JudikaturJustiz2Ob138/05s

2Ob138/05s – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. November 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna-Elisabeth W*****, vertreten durch Aigner Fischer, Rechtsanwaltspartnerschaft in Ried im Innkreis, gegen die beklagten Parteien 1. Florian A*****, 2. Ö***** R***** K*****, und 3. A***** Versicherungs-AG, *****, sämtliche vertreten durch Dr. Erhard Hackl und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 16.485,27 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 4. März 2005, GZ 4 R 32/05m-36, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 2. Dezember 2004, GZ 30 Cg 158/03y-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach dem den Entscheidungen der Vorinstanzen zugrundeliegenden Sachverhalt kam es am 15. 12. 2002 in Wels zu einem Verkehrsunfall, im Zuge dessen ein vom Erstbeklagten gelenkter Rettungswagen auf eisglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet und auf der Gegenfahrbahn mit dem Pkw der Klägerin kollidierte. Diese war unmittelbar davor von der - aus Sicht des Erstbeklagten - rechts einmündenden Zufahrt zu einem Sportplatzgelände nach links in die vom Rettungswagen befahrene Fahrbahn eingebogen und hatte ihr Fahrzeug noch vor der Kollision nahe der in der Mitte der 7,3 m breiten Fahrbahn markierten Leitlinie in fahrbahnlängsachsenparalleler Position zum Stillstand gebracht. Das Berufungsgericht hat auf Antrag der Klägerin in Abänderung seines ursprünglichen Ausspruches die Revision nachträglich mit der Begründung für zulässig erklärt, dass sich der beurteilte Verkehrsunfall von den herangezogenen Vergleichsfällen doch soweit unterscheide, dass die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorlägen. Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof sprach schon in zahlreichen Fällen aus, dass sich die nach dem Gesetz erforderliche Prüfung der Stichhältigkeit eines Abänderungsantrages gemäß § 508 Abs 1 ZPO nicht in einer bloßen Scheinbegründung erschöpfen darf und sich das Berufungsgericht bei seiner Prüfung mit den Antragsargumenten sachlich - wenngleich kurz - auseinanderzusetzen hat, darf es doch einem solchen Antrag nur dann stattgeben, wenn es ihn für „stichhältig" hält (1 Ob 185/03t; 2 Ob 54/05p; RIS-Justiz RS0112166, RS0111729).

Hier zeigt das Berufungsgericht in der Begründung seines abändernden Ausspruches nach § 508 Abs 3 ZPO nicht einmal ansatzweise eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Eine solche wird auch dadurch nicht begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (RIS-Justiz RS0107773).

Aber auch in der Revision der Klägerin werden keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

Die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

Die Klägerin verweist auf die - in der Berufungsentscheidung nicht wiedergegebene - Feststellung des Erstgerichtes, wonach die Ursächlichkeit ihres Fahrmanövers für die behaupteten Abwehrhandlungen (Notbremsung und Auslenken) des Erstbeklagten und das Schleudern des Einsatzfahrzeuges nicht festgestellt werden konnte. Ihrem auf diese Feststellung gestützten Argument, es fehle am Kausalzusammenhang zwischen dem Einfahren des Klagsfahrzeuges in die Kreuzung und dem Schleudern des Beklagtenfahrzeuges, ist zu entgegnen, dass das Berufungsgericht der Klägerin einen Verstoß gegen die in § 19 Abs 7 StVO geregelte Wartepflicht und einer dadurch bedingten Verletzung des dem Einsatzfahrzeug jedenfalls gemäß § 19 Abs 2 StVO zukommenden Vorranges ohnedies nicht vorgeworfen hat. Eine erhebliche Rechtsfrage wird insoweit nicht aufgezeigt. Die Lösung der weiteren als erheblich erachteten Rechtsfrage, ob auch ein schleudernd herannahendes Einsatzfahrzeug mit unvorhersehbarem Fortbewegungsweg vom Schutzzweck des § 26 Abs 5 StVO erfasst sei, ergibt sich bereits aus der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung.

Gemäß § 26 Abs 5 StVO haben alle Straßenbenützer einem herannahenden Einsatzfahrzeug Platz zu machen. Kein Lenker eines anderen Fahrzeuges darf unmittelbar hinter einem Einsatzfahrzeug nachfahren oder, außer um ihm Platz zu machen, vor ihm in eine Kreuzung einfahren. Dieses Gebot gilt grundsätzlich für jeden Straßenbenützer, für den das Herannahen eines Einsatzfahrzeuges erkennbar ist. Es kann aber nur für solche Verkehrsteilnehmer zum Tragen kommen, die nach dem vorhersehbaren Fortbewegungsweg für den bevorzugten Straßenbenützer ein Hindernis bilden könnten (ZVR 1974/1; ZVR 1982/13; ZVR 1983/295; RIS-Justiz RS0074442). Dabei ist dem Einsatzfahrzeug nicht erst bei seinem Anblick, sondern schon bei Ertönen des Folgetonhorns freie Bahn zu schaffen bzw zu erhalten (ZVR 1982/13; ZVR 1983/295; ZVR 1983/265; RIS-Justiz RS0075093; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 26 Rz 42).

Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ist die Klägerin in die Kreuzung eingefahren, obwohl sich das Beklagtenfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Folgetonhorn von links genähert hat. Auch die Vorschrift des § 26 Abs 5 StVO ist, wie die Klägerin richtig erkennt, eine Schutznorm iSd § 1311 ABGB, welche sie durch ihr Fahrverhalten objektiv übertreten hat. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates hatte sie daher zu beweisen, dass ihr die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist (ZVR 1999/99; ZVR 2002/3; 2 Ob 23/02z). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es der Klägerin oblegen wäre, den Beweis für die mangelnde Hörbarkeit der akustischen Signale des Folgetonhorns zu erbringen, die Negativfeststellungen zu diesem Thema daher zu ihren Lasten gingen, steht mit der zitierten Rechtsprechung im Einklang. Auf einen für sie unvorhersehbaren Fortbewegungsweg des Einsatzfahrzeuges kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Hätte sie pflichtgemäß vor der Kreuzung angehalten, bis Sicht auf das Einsatzfahrzeug bestand, wäre aufgrund dessen bereits erkennbaren Schleuderbewegungen für sie ohne weiteres abschätzbar gewesen, dass ihr Pkw bei Fortsetzung der Fahrt ein Hindernis für das ohne ihr Zutun außer Kontrolle geratene Einsatzfahrzeug darstellen würde. Da das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers stets nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage zu beurteilen ist (2 Ob 54/05p; RIS-Justiz RS0073327), kommt es auf die Frage, ob unter anderen Umständen („bei gewöhnlichem Ablauf") die Durchführung des beabsichtigten Einbiegemanövers ohne Behinderung des Einsatzfahrzeuges möglich gewesen wäre, nicht an.

Die einen unfallskausalen Verstoß der Klägerin gegen das Gebot des § 26 Abs 5 StVO in Abrede stellenden Revisionsausführungen werfen somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, zumal eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichtes nicht dargetan wird.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Erstbeklagte, der zufolge § 26 Abs 2 erster Satz iVm Abs 3 an die Geschwindigkeitsbeschränkung des § 20 Abs 2 StVO nicht gebunden war, im Hinblick auf das in § 26 Abs 2 zweiter Satz StVO verankerte Verbot der Gefährdung von Personen oder der Beschädigung von Sachen die Wahl seiner Fahrgeschwindigkeit den konkreten Fahrbahnverhältnissen anzupassen gehabt hätte (ZVR 1983/295; SZ 60/105; RIS-Justiz RS0074983).

Beiden Fahrzeuglenkern ist daher ein unfallskausales Fehlverhalten vorzuwerfen. Die Verschuldensabwägung richtet sich aber stets nach den Umständen des Einzelfalles und betrifft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0087606, RS0042405). Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, das Fehlverhalten der Klägerin, der es - in der Revision unbekämpft - zusätzlich einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 7 Abs 2 StVO anlastete, wiege schwerer als jenes des Erstbeklagten, hält sich im Rahmen des im Einzelfall verbleibenden Ermessensspielraumes.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Klägerin daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen.

Rechtssätze
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