JudikaturJustiz4Ob129/21f

4Ob129/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Kodek, MMag. Matzka und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch die Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch die ANWALTGMBH Rinner Teuchtmann in Linz, wegen 26.000 EUR sA und Urteilsveröffentlichung, über die ordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 15.552 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. April 2021, GZ 3 R 33/21z 18, womit das Urteil des Landesgerichts Wels als Handelsgericht vom 8. Jänner 2021, GZ 3 Cg 42/20s 15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen sprachen übereinstimmend der Klägerin, einer führenden Pay-TV-Anbieterin, Entgelt nach §§ 86, 87 Abs 3 UrhG zu, weil die Beklagte in ihrem Wettlokal Sportprogramme der Klägerin unlizensiert gezeigt hatte. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil im Hinblick auf im Schrifttum geäußerte Bedenken gegen die Rechtsprechung zur Bemessung des angemessenen Entgelts im Lichte der Richtlinie 2004/48/EG eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof angezeigt sei.

Rechtliche Beurteilung

[2] Weder das Berufungsgericht noch die Beklagte in ihrer Revision zeigen jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO auf, sodass die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig ist. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[3] 1.1.1. Immaterialgüterrechtliche Ansprüche auf das angemessene Entgelt (§ 86 UrhG) bzw – bei schuldhaften Eingriffen (vgl RS0077383) – auf das Duplum (§ 87 Abs 3 UrhG) haben nach ständiger Rechtsprechung eine bereicherungsrechtliche Grundlage (RS0108478; RS0021397). Die Höhe der Vergütung richtet sich nach dem Wert der Nutzung des Werks, also nach dem angemessenen Entgelt für eine Werknutzungsbewilligung aus der Sicht redlicher Parteien (RS0120089; RS0108478; 4 Ob 187/20h mwN). Bei der Bemessung des angemessenen Entgelts ist nach der Entgelthöhe bei im Voraus eingeholter Werknutzungsbewilligung auszugehen (4 Ob 118/15d). Gegebenenfalls ist das angemessene Entgelt nach § 273 ZPO zu schätzen ( 4 Ob 133/13g mwN).

[4] 1.1.2. Die Feststellung des üblichen Entgelts ist eine irrevisible Tatfrage (4 Ob 249/01y); ob ein Entgelt nach den im konkreten Fall gegebenen Umständen angemessen ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (4 Ob 133/13g), der keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0110750).

[5] Die Entscheidung des Gerichts darüber, ob es den § 273 ZPO anwenden darf, ist eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung; wurde zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 273 ZPO bejaht oder verneint, muss dies mit Mängelrüge bekämpft werden (RS0040282). D ie Festsetzung des angemessenen Entgelts gemäß § 273 ZPO selbst ist zwar als grundsätzlich revisible rechtliche Beurteilung zu qualifizieren ( RS0111576 , wozu auch die Frage zählt, welche maßgeblichen Faktoren zur Bemessung heranzuziehen sind, weil davon ihr Ergebnis abhängt: vgl 17 Ob 5/20i mwN). Die Anwendung des § 273 ZPO hängt allerdings ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und hat daher regelmäßig keine über diesen hinausgehende Bedeutung ( RS0121220 [T1]).

[6] 1.2.1. Allgemeines Ziel der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist nach ihrem zehnten Erwägungsgrund, ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten (vgl EuGH 17. 6. 2021, C 597/19, Mircom , Rn 75 mwN), wobei die RL 2004/48/EG einen Mindeststandard für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums im Allgemeinen fest schreibt, die Mitgliedstaaten aber nicht daran hindert, stärker schützende Maßnahmen vorzusehen ( EuGH 9. 6. 2016, C 481/14, Hansson , Rn 3 6, 40 ; 25. 1. 2017, C 367/15, Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“ , Rn 23).

[7] 1.2.2. Nach Art 13 RL 2004/48/EG kann gegenüber einzelnen Verletzern angeordnet werden, dass sie dem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums zum Ausgleich des von diesem wegen der Verletzung seiner Rechte erlittenen tatsächlichen Schadens angemessenen Schadenersatz zu leisten haben, sofern sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie eine Verletzungshandlung vornahmen. Bei der Festsetzung des Schadenersatzes sind entweder alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber zu berücksichtigen; stattdessen kann in geeigneten Fällen der Schadenersatz als Pauschalbetrag festgesetzt werden, und zwar auf der Grundlage von Faktoren wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte. Art 13 RL 2004/48/EG steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach der Verletzte entweder die Wiedergutmachung des erlittenen Schadens – bei der sämtliche für den Anlassfall maßgebenden Aspekte zu berücksichtigen sind – oder, ohne den tatsächlichen Schaden nachweisen zu müssen, die Zahlung einer Geldsumme verlangen kann, die dem Doppelten der angemessenen Vergütung entspricht, die für die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Werks zu entrichten gewesen wäre (EuGH C 367/15, Stowarzyszenie „Oławska Telewizja Kablowa“).

[8] 1.2.3. Nach Art 3 der Richtlinie müssen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einerseits fair und gerecht, nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen; andererseits müssen sie darüber hinaus wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist.

[9] Die etwaige Feststellung eines solchen Missbrauchs fällt vollständig unter die Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und damit in die Zuständigkeit einzelstaatlicher Gerichte (vgl EuGH 17. 6. 2021, C 597/19, Mircom , Rn 94 f).

[10] 2.1. Nach den Feststellungen hat die Gebietsleiterin der Klägerin dem Verhandlungsgehilfen der Beklagten nicht mitgeteilt, diese dürfe die Sendungen der Klägerin ausstrahlen. Die Vorinstanzen haben dies dahin beurteilt, dass der Beklagten Wissen und Handeln ihres Verhandlungsgehilfen nach § 88 Abs 2 UrhG zurechenbar sind, ihr daher ein schuldhafter Eingriff in urheberrechtlich geschützte Rechte der Klägerin vorzuwerfen ist und der Klägerin deshalb ein Anspruch in Anwendung des § 87 Abs 3 UrhG wegen schuldhaft zugefügten Vermögensschadens zusteht, auch wenn der tatsächliche Eingriff nur rund zwei Wochen andauerte, weil nach den Feststellungen die Erteilung der Erlaubnis zur Nutzung für mindestens ein Jahr erfolgt wäre.

[11] 2.2. Diese tragende Begründung des Berufungsgerichts steht mit der klaren nationalen und Unionsrechtslage sowie der dargelegten Rechtsprechung im Einklang. Die Revision setzt sich damit auch nicht auf Grundlage der Feststellungen auseinander, sondern beharrt darauf, ihr Geschäftsführer selbst sei irrtümlich guten Glaubens gewesen, Sendungen der Klägerin ausstrahlen zu dürfen. Wer aber einen fremden urheberrechtlich geschützten Gegenstand nutzen will, muss sich über den Bestand des Schutzes wie auch über den Umfang seiner Nutzungsberechtigung Gewissheit verschaffen; ein Verschulden kann sich unter anderem aus der Unterlassung der Einholung der notwendigen Informationen ergeben, woran grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl 4 Ob 86/20f = RS0133246 ).

[12] Eine diesbezügliche Fehlbeurteilung und damit eine erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revision nicht auf, zumal die Frage, ob den Verletzer ein Verschulden an der Verletzung trifft, eine Frage des Einzelfalls ist ( 4 Ob 86/20f ; RS0044466 [T4] ; RS0108747 ).

[13] 2.3. Die vom Berufungsgericht als klärungsbedürftig erachtete Frage stellt sich nicht. Der von Zemann ( ecolex 2016/27, 63 f [ Glosse zu 4 Ob 118/15d]) befürwortete zurückhaltende Einsatz pauschalierten Schadenersatzes bezog sich auf den – hier nicht vorliegenden – Fall fehlenden Verschuldens.

[14] 2.4. Rechtliche Feststellungsmängel zur Behauptung der Beklagten, es seien nie mehr als fünf bis acht Personen im Lokal gewesen, woraus sich das Fehlen von Öffentlichkeit ergebe, zeigt die Revision nicht auf. Die „Öffentlichkeit“ einer Aufführung wäre auch in einem solchen Fall gegeben, weil die Übertragung durch Rundfunk gesendeter Werke über einen Fernsehbildschirm und Lautsprecher für die Besucher eines Gastlokals jedenfalls eine öffentliche Wiedergabe iSd Art 3 Abs 1 der R ichtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist ( 4 Ob 184/13g mwN). Öffentlichkeit ist immer schon dann anzunehmen, wenn sie nicht von vornherein auf einen in sich geschlossenen und nach außen hin begrenzten Kreis abgestimmt ist, demgemäß überall dort, wo eine Aufführung im Rahmen des gewerblichen Betriebs mit fluktuierendem Publikum, zB in Gaststätten, Kaffeehäusern usw, stattfindet; das Lokal muss also seinem Wesen nach allgemein zugänglich sein und von (Lauf-) Kunden auch tatsächlich aufgesucht werden ( RS0077242 [insb T1]; RS0077202 ; RS0118371 ). Diese Rechtsprechung des Senats steht im Einklang mit jener des Gerichtshofs der Europäischen Union ( 4 Ob 89/20x [3.3.] mwN; vgl EuGH 7. 12. 2006, C 306/05 , SGAE , Rn 41 ff; 31.5.2016, C 117/15 , Reha Training , Rn 40 ff; 15. 3. 2012, C 135/10 , SCF , Rn 85 ff, und C 162/10 , Phonographic Performance , Rn 34 ff).

[15] 2.5. Da somit weder hier noch sonst offene Fragen der Auslegung von Unionsrecht zu beantworten sind, war die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht geboten; ein diesbezügliches Antragsrecht einer Prozesspartei besteht nicht ( RS0058452 ).

[16] 3.1. Soweit sich die Revision darauf bezieht, die Klägerin habe einen Vertragsabschluss mit der Beklagten abgelehnt bzw davon abhängig gemacht, dass diese ausstehende Lizenzgebühren der vor ihr im Geschäftslokal angesiedelten Gaststättenbetreiberin begleiche, ist auf die ständige Rechtsprechung des Senats zu verweisen, wonach fehlende Lizenzbereitschaft für das Bestehen des Anspruchs auf Zahlung eines angemessenen Entgelts keine Rolle spielt: Die Pflicht zur Zahlung eines angemessenen Entgelts für unbefugte Nutzung hängt nicht davon ab, ob der Berechtigte einer Nutzung tatsächlich zugestimmt hätte, weil sich eine solche Zahlungspflicht aus dem Eingriff in die absolut geschützte Rechtsstellung des Urhebers ergibt (vgl 4 Ob 133/13g mwN). Erhebliche Rechtsfragen stellen sich hier nicht, zumal angesichts der bereits zuvor erfolgten Rechtsverletzung durch die Beklagte und offener Verfahren gegen die Vorgängerbetreiberin des Lokals wegen gleichartiger Verletzungen die Verneinung einer unsachlichen Bedingung durch die Vorinstanzen zumindest vertretbar ist. Wie viel Gewinn die Beklagte mit aufrechtem Abonnementvertrag mit der Klägerin erzielen hätte können, war zudem nicht feststellbar, sodass sich im Zusammenhang mit darauf gestützten Gegenforderungen der Beklagten insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen stellen.

[17] 3.2. Warum die – vom Berufungsgericht gebilligte – Vorgangsweise der Festsetzung des angemessenen Entgelts durch das Erstgericht gemäß § 273 ZPO (im Mittel der festgestellten Bandbreite des üblicherweise zu entrichtenden Entgelts für die Ausstrahlung der Programme der Klägerin) den den Gerichten in diesem Zusammenhang zukommenden Ermessensspielraum verlassen hätte, zeigt die Revision nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.

[18] 3.3. Soweit die Argumentation der Beklagten inhaltlich einer Beweisrüge entspricht, ist dies in dritter Instanz unzulässig (RS0042903; RS0069246; RS0043371), was auch nicht durch die Geltendmachung als Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit umgangen werden kann (vgl RS0117019 ). Im Übrigen macht die Revision bereits vom Berufungsgericht verneinte Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, welche in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden können ( RS0042963 ; RS0043405 ).

[19] 4. Das Rechtsmittel war daher insgesamt mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

[20] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Wie die auf die Unzulässigkeit der Revision hinweisende Revisionsbeantwortung zutreffend aufzeigt, beträgt die Bemessungsgrundlage im Revisionsverfahren 15.552 EUR.