JudikaturJustiz2Ob16/01v

2Ob16/01v – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Oktober 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rupert L*****, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Cornelia Maria W*****, und 2. G***** AG, ***** vertreten durch Dr. Ernst Blanke und Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Rechtsanwälte in Hallein, wegen S 397.540,95 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 11. Oktober 2000, GZ 1 R 122/00t 74, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 21. März 2000, GZ 10 Cg 59/96a 60, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger wurde bei einem von der Erstbeklagten verursachten Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Haftung der beklagten Parteien für sämtliche Folgen aus diesem Verkehrsunfall steht fest, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei auf die dem Versicherungsvertrag mit der Erstbeklagten zu Grunde liegende Haftungssumme begrenzt ist.

Der Kläger begehrt Zahlung von S 397.540,95 sA als im Zeitraum März 1993 bis Februar 1996 erlittenen Verdienstentgang. Er hätte ohne den Unfall seinen Wunsch, Koch zu werden, auch in die Realität umgesetzt. Er habe sich vor dem Unfall bereits um eine Lehrstelle umgesehen und konkrete Zusagen hinsichtlich der Aufnahme als Kochlehrling unter dem Aspekt der Weiterbeschäftigung nach dem Ausbildungsabschluss gehabt. Der Kläger habe das von ihm angestrebte Berufsziel auf Grund der schweren Verletzungen nicht verwirklichen können. Er hätte nach abgeschlossener Lehre im dritten Berufsjahr als Koch monatlich zumindest S 25.000 verdient. Der geltend gemachte Verdienstentgang stelle die Differenz zwischen dem als Koch zu erzielenden Einkommen und dem tatsächlichen Einkommen des Klägers dar.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Für den im Unfallszeitpunkt 13 jährigen Kläger, der die Hauptschule besucht habe, sei nicht vorhersehbar gewesen, welche Berufslaufbahn er einschlagen werde. Es werde bestritten, dass der Kläger Koch geworden wäre. Eine Gesamtbetrachtung der beiden Berufsbilder zeige, dass der vom Kläger tatsächlich eingeschlagene Beruf eines Gemeindebediensteten nicht nachteiliger als der angeblich gewünschten Beruf des Kochs sei, weshalb ein wirtschaftlich messbarer Nachteil für den Kläger nicht vorhanden sei. Der Kläger verdiene als Gemeindebediensteter nicht weniger als ein durchschnittlicher Koch.

Das Erstgericht gab auf dem Klagebegehren statt. Es ging von nachstehenden Feststellungen aus:

Der am 19. 6. 1972 geborene Kläger erlitt durch den Unfall eine traumatische Oberschenkelamputation rechts und eine traumatische Unterschenkelamputation links. Er besuchte zum Unfallszeitpunkt die 4. Klasse Hauptschule und hatte das Berufsziel, Koch zu werden. Es wäre ihm möglich gewesen, nach dem Schulabschluss in einem Hotel in Filzmoos die Kochlehre zu absolvieren und nach Abschluss der Lehre, weiterhin in dem Betrieb zu arbeiten. Er erlitt durch den Unfall eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 %. Er kann auf Grund der Unfallsfolgen den Beruf eines Kochs nicht ausüben und nur im Bürobereich arbeiten. Er beendete nach dem unfallsbedingten Krankenstand die Hauptschule und nahm eine ihm angebotene Lehrstelle im Gemeindeamt Eben im Pongau an. Es wäre ihm angesichts der Arbeitsmarktsituation nach dem Unfall nicht möglich gewesen, einen anderen Arbeitsplatz als den beim Gemeindeamt zu finden. Der Kläger erzielte als Gemeindebediensteter in der Zeit vom 1. 3. 1993 bis 29. 2. 1996 ein Einkommen von insgesamt S 502.459,05 netto. Ohne den Unfall wäre es dem Kläger in diesem Zeitraum nach Absolvierung der Kochlehre möglich gewesen, als Koch ein monatliches Einkommen von zumindest S 25.000 netto zu erzielen.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass der Kläger ohne den Unfall bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge den Beruf des Koches erlernt und ergriffen hätte und in dem vom Klagebegehren erfassten Zeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von S 25.000 erzielt hätte. Er habe angesichts der Unfallsfolgen kein höheres Einkommen erzielen können.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es ließ die Mängel und Tatsachenrüge unbehandelt und verwies in rechtlicher Hinsicht auf die jüngere einhellige Judikatur des Obersten Gerichtshofes (2 Ob 270/98i; 2 Ob 27/99f; 2 Ob 82/00y;) und die Lehre (Koziol, Haftpflichtrecht II2 131 f; Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 12 zu § 1293), wonach es sich beim Verdienstentgang um positiven Schaden und nicht bloß um entgangenen Gewinn, dessen Ersatz einen vom Geschädigten zu beweisenden höheren Grad des Verschuldens voraussetze, handle. Nach der jüngeren Rechtsprechung bestehe der positive Schaden bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nur in der nach Berufsklasse und wirtschaftlicher Situation typischen Vermögenseinbuße. Besondere subjektive Erwerbsmöglichkeiten fänden nur beim subjektiv zu berechnenden Interesseersatz Berücksichtigung. Im vorliegenden Fall habe der Kläger nicht einmal eine rechtlich gesicherte Position auf Verdienst behauptet; aus der Behauptung, ihm sei konkret zugesagt worden, nach Abschluss einer Schullaufbahn als Lehrling des Berufsfaches Koch beginnen zu können, dies sogar unter dem Aspekt der Weiterbeschäftigung, ergebe sich weder eine rechtlich gesicherte Position aus einem Dienstvertrag oder aus einem von ihm auszuübenden Gestaltungsrecht zur Ingangsetzung eines Rechtsverhältnisses noch ein im Schädigungszeitpunkt vorhandene, mit entsprechender Gewissheit anzunehmende Erwerbsmöglichkeit. Wenn dem Kläger grundsätzlich die Möglichkeit offen gestanden wäre, die Ausbildung zum Koch zu absolvieren, und eine Weiterbeschäftigung im Ausbildungsbetrieb im Raum gestanden sei, bedeute dies noch nicht, dass er im Unfallszeitpunkt eine rechtlich gesicherte Position gehabt habe, ab März 1993 ein Einkommen von S 25.000 netto zu beziehen. Ebensowenig könne mit ausreichender Gewissheit davon ausgegangen werden, dass sich die Berufslaufbahn des Klägers tatsächlich im Sinn seiner Behauptungen entwickelt hätte. Dies sei im Unfallszeitpunkt von zahlreichen Unsicherheitsfaktoren abhängig gewesen, nämlich unter anderem davon, ob der Kläger die Lehre auch tatsächlich absolviert hätte, vom Erfolg der Ausbildung, vom Können des Klägers, von seinem Verbleib in einem in sehr jungen Jahren gewählten Beruf nach der Konfrontation mit der Realität des Berufslebens und letztlich davon, ob sich die festgestellte Möglichkeit, im Ausbildungsbetrieb oder bei einem anderen Dienstgeber ein regelmäßiges monatliches Einkommen von S 25.000 zu beziehen, hätte realisieren lassen. Stehe aber nicht mit Sicherheit oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass ein Verletzter ohne den Unfall eine bestimmte Anstellung erhalten und damit ein bestimmtes Einkommen bezogen hätte, so bestehe kein Anspruch auf Verdienstentgang (RIS Justiz RS0030842).

In den der Entscheidung des Erstgerichtes offensichtlich zu Grunde liegenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, wonach auch Personen, die zur Zeit der Schädigung wegen ihres Alters noch nicht im Erwerbsleben gestanden seien, Verdienstentgang zuerkannt worden sei (SZ 15/33; EvBl 1966/354; ZVR 1981/218) sei unerörtert geblieben, dass diesen Fällen keine Schädigung eines aus einem Recht abgeleiteten Vermögensgutes, dem bereits ein gegenwärtiger, selbständiger Vermögenswert zugekommen wäre, vorgelegen sei. Daraus sei für den Kläger daher nichts zu gewinnen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil nach Vorliegen der Entscheidungen 2 Ob 270/98i, 2 Ob 27/99f und 2 Ob 82/00y des Obersten Gerichtshofes, die sich in der Definition der Verminderung einer Erwerbschance als positivem Schaden der Lehre von Koziol (Haftpflichtrecht I3 Rz 2/37 f) anschlössen, eine ausdrückliche Stellungnahme zum Ersatz von "Verdienstentgang" von Personen, die auf Grund ihres Alters oder Ausbildungsstandes im Schädigungszeitpunkt noch über keine Erwerbschancen im Sinne eines gegenwärtigen, selbständigen Vermögenswertes verfügten, fehle. Der Frage, unter welchen Voraussetzungen nunmehr in solchen Fällen Verdienstentgang zuzuerkennen sei, komme daher erhebliche Bedeutung zu.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagten Parteien beantragen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Der erkennende Senat hat in den bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen 2 Ob 270/98i (= ARD 5027/16/99 = JUS extra OGH Z 2651 = JBl 1999, 183 = RdW 1999, 19), 2 Ob 27/99f (= ZVR 2000/17); 2 Ob 82/00y (= ZVR 2001/2) Folgendes ausgesprochen:

Verdienstentgang ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich positiver Schade und nicht bloß entgangener Gewinn. Die Erwerbsfähigkeit wird als selbständiges, gegenwärtiges Rechtsgut angesehen. Es wird darauf abgestellt, ob der Geschädigte eine rechtlich gesicherte Position auf Verdienst hatte oder der Verdienst zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre. Der positive Schaden besteht bei Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit aber nur in der nach Berufsklasse und wirtschaftlicher Situation typischen Vermögenseinbuße. Besondere subjektive Erwerbsmöglichkeiten können daher nur beim subjektiv zu berechnenden Interessenersatz berücksichtigt werden. Wollte man jede Vereitelung einer Gewinnchance als positiven Schaden ansehen, wäre eine Unterscheidung vom entgangenen Gewinn nur von geringer Bedeutung; dies würde dem vom ABGB verfolgten Konzept, die Ersatzpflicht entsprechend der Schwere der Zurechnungsgründe abzustufen, widersprechen.

Aus diesen Entscheidungen ist jedoch für den vorliegenden Sachverhalt nichts gewonnen, weil es sich dabei um Verdienstentgang von Personen handelte, die bereits im Erwerbsleben standen. Die Frage, ob auch Personen Anspruch auf Verdienstentgang haben, die im Unfallszeitpunkt (noch) nicht im Erwerbsleben gestanden sind, wurde damit nicht angesprochen, die dazu bisher ergangene Rechtsprechung auch nicht abgelehnt.

Der Oberste Gerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass nach § 1325 ABGB nicht nur der tatsächliche Verdienstentgang, sondern auch der Entgang an zukünftigem Verdienst zu ersetzen ist, wenn jemand durch eine Verletzung an seinem Körper eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit erleidet. Danach hat er Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges, wer einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte, auch wenn er zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im Erwerbsleben stand (vgl SZ 25/104; SZ 25/280; SZ 26/155; ZVR 1956/88; 1957/123; 1961/117; 1961/148; 1981/218; 1982/322; EvBl 1966/354; vgl Reischauer in Rummel ABGB Rz 23 zu § 1325; vgl auch Geigel, Der Haftpflichtprozess23 Rn 168; Dressler/Kürsch- ner/Kuntz/Schloen/Treitz, Unfallhaftpflichtrecht14 Rn 1607 ff). Die Beweislast, dass der Geschädigte einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte, trifft ihn. Welches Einkommen daher der Geschädigte bei Ausnützung seiner Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallsfolgen erzielt hätte, kann nur auf Grund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Diese Feststellungen betreffen trotz ihres hypothetischen Charakters ausschließlich den Tatsachenbereich, es sei denn, sie beruhten auf Schlussfolgerungen, die mit den Denkgesetzen unvereinbar wären (ZVR 1988/130). Da das Berufungsgericht ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht die Behandlung der Beweisrüge in der Berufung ausdrücklich unterlassen hat, war sein Urteil aufzuheben und ihm eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.