JudikaturJustiz3Ob272/06f

3Ob272/06f – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Prückner, Hon. Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Tatjana O*****, vertreten durch Dr. Christian Hoenig, Rechtsanwalt in Wien als Verfahrenshelfer, wider die verpflichtete Partei Astrid O***** , vertreten durch die Sachwalterin Mag. Irene Husek, Rechtsanwältin in Wien, wegen 6.143,40 EUR s.A., infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. August 2005, GZ 47 R 285/05t-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 17. Februar 2005, GZ 18 E 3163/04z-18, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die verpflichtete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Verwiesen wird auf die Vorentscheidung des erkennenden Senats vom 30. Mai 2006, AZ 3 Ob 275/05w (ON 43). Nach der Bestellung einer Sachwalterin für die Betroffene wurde das gemäß § 6a ZPO unterbrochene Verfahren fortgesetzt (ON 45).

Die am 19. September 1993 geborene Antragstellerin und Betreibende (im Folgenden nur Antragstellerin) belangte die Antragsgegnerin und Verpflichtete (im Folgenden nur Antragsgegnerin), ihre Mutter, vor dem polnischen Sad Rejonowy (Amtsgericht, auch Rayonsgericht) in Grodzisk Mazowiecki (im Folgenden nur Titelgericht) wegen Zahlung von Unterhalt. Die Antragsgegnerin erhielt für den Verhandlungstermin 1. Dezember 2002 keine Ladung zugestellt; weder an der Adresse in Wien *****, wo die Antragsgegnerin ab 11. Jänner 2001 wohnte, noch in Margarethen am Moos war eine Zustellung möglich, weil zwar der Vorname der Antragsgegnerin richtig, ihr Familienname aber unrichtig mit K***** bezeichnet wurde; der Familiennname K***** stammte nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin in ihrem Protokollarrekurs ON 4 von ihrem Untervermieter Hans K*****; nach dem folgenden Akteninhalt (Psychiatrisch-Neurologisches Gutachten ON 41) war dieser ihr damaliger, nun bereits verstorbener Lebensgefährte. Im Vollstreckbarkeits- und Exekutionsantrag wurde die Antragsgegnerin als Astrid O*****-K*****, nach der Erstattung ihres Prokollarrekurses ON 4 überwiegend mit ihrem richtigen Namen Astrid O***** bezeichnet. Die Antragsgegnerin brachte in ihrer Rekursbeantwortung von 19. April 2005 ON 23 erstmals vor, sie habe im Oktober 2003 (erkennbar gemeint 2002) die Annahme eines Schriftstückes eines polnischen Gerichts verweigert, weil der Name Astrid K***** (gemeint: als Empfängerin) genannt gewesen sei.

Das polnische Titelgericht bestellte für die Antragsgegnerin eine Prozesshelferin (Kuratorin), der sowohl die Klage als auch das nach der Verhandlung vom 18. April 2003 ergangene klagestattgebende Urteil vom 18. April 2003, Zl. III RC 257/02 (im Folgenden nur Titelurteil), zugestellt wurde.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung des Titelurteils, versehen mit einer Vollstreckbarkeitsbestätigung vom 15. Februar 2005, für Österreich sowie auf Bewilligung der Fahrnis- und Forderungsexekution nach § 294a EO zur Hereinbringung eines näher genannten Unterhaltsrückstands sowie eines laufenden Unterhaltsbetrags ab 1. Juli 2004 ab. Die Zustellung des Antrags der Antragstellerin samt Ladung der Antragsgegnerin für den 11. Dezember 2002 vor dem Titelgericht, somit des verfahrenseinleitenden Schriftstückes sei nicht ordnungsgemäß, die Kuratorbestellung in Polen aufgrund unzureichender Nachforschungen zu Unrecht erfolgt und damit seien die Verteidigungsrechte der Antragsgegnerin nicht ausreichend gewahrt worden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Verfahren über die Vollstreckbarerklärung richte sich nach dem LGVÜ. Der Antragsgegnerin sei es nicht möglich gewesen, sich am Verfahren vor dem Titelgericht zu beteiligen. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, ihre Verteidigungsrechte zu wahren. Zustellversuche des verfahrenseinleitenden Schriftstücks seien unter einem anderen Namen erfolgt. Darüber hinaus seien die Zustellversuche nach dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin in ihrem Antrag ON 1 erfolglos gewesen. So sei das Zustellersuchen vom Bezirksgericht Favoriten an das Bezirksgericht Bruck an der Leitha weitergeleitet worden. Im Bericht an das BMJ habe letzteres Bezirksgericht ausgeführt, die Antragsgegnerin sei „in 1100 ebenfalls verzogen gewesen" (AS 5). Somit sei nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Antragsgegnerin gar nicht erfolgt, ein positiver Zustellbericht betreffend das verfahrenseinleitende Schriftstück liege nicht vor. Es handle sich hier nicht um eine Zustellung an eine Person unter ihrem früheren Namen, sondern um einen Zustellversuch an eine Person mit einem anderen Familiennamen. Auch die Zustellung eines Anwaltsschreibens an die Antragsgegnerin, das von ihr zugestanden worden sei, sei bedeutungslos, enthalte es doch, soweit aus der Aktenlage ersichtlich, nicht das Datum der Verhandlung (vor dem Titelgericht) 11. Dezember 2002.

Für die Antragsgegnerin sei im Titelverfahren ein von ihr nicht beauftragter Abwesenheitskurator eingeschritten. Ein Beklagter, dem das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht rechtzeitig zugestellt worden sei und für den vor dem Gericht des Urteilsstaates ein Rechtsanwalt erscheine, den er nicht beauftragt habe, sei nach der Rsp des EuGH wegen Unkenntnis des Verfahrens außer Stande, sich zu verteidigen und habe sich nicht auf das Verfahren eingelassen, selbst wenn das Verfahren streitigen Charakter angenommen habe. Eine Zustellung an einen Abwesenheitskurator möge zwar eine ordnungsgemäße sein, dennoch sei es für die Antragsgegnerin nicht möglich gewesen, sich rechtzeitig zu verteidigen; die Antragsgegnerin müsse sich die Zustellung an einen „Zwangsvertreter" nicht zurechnen lassen. Es widerspreche jeder Wahrung des rechtlichen Gehörs, wenn, aus welchem irrtümlich angenommenen Grund auch immer, nach zwei erfolglosen Zustellversuchen an den Gegner unter geändertem Namen die Zustellung an einen sodann bestellten Kurator im Urteilsstaat vom Antragsgegner im Vollstreckbarerklärungsverfahren hingenommen werden müsse. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso nicht bereits anlässlich der Zustellversuche in Ansehung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks eine Meldeanfrage betreffend die Antragsgegnerin durchgeführt und versucht worden sei, erfolgreiche Zustellungen zu erreichen. Es sei anzunehmen, wäre dies zu einem solchen Zeitpunkt vorgenommen worden, dass die Richtigstellung des Namens der Antragsgegnerin gewährleistet worden wäre. Die Antragsgegnerin habe daher jedenfalls einen Versagungsgrund erfolgreich geltend gemacht.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig wegen fehlender Rsp des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Abwesenheitskurators im Titelverfahren des Erststaates, etwa weil alle zumutbaren Nachforschungen ergebnislos geblieben seien, der Versagungsgrund des Art 27 Nr 2 LGVÜ im Vollstreckungsstaat erfolgreich geltend gemacht werden könne. Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch der zweiten Instanz nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Aus dem Akt ergibt sich, dass die Antragsgegnerin nicht mehr in der Wohnung ihres verstorbenen Lebensgefährten in Wien 10, R*****gasse wohnt.

b) Das Verfahren zur Vollstreckbarerklärung des polnischen Titelurteils vom 18. April 2003 richtet sich, wie schon die Vorinstanzen zutreffend erkannten und auch im Rechtsmittel nicht in Frage gestellt wird, nach dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988, BGBl 1996/448 (LGVÜ). Die Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) ist hier noch nicht anwendbar. Die Übergangsbestimmung des Art 66 Abs 2 lit a EuGVVO kommt nicht zur Anwendung, weil sowohl der Zeitpunkt der Klageerhebung als auch der Entscheidung des polnischen Titelgerichts vor dem Inkrafttreten der EuGVVO in Polen liegen (1. Mai 2004). Gemäß Art 27 LGVÜ werden Entscheidungen dann nicht anerkannt, wenn (Nr 2) dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.

c) Der Oberste Gerichtshof nahm bereits in seiner E 3 Ob 179/00w (=

SZ 73/146 = RdW 2001, 154 = ZfRV 2001, 114 = RZ 2001, 204) zur

Auslegung des Art 27 Nr 2 LGVÜ Stellung. Maßgebend für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob eine ordnungsgemäße Zustellung vorliegt, ist danach das Recht des Ursprungsstaates = Titelstaates, in dem die Entscheidung ergangen ist, deren Vollstreckbarerklärung begehrt wird (3 Ob 179/00w; 3 Ob 106/01m = ZfRV 2002, 71 = ecolex 2002, 423 u.a.; vgl. Burgstaller/Ritzberger in Burgstaller, IZVR Rz

2.231 mwN; Rauscher/Mankovski, EuZPR2 Art 34 EuGVVO Rn 29). Im vorliegenden Fall ist daher die Rechtmäßigkeit der Klage- und Urteilszustellung nach polnischem Recht zu beurteilen. Dass eine nach dem Recht des Titelstaats ordnungsgemäße Bestellung eines Zustellungskurators auch eine wirksame Zustellung iSd Art 27 Nr 2 LGVÜ begründet und nicht eo ipso zum Vorliegen des Versagungsgrunds führt, hat der erkennende Senat in seiner E 3 Ob 64/05s bereits dargelegt (vgl. dazu auch Burgstaller/Ritzberger aaO Rz 2.225 mwN). Grundlage für die Kuratorbestellung nach polnischem Recht ist Art 144 des Kodeks Postepowania Cywilnego (KPC = polnisches Zivilverfahrensgesetzbuch), wonach das Gericht einen Kurator bestellt, wenn der Prozessgegner beweist, dass der Aufenthaltsort der gegnerischen Partei unbekannt ist (3 Ob 64/05s mwN). Wenn eine Klage oder eine andere Schrift einer Partei mit unbekanntem Wohnsitz zugestellt werden muss, erfordert die Notwendigkeit der Verteidigung ihrer Rechte, dass die Zustellung nur an einen Kurator bewirkt werden kann, der auf Antrag des Prozessgegners durch das Gericht, das in der Sache tätig ist, bestellt wird. Wenn der Prozess nur Unterhaltsforderungen umfasst oder der Kläger die Feststellung der Vaterschaft verlangt, führt der Vorsitzende des Gerichts die Aufenthalts- oder Wohnortermittlung durch. Der Vorsitzende veröffentlicht die Nachricht über die Einsetzung des Kurators und ordnet den Aushang der Information im Gerichtsgebäude und im Raum des Gemeindeorgans sowie ggf. in der Presse an. Die Zustellung ist in dem Moment durchgeführt, in dem der Kurator die Schrift bekommt. Das Gericht kann diese Wirkung von dem Ablauf einer Frist abhängig machen (3 Ob 64/05s mwN). Voraussetzung für eine derartige Kuratorbestellung ist aber eine bekannte Partei mit ihrer richtigen zur Individualisierung ausreichenden Bezeichnung einerseits und deren unbekannter Aufenthalt andererseits. Nach den getroffenen Feststellungen und dem gesamten Akteninhalt war im vorliegenden Fall aber der Aufenthalt der von der Betreibenden gemeinten gegnerischen Partei ohnehin bekannt, die Antragstellerin nannte nur einen unrichtigen Familiennamen der Antragsgegnerin, unter dem eine wirksame Zustellung nicht erfolgen konnte (vgl. RIS-Justiz RS0106442). Die Voraussetzungen für eine Kuratorbestellung lagen demnach nicht vor. Bei dieser Sachlage liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung des Vorliegens von Versagungsgründen nach Art 27 Nr 2 LGVÜ vor, weil eine Entscheidung weder anerkannt noch vollstreckt werden darf, wenn es dem Beklagten nicht möglich war, sich vor dem Gericht des Urteilsstaates zu verteidigen (3 Ob 179/00w sowie die gleichlautende Rsp des EuGH zu Parallelbestimmung des Art 27 Nr 2 EuGVÜ).

d) Verfahrenseinleitende oder gleichwertige Schriftstücke sind solche, durch deren ordnungsgemäße und rechtzeitige Zustellung die beklagte Partei in die Lage versetzt wird, ihre Rechte vor Erlassung einer vollstreckbaren Entscheidung im Entscheidungsstaat wahrzunehmen (3 Ob 179/00w mwN). Ein bloßes Anwaltschreiben, das vor der versuchten Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und somit vor Verfahrensbeginn der Antragsgegnerin zugegangen ist, vermag die Zustellung des verfahrenseinleitenden oder eines gleichwertigen Schriftstücks nicht zu substituieren. Das hier von der Antragstellerin herangezogene vorprozessuale Schreiben einer polnischen Anwaltskanzlei setzte das gerichtliche Verfahren gerade noch nicht in Gang, sondern diente höchstens der Prozessvorbereitung oder -vermeidung. Es bestand somit für die Antragsgegnerin nach Erhalt des Anwaltschreibens noch keine Möglichkeit, ihre Rechte in einem späteren gerichtlichen Verfahren, von dessen Einleitung sie nicht wirksam verständigt wurde, wahrzunehmen.

Die Abweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung und demgemäß auf Bewilligung der Exekution bildet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen in der Frage des Vorliegens des Versagungsgrunds nach Art 27 Nr 2 LGVÜ. Der zugelassene Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung in Ansehung der Revisionsrekursbeantwortung der Antragsgegnerin beruht auf § 78 EO iVm §§ 40, 50 ZPO, wies sie doch auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Revisionsrekurses nicht hin, weshalb ihre Revisionsrekursbeantwortung nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung beurteilt werden kann.

Rechtssätze
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