JudikaturJustiz2Ob94/20t

2Ob94/20t – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. August 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** W*****, vertreten durch Mag. Dr. A. Michael Dallinger, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagten Parteien 1. C***** P*****, und 2. H***** Versicherungen AG, *****, beide vertreten durch Dr. Thomas Loidl, Rechtsanwalt in Linz, wegen zuletzt 36.856,57 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. April 2020, GZ 3 R 45/20p 38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 30. Jänner 2020, GZ 8 Cg 66/18d 34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.465,55 EUR (darin 244,26 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde als Fußgängerin beim Überqueren einer Straße von dem vo m Erstbeklagten gelenkten und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW erfasst, als sie die andere Straßenseite schon fast erreicht hatte. Sie erlitt schwere Verletzungen.

[2] Das Berufungsgericht sprach der Klägerin den begehrten Schadenersatz teilweise zu und stellte – ausgehend vom Alleinverschulden des Erstbeklagten – die Haftung der beklagten Parteien für sämtliche künftige Schäden fest. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil jüngere Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Grundsatz, dass eine geringfügige Ermäßigung der Geschwindigkeit dem vorrangberechtigten Kraftfahrer zuzumuten sei, auf das Verhalten eines die Fahrbahn sorglos überquerenden Fußgängers anzuwenden sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision der beklagten Parteien ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig . Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[4] 1. Der Fachsenat hat jüngst in der Entscheidung 2 Ob 193/19z = RS0133165 an der bisherigen Rechtsprechung (2 Ob 24/02x; 2 Ob 50/94; RS0027377) festgehalten, wonach der Grundsatz, dass eine geringfügige Verminderung der Geschwindigkeit dem vorrangberechtigten Kraftfahrer zuzumuten ist, ohne dass deshalb ein Verstoß gegen § 19 Abs 7 StVO vorliegt, auch auf das Verhalten eines die Fahrbahn überquerenden Fußgängers anzuwenden ist und von einer Behinderung iSd § 76 Abs 5 StVO daher noch nicht gesprochen werden kann, wenn der Kraftfahrer durch eine geringfügige und nicht unmittelbare Verlangsamung seines Fahrzeugs den Unfall verhindern kann (2 Ob 24/02x; 2 Ob 70/95; 8 Ob 206/81 ZVR 1982/259). Dieser Grundsatz gilt auch im Zusammenhang mit dem dem Überqueren vorangehenden Betreten der Fahrbahn (§ 76 Abs 4 lit b StVO). Eine geringfügige Verminderung der Geschwindigkeit liegt etwa dann vor, wenn der Kraftfahrer durch bloßes Gaswegnehmen eine Kollision hätte vermeiden können (2 Ob 70/95).

[5] 2. Mit dem bloßen Hinweis auf die „Verkehrsentwicklung der letzten Jahre in Anbetracht der Sensibilisierung in Verkehrssachen auch von Fußgängern“ zeigen die Revisionswerber keine Argumente auf, die Anlass für ein Abgehen von dieser gefestigten Rechtsprechung geben.

[6] 3. Die beklagten Parteien wenden sich nicht gegen die Interpretation der erstgerichtlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht dahin, dass der Unfall schon durch Gaswegnehmen des Erstbeklagten für ein bis zwei Sekunden vermieden worden wäre. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine Behinderung des Erstbeklagten durch die Klägerin im Sinne der genannten Gesetzesstellen habe nicht vorgelegen, hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung.

[7] 4. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

[8] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.