JudikaturJustiz2Ob204/99k

2Ob204/99k – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. August 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Walter Strigl und Dr. Gerhard Horak, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei R***** Spedition GmbH, *****, vertreten durch Doralt, Seist, Csoklich Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wegen S 749.155,-- s. A., infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 28. Mai 1999, GZ 1 R 105/99i-25, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 7. April 1999, GZ 12 Cg 83/98w-22, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben; die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 22.050,-- (darin enthalten USt von S 3.675,--, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revisionsrekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit der beim Landes- als Handelsgericht Linz eingebrachten Klage begehrte die klagenden Partei als Transportversicherer zunächst die Zahlung von S 1,116.181,-- aus einem vom Subfrächter der beklagten Partei zumindest grob fahrlässig verschuldeten Transportschaden. Auf Grund ihrer Zahlung und gesonderter Abtretungserklärungen seien die Ansprüche auf sie übergegangen.

Nach Erstattung der Klagebeantwortung beantragten die Parteien übereinstimmend die Delegierung des Verfahrens gemäß § 31a JN an das Handelsgericht Wien. Mit Beschluß vom 29. 5. 1998 entschied das Landesgericht Linz antragsgemäß.

Mit dem bei diesem eingebrachten Schriftsatz vom 24. 7. 1998 dehnte die klagende Partei das Klagebegehren um S 749.155,-- für zwei weitere Transportschäden auf den Betrag von S 1,865.336,-- s. A. aus.

Die beklagte Partei sprach sich gegen die Zulassung der Klagsänderung aus, weil das angerufene Gericht für diese zusätzlich geltend gemachten Ersatzansprüche örtlich nicht zuständig sei; ihr allgemeiner Gerichtsstand sei in Linz. Darüberhinaus sei durch die Änderung eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung zu besorgen.

Mit Beschluß vom 13. 11. 1998 ließ das Erstgericht die als Klagsausdehnung bezeichnete Klagsänderung nicht zu, weil sie eine wesentliche Verkomplizierung und Verlängerung der Beweisaufnahme nach sich ziehen würde. Grundsätzlich sei für die zusätzlich geltend gemachten Ansprüche das Landesgericht Linz örtlich zuständig. Es könne durchaus der Fall eintreten, daß für die nunmehr geltend gemachten Ansprüche eine Prozeßführung für die beklagte Partei nach ihrem ordentlichen Gerichtsstand sinnvoll und zweckmäßig erscheine. Der Delegierungsantrag habe sich ausschließlich auf die geltend gemachten Klagsansprüche bezogen. Wenn es auch zutreffe, daß die grundsätzliche Anhängigmachung dieser Ansprüche im Hinblick auf die bereits gegebene Streitanhängigkeit möglich sei, so könne dennoch dadurch für die beklagte Partei eine größere Belastung gegeben sein, als bei gesonderter Einklagung.

Gegen diesen Beschluß erhob die klagende Partei Rekurs und beantragte in eventu die Überweisung der Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Linz gemäß § 261 Abs 6 ZPO und in eventu weiters die Überweisung an dieses Gericht gemäß § 230a ZPO.

Dem Rekurs wurde mit der Begründung nicht Folge gegeben, daß die Zulassung der Klagsänderung gegen den Willen der beklagten Partei schon mangels örtlicher Zuständigkeit des Erstgerichtes für die neuen Ansprüche ausgeschlossen sei.

Mit dem nunmehr Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Beschluß wies das Erstgericht die Anträge der klagenden Partei auf Überweisung der Klage bzw eines Teilanspruches in der Höhe von S 417.174,-- und S 331.981,-- ab. Die von der klagenden Partei geltend gemachten Bestimmungen über die Überweisung von Klagsansprüchen infolge mangelnder örtlicher Zuständigkeit (§§ 230a und 261 ZPO) seien auf die gegenständliche Situation nicht anwendbar.

Das dagegen von der klagenden Partei angerufene Rekursgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, daß die Klage vom 24. 7. 1998 betreffend die Teilansprüche von S 417.174,-- und S 331.981,-- (insgesamt S 749.155,--) an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Linz überwiesen wurde.

Das Rekursgericht führte aus, daß die klagende Partei die gegenständlichen Forderungen mit Schriftsatz vom 24. 7. 1998 beim Erstgericht klageweise geltend gemacht habe. Damit komme der Nichtzulassung der angestrebten Klagsänderung im Hinblick auf die fehlende örtliche Zuständigkeit des Erstgerichtes aber genau die gleiche Wirkung zu wie einer ebenso begründeten Klagszurückweisung. Dies spreche für eine analoge Anwendung des § 230a ZPO; habe die klagende Partei doch keine Gelegenheit gehabt, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO zu stellen. Gerade wenn man daran festhalte, daß die Entscheidung über die Nichtzulassung einer Klagsänderung - was die analoge Anwendbarkeit des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO betreffe - deshalb keine Klagszurückweisung darstelle, weil der Rechtsschutz nicht abschließend verweigert worden sei, müsse die aufgezeigte Analogie zulässig sein. Wolle man die Überweisung nämlich nicht ermöglichen, bestünde die Gefahr, daß der Rechtsschutz doch "abschließend verweigert" werde, wenn dann keine Möglichkeit mehr bestünde, den Anspruch, um den die Klage erweitert werden sollte, in einer neuen Klage geltend zu machen.

Zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses verwies das Rekursgericht auf die Entscheidung EvBl 1998/86.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die von der klagenden Partei erstattete Revisionsrekursbeantwortung ist, weil kein Beschluß iS des § 521a ZPO vorliegt, unzulässig und daher zurückzuweisen.

Die beklagte Partei macht in ihrem Revisionsrekurs geltend, es liege gar keine Klage vom 24. 7. 1998 betreffend die Teilansprüche über insgesamt S 749.155,-- vor. Überdies seien die Voraussetzungen der §§ 230a, 261 Abs 6 ZPO nicht gegeben. Eine analoge Anwendung des § 230a ZPO setzte eine planwidrige Lücke voraus, welche aber hier nicht vorliege. Schließlich setze der Überweisungsantrag nach § 230a ZPO voraus, daß die Klage wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen worden sei, was aber hier nicht geschehen sei. Vielmehr sei die Klagsänderung, weil sie den Voraussetzungen des § 235 ZPO nicht entsprochen habe, nicht zugelassen worden.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Gegen einen nach § 230a ZPO ergangenen Beschluß ist mit Ausnahme der Entscheidung über die Kosten eines allfälligen Zuständigkeitsstreites ein Rechtsmittel nicht zulässig (§ 230a zweiter Satz ZPO). Die Unanfechtbarkeit eines auf § 230a ZPO gegründeten Überweisungsbeschlusses hängt allerdings davon ab, daß die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nach dieser Bestimmung tatsächlich vorliegen, was nicht der Fall ist, wenn die Überweisung dem § 230a ZPO in einem solchen Maß widerspricht, daß der Sinn des dort verfügten Rechtsmittelausschlusses nicht mehr gegeben ist (EvBl 1998/86 mwN). Ein Überweisungsbeschluß ist insbesondere dann anfechtbar, wenn er ohne gesetzliche Grundlage erfolgt ist (Rechberger in Rechberger, ZPO, Rz 11 zu §§ 260 f). Dies ist aber hier der Fall:

Gemäß § 261 Abs 6 ZPO kann der Kläger, wenn der Beklagte die Unzuständigkeit einwendet oder das Gericht seine Zuständigkeit von Amts wegen prüft, den Antrag stellen, daß das Gericht für den Fall, daß es seine Unzuständigkeit ausspricht, die Klage an das von ihm namhaft gemachte Gericht überweise. Diesem Antrag hat das Gericht stattzugeben, wenn es das andere Gericht nicht für offenbar unzuständig erachtet. Gemäß § 230a ZPO hat eine Überweisung zu erfolgen, wenn eine Zurückweisung der Klage wegen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes erfolgte, ohne daß der Kläger die Gelegenheit hatte, einen Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO zu stellen. Ohne Zweifel sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen der §§ 230a und 261 Abs 6 ZPO nicht unmittelbar gegeben, erfolgte ja keine Entscheidung, mit der die Unzuständigkeit des Erstgerichtes ausgesprochen worden wäre. Voraussetzung jeder Analogie ist aber eine ungewollte planwidrige Unvollständigkeit (Posch in Schwimann2, ABGB Rz 2 zu § 7 mwN). Eine solche liegt aber nicht vor. Bis zur ZVN 1983 führte - soweit der Kläger nicht Gelegenheit zu einem Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO hatte - die Unzuständigkeit des Erstgerichts notwendigerweise zur Klagszurückweisung. Mit dieser erlosch die Gerichtsanhängigkeit, sodaß die Klage beim zuständigen Gericht neu eingebracht werden mußte und dadurch häufig Fristen versäumt wurden. Um zu vermeiden, daß der Kläger durch die Zurückweisung der Klage einen materiellen Verlust erleide, wurde durch die ZVN 1983 in § 230a ZPO ein nachträglicher Überweisungsantrag eingeführt. Mit diesem sollte die Lücke zwischen den Fällen, in denen der Kläger die Gelegenheit zu einem Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO hat, und jenen, in denen die Klage von Amts wegen überwiesen werden muß, geschlossen werden (Simotta, Der Überweisungsantrag nach § 230a ZPO, JBl 1988, 359 mwN). Mit der Einfügung des § 261 Abs 6 ZPO hat die 1. GEN den strengen Grundsatz des § 43 Abs 1 JN aufgelockert, um dem Kläger allfällige mißliche Konsequenzen der Zurückweisung zu ersparen. Der Kläger kann den Antrag auf Überweisung der Klage an das nicht offenbar unzuständige Gericht stellen (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 7 zu §§ 260 f). § 261 Abs 6 ZPO ist aber auf den Fall einer Nichtzulassung einer Klagsänderung auch nicht analog anzuwenden. Während § 261 Abs 6 ZPO lediglich auf die fehlende Zuständigkeit abstellt, ist eine Klagsänderung gemäß § 235 Abs 2 ZPO trotz fehlender (prorogabler) Zuständigkeit mit Zustimmung des Gegners möglich. Fehlt diese, so darf zwar durch die Änderung die Zuständigkeit des Prozeßgerichtes nicht überschritten werden, zusätzlich darf auch eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht zu besorgen sein. Während die Zurückweisung einer Klage eine endgültige Verweigerung des Rechtsschutzes darstellt, ist dies bei der Nichtzulassung einer Klageänderung nicht der Fall, weil es dem Kläger unbenommen ist, den Anspruch, um den die Klage erweitert werden sollte, in einer neuen Klage geltend zu machen (SZ 69/21). Es wurde deshalb - soweit überblickbar - auch nie die Ansicht vertreten, § 261 Abs 6 ZPO sei auf den Fall der Nichtzulassung einer Klageänderung analog anzuwenden. Wenn aber durch die Bestimmung des § 230a ZPO nur die Lücke zwischen den Fällen, in denen der Kläger die Gelegenheit zu einem Überweisungsantrag nach § 261 Abs 6 ZPO hat, und jenen, in denen die Klage von Amts wegen überwiesen werden muß, geschlossen werden soll, dann ist auch eine analoge Anwendung des § 230a ZPO auf den Fall der Nichtzulassung einer Klageänderung nicht möglich.

Es sind daher schon aus diesem Grunde die Voraussetzungen für die Überweisung nicht gegeben, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.