JudikaturJustiz2Ob521/84

2Ob521/84 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Februar 1984

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache des mj H***** N*****, infolge Revisionsrekurses der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien (Jv 60.894 33 c/80) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. September 1983, GZ 43 R 921/83 34, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 17. Juni 1983, GZ 6 P 142/80 30, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird, soweit er den mj H***** N***** betrifft, zurückgewiesen.

Im Übrigen, also hinsichtlich der Mutter und des gesetzlichen Vertreters wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Aufgrund eines Beschlusses vom 4. 9. 1980 wurden H***** N***** Unterhaltsvorschüsse bis 31. 8. 1981 gewährt. In einem mit 28. 3. 1981 datierten, beim Erstgericht am 12. 5. 1981 eingelangten Schreiben zeigte das Bezirksjugendamt für den 4. und 5. Bezirk an, dass der Minderjährige seit 12. 3. 1981 bei der Firma P***** beschäftigt sei und dort monatlich ca 5.100 S brutto ohne Sonderzahlungen verdiene. Mit Beschluss vom 25. 9. 1981 stellte das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse mit Wirkung vom 31. 3. 1981 ein. Die Vorschüsse waren jedoch bis 31. 8. 1981 ausbezahlt worden.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien beantragte, das Kind, seinen gesetzlichen Vertreter und seine Mutter, in eventu den Unterhaltsschuldner zur Rückzahlung des für die Zeit vom 1. 4. bis 31. 8. 1981 zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschussbetrags von 9.210 S zu verpflichten.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, die ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse seien gutgläubig für den Minderjährigen verbraucht worden, es liege keine Verletzung der Mitteilungspflicht vor, der laufende Unterhalt des Kindes wäre durch eine Rückzahlung gefährdet.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, die bezüglich des Unterhaltsschuldners nicht angefochten worden war, hinsichtlich der Abweisung des Antrags, das Kind, seinen gesetzlichen Vertreter und seine Mutter zur Zahlung des zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschussbetrags von 5.526 S (Überzahlung für die Zeit vom 1. 6. bis 31. 8. 1981) zu verpflichten, hob den Beschluss im Übrigen (die bezügliche Abweisung des Ersatzes von 3.684 S für die Zeit vom 1. 4. bis 31. 5. 1981) gegen die Mutter und den gesetzlichen Vertreter auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Das Gericht zweiter Instanz führte aus, eine Ersatzpflicht für zu Unrecht ausbezahlte Vorschüsse, die vom Kind nicht hereingebracht werden könnten, bestehe nur, wenn die Gewährung der Vorschüsse durch die Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst worden sei. Ein Haftungsgrund sei nicht allein deshalb gegeben, weil der Haftpflichtige in Kenntnis des Einstellungsgrundes die erhaltenen Unterhaltsvorschüsse nicht aufbewahre, sondern für das Kind verwendet habe. Sei trotz erfolgter Anzeige nach § 21 UVG eine die laufende Vorschussgewährung beeinträchtigende Reaktion des Gerichts für den Vorschussempfänger nicht erkennbar, so könne er vielmehr davon ausgehen, dass seine Mitteilung nicht zum Anlass der Einstellung der Vorschüsse genommen worden sei. § 21 UVG verfolge den Zweck, das Gericht in Kenntnis von Umständen zu setzen, die zur amtswegigen Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG führen könnten. Sei ein solcher Umstand bereits aktenkundig, so komme der Unterlassung weiterer Anzeigen nach § 21 UVG keine Bedeutung zu. Im Regelfall bekomme das Kind das Geld nicht in seine Hände, die Verwendung erfolge durch die Mutter, deren Anordnungen das Kind zu befolgen habe. Es könne der Mutter somit keine Vorschriften machen, wie sie mit den vereinnahmten Unterhaltsvorschüssen zu verfahren habe. Das schließe von vornherein Unredlichkeit und Rechtsmissbrauch aus. Der im Rekurs in Anspruch genommene Haftungsgrund sei daher mit dem Einlangen der Anzeige beim Gericht mit 12. 5. 1981 für die nachfolgende Periode jedenfalls nicht mehr gegeben, weshalb ihm insoweit der Erfolg zu versagen sei. Berechtigt sei der Rekurs jedoch insoweit, als aus dem Akteninhalt nicht klar hervorgehe, inwieweit der gesetzliche Vertreter des Kindes und die Mutter, die das Kind pflegt und erzieht, der im § 21 UVG normierten Mitteilungspflicht bezüglich des Eintritts des Herabsetzungs bzw Einstellungsgrundes der Vorschüsse für den Zeitraum vom 1. 4. bis 31. 5. 1981 nachgekommen seien. Das Schreiben des Bezirksjugendamts sei mit 28. 4. 1981 datiert, jedoch erst am 12. 5. 1981 bei Gericht eingelangt. Die Mutter habe anlässlich ihrer Einvernahme angegeben, sie habe die Arbeit ihres Sohnes sofort gemeldet. Dem widerspräche die Aktenlage. Objektiv sei sicher eine Verspätung gegeben. Zu prüfen bleibe, ob die im § 22 Abs 1 UVG angeführten subjektiven Tatelemente (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) vorliegen. Zu beachten sei, dass die Anzeigepflicht gegenüber dem Gericht bestehe und daher eine Anzeige an das Jugendamt nicht befreie. Mangelnde Rechtskenntnis werde von der Mutter zu verantworten sein, weil dahingehende Belehrungen in der für sie als Zahlungsempfängerin bestimmten Beschlussausfertigung enthalten seien. Allerdings seien auch in diesem Zusammenhang die subjektiven Tatelemente nicht unbeachtet zu lassen. Auch dürfe eine Ersatzpflicht den laufenden Unterhalt des Kindes nicht gefährden.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien. Er führt aus, nach der Begründung des Beschlusses sei eher anzunehmen, dass sich die teilweise Aufhebung nur auf den Rückersatzantrag gegenüber der Mutter und dem Unterhaltssachwalter, nicht aber auch auf den Rückersatzanspruch gegenüber dem Minderjährigen beziehe, aus dem Spruch sei dies aber keineswegs zweifelsfrei zu entnehmen. Der Beschluss des Rekursgerichts werde bekämpft, soweit nicht der Minderjährige bzw nach ihm seine Mutter und der Unterhaltssachwalter zum Ersatz der gesamten zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschussbeträge in der Höhe von 9.210 S verpflichtet werden. § 22 Abs 1 UVG schließe die Rückersatzpflicht des Kindes unter anderem nur dann aus, wenn die zu Unrecht bezahlten Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes verbraucht worden seien. Da der Minderjährige über ein Monatseinkommen von 5.100 S zuzüglich Sonderzahlungen verfüge und noch bei der Mutter wohne, sei eine Befriedigung aller Unterhaltsbedürfnisse gewährleistet, sodass für einen Verbrauch eines weiter bezogenen, darüber hinausgehenden Geldbetrags für den Unterhalt im Sinne der Bestimmung des § 22 Abs 1 UVG kein Raum mehr bestehe. Ein Verbrauch für andere Zwecke des Minderjährigen sei nicht als Verbrauch für den Unterhalt zu beurteilen. Schon deshalb wäre der Minderjährige zum Rückersatz der zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse zu verpflichten gewesen. Wisse der gesetzliche Vertreter, dass der Minderjährige keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss mehr habe, befreie der Verbrauch den Minderjährigen nicht von der Verpflichtung zum Rückersatz, weil in einem solchen Fall das Berufen auf den Verbrauch für den Unterhalt einen Rechtsmissbrauch darstellen würde. Der Minderjährige habe für die Vorgangsweise seiner gesetzlichen Vertreter einzustehen. Sollte eine Rückersatzpflicht des Minderjährigen verneint werden, so wären der Unterhaltssachwalter bzw die Mutter als Empfängerin der Zahlungen zum Rückersatz zu verpflichten, weil sie die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht ehestens mitgeteilt hätten bzw in Kenntnis des Wegfalls des Vorschussgrundes nicht dafür gesorgt hätten, dass diese Beträge nicht mehr für den Minderjährigen verwendet würden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu ist Folgendes zu erwägen:

Richtig ist, dass im Spruch der Entscheidung nicht ausdrücklich ausgeführt ist, die Entscheidung werde hinsichtlich des Minderjährigen zur Gänze bestätigt. Da die Aufhebung jedoch ausdrücklich nur die Mutter und den gesetzlichen Vertreter betrifft und sich aus der Begründung eindeutig ergibt, dass nach Ansicht des Rekursgerichts höchstens die Mutter und der gesetzliche Vertreter für die für die Zeit vom 1. 4. bis 31. 5. 1981 ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse haften, besteht kein Zweifel daran, dass hinsichtlich des Minderjährigen eine volle Bestätigung vorliegt. Da die teils bestätigenden, teils aufhebenden Aussprüche des Rekursgerichts verschiedene Personen betreffen, liegt keine bloß teilweise bestätigende Entscheidung im Sinne des Jud 56 neu vor (5 Ob 355/58). § 16 AußStrG ist daher auf die Entscheidung hinsichtlich des Minderjährigen anzuwenden. Anfechtungsgründe im Sinne dieser Gesetzesstelle werden im Revisionsrekurs aber nicht geltend gemacht, weshalb dieses Rechtsmittel, soweit es den Minderjährigen betrifft, zurückgewiesen werden musste.

Hinsichtlich der Mutter und des gesetzlichen Vertreters ist zunächst zu erörtern, ob im Hinblick auf die rechtskräftige Abweisung des Antrags gegen den Minderjährigen wegen Verbrauchs für seinen Unterhalt überhaupt die subsidiäre Haftung bestehen kann, zumal in SZ 52/69 ausgesprochen wurde, der gesetzliche Vertreter könne nur in Anspruch genommen werden, 1.) bei Bestehen einer Rückzahlungspflicht des Kindes, wenn also die zu Unrecht bezahlten Vorschüsse weder nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz UVG einbehalten werden können noch für den Unterhalt des Kindes bereits verbraucht worden sind und 2.) nach Feststellung der Unmöglichkeit der Hereinbringung der zu Unrecht gewährten Vorschüsse vom Kind. Der erkennende Senat teilt die Ansicht, Voraussetzung der Heranziehung der subsidiär haftenden Personen sei eine Ersatzpflicht des Kindes, nicht. Schon in 1 Ob 682/80 (EFSlg 36.580) wurde in einem Fall, in welchem der Rückersatzantrag gegen den Minderjährigen bereits vom Erstgericht rechtskräftig wegen Verbrauchs des Vorschusses für den Unterhalt abgewichen worden war, der Antrag bezüglich der Mutter nicht mit der Begründung abgewiesen, es bestehe keine Ersatzpflicht des Minderjährigen, sondern deshalb, weil keine (kausale) Verletzung der Mitteilungspflicht vorliege. In 6 Ob 504/84 sprach der Oberste Gerichtshof aus, über die Rückersatzpflicht der Mutter dürfe nicht vor einer (negativen) Entscheidung in Ansehung des Kindes erkannt werden. Der Ausspruch, das Kind könne wegen Verbrauchs für den Unterhalt nicht zum Ersatz herangezogen werden, schließt eine Heranziehung der Mutter und des gesetzlichen Vertreters, deren Haftung schadenersatzrechtlicher Natur ist (6 Ob 504/84), nicht aus. Anderenfalls käme man zu dem Ergebnis, dass bei Verbrauch der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes eine Ersatzpflicht der subsidiär haftenden Personen selbst bei vorsätzlicher Verletzung der Mitteilungspflicht nicht bestünde. Eine derartige Auslegung würde dem Zweck der Vorschrift des § 22 Abs 1 letzter Satz UVG widersprechen.

Die Frage des Verbrauchs des Vorschusses für den Unterhalt des Minderjährigen wurde in dem diesen betreffenden, bereits rechtskräftig erledigten Verfahren entschieden, sie kann im Verfahren gegen die Mutter und den gesetzlichen Vertreter nicht neuerlich aufgerollt werden. Auf die umfangreichen Ausführungen im Revisionsrekurs, bei Verbrauch eines Betrags, der den gesetzlichen Unterhaltsanspruch übersteige, könne nicht von einem Verbrauch für den Unterhalt gesprochen werden, braucht daher nicht eingegangen zu werden. Den Ausführungen des Revisionsrekurses über einen Rechtsmissbrauch ist entgegenzuhalten, dass es nach der Entscheidung 6 Ob 614/83 (Österreichischer Amtsvormund 1983, 107) zwar rechtsmissbräuchlich ist, sich auf den Verbrauch der Vorschüsse für den Unterhalt zu berufen, soweit der Minderjährige selbst durch seinen Vertreter den Antrag auf Einstellung der Vorschüsse wegen Wegfalls der Voraussetzungen gestellt hat, der Verbrauch des Vorschusses in Kenntnis eines Einstellungsgrundes führt nach der Rechtsprechung jedoch für sich allein noch zu keiner Haftung (1 Ob 682/80 = EFSlg 36.580).

Entscheidend für die Beurteilung der Rückersatzpflicht der Mutter und des gesetzlichen Vertreters ist daher, ob eine relevante Verletzung der Anzeigepflicht vorliegt. Dabei ist davon auszugehen, dass das Erstgericht durch die am 12. 5. 1981 bei ihm eingelangte Mitteilung des Bezirksjugendamts Kenntnis vom Einstellungsgrund erlangte, weshalb eine zusätzliche Verpflichtung der Mutter, ebenfalls nach § 21 UVG vorzugehen, ab diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand (vgl 1 Ob 682/80 = EFSlg 36.580). Es bestand aber auch keine weitere Verpflichtung des Jugendamts, das Gericht auf den bereits mitgeteilten Einstellungsgrund hinzuweisen. Daher war die Auszahlung der Vorschüsse ab 1. 6. 1981 nicht auf eine Verletzung der Mitteilungspflicht zurückzuführen, weshalb das Rekursgericht die abweisende Entscheidung des Erstgerichts für die ab diesem Zeitpunkt ausbezahlten Vorschüsse mit Recht bestätigte.

Hinsichtlich der in der Zeit vom 1. 4. bis 31. 5. 1981 ausbezahlten Vorschüsse könnte einer Verletzung der Mitteilungspflicht jedoch entscheidende Bedeutung zukommen. Zu diesem Thema ist eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz erforderlich, weshalb auch der aufhebende Teil der Rekursentscheidung zu bestätigen war.

Rechtssätze
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