JudikaturJustiz2Ob82/23g

2Ob82/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch WALLNER JORTHAN Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P*, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung und 36.844,53 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 15.056,79 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2023, GZ 1 R 102/20g-48, mit dem den Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 13. Mai 2020, GZ 15 Cg 8/18w-41, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es – unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Teile – insgesamt lautet:

1. Der zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei abgeschlossene Kaufvertrag über das Fahrzeug Audi A5 Sportback 2.0 TDI quattro, F IN *, vom 12. 10. 2013 wird aufgehoben.

2. Die Klageforderung besteht mit 36.634,53 EUR zu Recht.

3. Die Gegenforderung besteht mit 3.946,53 EUR zu Recht.

4. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 32.688 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit 12. 10. 2013 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Audi A5 Sportback 2.0 TDI quattro, F IN *, zu zahlen.

5. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei 4.156,53 EUR samt 4 % Zinsen aus 12.712 EUR seit 12. 10. 2013 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs Audi A5 Sportback 2.0 TDI quattro, F IN * zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 27.389 EUR (darin enthalten 3.417,56 EUR USt und 6.883,65 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb am 12. 10. 2013 bei der Beklagten einen mit einem vom „Abgasskandal“ betroffenen Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestatteten, am 27. 2. 2013 erstmals zugelassenen Gebrauchtwagen um 45.400 EUR mit einem Kilometerstand von 9.740.

[2] Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (19. 2. 2020) legte er 60.260 km zurück. Der Händlereinkaufspreis für ein entsprechendes Fahrzeug unter Berücksichtigung der Laufleistung und vorhandener Schäden an beiden Vorderrädern (Wertminderung: 2.500 EUR) betrug zu diesem Zeitpunkt 13.500 EUR. Die durchschnittliche Restlaufleistung des Fahrzeugs beim Kauf belief sich auf 240.260 km.

[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Berechnung des Benützungsentgelts und das (Vergütungs )Zinsenbegehren.

[4] Das Erstgericht hob den Fahrzeugkaufvertrag auf (1.), stellte die – bereits ein „linear berechnetes“ Benützungsentgelt in Höhe von 8.765,47 EUR berücksichtigende – Klageforderung mit 36.634,53 EUR (2.), die auf die Zahlung von (weiterem) Benützungsentgelt gestützte Gegenforderung mit 17.234,53 EUR als zu Recht bestehend fest (3.), verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 19.400 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit 12. 10. 2013 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs (4.) und wies das Mehrbegehren über 17.444,53 EUR samt 4 % Zinsen aus 26.000 EUR seit 12. 10. 2013 ab (5.). Der Kläger habe aufgrund der Wandlung des Kaufvertrags ein seinem verschafften Nutzen angemessenes Benützungsentgelt zu leisten. Die „lineare Berechnung“ unter Berücksichtigung der Schäden (13.887 EUR) stelle die Untergrenze, die Differenz zwischen Kaufpreis und Händlereinkaufspreis (31.900 EUR) die Obergrenze des zu ersetzenden Benützungsentgelts dar. Der in dem letztgenannten Betrag enthaltene Wertverlust infolge Zeitablaufs in Höhe von 18.013 EUR dürfe nicht dem Kläger allein aufgebürdet werden. Da er das Fahrzeug sieben Jahre lang genutzt habe, habe er auch den Nutzen der Neuheit des Fahrzeugs zum Großteil konsumiert, sodass ein Benützungsentgelt von 26.000 EUR angemessen sei.

[5] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge, schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an und ließ die ordentliche Revision „im Hinblick auf die über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen über vom Abgasskandal betroffene KFZ“ zu.

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der er einerseits eine „lineare Berechnung“ des Benützungsentgelts mit 10.943,21 EUR und daher das Zurechtbestehen der Gegenforderung lediglich in Höhe von 2.177,74 EUR sowie andererseits den Zuspruch von Vergütungszinsen aus dem bezahlten Kaufpreis für den Zeitraum zwischen Kaufvertragsabschluss und Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist zulässig , weil das Berufungsgericht von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung des Benützungsentgelts abgewichen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt .

1. Benützungsentgelt

[8] 1.1 Der Kläger weist zutreffend darauf hin, dass nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0134263 = 10 Ob 2/23a; zuletzt ebenso 9 Ob 68/22y Rz 31) der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kfz, der – wie auch im vorliegenden Fall – die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Er ist ausgehend vom Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen.

[9] 1.2 Dass diese „lineare Berechnung“ bloß die Untergrenze des Ersatzes darstellen soll, ist der Entscheidung 10 Ob 2/23a gerade nicht zu entnehmen. Vielmehr erachtete der Oberste Gerichtshof diese Ermittlungsmethode als sachgerecht (Rz 116).

[10] Soweit die Beklagte einwendet, die Methode lasse die Art und Weise der konkreten Nutzung (Intensität, Pflege, etc) außer Acht, übersieht sie, dass es – nach dem vom Obersten Gerichtshof als sachgerecht erachteten, (auch) vom Bundesgerichtshof praktizierten Ermittlungsansatz (10 Ob 2/23a Rz 114 mwN) – auf die unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende durchschnittliche Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs und nicht darauf ankommt, welche Gesamtlaufleistung das Fahrzeug unter günstigsten Bedingungen erreichen kann oder in bestimmten Einzelfällen erreicht hat. Der gezogene Gebrauchsvorteil pro gefahrenem Kilometer wird unabhängig davon bemessen, ob der konkrete Nutzer eine schonende oder beanspruchende Fahrweise an den Tag gelegt hat.

[11] Auch das Argument, die Ermittlungsmethode führe gerade bei „Wenigfahrern“ im Hinblick auf die dann objektiv unüblich lange Nutzungsdauer zu unangemessenen Ergebnissen, weil das Fahrzeug mit dem Alter immer weniger dem Stand der Technik sowie den Sicherheits- und Komforterwartungen entspreche, sodass der Gesamtnutzen abnehme, rechtfertigt kein Abgehen von der erst jüngst vom Obersten Gerichtshof als grundsätzlich sachgerecht erachteten Berechnungsmethode. Einerseits liegt der primäre Gebrauchsnutzen eines Fahrzeugs in der Transportleistung. Dieser lässt sich aber am ehesten anhand der gefahrenen Kilometer im Verhältnis zur Gesamt (rest )laufleistung abbilden. Andererseits stellen im Laufe der Zeit sich generell verändernde technische Standards oder Sicherheits- und Komforterwartungen keine den Gebrauchsnutzen eines konkreten Fahrzeugs verändernde Parameter dar. Mit anderen Worten: Nur weil sich allgemein die technischen Standards oder Sicherheits- und Komforterwartungen verändern (erhöhen), nimmt der Gebrauchsnutzen des konkreten Fahrzeugs nicht ab. Die einem bestimmten Fahrzeug zugeordneten (über die Nutzungsdauer gleich bleibenden) Sicherheits- oder Komforteigenschaften finden vielmehr Ausdruck im Kaufpreis, der ohnehin Ausgangspunkt der „linearen Berechnung“ ist. Dass sich die Eigenschaften im Vergleich zu neueren Fahrzeugen allenfalls verschlechtern, verringert nicht den konkreten Gebrauchsnutzen des erworbenen Fahrzeugs.

[12] 1.3 Ausgehend von der erwarteten Gesamtrestlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 240.260 km und dem damals vereinbarten, marktüblichen Kaufpreis von 45.400 EUR, sowie ausgehend davon, dass der Kläger das Fahrzeug auch nach Geltendmachung der Wandlung weiter nutzte und bis zum Beurteilungszeitpunkt (§ 193 ZPO) damit 60.260 km zurücklegte, schuldet er ein Benützungsentgelt von 11.386,85 EUR.

[13] 1.4 Fraglich ist, ob und wie die in der Nutzungsphase eingetretenen, zu einer Wertminderung in Höhe von 2.500 EUR führenden Schäden an den Vorderrädern zu berücksichtigen sind.

[14] Bei der einer Begrenzung des Benützungsentgelts nach oben dienenden (vgl 10 Ob 2/23a Rz 97) „Händlereinkaufspreis-Methode“ finden derartige Schäden bei Ermittlung des Händlereinkaufspreises Berücksichtigung.

[15] Pfeffer/Wegrath (Benützungsentgelt bei Wandlung, in FS Danzl [2017] 737 [743]) schlagen für die „lineare Berechnung“ vor, die aus in der Nutzungsphase eingetretenen Schäden resultierende Wertminderung dem Benützungsentgelt hinzuzurechnen.

[16] In der Sache geht es aber bei der Frage, ob und in welchem Ausmaß Schäden am zurückzustellenden Fahrzeug – soweit sie sich nicht ohnehin als bloß übliche Gebrauchsspuren darstellen – zu berücksichtigen sind, nicht um die Bemessung des Benützungsentgelts (Gebrauchsnutzens), sondern darum, ob der Kläger als Bereicherungsschuldner für Schäden am zurückzustellenden Fahrzeug einzustehen hat. Da die Beklagte aber die Voraussetzungen für einen derartigen Schadenersatzanspruch nicht darlegt, kann schon deshalb keine Berücksichtigung der Wertminderung des Fahrzeugs aufgrund vorhandener Schäden an den Vorderrädern erfolgen.

[17] Einer Erörterung bedarf es insoweit nicht, weil die Anleitungs- bzw Erörterungspflicht nicht so weit geht, jenseits des konkret behaupteten Anspruchs beratend auf eine Partei einzuwirken (RS0037052 [T7, T15]). Eine allfällige Anleitungspflicht hat sich vielmehr im Rahmen des behaupteten Anspruchs (hier: Benützungsentgelt) zu bewegen (RS0108818).

[18] 1.5 Der Kläger zieht sich bereits einen Betrag von 8.765,47 EUR von seiner Klageforderung ab, sodass eine berechtigte Gegenforderung von 2.621,38 EUR verbleibt. Da der Kläger im Berufungsverfahren das Zurechtbestehen der Gegenforderung in Höhe von 3.946,53 EUR und die insoweit erfolgte (Teil )Abweisung unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ließ, war die Gegenforderung zur Wahrung der Teilrechtskraft in dieser Höhe als zu Recht bestehend festzustellen.

2. Vergütungszinsen

[19] Das Erstgericht sprach dem Kläger unter Hinweis auf die Rückwirkung der Aufrechnung Vergütungszinsen lediglich aus dem letztlich zugesprochenen Betrag seit Kaufvertragsabschluss zu. Inhaltliche Ausführungen gegen die Abweisung seines Vergütungszinsenbegehrens aus dem nicht um das eingewendete Benützungsentgelt reduzierten Kaufpreis für den Zeitraum zwischen Kaufvertragsabschluss und Zustellung der Klage bzw Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz enthielt die Berufung des Klägers – mag sie auch die Gegenforderung samt Zinsenbegehren bekämpft haben – aber nicht. Die insoweit im Berufungsverfahren unterbliebene Rechtsrüge kann daher nicht in der Revision nachgeholt werden (RS0043573 [T43, T46, T47]).

3. Kostenentscheidung

[20] 3.1 Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO.

[21] Der Kläger ist mit rund 89 % seiner Klageforderung durchgedrungen, er ist daher nicht mehr bloß geringfügig iSd § 43 Abs 2 ZPO unterlegen.

[22] Die Beklagte hat ihm daher 78 % seiner Vertretungskosten und 89 % seiner Barauslagen des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen.

[23] Das gelegte Kostenverzeichnis des Klägers ist – auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten – allerdings zu kürzen:

[24] Der – nach § 257 Abs 3 ZPO grundsätzlich unzulässige – Schriftsatz vom 15. 1. 2019 war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht nötig. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund das darin enthaltene Vorbringen nicht in einer nachfolgenden Tagsatzung erstattet werden konnte.

[25] Entgegen der Einwendung der Beklagten dauerte die Befundaufnahme laut dem Gutachten des Sachverständigen von 9:00 Uhr bis 11:30 Uhr. Die verzeichnete Interventionsdauer von zwei Stunden ist daher nicht zu beanstanden. Ein Antrag auf Gutachtenserörterung mit Fragenkatalog kann dann nach TP 3A RATG als aufgetragener Schriftsatz entlohnt werden, wenn die Partei – wie im vorliegenden Fall (ON 22) – aufgefordert wurde, bekannt zu geben worüber der Sachverständige Auskunft geben soll (RS0126467 [Fragenkatalog]). Sachverständigengebühren hatte der Kläger (wie auch die Beklagte) lediglich im Ausmaß von 3.951 EUR zu tragen.

[26] Unter Berücksichtigung der – (nur) teils berechtigten – Einwendungen der Beklagten errechnet sich zu Gunsten des Klägers ein Vertretungskostenersatz für das Verfahren erster Instanz in Höhe von 13.674,10 EUR (netto) und ein saldierter Barauslagenersatz von 4.397,77 EUR.

[27] 3.2 Im Berufungsverfahren unterlag der Kläger letztlich bloß geringfügig mit 210 EUR (im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfte Abweisung von Ummeldekosten) und Nebengebühren, sodass ihm gemäß §§ 43 Abs 2, 50 ZPO voller Kostenersatz auf Basis des obsiegten Betrags zusteht. Mangels Tarifsprungs sind ihm die richtig verzeichneten Berufungskosten (Vertretungskosten: 1.177,60 EUR [netto]; Pauschalgebühr: 1.143 EUR) zu ersetzen. Überdies hat er aufgrund des Unterliegens der Beklagten Anspruch auf die Kosten seiner Berufungsbeantwortung (1.541,60 EUR [netto]).

[28] 3.3 Im Revisionsverfahren drang der Kläger mit rund 88 % durch. Ihm sind daher gemäß §§ 43 Abs 1, 50 ZPO 76 % seiner Vertretungskosten (694,49 EUR [netto]) und 88 % der Pauschalgebühr (1.342,88 EUR) zu ersetzen.

[29] 3.4 Insgesamt ergibt sich daher ein Kostenzuspruch zu Gunsten des Klägers für das Verfahren aller drei Instanzen in Höhe von 27.389 EUR (darin enthalten 3.417,56 EUR USt und 6.883,65 EUR Barauslagen).