JudikaturJustiz3Ob41/18b

3Ob41/18b – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei V*****, vertreten durch Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wider die verpflichtete Partei Dr. L*****, vertreten durch Heinzle Nagel Rechtsanwälte OG in Bregenz, wegen Exekution nach § 355 EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 9. Jänner 2018, GZ 2 R 279/17w 44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 28. Dezember 2016, GZ 9 E 3241/16v 4, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Rekursverfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Versäumungsurteil vom 12. Mai 2016 wurde der Verpflichtete gegenüber der Betreibenden zu diversen Unterlassungen verpflichtet.

Die Betreibende begehrte die Bewilligung der Unterlassungsexekution sowie der Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung der Kosten mit dem Vorbringen, der Verpflichtete habe gegen die Unterlassungsverpflichtung verstoßen.

Über Aufforderung zur Äußerung zu den Strafzumessungsgründen erstattete der Verpflichtete eine Stellungnahme und beantragte, den Exekutionsantrag zur Gänze kostenpflichtig zurück- in eventu abzuweisen.

Das Erstgericht bewilligte die Exekution antragsgemäß und bemaß die Geldstrafe mit 2.000 EUR mit Beschluss vom 28. Dezember 2016, ON 4, der nach der Aktenlage für den Verpflichteten am 5. Jänner 2017 zur Abholung hinterlegt und am 25. Jänner 2017 als nicht behoben rückgesendet wurde.

Am 14. Februar 2017 langte ein Antrag des Verpflichteten auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ein, weil eine wirksame Zustellung der Exekutionsbewilligung ON 4 – näher begründet – nie erfolgt sei und er Rekurs dagegen sowie eine Impugnationsklage erheben wolle (ON 7). Daraufhin begann das Erstgericht mit Erhebungen zur Wirksamkeit der Zustellung der ON 4 (ON 10). Mit Beschluss vom 10. Mai 2017, ON 17, erging ein Auftrag an den Verpflichteten, den Verfahrenshilfeantrag durch Vorlage eines Vermögensbekenntnisses zu verbessern, den er damit beantwortete (ON 18), dass der Verfahrenshilfeantrag nur eventualiter gestellt worden sei; primär gehe es um die ordnungsgemäße Zustellung der ON 4. Am 22. Oktober 2017, ON 27, stellte er neuerlich den Antrag, die ON 4 an ihn zuzustellen. Am 7. November 2017, ON 28 und 30, erhob der Verpflichtete – ohne Anwaltsfertigung – Rekurs gegen ON 4, den das Erstgericht – unverbessert – am 8. November 2017 vorlegte.

Dieses Rechtsmittel stellte das Rekursgericht am 22. November 2017 an das Erstgericht zwecks Erteilung eines Verbesserungsauftrags und zwecks Erhebungen zur Rechtzeitigkeit zurück und fügte hinzu: „Von den Erhebungsergebnissen sind die Parteien zur Wahrung des rechtlichen Gehörs in Kenntnis zu setzen.“ (ON 33).

Am 27. November 2017 langte der Rekurs neuerlich beim Erstgericht im ERV ein, diesmal eingebracht durch einen frei gewählten Rechtsanwalt für den Verpflichteten (ON 34), und wurde der Betreibenden (vorerst) nicht zugestellt; ein Hinweis darauf, dass eine Direktzustellung nach § 112 ZPO an den Vertreter der Betreibenden erfolgt ist, findet sich auf dem Rekurs ON 34 nicht. Der Rekurs macht ua im Rahmen der Darstellung seiner Rechtzeitigkeit die Unwirksamkeit der Zustellung der ON 4 im Jänner 2017 geltend.

Am 18. Dezember 2017 wurden beim Erstgericht – im Rahmen einer Tagsatzung ohne Beteiligung der betreibenden Partei – der Verpflichtete und der Zusteller zur Wirksamkeit der Zustellung von ON 4 befragt (ON 39). Das Protokoll darüber, in dem von einem Rekurs die Rede ist, wurde dem Betreibendenvertreter am 29. Dezember 2017 – entsprechend der Verfügung des Erstgerichts ohne einen Zusatz, dass innerhalb einer bestimmten Frist dazu Stellung genommen werden könnte – zugestellt und der Akt neuerlich dem Rekursgericht vorgelegt.

Mit Beschluss vom 9. Jänner 2018 (ON 44) gab das Rekursgericht dem Rekurs des Verpflichteten Folge, änderte die Exekutionsbewilligung in eine Antragsabweisung ab, bewertete den Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Aufgrund der Einvernahme des Verpflichteten und des Zustellers durch das Erstgericht könne festgestellt werden, dass eine Hinterlegungsanzeige im Sinne des § 17 Abs 2 ZustG an der Abgabestelle des Verpflichteten am 5. Jänner 2017 nicht zurückgelassen wurde. Der (verbesserte) Rekurs sei daher rechtzeitig und – mit näherer Begründung – berechtigt.

Nach Zustellung der Rekursentscheidung am 1. Februar 2018 findet sich im Akt des Erstgerichts (AS 177) die Verfügung vom 5. Februar 2018, nach der eine Gleichschrift von ON 7 und 34 an den Betreibendenvertreter zuzustellen ist.

Mit ihrem (am 13. Februar 2018 eingebrachten) außerordentlichen Revisionsrekurs (der auch keinen Hinweis auf eine Direktzustellung nach § 112 ZPO enthält, obwohl der Verpflichtetenvertreter angeführt ist) strebt die Betreibende die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Exekutionsbewilligung, hilfsweise die Aufhebung der Rekursentscheidung, an. Sie macht ua geltend, das Rekursverfahren sei nichtig, weil ihr das Protokoll ON 39 erst am „28. Dezember 2017“ und der Rekurs ON 34 erst am 5. Februar 2018 (also nach Erhalt der Rekursentscheidung) zugestellt worden seien und ihr – trotz „des neuen Tatsachen- und Rechtsvorbringens“ des Verpflichteten, das sie nicht gekannt habe und auch nicht kennen habe können – nicht die Möglichkeit zur Rekursbeantwortung eingeräumt worden sei, obwohl dies die Waffengleichheit erfordert hätte. Sie hätte in einer Rekursbeantwortung ua dargestellt, dass es laufend Zustellprobleme beim Verpflichteten gebe und dass die Glaubwürdigkeit seiner Darstellungen „keinesfalls so toll ist“, wie sie vom Rekursgericht dargestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betreibenden ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt .

1. Zutreffend macht die Betreibende (erkennbar) auch geltend, dass das Rekursgericht seiner Entscheidung Feststellungen (Bescheinigungsergebnisse) zugrunde legte, ohne sie zu beteiligen und ohne ihr ausreichend Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern.

2. Zur Waffengleichheit (Chancengleichheit) und damit zu den Garantien des Art 6 Abs 1 MRK gehört die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, das nicht nur dann verletzt wird, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Eine Beweisaufnahme ohne Zuziehung der Parteien führt daher noch nicht zur Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil es genügt, dass sich eine Partei zu den Tatsachen und Beweisergebnissen vor der Entscheidung äußern kann (stRsp; RIS Justiz RS0074920).

3. Diese verfahrensrechtlichen Grundsätze hat das Rekursgericht verletzt. Zwar stellte das Erstgericht der Betreibenden das Protokoll ON 39 am 29. Dezember 2017 zu, allerdings ohne ihr eine Äußerungsmöglichkeit einzuräumen. Für die Betreibende war daher nicht erkennbar, ob sie sich dazu äußern soll und vor allem auch nicht innerhalb welcher Frist. Bedenkt man weiters, dass die Betreibende – selbst wenn sie dem Protokoll entnehmen hätte können, dass der Verpflichtete einen Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung erhoben hat – gar nicht wissen konnte, wann eine Rekursentscheidung erfolgen werde, kommt auch dem Umstand, dass bis zur Fassung der Rekursentscheidung (bereits) am 9. Jänner 2018 (noch) zehn Tage vergingen, während derer eine Äußerung zu den Erhebungsergebnissen im Protokoll ON 39 theoretisch erfolgen hätten können, keine Bedeutung zu.

4. Somit hat das Rekursgericht den in Art 6 EMRK verankerten Grundsatz der Waffengleichheit beider Parteien verletzt. Darauf, ob der Rekurs des Verpflichteten an die Betreibende früher zuzustellen gewesen wäre, kommt es daher nicht an, weil d ieser Verfahrensfehler das Rekursverfahren mangelhaft macht. Die Rechtssache ist deshalb an das Rekursgericht zurückzuverweisen, das unter Beachtung von Art 6 Abs 1 EMRK neuerlich über den Rekurs zu entscheiden haben wird (vgl 3 Ob 191/14f; 17 Ob 11/10g, 4 Ob 26/02f), wobei es ihm überlassen bleibt, wie es den Grundsatz der Waffengleichheit wahrt.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 50 Abs 1 und § 52 Abs 1 ZPO.