JudikaturJustiz3Ob47/52

3Ob47/52 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 1952

Kopf

SZ 25/26

Spruch

Ein beschränkt Entmundigter kann ungeachtet der Bestimmung des § 70 NotO. nicht vor einem Notar testieren.

Das Begehren der Erbrechtsklage hat auf Feststellung der Unwirksamkeit des Testamentes, nicht aber auch auf Feststellung des Erbrechtes des Klägers zu lauten.

Entscheidung vom 30. Jänner 1952, 3 Ob 47/52.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Leopoldine R. ist am 21. April 1948 im Alter von 82 Jahren unter Hinterlassung von zwei Testamenten gestorben. Das Nachlaßvermögen besteht vorwiegend aus zwei Häusern. Die Erblasserin hatte seit ihrer Jugend bis zu ihrem Tode an einem Klumpfuß und Geschwüren am linken Bein gelitten und sich nur mühsam mit Krücken fortbewegen können. Mit dem vor drei Zeugen errichteten Testament vom 14. August 1938 hatte sie für den Fall des (inzwischen erfolgten) Vorversterbens ihres Bruders Karl R. ihre Schwester Josefine F., die Klägerin, zur Alleinerbin eingesetzt. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wolfsberg vom 18. Oktober 1939, L 12/39-5, war die Erblasserin wegen Geistesschwäche beschränkt entmundigt worden. Am 8. September 1947 hatte sie ein zweites Testament, in dem sie das eine Haus ihrer Pflegerin und Hausgehilfin Rosalia S., der Zweitbeklagten, vermachte und die Klägerin und Josefine T., ihre Nichte, die Erstbeklagte, je zur Hälfte zu Erben einsetzte, errichtet. Dieses Testament war vor dem Notar Dr. E. unter Beiziehung zweier Zeugen, darunter des Arztes Dr. Hans M., errichtet worden. Beide Testamente waren in deutscher Sprache abgefaßt.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen, das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und stellte den Beklagten gegenüber fest, daß das notarielle Testament der Erblasserin ungültig sei, während er das Mehrbegehren, festzustellen, daß der Klägerin auf Grund des Testamentes vom 14. August 1938 das Erbrecht zum Nachlaß der Erblasserin zustehe, abwies.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Oberste Gerichtshof vermag sich der von den Untergerichten vertretenen Auffassung, daß ein wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigter nicht nur mündlich vor Gericht, sondern auch vor einem Notar eine letztwillige Erklärung errichten könne, nicht anzuschließen. Vorweg sei bemerkt, daß der Oberste Gerichtshof die in dem Aufsatz "Die Entmündigung und ihr Einfluß auf die Testierbefugnis" von Erdmann, NotZtg. 1949 S. 58, vertretene Ansicht, daß § 70 NotO. gegenüber der Entmündigungsordnung als das spätere Gesetz anzusehen sei, nicht teilt. Zunächst ist die Ansicht, daß § 4 Abs. 2 Entm.O. in der Geltung des deutschen Testamentsgesetzes während welcher § 70 Not.O. aufgehoben war, in Geltung geblieben ist, nicht richtig. Auch die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Entm.O., soweit sie die Testierfähigkeit der dort bezeichneten Personen regelt, ist durch das Testamentsgesetz u. zw. durch § 2 Abs. 2 (vgl. Vogels, Testamentsgesetz, S. 97) ersetzt worden. Auch § 4 Abs. 2 Entm.O. in dem vorbezeichneten Umfang ist wie § 70 Not.O. erst wieder durch das Gesetz zur Wiederherstellung des österreichischen Testamentsrechtes vom 8. März 1947, BGBl. Nr. 30, in Geltung gesetzt worden. Angesichts des Titels dieses Gesetzes sowie der Bestimmung des § 1 Abs. 2 könnte übrigens kein Zweifel obwalten, daß die wieder in Kraft gesetzten Bestimmungen, und daher auch der § 70 der österreichischen Not.O., nur in dem Umfang wieder wirksam werden sollten, als sie am 13. März 1938 wirksam waren. Für die Frage, ob die Gleichstellung des notariellen Testamentes mit dem gerichtlichen nach § 70 Not.O. auch für das Testament eines wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigten gilt, kann daher nur die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Testamentsgesetzes entscheidend sein. Darüber, ob die Entmündigungsordnung die notarielle Testamentform für das Testament eines wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigten ausschließt, besteht im Schrifttum ein lebhafter Streit der Meinung. Für den Ausschluß des notariellen Testamentes hat sich Handl in der ersten Auflage von Klangs Kommentar, zu § 569 ABGB., S. 155, ausgesprochen, desgleichen Bartsch in Klangs Kommentar, 1. Auflage, zu § 282 ABGB., S. 1139, ebenso Wolff in seinem Grundriß, 4. Auflage, S. 351, Kapfer, Manzsche Ausgabe des ABGB., S. 302, und Hermann, Kommentar zur Entmündigungsordnung, S. 5. Für die Gleichstellung des notariellen Testamentes mit dem gerichtlichen, auch soweit es sich um die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigten handelt, ist Ehrenzweig, System, Familien- und Erbrecht 1937, S. 411, ferner Weiß in Klangs Kommentar, 2. Auflage, zu § 569 ABGB., S. 277/278, sowie Touaillon, NotZtg. 1918, S. 269 ff.; Gogg, NotZtg. 1935, S. 123; Wentzel, ebendort, S. 155, sowie Erdmann, NotZtg. 1949, S. 58, eingetreten.

Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Bestimmung des § 4 Abs. 2 Entm.O., die bestimmt, daß ein wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigter nur mündlich vor Gericht testieren könne, eine Lücke enthält, weil nicht auch neben § 569 ABGB. der § 70 Not.O. zitiert werde, kann nicht geteilt werden. Die Entmündigungsordnung ist so sorgsam vorbereitet worden, daß ihr ein solcher Mangel nicht zugemutet werden kann. Langjährige Vorarbeiten führten zu einem Gesetzentwurf, Nr. 687 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, der in der XVIII. Session im Jahre 1907 eingebracht wurde. Der Entwurf wurde dann in der XVIII. und XIX. Session 1909 und in der XXI. Session neuerlich vorgelegt (Nr. 10, 461 und 536 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses). In der XX. Session wurde der Gesetzesentwurf einem fünfgliedrigen Subkomitee des Justizausschusses des Abgeordnetenhauses zugewiesen, wo er sehr eindringlich erörtert, geprüft und teilweise umgearbeitet wurde. In der XXI. Session hat der Justizausschuß auf Grund der Beschlüsse des Subkomitees den Entwurf in zahlreichen Sitzungen durchberaten und mit einigen Änderungen angenommen (Nr. 1352 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, XXI. Session 1912). Der Beschluß des Justizausschusses wurde im Jahre 1913 revidiert und diese letzte Fassung liegt der kaiserlichen Verordnung vom 28. Juni 1916 zu Gründe. Die Entmündigungsordnung ist somit das Ergebnis von vieljährigen gesetzgeberischen Bemühungen und einer eindringlich durchgeführten parlamentarischen Beratung und Prüfung der Vorlage (vgl. Hermann, Entmündigungsordnung, Vorbemerkungen, S. X). Unter diesen Umständen kann unmöglich angenommen werden, daß der Gesetzgeber das notarielle Testament vergessen hätte. Der Oberste Gerichtshof vermag auch nicht der von Weiß in der zweiten Auflage zu Klangs Kommentar vertretenen Auffassung zu folgen, daß durch die Zitierung des § 569 ABGB. (nach dem Text des § 4 Abs. 3 Entm.O.) der § 70 Not.O. gewissermaßen mitzitiert sei. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes kann § 70 Not.O. nur auf jene Fälle gerichtlicher letztwilliger Anordnungen bezogen werden, die zur Zeit der Erlassung der Not.O., also im Jahre 1871, bereits bestanden haben. Hätte man im Jahre 1916 die Gleichstellung des notariellen Testamentes mit dem gerichtlichen für einen neuen Kreis von letztwilligen Verfügungen statuieren wollen, so hätte man dies durch die Zitierung des § 70 Not.O. im § 4 Abs. 2 Entm.O. oder in anderer Weise zum Ausdruck bringen müssen. Der Auffassung von Weiß, daß das Ergebnis seiner Untersuchung den Anschauungen der Verfasser der Entmündigungsordnung nicht entsprechen mag, ist beizupflichten, nicht aber seiner Meinung, daß die Absicht des Gesetzgebers in der Entmündigungsordnung nicht zum Ausdruck gelangt sei. Das größte Gewicht legt der Oberste Gerichtshof bei Lösung der vorliegenden Frage auf die Auffassung von Hermann, der wegen seiner Stellung in der legislativen Abteilung des Justizministeriums über die Absichten bei der Erlassung der Entmündigungsordnung am besten orientiert war. Die Auffassung, daß für die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigten das gerichtliche dem notariellen Testament nicht gleichgestellt sei, wird auch durch die Erläuterungen zur Entmündigungsordnung, JMVO. 1916, S. 252, gestützt.

Der Oberste Gerichtshof vermag auch nicht der von der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung beizupflichten, daß das vor dem Notar Dr. E. errichtete Testament allenfalls als ein mündliches Testament im Sinne des § 567 ABGB. Gültigkeit beanspruchen könne. Wie aus den vorzitierten Erläuterungen zur Entmündigungsordnung hervorgeht, kann ein wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche beschränkt Entmundigter auch in lichten Zwischenräumen nur gerichtlich testieren, eine Auffassung, die auch von Weiß in Klangs Kommentar, 2. Auflage, zu § 569 ABGB., S. 277, Fußnote 16, und von Erdmann, NotZtg. 1949, allerdings mit der Ausweitung daß dem gerichtlichen Testament das notarielle gleichzustellen sei, vertreten wird.

Aus diesen Erwägungen mußte der Revision Folge gegeben werden, da das Testament, auf welches die Beklagten ihre Testaments- und Legatansprüche stützen, nicht in der gehörigen Form errichtet wurde.

Der Auffassung des Erstgerichtes, daß der zweite Teil des Klagebegehrens prozessual unzulässig sei, ist zutreffend. Die Erbrechtsklage ist eine Feststellungsklage, die materielle Rechtskraft nur zwischen den Parteien schafft; es wird mit Wirkung zwischen den Parteien nur festgestellt, daß der Beklagte nicht Erbe ist und der Titel, auf den er sich stützt, gegenüber dem des Klägers schwächer ist. Zu einer positiven Entscheidung über die Erbberechtigung des Klägers ist die Erbrechtsklage nicht geeignet. Das vorliegende Urteil vermöchte daher allfälligen Ansprüchen der Zweitbeklagten als gesetzlicher Erbin keinerlei Abbruch zu tun.