JudikaturJustiz2Ob56/02b

2Ob56/02b – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Dr. Zechner und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mario T*****, vertreten durch Dr. Andrea Haniger, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Toni B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Tschurtschenthaler, Rechtsanwalt in Reith bei Seefeld, wegen Vaterschaft und Unterhalt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2001, GZ 3 R 286/01g 22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Telfs vom 12. April 2001, GZ 1 C 78/00w 13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teiles in seinem Punkt 2 wie folgt zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters ab der Geburt, das ist vom 25. Oktober 1998 bis zum 30. November 2000 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von EUR 70,54 (S 970,66) sowie ab 1. April 2001 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von EUR 145,35 (S 2.000) bis auf weiteres, längstens bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit zu bezahlen und zwar die bis zur Rechtskraft des Urteils fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge am 1. eines jeden Monats im Vorhinein.

Das Mehrbegehren auf Bezahlung eines weiteren monatlichen Unterhalts von EUR 74,82 (S 1.029,34) in der Zeit vom 25. Oktober 1998 bis 30. November 2000 sowie von EUR 145,35 (S 2.000) in der Zeit vom 1. Dezember 2001 bis 31. März 2002 wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 72,67 (S 1.000) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit EUR 266,65 (darin enthalten EUR 44,44 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 25. 10. 1998 in Innsbruck geboren. Er begehrt mit seiner Klage, den Beklagten als seinen Vater festzustellen und ihn zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages von S 2.000 ab Geburt zu verpflichten. Der Beklagte habe in der gesetzlichen Empfängniszeit der Mutter beigewohnt und erziele als Taxilenker ein monatliches Nettoeinkommen von S 5.000; zur Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage werde auf den Anspannungsgrundsatz verwiesen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; die Mutter habe in der kritischen Zeit auch mit anderen Männern geschlechtlich verkehrt. Die Vaterschaft eines anderen Mannes sei wahrscheinlicher.

Das Erstgericht stellte - unbekämpft - die Vaterschaft des Beklagten zum Kläger fest und verpflichtete ihn zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 1.500 für den Zeitraum 25. 10. 1998 bis August 1999 und ab dem 1. 9. 1999 bis auf weiters, längstens bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit, zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrages von S 2.000,- an den Minderjährigen.

Es ging - soweit noch von Bedeutung - von nachstehenden Feststellungen aus.

Der Beklagte arbeitet seit 12. 3. 1998 als Taxifahrer in Innsbruck und verdient bei 20 Wochenstunden monatlich ca S 5.000 netto. Bei ihm wurde Ende Februar 1998 die Diagnose einer chronischen Hepatitis B als Verdachtsdiagnose gestellt und in weiterer Folge durch Kontrollen bestätigt. Der Beklagte wurde bis zum August 1999 wegen dieser Krankheit behandelt, was zu einer Normalisierung der Lebertransanimasen geführt hat; eine dringende neuerliche Therapieindikation besteht nicht. Eine chronische Hepatitis B bedeutet nur im Aktivitätsstadium eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit; diese hat im vorliegenden Fall von Anfang März 1999 bis August 1999 gedauert.

Der Beklagte zahlt seit Zustellung des serologisch - erbgenetischen Gutachtens (Anfang November 2000) und daher seit Erlangung der Gewissheit, dass er der Vater des Klägers ist, monatlich S 2.000 an Unterhalt.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, der Beklagte sei seit August 1999 in der Lage gewesen, normal zu arbeiten. Da er seit März 1998 nur halbtags arbeite, sei er anzuspannen. Der Beklagte könnte als Taxifahrer bei einer 40 Stunden Woche als unterste Grenze mindestens S 12.500 monatlich verdienen; davon stünden dem Kläger 16 % zu, was für die Zeit der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit des Vaters S 1.500 und ab September 1999 S 2.000 an Unterhaltsbeitrag ergebe.

Das vom Vater lediglich gegen die Unterhaltsentscheidung angerufene Berufungsgericht gab der Berufung Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es verpflichtete den Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages von S 970,66 ab Geburt des Klägers bis auf weiteres, längstens bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit und wies ein Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren Unterhaltsbeitrages von S 1.029,34 monatlich ab.

Das Berufungsgericht führte rechtlich aus, der Unterhaltsanspruch des Kindes entstehe grundsätzlich mit der Geburt und hänge nicht von der Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht, bzw ab wann dieser "absolute Gewissheit, als Vater in Betracht zu kommen", haben musste, ab. Der Kenntnis des Vaters von der Unterhaltspflicht sei insofern Bedeutung zuzumessen, als es der ständigen Judikatur entspreche, dass es dieser bedürfe, um den Unterhalt im Wege der Anspannung festsetzen zu können. Die Anspannung einer mit einer Unterhaltsverpflichtung nicht konfrontierten Person sei schon deshalb abzulehnen, weil der Anspannungsgrundsatz stets den Vorwurf eines nicht normorientierten Verhaltens enthalte. So sei bereits ausgesprochen worden, dass sich die Unterhaltsfestsetzung für den Zeitraum vor Kenntnis der Unterhaltspflicht am tatsächlich bezogenen und nicht möglicherweise erzielbaren Einkommen zu orientieren habe. Hier sei der Beklagte mit ein und demselben Urteil als Vater festgestellt und unter Zugrundelegung des Anspannungsgrundsatzes zu einer monatlichen Unterhaltsleistung verpflichtet worden. In einem solchen Fall gehe es aber nicht an, den Unterhaltspflichtigen, der seine Vaterschaft unter Hinweis auf den Mehrverkehr bestritten habe, anzuspannen und ihm damit bereits aufgrund einer allenfalls noch ungewissen Sorgepflicht die Verpflichtung aufzuerlegen, all seine Kräfte zur Erzielung eines höheren Einkommens einzusetzen. Die Unterhaltsentscheidung habe sich daher hier an den realen Einkommensverhältnissen des Vaters zu orientieren. Vom Erstgericht sei unbekämpft ein monatliches Einkommen von S 5.000 festgestellt, doch seien (von beiden Parteien unbekämpft) weitere Sorgepflichten und ein allfälliges Trinkgeld nicht berücksichtigt worden. Ausgehend vom zugestandenen Einkommen des Vaters von S 5.200 monatlich ergebe sich unter Zugrundelegung der Prozentsatzmethode und unter Außerachtlassung des Anspannungsgrundsatzes ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von S 970,66.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es zwar der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspreche, dass eine Anspannung nur bei Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht in Frage komme, doch bleibe die Frage offen, "wann" von dieser Kenntnis auszugehen sei. Dazu kämen sowohl der Zeitpunkt der Einbringung der Klage als auch jenes der Zustellung des serologisch - erbgenetischen Gutachtens in Betracht, doch sei eine Anspannung erst mit Rechtskraft des Vaterschaftsurteils gerechtfertigt.

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass ihm ab seiner Geburt bis zum 1. 11. 2000 ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von S 1.200 und danach ein solcher von S 2.000 bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit zugesprochen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Gegenschrift, dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.

Die in der Revision enthaltenen - nicht näher ausgeführten - Vorwürfe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft. Sie liegen nicht vor, was nicht weiters zu begründen ist.

Soweit die Revision weiters ausführt, bereits ohne Anwendung des Anspannungsgrundsatzes sei von einem tatsächlich erzielten Einkommen des Klägers von S 7.316 auszugehen, was zumindest einen Unterhaltsanspruch von S 1.200 monatlich begründe, ist dem entgegenzuhalten, dass eine derartige Feststellung vom Erstgericht - wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt - nicht getroffen wurde. Diese Ausführungen entfernen sich daher vom festgestellten Sachverhalt.

In der Sache selbst ist auszuführen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass der Unterhaltsanspruch eines außerehelichen Kindes auf dem Gesetz beruht (§§ 140, 166 ABGB) und daher grundsätzlich bereits mit der Geburt entsteht. Die Unterhaltspflicht hängt daher nicht von der Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht ab, bzw davon, ab wann dieser "absolute Gewissheit, als Vater in Betracht zu kommen" haben musste (RIS Justiz RS0102045 mwN). Weiters wurde bereits ausgesprochen, dass sich diese Grundsätze nicht ohne weiteres auf die Obliegenheit zur Anspannung der eigenen Kräfte im Interesse des Kindes übertragen lassen. Nach der sogenannten Anspannungstheorie trifft den Unterhaltspflichtigen die Obliegenheit, im Interesse der Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, so wird er so behandelt, als bezöge er die Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte beziehen können (SZ 63/74; Schwimann, Unterhaltsrecht2, 61). Die Anspannungsobliegenheit besteht aber nur unter der Voraussetzung eines Verschuldens des Unterhaltspflichtigen; der Verpflichtete muss also in Kenntnis seiner Unterhaltspflicht das Fehlen eines Einkommens oder das Mindereinkommen verschuldet haben (vgl 7 Ob 39/00m, RIS Justiz RS0106973; Schwimann, aaO 64).

Der Beklagte ist dem Begehren auf Feststellung seiner Vaterschaft zum Kläger mit der Behauptung des Mehrverkehrs während der kritischen Zeit entgegengetreten. Das serologisch erbgenetische Gutachten, in welchem eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9999 % ermittelt wurde und die "Vaterschaft als praktisch erwiesen" angesehen wurde, wurde dem Beklagten nach dem Akteninhalt am 2. 11. 2000 zugestellt. Die die Vaterschaft des Beklagten feststellende Entscheidung wurde ihm am 29. 5. 2001 zugestellt.

Nach den oben dargelegten Grundsätzen setzt die Anspannungsobliegenheit die Kenntnis des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltspflicht sowie ein Verschulden am Einkommensmangel voraus.

Der erkennende Senat vertritt die Rechtsansicht, diese Kenntnis ist jedenfalls mit Zustellung des serologisch - erbgenetischen Gutachtens, in welchem die Vaterschaft als "praktisch erwiesen" angesehen wurde, anzusetzen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt musste dem Beklagten bewusst sein, Vater des Klägers zu sein. Er hätte daher ab Zustellung des Gutachtens Anstrengungen unternehmen müssen, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, wofür ihm ein Monat bis zur Erhöhung der Unterhaltspflicht zur Verfügung stand.

Da aber der Beklagte seit Zustellung des Gutachtens (November 2000) nach den erstgerichtlichen Feststellungen ohnehin seiner Unterhaltspflicht (freiwillig) nachkommt und der Unterhalt tatsächlich geleistet wurde, ist das diesbezügliche Begehren abzuweisen. Die Unterhaltsverpflichtung des Beklagten ist aber mit Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz festzusetzen, weil im Hinblick auf die festgestellte Verletzung der Unterhaltspflicht nicht abzusehen ist, ob der Beklagte in Zukunft seiner Unterhaltspflicht nachkommt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 2 ZPO; der Kläger ist letztlich nur mit einem geringfügigen Teil seines Begehrens unterlegen, weshalb ihm die gesamten Kosten zuzusprechen waren. Die Bestimmung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 1 Abs 2 Z 1 des Bundesgesetzes vom 22. Mai 1969 (idF BGBl 1997/140) über die Bestimmung der Kosten der durch die Bezirksverwaltungsbehörde vertretenen Minderjährigen im gerichtlichen Verfahren.