JudikaturJustiz2Ob135/13m

2Ob135/13m – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** W*****, vertreten durch Dr. Gerhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. DI C***** B*****, und 2. Z***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Herwig Aichholzer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 16.612,96 EUR sA, über die Revision der beklagten Parteien (Revisionsinteresse 6.180,45 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 18. April 2013, GZ 4 R 52/13v 28, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. Jänner 2013, GZ 26 Cg 145/11m 24, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 612,70 EUR (darin enthalten 102,12 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der vom Erstbeklagten gehaltene und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherte Pkw stieß auf einer engen Straße (Breite 3,3 m) in einer unübersichtlichen Kurve mit dem vom Kläger gehaltenen Traktor zusammen. Vom Traktor wurde ein nicht zum Verkehr zugelassener, dreiachsiger und druckluftgebremster Anhänger mit einer Gesamtlänge von 9,5 m, einer Breite von 2,5 m und einem Gewicht von 4.450 kg gezogen. Der Traktor näherte sich der Unfallstelle mit 24,5 km/h und der Pkw mit 47,5 km/h. Beide Lenker reagierten sofort. Der Traktor stieß mit einer Geschwindigkeit von 11 km/h gegen die linke Frontseite des Pkw, der im Zeitpunkt der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 26 km/h hatte. Der Traktor hätte bis zum Stillstand noch einen Meter benötigt, wäre also ohne die Kollision innerhalb von 12,5 m, somit 4,5 m innerhalb der halben Sichtstrecke von 17 m zum Stillstand gekommen; der Pkw hatte die halbe Sichtstrecke bis zur Kollision schon um 5,5 m überfahren. Bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h wäre der Traktor nach 4 m und der Pkw 4 m vor dem Traktor zum Stillstand gekommen. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden.

Der Kläger begehrte von den Beklagten den Ersatz der Reparaturkosten des Traktors, Mietkosten für das Ersatzfahrzeug und pauschale Unkosten im Gesamtbetrag von 16.612,96 EUR. Den Lenker des Beklagtenfahrzeugs treffe unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot und wegen der Geschwindigkeits-überschreitung das Alleinverschulden am Unfall.

Die Beklagten behaupteten aus denselben Gründen das Alleinverschulden des Traktor-Lenkers. Darüber hinaus habe der Traktor einen Anhänger gezogen, der nicht zum Verkehr zugelassen gewesen sei. Die Beklagten wendeten den Kaskoselbstbehalt, Abschleppkosten und pauschale Unkosten als Gegenforderung in Gesamthöhe von 952,86 EUR aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klagsforderung zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und gab dem Klagebegehren statt. Aufgrund der Fahrbahnbreite habe für beide Fahrzeuglenker das Gebot des Fahrens auf halbe Sicht, also die Pflicht bestanden, das Fahrzeug innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten. Nur der Lenker des Traktors habe eine solche Geschwindigkeit eingehalten, während der Lenker des Pkws mit einer überhöhten Geschwindigkeit gefahren sei und sein Fahrzeug nicht innerhalb der halben Sichtstrecke zum Stillstand habe bringen können. Die Frage, mit welcher Geschwindigkeit der Traktor mit dem Anhänger hätte fahren dürfen, sei ohne Relevanz, weil eine Geschwindigkeitsbeschränkung nach der KDV (Kraftfahrgesetz Durchführungsverordnung 1967) nicht dem Schutzzweck der Norm, nämlich des Fahrens auf halbe Sicht entspreche.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Beurteilung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwischen einem Verstoß gegen § 58 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 62 Abs 4 KDV und einem bei einem Verkehrsunfall eingetretenen Schaden im Zusammenhang mit einzelnen der in § 62 Abs 4 KDV kumulativ genannten Voraussetzungen für eine höchstzulässige Bauartgeschwindigkeit von 25 km/h fehle. Im vorliegenden Fall sei unstrittig, dass der Anhänger des Klägers die Voraussetzungen des § 62 Abs 4 Z 1, 2 und 4, nicht aber jene der Z 3 und 5 erfüllt habe, weshalb er gemäß § 58 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 62 Abs 4 KDV mit höchstens 10 km/h hätte fahren dürfen. Dieser Verstoß sei auch kausal für den Unfall gewesen, weil die Kollision der Fahrzeuge unterblieben wäre, wenn der Traktor nur mit 10 km/h gefahren wäre. Dennoch sei der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen diesem Verstoß und den durch den Unfall eingetretenen Schäden zu verneinen, weil der Schutzzweck der Normen des § 62 Abs 4 Z 3 (Herstellerangaben) und 5 (Aufschrift der höchstzulässigen Bauartgeschwindigkeit) KDV nicht darin liege, bauartbedingte Gefahren zu vermeiden, die eine zu hohe Geschwindigkeit infolge unzureichender technischer Ausstattung mit sich bringe. Dürfe daher ein Anhänger nur wegen des Fehlens der Voraussetzungen nach § 62 Abs 4 Z 3 und 5 KDV nicht mit einer höheren Geschwindigkeit als 10 km/h gezogen werden, so stehe der allein deshalb vorliegende Verstoß gegen § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV infolge Fahrens mit einer Geschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit einem Schaden infolge eines Verkehrsunfalls, der bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h unterblieben wäre.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Den Lenker des Klagsfahrzeugs treffe zumindest ein Mitverschulden von einem Drittel. Unter Bedachtnahme auf die Gegenforderung betrage das Revisionsinteresse (wie schon das Berufungsinteresse) daher 6.180,45 EUR sA. Die Voraussetzungen des § 62 Abs 4 KDV seien kumulativ zu erfüllen. Da dies nicht der Fall gewesen sei, hätte das klägerische Gespann nur eine Maximalgeschwindigkeit von 10 km/h einhalten dürfen. § 58 KDV sei ein Schutzgesetz, das auch ganz allgemeine Gefahren hintanhalten wolle, die sich aus einer erhöhten Geschwindigkeit ergeben. Für die Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs sei es ausreichend, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt sei. Die unfallskausale Geschwindigkeits-überschreitung des Lenkers des Klagsfahrzeugs sei daher als Haftungskriterium zu berücksichtigen.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision der Beklagten zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig ; sie ist aber nicht berechtigt .

1. Aus der Bestimmung des § 10 Abs 2 StVO ergibt sich die Verpflichtung zum Fahren auf halbe Sicht, wenn die zur Verfügung stehende Fahrbahn unübersichtlich und so schmal ist, dass eine gefahrlose Begegnung nicht oder voraussichtlich kaum möglich ist (RIS Justiz RS0073502).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der Lenker des Klagsfahrzeugs (Traktor) im Gegensatz zu jenem des Beklagtenfahrzeugs diese Verpflichtung eingehalten hat.

2. Gemäß § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV (Kraftfahrgesetz Durchführungsverordnung 1967) dürfen beim Verwenden von Kraftfahrzeugen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr ua im Hinblick auf das Ziehen von Anhängern folgende Geschwindigkeiten nicht überschritten werden: aa) beim Ziehen von nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängern 10 km/h; bb) beim Ziehen von nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängern im Rahmen eines land oder forstwirtschaftlichen Betriebs gemäß § 62 Abs 4 KDV 25 km/h.

Gemäß § 62 Abs 4 KDV dürfen nicht zum Verkehr zugelassene Anhänger mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 18.000 kg mit einer Zugmaschine im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ohne Bewilligung des Landeshauptmanns (...) mit einer Geschwindigkeit bis zu 25 km/h gezogen werden, wenn ihre Abmessungen und Achslasten die im § 4 Abs 6 bis 8 und im § 104 Abs 9 des Kraftfahrgesetzes 1967 angeführten Werte nicht überschreiten und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

„1. Der Anhänger muss eine Bremsanlage haben, die auf alle Räder wirkt, wenn die Betriebsbremsanlage des Zugfahrzeuges betätigt wird; diese muss auch bei Stillstand des Motors des Zugfahrzeuges wirksam sein. Die Wirksamkeit dieser Bremsanlage muss mindestens den Anforderungen des § 3i Abs. 4 entsprechen und dem Gesamtgewicht des Anhängers entsprechend eingestellt sein, sofern dies nicht selbsttätig erfolgt. Bei Anhängern bis zu einem Höchstgewicht von 3.500 kg kann diese Bremsanlage auch eine Auflaufbremse sein.

2. Weiters muss die Bremsanlage des Anhängers so feststellbar sein, dass das Abrollen des Anhängers mit ihr, auch wenn er nicht mit dem Zugfahrzeug verbunden ist, durch eine ausschließlich mechanische Vorrichtung dauernd verhindert werden kann.

3. Der Anhänger muss über ein Herstellerschild verfügen, aus dem wenigstens die Fahrgestellnummer, das Baujahr, das Höchstgewicht des Anhängers und die Angabe des Anhängerherstellers über die Wirksamkeit der Bremsanlage (§ 3i Abs. 4 und § 3k) ersichtlich sind.

4. Der Anhänger muss hinten mit einer geraden Anzahl von Schlussleuchten und Rückstrahlern gemäß § 16 Abs. 1 KFG 1967 und Fahrtrichtungsanzeigern gemäß § 19 Abs. 1 KFG 1967 ausgerüstet sein. Bei Anhängern, deren Abmessungen so gering sind, dass die Blinkleuchten des Zugfahrzeuges für Lenker nachfolgender Fahrzeuge sichtbar bleiben, sind Fahrtrichtungsanzeiger jedoch nicht erforderlich. Bei Anhängern, deren Länge einschließlich einer Deichsel 6 m übersteigt, und bei Nachläufern muss an beiden Längsseiten je ein nicht mehr als 90 cm über der Fahrbahn liegender gelbroter Rückstrahler angebracht sein.

5. Am Anhänger muss hinten vollständig sichtbar die Aufschrift '25 km' angebracht sein; für diese Aufschrift gilt § 57 Abs. 6 sinngemäß.“

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass der vom Klagsfahrzeug gezogene Anhänger (nur) die Voraussetzungen der Z 3 (Herstellerschild) und 5 (25 km-Aufschrift hinten) nicht erfüllte. Das Gespann durfte daher die Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h nicht überschreiten.

3. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird die Bestimmung des § 58 Abs 1 Z 2 lit a KDV gleich den Bestimmungen des § 58 Abs 1 Z 1 lit a, b und c KDV als Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB gesehen, deren Normzweck in der Verhinderung aller Gefahren im Straßenverkehr besteht, die eine erhöhte Geschwindigkeit mit sich bringt (2 Ob 63/95; vgl auch 2 Ob 15/90, RIS Justiz RS0027474, RS0075478, RS0065754, RS0065757). Nach dem zuletzt zitierten Rechtssatz zielt die in § 58 Abs 1 Z 2 lit e KDV normierte Festsetzung der Höchstgeschwindigkeit für Kraftwagenzüge auf die Vermeidung aller Gefahren ab, die sich aus der mit Rücksicht auf die Art solcher Fahrzeuge erhöhten Betriebsgefahr bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ergeben, so auch die im Vergleich zu anderen Fahrzeugen größere Masse und geringere Bremsverzögerung.

Die Entscheidung 2 Ob 270/08g hatte ebenfalls den Zusammenstoß zwischen einem Traktor und einem Pkw zum Gegenstand. Die Entscheidungen der Vorinstanzen wurden aufgehoben, weil der Frage der vom Traktorgespann einzuhaltenden Höchstgeschwindigkeit (10 oder 25 km/h) entscheidungswesentliche Bedeutung zukomme und dazu ausreichende Feststellungen fehlten. Möge auch die Vermeidung der Gefahr durch unkontrolliertes Ausbrechen eines technisch einfachen Anhängers oder durch Verlängerung des Bremswegs bei einfachen Bremsvorrichtungen primäres Ziel der Regelung des § 58 KDV, insbesondere dessen Abs 1 Z 2 lit a sein, beinhalteten diese Bestimmungen aber zumindest auch die Hintanhaltung der Gefahren aus der erhöhten Geschwindigkeit allgemein.

4. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist nur für jene Schäden zu haften, welche die übertretene Verhaltensnorm gerade verhindern sollte (Rechtswidrigkeitszusammenhang). Entscheidend ist der Normzweck, der durch teleologische Auslegung zu ermitteln ist ( Karner in KBB 3 § 1295 ABGB Rz 9; Harrer in Schwimann 3 § 1311 ABGB Rz 10; Fucik/Hartl/Schlosser , Handbuch des Verkehrsunfalls 2 Rz 81). Um herauszufinden, ob die jeweilige Vorschrift, die übertreten wurde, den im konkreten Fall eingetretenen Schaden verhindern wollte, ist das anzuwendende Schutzgesetz teleologisch zu interpretieren. Maßgeblich ist dabei der Inhalt der Norm und nicht das Motiv, das zur Erlassung der Verordnung geführt hat. Es genügt dabei, dass die Verhinderung des Schadens bloß mitbezweckt ist. Die Norm muss aber die Verhinderung eines Schadens wie des später eingetretenen intendiert haben (2 Ob 2028/96s = RIS Justiz RS0027553 [T6]). Soll nicht die Schutzzweckprüfung jeglichen Aussagegehalt verlieren, darf sie keinesfalls bei einer bloßen Paraphrasierung des Gesetzeswortlauts stehen bleiben: Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RIS Justiz RS0027553 [T14]).

5. Die hier in Rede stehenden Voraussetzungen für eine höchstzulässige Geschwindigkeit von 25 km/h (anstatt 10 km/h) gemäß § 62 Abs 4 KDV sind einerseits technischer (sicherheitsrelevanter) Natur, wie jene nach den Z 1 und 2 (Bremsanlage) sowie Z 4 (Beleuchtung etc), andererseits kommt ihnen bloß „deklarative“ (nicht sicherheitsrelevante) Bedeutung zu, wie der Aufschrift nach Z 5 (vgl dazu Grubmann , KDV [2012] § 62 Anm 1) und nach Z 3 (Herstellerschild).

Bei teleologischer Auslegung der Norm des § 62 KDV spielen die Vorschriften über die Anbringung der Aufschriften nach Z 3 und 5 keine maßgebliche Rolle für den Normzweck. Sie stehen auch nicht in einem Zusammenhang mit einer geschwindigkeitsbedingt erhöhten Betriebsgefahr wegen größerer Masse und geringerer Bremsverzögerung (vgl RIS Justiz RS0065757). Gerade der Ablauf des gegenständlichen Unfalls (Frontalzusammenstoß) lässt jeglichen Zusammenhang zwischen der Verletzung der Bestimmungen nach § 58 Abs 1 Z 2 lit a iVm § 62 Abs 4 KDV wegen des Fehlens des Herstellerschilds und der Geschwindigkeitsaufschrift und den eingetretenen Schäden vermissen. Es besteht daher im hier gegebenen Fall kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der Vorschriften über die höchst zulässige Betriebsgeschwindigkeit und den durch den Unfall eingetretenen Schäden.

Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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