JudikaturJustiz2Ob51/97g

2Ob51/97g – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. April 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz M*****, vertreten durch Dr.Gerhard Haslbauer, Rechtsanwalt in Laakirchen, wider die beklagten Parteien 1. P***** Baugesellschaft mbH, ***** und 2. Gerhard K*****, beide vertreten durch Dr.Erasmus Schneditz-Bolfras und andere Rechtsanwälte in Gmunden, wegen Zahlung von S 400.000 sA und Feststellung, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 9. Dezember 1996, GZ 1 R 271/96w-29, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 28.Oktober 1996, GZ 2 Cg 239/95i-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Zweitbeklagten an Kosten der Rechtsmittelverfahren den Betrag von S 37.598,15 binnen 14 Tagen zu ersetzen; die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von S 3.616,65 binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die erstbeklagte Partei führte im Herbst 1994 im Auftrag des Amtes der oberösterreichischen Landesregierung auf der Gmundener Bundesstraße Asphaltabfräsungen als Vorbereitung für eine Neuasphaltierung durch; sie setzte den bei ihr angestellten Zweitbeklagten als Polier ein. Mit Bescheid vom 27.9.1994 waren der erstbeklagten Partei für die Dauer der verkehrsbeeinträchtigenden Arbeiten ua nachstehende Auflagen und Bedingungen vorgeschrieben worden:

"3. Die Arbeiten sind bei Aufrechterhaltung des Straßenverkehrs auszuführen.

4. Die benötigten Straßenflächen sind mit rot-weiß gestreiften Schranken oder gleichwertigen Hilfsmitteln auch parallel zum Fahrbahnrand verkehrssicher abzusichern.

6. Die Absperrung ist bei Dämmerung, Dunkelheit, Nebel oder wenn es

die Witterung sonst erfordert, zu beleuchten. ......

7. Die Fahrbahn der Gmundener Straße B 144 darf höchstens halbseitig

verengt werden.

8. Der Straßenverkehr auf der B 144 darf weder unterbrochen noch

gefährdet werden.

9. Das Zu- und Abfahren zu bzw von innerhalb der Arbeitsstelle

gelegenen Haus- und Grundstückseinfahrten ist im Einvernehmen mit den

Inhabern in geeigneter Weise jederzeit zu gewährleisten. ......

17. Die in der Beilage und der Verordnung vom 27.9.1994 enthaltenen

Straßenverkehrszeichen sind unmittelbar vor dem jeweiligen Beginn der

bewilligten Arbeiten nach Maßgabe des Fortschreitens bzw ihrer

Beendigung ....... anzubringen, ordnungsgemäß zu erhalten und zu

entfernen .......".

Die im Punkt 17. erwähnte Beilage sah ua die Aufstellung des Gefahrenszeichens "Baustelle" gemäß § 50 Z 9 StVO 150 bis 250 m vor der Arbeitsstelle (im Ortsgebiet entsprechend näher) vor. Die dort weiters angeführte Verordnung verfügte ua eine "Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h" gemäß § 52 Z 10 lit a und b gegebenenfalls Z 11 StVO für den Bereich 50 m vor der Arbeitsstelle bis unmittelbar danach.

Am 29.9.1994 fuhr der Kläger gegen 21.20 Uhr, also bei Dunkelheit, mit seinem Moped im Baustellenbereich von Steyrermühl kommend in Richtung Gmunden. Er wollte nach rechts in das Betriebsgelände einer Papierfabrik, wo er seinen Arbeitsplatz hatte, abbiegen und zu diesem Zweck auf den dafür vorgesehenen Rechtsabbiege- bzw Verzögerungsstreifen überwechseln. Da der geradeaus weiterführende Fahrtstreifen der B 144 bereits abgefräst war, noch nicht aber der Verzögerungsstreifen, bestand zwischen diesen beiden Fahrstreifen ein Niveauunterschied in Form einer in Fahrbahnlängsrichtung verlaufenden Kante bzw Stufe. Der Kläger nahm diese Stufe nicht wahr und stürzte, wobei er sich schwer verletzte.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger den Zuspruch von 400.000 S an Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Unfallsfolgen. Er brachte vor, die beklagten Parteien hätten es unterlassen, die Längskante entsprechend abzusichern, obwohl ihnen die daraus resultierende Gefahr bewußt gewesen sei.

Die beklagten Parteien wendeten ein, die Baustelle sei ordnungsgemäß abgesichert gewesen, eine Sperre des nur um 3 cm höheren Rechtsabbiegestreifens sei weder zulässig noch möglich gewesen. Der Unfall sei allein auf die Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen. Der Zweitbeklagte wendete noch ein, er sei als Bediensteter der bauausführenden erstbeklagten Partei von vornherein nicht persönlich für eine allenfalls mangelhafte Absicherung haftbar.

Das Erstgericht verurteilte die erstbeklagte Partei zur Zahlung von S 300.000 sA und stellte deren Haftung für 3/4 aller wie immer gearteten Ansprüche fest. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren und somit auch das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Klagebegehren wurde abgewiesen.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Zum Unfallszeitpunkt war die Arbeit für diesen Tag bereits beendet worden. Die Abfräsung der Fahrbahn der B 144 begann jedenfalls schon mehrere hundert Meter vor Beginn des Rechtsabbiegestreifens. Der von der erstbeklagten Partei mit der Absicherung der Baustelle betraute Zweitbeklagte hatte die im Bescheid vorgesehenen Straßenverkehrszeichen und darüber hinaus aus eigenem das Gefahrenzeichen "Querrinne oder Aufwölbung" aufstellen lassen. Den Rechtsabbiege- bzw Verzögerungsstreifen hatte der Zweitbeklagte über die ersten 20 m (also bis dort, wo er volle Fahrbahnbreite erreicht) abfräsen lassen, weshalb dort die Möglichkeit bestand, über eine abgeschrägte Querkante auf diesen (ansonsten noch nicht abgefrästen) Fahrstreifen aufzufahren. Die anschließende, 3 oder 4 cm hohe Längskante bis zum Zufahrtstrichter war nicht eigens abgesichert, insbesondere waren entlang dieser ungefähr 70 m langen Kante weder "Hütchen" noch Abschrankungen aufgestellt. Es war auch kein besonderes Hinweisschild vorhanden, welches auf die Längskante aufmerksam gemacht hätte. Der Zweitbeklagte war sich des Umstandes bewußt, daß eine derartige Längskante innerhalb der Fahrbahn eine Gefahrenquelle darstellt. Er wollte deshalb ursprünglich den Verzögerungsstreifen überhaupt oder zumindest großteils für den Verkehr sperren. Davon nahm er Abstand, weil der von ihm damit konfrontierte Portier der Papierfabrik meinte, der Verzögerungsstreifen müsse befahrbar bleiben. Daß ohnehin noch zwei andere Zufahrten zur Fabrik bestehen, wußte der Zweitbeklagte nicht. Bei Anbringung einer Absicherung bzw Abplankung entlang der Längskante wäre der Rechtsabbiegestreifen maximal 2,8 m breit und damit so schmal gewesen, daß LKW-Züge darauf nur mehr extrem langsam hätten fahren können. Allerdings wäre es unter Aufrechterhaltung des Zufahrtsverkehrs möglich gewesen, den Verzögerungsstreifen bis zum Einmündungstrichter der Zufahrt vollständig zu sperren und lediglich diesen Trichter so weit offen zu halten, daß LKW-Züge vom Normalstreifen aus nach rechts in die Fabrikszufahrt abbiegen können. Eine solche Führung des Abbiegeverkehrs hätte automatisch den Zufahrtswinkel deutlich erhöht, also das Anfahren der Längskante in einem spitzen Winkel verhindert. Außerdem wäre es möglich gewesen, mittels einer Warntafel auf die zu überwindende Fahrbahnstufe aufmerksam zu machen.

Der Kläger hielt im Baustellenbereich eine Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h ein, weil die abgefräste Fahrbahn rauh und holprig war. Der Anhalteweg betrug 10 bis 18 m. Da es keinen Gegenverkehr gab, hatte er das Fernlicht eingeschaltet, welches jedenfalls 30 m reicht. Er fuhr nicht gleich am Beginn des Rechtsabbiegestreifens auf diesen auf, sondern erst nach 35 bis 40 m. Durch den spitzen Anfahrtswinkel nach rechts wurde das Vorderrad des Mopeds von der Längskante, die der Kläger nicht wahrgenommen hatte, abgelenkt. Dies führte zu einer Instabilität des Mopeds und dazu, daß der Kläger auf die Fahrbahn stürzte.

Zum Unfallszeitpunkt stellte sich der nicht abgefräste Verzögerungsstreifen als hellgraue Fläche dar, während der abgefräste Teil der Fahrbahn von der Wasserberieselung noch feucht und dunkler war. Hätte der Kläger der Trennlinie zwischen diesen sich optisch unterscheidenden Flächen erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, dann hätte er das Vorhandensein eines Höhenunterschiedes erkennen und sich durch Wahl eines stumpferen Anfahrwinkels darauf einstellen können.

Der Kläger wurde durch den Unfall schwer verletzt, es bestehen Dauerfolgen.

In rechtlicher Hinsicht vermeinte das Erstgericht, das gegen den Zweitbeklagten gerichtete Klagebegehren sei deshalb abzuweisen, weil die Verpflichtung zur Kennzeichnung und Absicherung einer Straßenbaustelle nur den Bauführer treffe, nicht aber dessen Bedienstete.

Die erstbeklagte Partei habe aber als Bauführer dafür einzustehen, daß die Asphaltlängskante nicht hinreichend abgesichert war. Der Kläger habe ein Mitverschulden zu vertreten, weil es ihm bei erhöhter Aufmerksamkeit möglich gewesen wäre, die in Fahrbahnlängsrichtung verlaufende Stufe zu erkennen und die Fahrweise darauf einzustellen.

Im Hinblick auf die schweren Verletzungen erachtete das Erstgericht ein Schmerzengeld von 400.000 S als angemessen.

Das von der klagenden und der erstbeklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für schuldig erkannt wurden, der klagenden Partei den Betrag von 300.000 S sA zu bezahlen; es stellte die Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle wie immer gearteten zukünftigen Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 29.9.1994 zu 3/4 fest. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 100.000 S und auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für ein weiteres Viertel aller zukünftigen Ansprüche des Klägers wurde abgewiesen. Ferner sprach es aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht vertrat hinsichtlich des Zweitbeklagten die Ansicht, daß dieser dem Kläger ex delictu hafte. Richtig sei zwar, daß nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Verpflichtung zur Absicherung der Baustelle nur den Bauführer, nicht aber dessen Bediensteten treffe. Im vorliegenden Fall habe aber die erstbeklagte Partei den Zweitbeklagten mit der Absicherung der Baustelle betraut, dieser habe daher insoferne eigenverantwortlich für die ordnungsgemäße Absicherung zu sorgen gehabt. Dieser Verpflichtung sei der Zweitbeklagte nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, weshalb er für den Schaden des Klägers zu haften habe. Seine Haftung wäre nur dann ausgeschlossen, wenn er in Befolgung ausdrücklicher Weisungen der erstbeklagten Partei bestimmte Maßnahmen unterlassen hätte. Dies sei aber nicht behauptet worden.

Im übrigen schloß sich das Berufungsgericht den Rechtsausführungen des Erstgerichtes an.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes - soweit es die Verurteilung des Zweitbeklagten betrifft - richtet sich dessen Revision mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Kläger hat in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, dem Rechtsmittel des Zweitbeklagten keine Folge zu geben.

Die Revision des Zweitbeklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist auch berechtigt.

Der Zweitbeklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, er sei nur Polier und damit Bediensteter der erstbeklagten bauausführenden Partei gewesen. Als solcher sei er für die Absicherung der Baustelle nicht verantwortlich.

Rechtliche Beurteilung

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes trifft die

Verpflichtung zur Kennzeichnung und Absicherung einer

Straßenbaustelle den Bauführer (ZVR 1978/240; ZVR 1979/223; ZVR

1981/14; SZ 53/49 = ZVR 1980/342 ua). Diese Verpflichtung trifft aber

nicht den Bediensteten des Bauführers, den auch eine Verpflichtung,

seinen an der Baustelle anwesenden Dienstgeber auf die ihm

obliegenden Absicherungspflichten aufmerksam zu machen, nicht trifft

(ZVR 1975/94; ZVR 1978/240; 8 Ob 216/78). Entgegen der Ansicht des

Berufungsgerichtes ist nicht entscheidend, ob der Bedienstete mit der

Sicherung der Baustelle betraut wurde, weil dies nichts daran ändert,

daß wie sich aus § 89 Abs 1 iVm § 32 Abs 6 StVO ergibt, zur Sicherung

allein der Bauführer verpflichtet ist. Der Bedienstete des Bauführers

haftet nur dann, wenn er einem (konkreten) Auftrag seines

Dienstgebers zur Absicherung oder Kennzeichnung der Baustelle

schuldhaft nicht nachgekommen ist (ZVR 1975/94). Daß im vorliegenden

Fall der Zweitbeklagte einen Auftrag der bauausführenden

erstbeklagten Partei nicht beachtet hätte, wurde weder behauptet,

noch ergibt sich dies aus den Feststellungen. Vielmehr hat der

Zweitbeklagte die bescheidmäßig aufgetragenen Verkehrszeichen und auch noch aus eigenem das Gefahrenzeichen "Querrinne oder Aufwölbung" aufgestellt bzw aufstellen lassen.

Es war daher in Stattgebung der Revision des Zweitbeklagten das gegen

ihn gerichtete Klagebegehren abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Im Berufungsverfahren sind der Kläger und die beklagten Parteien mit

ihren Berufungsbeantwortungen erfolgreich gewesen. Die Kosten der

Berufungsbeantwortung beider beklagten Parteien betragen S 18.186,30

(darin enthalten Umsatzsteuer von S 3.031,05), hievon entfallen S

9.093,15 auf jede der beklagten Parteien. Die Kosten der

Berufungsbeantwortung des Klägers, die sich lediglich auf die

Berufung der erstbeklagten Partei bezieht, betragen S 12.709,80

(darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.118,30, keine Barauslagen).

Daraus resultiert ein Kostenersatzanspruch des Klägers gegenüber der erstbeklagten Partei in der Höhe von S 3.616,65. Die Kosten der Revision des Zweitbeklagten betragen S 28.505 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.542,50 und Barauslagen von S 14.575). Daraus ergibt sich ein Kostenersatzanspruch des Zweitbeklagten für die Rechtsmittelverfahren in der Höhe von S 37.598,15.