JudikaturJustiz2Ob170/15m

2Ob170/15m – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 1. Oktober 2005 verstorbenen H***** A*****, wegen Einantwortung und Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. S***** K*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Scheuba, Rechtsanwältin in Wien, 2. Verlassenschaft nach der am 17. August 2011 verstorbenen K***** F*****, vertreten durch die erbantrittserklärte Erbin M***** N*****, diese vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, 3. Ö***** C*****, vertreten durch Suppan Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 4. DI G***** A*****, vertreten durch STINGL und DIETER Rechtsanwälte OG in Graz, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Erstantragstellerin und der Drittantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Juli 2015, GZ 43 R 215/15h 401, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 dritter Satz AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Revisionsrekurs der Erstantragstellerin:

1. Eine für die Entscheidung relevante Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt nicht vor; dies gilt ebenso für die gerügte Aktenwidrigkeit (§ 71 Abs 3 dritter Satz AußStrG).

2. Nach Auffassung des Rekursgerichts erfüllt das gemäß den §§ 70 ff NO protokollierte Testament vom 13. 6. 2003 die Voraussetzungen des § 568 ABGB in der hier maßgeblichen Fassung des KindRÄG 2001. Diese Rechtsansicht steht mit der Rechtsprechung im Einklang und wirft keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

2.1 Dem Notar oblag nach § 568 ABGB nicht nur die Protokollierung der Willenserklärung der Erblasserin sondern auch die Erforschung ihres freien Willens; nur das Ergebnis dieser Erforschung musste dem Testament angeschlossen (arg: „beigerückt“) werden (RIS Justiz RS0114051). Es genügte eine im Protokoll über das Testament enthaltene Erklärung, dass sich der Notar in einem Gespräch mit der Erblasserin über deren Handlungsfähigkeit überzeugt und deren Testierfähigkeit festgestellt habe (RIS Justiz RS0015407, RS0114051). Ein bloß allgemein gehaltener Vermerk über das Ergebnis der gepflogenen Erforschung war ausreichend, auf eine besondere Wortwahl kam es nicht an (vgl 5 Ob 113/67 EvBl 1967/89; 2 Ob 218/00y; 4 Ob 198/11p).

2.2 Nach dem Inhalt des Protokolls hat sich der das Testament errichtende Notariatssubstitut persönlich durch mehrmaliges Fragen und Nachfragen davon überzeugt, dass die Erblasserin die letztwillige Anordnung aus freien eigenen Stücken und freiem Willen errichte, die Tragweite ihrer Anordnung verstanden habe und so letztwillig anordnen wolle. Außerdem wurde im Protokoll festgehalten, dass ein anwesender Facharzt für Psychiatrie und Neurologie als „beigezogener Sachverständiger“ die Testierfähigkeit der Erblasserin bestätige. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass damit den Anforderungen des § 568 ABGB entsprochen worden sei, ist zumindest vertretbar und lässt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen.

2.3 Eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 568 ABGB oder die Bestellung des Sachwalters war nicht erforderlich, ergibt sich doch aus den Feststellungen ohnedies, dass der das Testament errichtende Notariatssubstitut und die Erblasserin einander „aus dem Sachwalterschaftsverfahren“ kannten und das Notariat dort Vertretungshandlungen für die Erblasserin geleistet hatte. In diesem Lichte ist auch die Beiziehung eines Facharztes zur Testamentserrichtung zu sehen.

2.4 Das Protokoll wurde entgegen den Rechtsmittelbehauptungen der Erstantragstellerin nicht vor vier, sondern (gemäß § 70 NO) vor zwei Testamentszeugen und dem Notariatssubstituten errichtet. Das Erstgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung zwar festgehalten, dass sich eine Testamentszeugin und der „beigezogene Sachverständige“ (kein Testamentszeuge) an „die Vorgänge“ nicht mehr erinnern könnten. Deshalb wird aber das Testament nicht ungültig, weil § 70 NO nicht auf die §§ 585 f ABGB aF, sondern nur auf die Bestimmungen über die Zeugnis (un )fähigkeit (§ 591 ABGB) verweist, wofür aber nur der Zeitpunkt der Errichtung maßgeblich ist.

3. Unter welchen Voraussetzungen von der Testierfähigkeit eines Erblassers auszugehen ist, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, die – von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen – die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht rechtfertigen kann (RIS Justiz RS0012408 [T2]). Eine solche Fehlbeurteilung ist dem Rekursgericht nicht unterlaufen:

3.1 In 6 Ob 206/11d wurde die Verneinung der Testierfähigkeit im Falle einer Erblasserin als vertretbar gebilligt, bei der eine demenzielle Erkrankung dazu führte, dass sie nicht mehr in der Lage war, „ihre Entscheidungen zu halten“, ihre Urteilsfähigkeit stark herabgesetzt war, sie komplexe Inhalte nicht mehr erfassen konnte, sie leicht zu beeinflussen war und Konflikten aus dem Weg gehen wollte und sie weder ihr Vermögen überblickte, noch die Konstruktion der (dort offenbar angeordneten) Privatstiftung. Auch in anderen Entscheidungen wurden durch eine Demenzerkrankung ausgelöste Abbauerscheinungen als Ursache für die Testierunfähigkeit bewertet (vgl 1 Ob 28/03d; 3 Ob 1/11k; 3 Ob 76/11i).

3.2 Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen hat die bei der Erblasserin seit 2002 bestehende vaskuläre Demenz durch den im Dezember 2003 erlittenen Schlaganfall eine sprunghafte Verschlechterung erfahren. Mit der Verschlechterung ihrer geistigen Leistungsfähigkeit war ein erhöhtes Maß an Suggestibilität verbunden. Die Erblasserin war ab jenem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, Willensäußerungen unbeeinflusst von äußeren Einflüssen zu tätigen. Dieses „Gefühl der subjektiven Hilflosigkeit“ bewirkte, dass es nicht mehr möglich war, sich Wünschen außenstehender Dritter gegenüber abzugrenzen. Eine „Konstanz der Willensentscheidungen“ war ihr nicht möglich, sie war nicht in der Lage, gleichbleibende Wünsche über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten.

3.3 Indem das Rekursgericht auf der Grundlage dieser Feststellungen die Testierfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 12. 5. 2004 verneinte, hält es sich im Rahmen der erörterten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Seine rechtliche Schlussfolgerung ist vertretbar und stimmt insbesondere mit den aus der Entscheidung 6 Ob 206/11d erkennbaren Wertungen überein (vgl auch RIS Justiz RS0012428).

Soweit die Erstantragstellerin eine Bindungswirkung an einen Beschluss vom 5. 6. 2003 aus dem Sachwalterschaftsakt moniert, aus dem sich Anhaltspunkte für das „Handeln der Einschreiterin zum Wohle und im Interesse der Erblasserin“ ergeben sollen, ist nicht ersichtlich, welchen Einfluss eine derartige Feststellung auf die Geschehnisse ab Dezember 2003 haben könnte.

3.4 Aber auch durch die Bejahung der Testierfähigkeit der Erblasserin im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 13. 6. 2003 hat das Rekursgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

Wurde doch festgestellt, dass die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt trotz ihrer psychischen Störung noch fähig war, einen freien Willen „einsichtsgemäß zu bekunden“ und die Erblasserin von den Interessen Dritter unbeeinflusst war. Dass das Erstgericht seine Feststellungen auf das Gutachten der von ihm bestellten Sachverständigen stützte, während es den Inhalt eines anderen Gutachtens bloß referierend wiedergab, betrifft bloß die Tatsachenfrage, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist.

II. Zum Revisionsrekurs der Drittantragstellerin:

Auch die Drittantragstellerin beklagt, dass die Vorinstanzen nicht das Gutachten der im Sachwalterschaftsverfahren beauftragten Sachverständigen vom 24. 7. 2003 berücksichtigten. Damit ist sie auf die obigen Ausführungen (Punkt I.3.4) zu verweisen, wonach Tatfragen in dritter Instanz nicht zu prüfen sind. Zusätzlich ist zu bedenken, dass die Sachverständige im Sachwalterschaftsverfahren die Geschäftsfähigkeit der Erblasserin zu beurteilen hatte, während es im Verlassenschaftsverfahren (nur) um die Testierfähigkeit geht, an die geringere Anforderungen zu richten sind (vgl 6 Ob 129/05x zu einer vergleichbaren Situation). Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zeigt auch die Drittantragstellerin nicht auf.