgebiets und basieren diese außerdem ausdrücklich nur auf den Angaben der Betroffenen, die in wichtigen Punkten von den späteren Feststellungen des Erstgerichts aufgrund weiterer Verfahrensergebnisse abweichen.

[19] 2.5. Die behaupteten Verfahrensmängel erster und zweiter Instanz wurden geprüft und liegen nicht vor.

Rechtssätze
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