JudikaturJustiz2Ob76/23z

2Ob76/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. G*, vertreten durch Mag. Wolfgang Kleinhappel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Eigentümergemeinschaft *, vertreten durch Dr. Wolf Heistinger, Rechtsanwalt in Mödling, wegen 14.000 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 16. Februar 2023, GZ 18 R 14/23x-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 28. November 2022, GZ 4 C 651/22x-8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger stürzte im Februar 2021 als Fußgänger auf der Fahrbahn (Parkstreifen) neben einem schmalen, damals vom Schnee nicht geräumten und gestreuten Gehsteig, der vor der Liegenschaft der beklagten Eigentümergemeinschaft liegt. Der Gehsteig war ca 50 cm breit und verjüngte sich zur Unfallsstelle auf eine Breite von ca 30 cm. Der Kläger hatte vor, von der Fahrbahn kommend den nach der Liegenschaft der Beklagten breiter werdenden Gehsteig zu benützen. Es steht nicht fest, ob der Kläger am Unfallstag den entlang der Liegenschaft der Beklagten verlaufenden Gehsteig benützt hätte, wenn dieser geräumt und gestreut gewesen wäre.

[2] Der Kläger begehrt 14.000 EUR als Schadenersatz und die Feststellung, dass ihm die Beklagte für zukünftige Schäden aus dem Unfall hafte. Die Beklagte habe den vor ihrer Liegenschaft liegenden Gehsteig zum Unfallszeitpunkt nicht geräumt und gestreut. Wenn die Beklagte ihrer Räum- und Streupflicht entsprechend § 93 Abs 1 StVO nachgekommen wäre, hätte der Kläger bereits vor dem späteren Sturzbereich den Gehsteig gefahrlos betreten können. Er hätte den Gehsteig – „auch wenn er noch so schmal ist“ – vor der Liegenschaft der Beklagten für seine weitere Gehrichtung benutzt, und wäre nicht im Bereich der vereisten Fläche knapp außerhalb der Liegenschaft der Beklagten gestürzt. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, nicht nur den (max) 50 cm breiten Gehsteig vor ihrer Liegenschaft zu räumen und zu streuen, sondern über die Breite des Gehsteigs hinaus insgesamt 1 m entlang der Grundstücksgrenze. Der Kläger habe infolge der Verletzung der Räum- und Streupflicht der Beklagten dorthin ausweichen müssen, wo seiner Meinung nach die Gefahr für ihn am geringsten ist. Dadurch sei die Verletzung der Streu- und Räumpflicht der Beklagten für den gegenständlichen Unfall auch kausal gewesen.

[3] Die Beklagte wandte ein, dass der Kläger nie die Absicht gehabt hätte, den Gehsteig vor ihrer Liegenschaft zu nutzen. Zudem sei der Bereich vor ihrer Liegenschaft verparkt gewesen. Die Räumpflicht gehe nicht so weit, auch Flächen zwischen geparkten Fahrzeugen oder Flächen unter parkenden Fahrzeugen von Schnee und Eis zu befreien.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es stehe nicht fest, ob die Unterlassung der Räumung für den Sturz kausal gewesen war, weil nicht feststehe, dass der Kläger den Gehweg vor der Liegenschaft der Beklagten benützt hätte.

[5] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Nach § 93 StVO bestehe bei Vorhandensein eines Gehsteigs keine Verpflichtung, den Straßenrand auch darüber hinaus bis zu 1 m zu räumen. Bei den Bestimmungen über die Streupflicht des § 93 Abs 1 StVO handle es sich zwar um eine Schutznorm iSd § 1311 ABGB. Ungeachtet der dort bestehenden Beweiserleichterungen komme es hier zu keiner Umkehr der Beweislast. Es gehe zu Lasten des Klägers, dass nicht feststehe, ob er den geräumten Gehsteig statt des Parkstreifens benützt hätte.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein Liegenschaftseigentümer nach § 93 Abs 1 StVO auch dann zur Räumung und Streuung eines 1 m breiten Straßenrandstreifens verpflichtet ist, wenn ein schmälerer Gehsteig als 1 m vorhanden ist.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag, der Klage stattzugeben.

[8] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] 1. Nach § 93 Abs 1 StVO haben die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6:00 bis 22:00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind (Satz 1). Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen (Satz 2).

[11] 2. Ein Gehsteig ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs 1 Z 10 StVO ein für den Fußgängerverkehr bestimmter, von der Fahrbahn durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dergleichen abgegrenzter Teil der Straße. Die rechtliche Qualifikation als Gehsteig hängt damit von den tatsächlichen Gegebenheiten ab, aus denen sich einerseits die Bestimmung für den Fußgängerverkehr und andererseits eine Abgrenzung gegenüber der Fahrbahn entsprechend der demonstrativen Aufzählung in § 2 Abs 1 Z 10 StVO ergeben muss (VwGH Ra 2019/02/0118 , 89/03/0230). So ist insbesondere eine für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche, die durch einen Randstein und wegen unterschiedlicher Höhe von der Fahrbahn abgegrenzt ist, als Gehsteig im Sinn der StVO anzusehen ( VwGH 93/02/0009 ).

[12] 3.1 Dass gegenständlich im Bereich der Unfallstelle ein Gehsteig vorlag, wurde von den Parteien vor den Vorinstanzen nicht in Zweifel gezogen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs 1 Z 10 StVO lassen sich auch aus den Feststellungen und dem dem Urteil angeschlossenen Lichtbild ableiten.

[13] 3.2 Die (erstmals) in der Revision vertretene Argumentation des Klägers, dass der gegenständliche Weg wegen seiner geringen Breite gar kein Gehsteig iSd § 2 Abs 1 Z 10 StVO sei, verfängt nicht. Im Gesetz ist keine Mindestbreite für einen Gehsteig normiert. Die Qualifikation einer von der Fahrbahn abgegrenzten Verkehrsfläche als Gehsteig kann wegen der im Gesetz erforderlichen Bestimmung für den Fußgängerverkehr durchaus an einer sehr geringen Breite des Wegs scheitern. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Der gegenständliche Weg in der Breite von 30 cm bis 50 cm ist jedenfalls noch geeignet, durch Fußgänger benützt zu werden. Das korrespondiert auch mit dem erstgerichtlichen Vorbringen des Klägers, wonach er den geräumten Gehsteig – „auch wenn er noch so schmal ist“ – benützt hätte. Auch in der Berufung hielt er ausdrücklich fest, dass „diese Breite aber grundsätzlich aus(reicht), dass ein Fußgänger dort gehen kann“ .

[14] 3.3 Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass im Unfallsbereich entlang der Liegenschaft der Beklagten ein Gehsteig iSd § 2 Abs 1 Z 10 StVO vorhanden war.

[15] 4. Daran anknüpfend erweist sich die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, dass der neben dem Gehsteig liegende Parkstreifen (= Unfallstelle) von der Räum- und Streupflicht der Beklagten nicht umfasst war, als zutreffend.

[16] 4.1 Zu beachten sind dabei die unterschiedlichen Regelungsbereiche in § 93 Abs 1 StVO: Bei Vorhandensein eines Gehsteigs gilt (nur) § 93 Abs 1 Satz 1 StVO, der die Räumpflicht hinsichtlich des Gehsteigs normiert, wobei diese Pflicht den Weg in seiner gesamten Breite betrifft ( 2 Ob 35/22v = RS0133960 ). Hingegen wird die in § 93 Abs 1 Satz 2 StVO normierte Pflicht eines Anrainers, den Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen, nach dem eindeutigen Wortlaut davon abhängig gemacht, dass ein Gehsteig (Gehweg) gar nicht vorhanden ist . Aus diesen Bestimmungen lässt sich nicht ansatzweise ableiten, dass ein Anrainer neben einem vorhandenen Gehsteig hinaus eine weitere Verkehrsfläche räumen muss. Hätte der Gesetzgeber eine solche Pflicht bei Wegen unter 1 m bejaht, wäre es naheliegend gewesen, dies an passender Stelle (Satz 1) zu regeln, was aber unterblieben ist.

[17] 4.2 Für die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht spricht auch § 76 Abs 1 StVO, wonach Fußgänger auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen haben. Auch die Bestimmung des § 93 StVO gilt dem Fußgängerverkehr ( RS0075581 [T3, T5]) und soll damit insbesondere die Sicherheit der Fußgänger gewährleisten (2 Ob 35/22v). Es wäre nicht verständlich, wenn bei Vorhandensein eines für den Fußgängerverkehr bestimmten Gehsteigs der Anrainer dennoch verpflichtet wäre, eine weitere Fläche der Straße zu säubern, die von Fußgängern im Allgemeinen gar nicht benützt werden dürfte.

[18] 4.3 Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu 0657/64 (ZVR 1966/110 = RS0075592 ). In dieser Entscheidung wurde nur ausgesprochen, dass die Pflicht der Anrainer, eine 1 m breite Fläche zu räumen, nach Beseitigung eines Gehsteigs zu bejahen ist.

[19] 5. Die Ausführungen im Rechtsmittel zum Anscheinsbeweis gehen schon deshalb ins Leere, weil sie an die hier verneinte Pflicht der Beklagten anknüpfen, auch bei Vorhandensein eines Gehwegs jedenfalls einen Bereich von 1 m von der Grundstücksgrenze zu räumen.

[20] 6. Zusammengefasst war die unterlassene Räumung des Gehsteigs für den eingetretenen Schaden nicht kausal. Der Revision war damit keine Folge zu geben.

[21] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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