JudikaturJustiz2Ob154/19i

2Ob154/19i – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** F*****, vertreten durch Dr. Michael Tröthandl und Mag. Christina Juritsch, Rechtsanwälte in Baden bei Wien, gegen die beklagte Partei H***** T*****, vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum und Dr. Rainer Toperczer, Rechtsanwälte in Wien, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 8. Juli 2019, GZ 58 R 26/19z 20, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 1. Februar 2019, GZ 7 C 453/18i 16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Beklagte und ihr verstorbener Ehemann waren Hälfteeigentümer einer Liegenschaft, auf der ihr Einfamilienhaus errichtet war. Davon abgesehen verfügten die Ehegatten über kein nennenswertes Vermögen. Auf Wunsch der Eltern sollten deren drei Kinder, darunter die Klägerin, auf ihre Pflichtteilsansprüche verzichten, damit die Liegenschaft (zur Finanzierung der Pflichtteile) vom überlebenden Elternteil nicht verkauft werden müsse. Beide Elternteile sagten den Kindern, dass die Liegenschaft nicht verkauft werde und sie sich keine Sorgen machen sollten. Die Kinder waren damit einverstanden. Die Beklagte, ihr Ehemann sowie die Klägerin und ihre beiden Geschwister schlossen einen notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag, in welchem die drei Kinder auf ihre Pflichtteilsrechte nach dem jeweils erstversterbenden Elternteil verzichteten, sofern der überlebende Elternteil Alleinerbe ist und die Erbschaft des Vorversterbenden auch antreten kann. Die Beklagte und ihr Ehegatte sicherten den Kindern dabei abermals zu, dass die Liegenschaft beim Ableben eines Elternteils ohnehin nicht verkauft werde und sie ihren Pflichtteil nach dem Tod des zweiten Elternteils erhielten. Die drei Kinder vertrauten auf die Zusicherung ihrer Eltern und unterschrieben den Pflichtteilsverzichtsvertrag. Wenige Tage später errichtete der Ehemann der Beklagten ein Testament, in welchem er die Beklagte zur Alleinerbin einsetzte und die drei Kinder auf den ihnen allenfalls zustehenden Pflichtteil beschränkte. Im Jahr 2007 verstarb der Ehemann der Beklagten und dieser wurde die Verlassenschaft aufgrund des Testaments als Alleinerbin eingeantwortet. Im Februar 2014 verkaufte die Beklagte die Liegenschaft.

Mit ihrer im März 2018 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Zahlung eines Teilbetrags des Geldpflichtteils nach ihrem verstorbenen Vater und brachte vor, der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei nicht mehr rechtsgültig, weil dieser nur unter der Bedingung geschlossen worden sei, dass die Liegenschaft vom nachversterbenden Elternteil und Alleinerben nicht verkauft werde, sondern im Familienbesitz verbleibe. Durch den Verkauf der Liegenschaft habe die Beklagte gegen die vereinbarte Bedingung verstoßen, sodass der Pflichtteilsverzicht der Klägerin nunmehr aufgehoben und unwirksam sei. Auch die Geschäftsgrundlage des Pflichtteilsverzichtsvertrags sei durch den Verkauf der Liegenschaft weggefallen, der Vertrag werde überdies aufgrund jeglicher Rechtsgrundlage angefochten.

Die Beklagte wendete ein, es habe in keiner Form eine Nebenabsprache oder Bedingungen für den Erbverzicht gegeben. Im Übrigen sei der Anspruch verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung, wonach der Verzicht unwirksam sei, wenn die Liegenschaft vom überlebenden Elternteil veräußert werde, sei aus dem Sachverhalt nicht abzuleiten. Eine irrtumsrechtliche Anfechtung des Pflichtteilsverzichtsvertrags komme schon wegen Verjährung nicht in Betracht. Die Anfechtung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei nicht möglich, weil das Ereignis aus der Sphäre eines Vertragsteils stamme. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei somit wirksam, weshalb der Klägerin kein Pflichtteil nach ihrem verstorbenen Vater zustehe.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Klagebegehren zur Gänze stattgab und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht führte aus, entscheidend für die Auslegung des Pflichtteilsverzichtsvertrags sei der erkennbar erklärte Parteiwille, zu dessen Verständnis das gesamte Verhalten der Vertragsteile zu berücksichtigen sei. Danach sei die verbindliche Willensübereinkunft getroffen worden, dass der Pflichtteilsverzicht nur solange wirksam sein sollte, als die Liegenschaft im Eigentum der Beklagten verbleibe. Durch den Verkauf der Liegenschaft durch die Beklagte sei der Pflichtteilsverzicht unwirksam geworden und die Klägerin sei zur klageweisen Geltendmachung ihres Pflichtteilsanspruchs legitimiert. Gemäß § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB habe die Verjährungsfrist hinsichtlich des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs mit dem 1. 1. 2017 neu zu laufen begonnen. Nach der bis dahin geltenden Rechtslage habe für die Klage die 30jährige Verjährungsfrist gegolten, weil die Klägerin im Testament auf den Pflichtteil beschränkt worden sei. Selbst wenn man eine dreijährige Verjährungsfrist zugrunde läge, wäre diese am 1. 1. 2017 noch nicht abgelaufen gewesen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 1487a ABGB.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision werden erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

1. Auslegung der Pflichtteilsverzichtserklärung:

1.1 Auf die Auslegung einer Erbverzichtserklärung finden die Auslegungsregeln der §§ 914 ff ABGB Anwendung (RS0013023). Dabei ist nicht nur der objektive Erklärungswert des schriftlich Beurkundeten maßgebend, sondern auch die etwa mündlich erklärte Absicht der Parteien zu berücksichtigen (9 Ob 156/02k; RS0012328). Wie auch der Auslegung von anderen Verträgen (RS0044358) kommt jener von Erbverzichtserklärungen regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zu (RS0013023 [T2]). Diese Grundsätze gelten auch für die Auslegung eines Pflichtteilsverzichts.

1.2 Das Berufungsgericht kann aus den erstinstanzlichen Feststellungen andere tatsächliche Schlussfolgerungen ziehen und damit zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommen (2 Ob 195/05y; RS0118191). Dass die Parteien die wechselseitig erkennbare Absicht hatten, die Liegenschaft „im Familienbesitz“ zu halten, ist eine solche (zulässige) Schlussfolgerung des Berufungsgerichts.

1.3 Die Erhebung des Beweggrundes oder des Endzwecks zur Vertragsbedingung kann nach Lehre und Rechtsprechung auch konkludent (§ 863 ABGB) erfolgen (5 Ob 8/62 SZ 35/7; RS0017408). Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei eine verbindliche Willensübereinkunft dahin getroffen worden, dass der Pflichtteilsverzicht nur solange wirksam sein sollte, als die Liegenschaft im Eigentum der Beklagten verbleibe, hält sich in dem dem Berufungsgericht zukommenden Beurteilungsspielraum.

2. Zur Verjährung des Pflichtteilsanspruchs:

2.1 Die Klägerin hat ihren Geldpflichtteilsanspruch auf die Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags wegen des Wegfalls der Bedingung, unter der der Verzicht abgegeben wurde, gestützt, was vom Berufungsgericht als berechtigt angesehen wurde. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 5 Ob 8/62 SZ 35/7 ausgesprochen, dass ein Wegfall der Bedingung, unter der eine Erb- und Pflichtteilsverzichtsvereinbarung geschlossen wurde, die „Unverbindlichkeit“ der Verzichtserklärung zur Folge hat (vgl auch 7 Ob 631/90) und es sich bei deren Geltendmachung nicht um eine Anfechtung wegen Irrtums handelt, sodass die Verjährungsregeln für die Irrtumsanfechtung nicht anzuwenden sind. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Verjährung des von der Klägerin geltend gemachten Geldpflichtteilsanspruchs richte sich nach der besonderen Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 iVm § 1487a ABGB, entspricht dieser Rechtsprechung.

2.2 Zur Übergangsbestimmung des § 1503 Abs 7 Z 9 ABGB hat der Oberste Gerichtshof jüngst klargestellt, dass sie auf die dort genannten Rechte auch dann anzuwenden ist, wenn dies im Einzelfall zu einer faktischen Verlängerung der bis zum 1. 1. 2017 geltenden Verjährungsfrist führt. Die kurze, dreijährige Verjährungsfrist des § 1487a ABGB beginnt daher auch für solche Rechte am 1. 1. 2017 neu zu laufen, deren Verjährung bereits vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 begonnen hat, aber nach altem Recht bis zu diesem Datum noch nicht abgelaufen ist (2 Ob 167/19a). Die in der Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts angesprochene Rechtsprechung liegt daher mittlerweile vor.

2.3 Gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Pflichtteilsanspruch der Klägerin sei am 1. 1. 2017 nach den bis dahin geltenden Rechten noch nicht verjährt gewesen, wendet sich die Revisionswerberin nicht. Unter dieser Prämisse findet die Ablehnung des Verjährungseinwands durch das Berufungsgericht in der zitierten jüngsten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Deckung.

3. Sonstige Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Pflichtteilsverzichtsvereinbarung werden von der Revisionswerberin nicht aufgeworfen.

4. Mangels zu beantwortender erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision daher zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.