JudikaturJustiz3Ob229/23g

3Ob229/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* GmbH, *, vertreten durch Dr. Max Pichler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, hier wegen Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. September 2023, GZ 40 R 193/23p 50, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 12. Juli 2023, GZ 4 C 107/16f 45, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR (darin enthalten 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht sandte die zugrunde liegende gerichtliche Aufkündigung vom 1. 4. 2016 an die Beklagte unter Angabe der Adresse an deren Sitz in 1230 Wien. Da für den Zeitraum vom 16. 7. 2015 bis 15. 7. 2016 ein Nachsendeauftrag der Beklagten für die genannte Adresse zur Weiterleitung der Postsendungen an die Anschrift des damaligen Ehegatten der Geschäftsführerin (in 2340 Mödling) bestand, wurde die Aufkündigung dorthin nachgesandt und am 8. 4. 2016 beim Postamt 2340 Mödling hinterlegt. Die Sendung lag dort vom 8. 4. 2016 bis 25. 4. 2016 zur Abholung bereit, wurde aber nicht behoben. Am 17. 6. 2016 wurde die Vollstreckbarkeit der gerichtlichen Aufkündigung bestätigt. In der Folge wurde der Klägerin am 10. 8. 2016 die Räumungsexekution bewilligt.

[2] Der damalige Ehegatte der Geschäftsführerin der Beklagten, der deren Alleingesellschafter war, hielt sich im Zeitraum vom 11. 3. 2016 bis 30. 5. 2016 auf den Philippinen auf. Die damalige Geschäftsführerin der Beklagten wohnte in 1160 Wien. Am Wohnort ihres damaligen Ehegatten in 2340 Mödling hielt sie sich nicht auf. Auch an der Adresse der Beklagten war sie nicht aufhältig; dort befand sich nur eine Postanschrift. Im Zeitraum von März 2016 bis 22. 4. 2016 befand sie sich in Deutschland. Sie stammt von den Philippinen, hatte geringe Kenntnisse der deutschen Sprache und keine Kenntnis von Zustellungsangelegenheiten. Sie hatte ihrem damaligen Ehegatten (umfassende) Vollmacht betreffend die Beklagte erteilt. Dieser erteilte der Post besagten Nachsendeauftrag an seine Wohnadresse und nahm auch sonst sämtliche Bekanntgaben von Ortsabwesenheiten für die Beklagte, für seine damalige Ehegattin und für ihn selbst vor.

[3] Die Beklagte beantragte am 12. 9. 2016 die Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit der Aufkündigung und erhob gleichzeitig Einwendungen. Die Hinterlegung der gerichtlichen Aufkündigung unter der Nachsendeadresse sei nicht wirksam gewesen.

[4] Das Erstgericht wies den Antrag der Beklagten ab und deren Einwendungen zurück. Die Zustellung der Aufkündigung durch Hinterlegung sei wirksam gewesen. Aufgrund des erteilten Nachsendeauftrags sei davon auszugehen, dass die Beklagte dafür Sorge trage, dass ihr Zustellungen an der gewünschten Adresse zugestellt werden könnten, indem sie bevollmächtigte Personen beauftragt habe, die Zustellungen entgegenzunehmen. Der Auslandsaufenthalt des damaligen Ehegatten der Geschäftsführerin zum Zeitpunkt der Hinterlegung hindere die wirksame Zustellung nicht.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten Folge und hob die erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit der Aufkündigung auf; die von der Beklagten erhobenen Einwendungen nahm es zur Kenntnis. Die Anschrift in 2340 Mödling sei zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung für die Beklagte keine Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG gewesen. In der Entscheidung zu 10 Ob 69/15t sei ausgesprochen worden, dass eine Zustellung auch im Rahmen eines Nachsendeauftrags nur an eine taugliche Abgabestelle erfolgen könne. Allein durch einen gegenüber der Post erklärten Nachsendeauftrag werde keine taugliche „fiktive Abgabestelle“ begründet. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage des Eintritts einer Fiktion einer Abgabestelle durch Erteilung eines Nachsendeauftrags divergierende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs bestünden.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, die auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

[7] Mit ihrer Revisionsrekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Nach § 13 Abs 1 ZustG ist ein Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Als „Abgabestelle“ definiert § 2 Z 4 ZustG die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, den Sitz, den Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch den Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort oder einen vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebenen Ort. Diese Abgabestellen sind untereinander gleichrangig (RS0122390). Voraussetzung für das Vorliegen einer Abgabestelle ist, dass sich der Empfänger dort auch tatsächlich regelmäßig aufhält (10 Ob 69/15t).

[10] Nach § 18 Abs 1 Z 1 ZustG ist ein Dokument, wenn sich der Empfänger nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, an eine andere inländische Abgabestelle nachzusenden, wenn dieses (unter anderem) durch Organe eines Zustelldienstes zugestellt werden soll und nachdem für die Beförderung von Postsendungen geltenden Vorschriften die Nachsendung vorgesehen ist. Nach der Rechtsprechung kann auch eine Zustellung im Rahmen eines Nachsendeauftrags nur an eine taugliche Abgabestelle im Sinn des § 2 Z 4 ZustG erfolgen, an der sich der Empfänger tatsächlich regelmäßig aufhält (10 Ob 69/15t; 1 Ob 3/17y).

[11] 2.1 In der (früheren und zu 10 Ob 69/15t abgelehnten) Entscheidung zu 2 Ob 163/07w wurde es für den Fall der Erteilung eines Nachsendeauftrags an eine Adresse, an der tatsächlich keine Abgabestelle bestand, als Treu und Glauben widersprechend angesehen, dass nach einer an dieser Adresse erfolgten Zustellung dem Empfänger der Einwand offenstehe, an der Nachsendeadresse habe niemals eine Abgabestelle existiert. In solchen Fällen erscheine es sachgerecht, den Empfänger an die von ihm selbst geschaffene Fiktion einer Abgabestelle so weit zu binden, dass er sich eine seinem Wunsch gemäß an der Nachsendeadresse bewirkte Zustellung (an einen dort aufhältigen Ersatzempfänger) auch zurechnen lassen müsse.

[12] 2.2 In der bereits zitierten Entscheidung zu 10 Ob 69/15t wurde dazu ausgeführt, dass im Erteilen eines Nachsendeauftrags keine Automatik in dem Sinn gesehen werden dürfe, dass an der „neuen“ Abgabestelle gleichsam fiktiv auch dann zugestellt werden könne, wenn etwa Umstände vorlägen, die eine Zustellung auch an der „alten Abgabestelle“ nicht möglich gemacht hätten. Die Ansicht, dass allein durch die Erteilung eines Nachsendeauftrags an eine nicht als Abgabestelle genutzte Adresse eine „fiktive Abgabestelle“ begründet werde, werde daher nicht geteilt. Ohne Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte könne ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nicht angenommen werden.

[13] 2.3 Die in der Entscheidung zu 2 Ob 163/07w gezogenen Schlussfolgerungen sind für den Anlassfall schon deshalb nicht einschlägig, weil auch an der Nachsendeadresse keine Zustellung an einen dort tatsächlich aufhältigen „Ersatzempfänger“ bewirkt wurde. Der vom Rekursgericht erkannten Divergenz in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung kommt daher keine Bedeutung zu.

[14] 2.4 Die Ansicht des Erstgerichts, dass an einer in einem Nachsendeauftrag bekanntgegebenen Adresse jedenfalls wirksam zugestellt werden könne, unabhängig davon, ob sich der Empfänger dort regelmäßig aufhält sowie auch davon, ob dort zum Zeitpunkt der Zustellung ein „Ersatzempfänger“ tatsächlich angetroffen werden kann, ist zu weitgehend. Die Beurteilung des Erstgerichts lässt sich daher nicht aufrecht erhalten.

[15] 3. Der Anlassfall ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der unstrittig wirksame Nachsendeauftrag auf die Wohnadresse des damaligen Ehegatten der Geschäftsführerin der Beklagten bezog, der Alleingesellschafter der Beklagten war. Die angegebene Nachsendeadresse war somit nicht die Adresse der Beklagten, sondern jene eines dritten Nachsende-Empfängers. Bei dieser Adresse handelte es sich um keine zulässige Abgabestelle der Beklagten, weshalb dort die Zustellung nach den Grundsätzen der Entscheidung zu 10 Ob 69/15t, denen sich der Senat anschließt, nicht wirksam erfolgen konnte.

[16] 4. Die Beurteilung würde nicht anders ausfallen, wenn man – ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichts, dass die damalige Geschäftsführerin der Beklagten ihrem damaligen Ehegatten umfassende Vollmacht für die Beklagte erteilt und dieser den Nachsendeauftrag gegenüber der Post berechtigt eingerichtet hatte – eine wirksame Zustellungs-Bevollmächtigung im Sinn der §§ 9 Abs 1 und § 13 Abs 2 ZustG annehmen würde (vgl 5 Ob 63/21g; 8 ObA 32/16p), weil in diesem Fall – aufgrund der Adressierung der Aufkündigung an die Beklagte – die Zustellung gemäß § 9 Abs 3 ZustG erst in dem Zeitpunkt als bewirkt gelten würde, in dem das Dokument dem Bevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Der damalige Ehegatte der Beklagten ist aber erst nach Ablauf der Abholfrist an seine Wohnadresse zurückgekehrt.

[17] 5. Insgesamt erweist sich die Zustellung der Aufkündigung an die Beklagte durch Hinterlegung am 8. 4. 2016 als nicht rechtswirksam. Dem Revisionsrekurs der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

[18] Die Kostenentscheidung im vorliegenden Zwischenstreit beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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