JudikaturJustiz4Ob17/24i

4Ob17/24i – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.997,50 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 30. Oktober 2023, GZ 53 R 122/23g 31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 24. Mai 2023, GZ 13 C 160/21v-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 745,65 EUR (darin 119,05 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 30. 6. 2015 bei einer Fahrzeughändlerin um 23.325 EUR einen von der Beklagten hergestellten Personenkraftwagen der Marke Volkswagen, Type Tiguan Hiline TDI SCR, der am 21. 9. 2015 erstmalig im Straßenverkehr zugelassen wurde. In diesem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Beklagten des Typs EA288 verbaut. Bei Auslieferung des Klagsfahrzeugs war eine Fahrkurvenerkennung implementiert, sodass ein bevorstehender Prüfstandstest in der Vorkonditionierungsphase vom Fahrzeug erkannt wurde. Es kann nicht festgestellt werden, ob diese Fahrkurvenerkennung im Klagsfahrzeug noch installiert ist. Auch lässt sich nicht feststellen, ob die Fahrkurvenerkennung eine Auswirkung auf die Emissionsstrategie oder die vorgegebenen Abgas-Grenzwerte hat. Es steht nicht fest, ob beim Klagsfahrzeug eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung programmiert ist.

[2] Der Kläger begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch Erwerb eines abgasmanipulierten Fahrzeugs. Er warf der Beklagten ua vor, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung („Thermofenster“) verbaut worden sei, sodass die Abgasreinigung nur in einem Temperaturbereich von +15° Celsius bis +33° Celsius uneingeschränkt funktioniere. Der objektive Minderwert betrage wegen der Manipulation 30 % des Kaufpreises. Der Kläger hätte den Fahrzeugkauf in Kenntnis des nicht typengenehmigungsfähigen Zustands nicht zu denselben Bedingungen (wenn überhaupt) abgeschlossen, sondern maximal den geminderten Kaufpreis gezahlt.

[3] Dem hielt die Beklagte ua entgegen, dass es sich um einen Motor des Typs EA288 handle, der (als Nachfolger des Typs EA189) nicht vom „Dieselgate-Skandal“ betroffen sei. Der Motor EA288 enthalte keine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG . Es drohe daher auch kein Entzug der Typengenehmigung. Eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer unzulässigen Fahrkurvenerkennung sei im Klagsfahrzeug nicht verbaut. Das Abgasverhalten des Fahrzeugs (unter Labor- oder Alltagsbedingungen) oder die Software habe die Kaufentscheidung des Klägers nicht beeinflusst. Es liege auch kein Minderwert des Fahrzeugs vor.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab, weil der Kläger nicht habe beweisen können, dass eine unzulässige temperaturabhängige Abschalteinrichtung verbaut worden sei.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Den klagenden Käufer treffe die Beweislast dafür, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG vorliege. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige. Es ließ die ordentliche Revision mangels gesicherter Judikatur zur Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu.

[6] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Es ist unstrittig, dass auf den gegenständlichen Motor die VO 715/2007/EG anwendbar ist. Nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition in Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[8] 2. Die für die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm erforderlichen Tatsachen müssen in einem Verfahren, in dem kein Untersuchungsgrundsatz gilt, durch Parteienbehauptungen in den Prozess eingeführt werden. Dabei trifft jede Partei die Behauptungs- und Beweislast für die Tatsachen, die Voraussetzungen der für sie günstigen Rechtsnorm sind. Es trägt daher derjenige, der einen Anspruch behauptet, für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungslast und Beweislast. Umgekehrt hat derjenige, der den Anspruch bestreitet, die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638).

[9] 3. Stützt der klagende Käufer eines Kraftfahrzeugs einen Schadenersatzanspruch auf das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG hat er den Eintritt eines Schadens infolge des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung zu behaupten und beweisen. Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme vom Verbot einer Abschalteinrichtung stützt, liegt es in weiterer Folge an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen ( RS0106638 [T20]; 6 Ob 155/22w; 1 Ob 149/22a ; 8 Ob 90/22a ; 9 Ob 53/23v ; 4 Ob 171/23k uva).

[10] 4.1 Der Kläger hat den Eintritt eines Schadens infolge des Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung behauptet. Dass überhaupt eine Abschalteinrichtung in Form eines auf die Abgasrückführung einwirkenden Thermofensters vorhanden ist, wurde aber weder außer Streit gestellt noch festgestellt. Das Erstgericht, das den Kläger auf die ihn treffende Beweislast und die Möglichkeit von weiteren Untersuchungen durch den Sachverständigen hinwies, die vom Kläger jedoch dezidiert abgelehnt wurden, hat zum Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung der Abgasrückführungsrate eine Negativfeststellung getroffen, die nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung zu Lasten des Klägers geht. Auch konnte nicht festgestellt werden, ob die Fahrkurvenerkennung eine Auswirkung auf die Emissionsstrategie hat.

[11] 4.2 Wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis (= Vorhandensein einer Abschalteinrichtung) nicht gelungen, hält sich dies im Rahmen der Rechtsprechung. Der Kläger zeigt dazu keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[12] 5. Auch die Behauptung eines sekundären Verfahrensmangels kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Sekundäre Feststellungsmängel liegen nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die Beurteilung wesentlich sind, und diese nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren ( RS0053317 ). Wurden zu einem bestimmten Thema aber Tatsachenfeststellungen getroffen (inkl Negativfeststellungen), können insoweit auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden, auch wenn der vom Gericht ermittelte Sachverhalt von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweicht ( RS0053317 [T1]). Ein sekundärer Feststellungsmangel zum Vorhandensein eines Thermofensters liegt somit nicht vor, weil das Erstgericht dazu ausdrücklich eine Negativfeststellung traf.

[13] 6. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.

[14] 7.  Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.