JudikaturJustiz2Ob122/08t

2Ob122/08t – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. August 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Barbara G*****, vertreten durch Dr. Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Linien GmbH Co KG, Erdbergstraße 202, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13.413,18 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR) über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 3.691,59 EUR sA und Feststellung) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2007, GZ 13 R 131/07s-71, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 16. März 2007, GZ 23 Cg 114/06p-63, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 742,27 EUR (darin enthalten 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 4. 5. 2004 ereignete sich um 7.14 Uhr in 1110 Wien, Gottschalkgasse 1, ein Verkehrsunfall. Das von der Klägerin gelenkte, von der Simmeringer Hauptstraße nach links in die Gottschalkgasse einbiegende Motorrad kollidierte mit einem in der Gottschalkgasse fahrenden Straßenbahntriebwagen der Beklagten.

Für die aus der Simmeringer Hauptstraße in die Gottschalkgasse einbiegenden Fahrzeuge gibt es eine Ampel, bestehend aus einem Zweikammersystem mit Gelb- und Rotlicht, die von der Stadt Wien errichtet wurde und erhalten wird. Ca 70 m vor der Häuserfluchtlinie der Simmeringer Hauptstraße sollte die Straßenbahn über einen Bügelkontakt sofort ein Signal in Form eines aufleuchtenden weißen Pfeils für die Straßenbahn auslösen. Dieses Signal ist (für den Führer der Straßenbahn) eine Bestätigung der Anmeldung. Zwei Sekunden nach dem Auslösen des Signals müssten die von der Simmeringer Hauptstraße einbiegenden Fahrzeuge bei der Ampelanlage Gelblicht, vier Sekunden danach Rotlicht erhalten. Tatsächlich wird das Signal für die Straßenbahn aber nicht sofort beim Bügelkontakt ausgelöst, sondern mit einer Verzögerung von rund zwei Sekunden. Aufgrund dieser Verzögerung leuchtete trotz der Annäherung der Straßenbahn auf der Ampel kein Licht auf, als die Klägerin die Haltelinie überfuhr. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Klägerin die ca 65 m entfernte Straßenbahn sehen können. Sie nahm die Straßenbahn nach dem Überfahren der Haltelinie wahr, fuhr aber trotzdem weiter.

Die Vorinstanzen haben eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 vorgenommen. Sie lasteten der Klägerin einen Verstoß gegen § 16 Abs 1 und § 19 der Eisenbahn-KreuzungsVO 1961 idF BGBl 1988/123 (im folgenden nur Eisenbahn-KreuzungsVO) und eine Reaktionsverspätung als Verschulden an; auf Seite der Beklagten wurde eine außergewöhnliche Betriebsgefahr als Folge der Fehlfunktion der Ampelanlage berücksichtigt.

Das Berufungsgericht ließ über Antrag der Beklagten nachträglich die Revision zu und begründete dies mit fehlender höchstgerichtlicher Judikatur zu den Fragen, ob 1. die Eisenbahn-KreuzungsVO im Stadtgebiet auch dann Anwendung finde, wenn ihre Anwendung nicht „unstrittig" sei, 2. ein Eisenbahnunternehmen auch dann wegen „außergewöhnlicher Betriebsgefahr" hafte, wenn die unrichtige Programmierung einer Lichtzeichenanlage in den Verantwortungsbereich eines Dritten (Stadt Wien) falle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in den zwei, vom Berufungsgericht zitierten und seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Entscheidungen 2 Ob 224/00f = ZVR 2002/38 und 2 Ob 159/03a mit Kollisionen im Stadtgebiet zwischen Straßenbahnen und Kraftfahrzeugen als Folge von Fehlfunktionen bei Ampelanlagen befasst. Ergebnis war jeweils eine Haftungsteilung von 1 : 1. Dem Betriebsinhaber der Straßenbahn wurde das Versagen einer (zu den baulichen Bahnanlagen gehörigen: 2 Ob 224/00f) Ampel als außergewöhnliche Betriebsgefahr zugerechnet, den Kfz-Lenkern der Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 16 f Eisenbahn-KreuzungsVO über das Verhalten von Straßenbenützern bei Annäherung an eine Eisenbahnkreuzung als Verschulden. Beide Entscheidungen gingen eingangs davon aus, dass die Anwendung der Eisenbahn-KreuzungsVO unstrittig sei.

Die Beklagte bestreitet hier die Anwendbarkeit der Eisenbahn-KreuzungsVO und beruft sich dazu auf § 13 Abs 1 leg cit, der Kreuzungen zwischen Straßen und Straßenbahnen innerhalb des Ortsgebiets von der Verpflichtung des Eisenbahnunternehmens, die Kreuzungen zu sichern (§ 2 Abs 1 leg cit), ausnimmt. Lediglich wenn es die besonderen örtlichen Verhältnisse erfordern, hat die Behörde eine diesen Verhältnissen entsprechende Sicherungsmaßnahme anzuordnen (§ 13 Abs 1 Satz 3 leg cit). Handelt es sich nicht um eine Ampelanlage nach der Eisenbahn-KreuzungsVO und damit nicht um einen Teil der Betriebsanlagen der Beklagten, so sind nach Auffassung der Beklagten Sicherungsmaßnahmen vom Straßenerhalter (Stadt Wien) durchzuführen.

Diese Differenzierung, die das Berufungsgericht als Begründung für den Zulassungsausspruch übernommen hat, begründet aber keine erhebliche Rechtsfrage:

Der in der Revision herangezogene § 13 Abs 1 Eisenbahn-KreuzungsVO regelt die Ausnahme von der Sicherungspflicht. Abs 2 ordnet an, dass die Bestimmungen des Abschnitts IV der Verordnung über das Verhalten der Straßenbenützer (§§ 16 f leg cit) nur bei jenen Kreuzungen gelten, die eine der in § 2 Abs 2 leg cit angeführten Sicherungen aufweisen. Abgesehen von der hier ohnehin vorhandenen Sicherung durch eine Lichtzeichenanlage im Sinn des § 2 Abs 2 lit d Eisenbahn-KreuzungsVO, betrifft die Ausnahmeregelung des § 13 Abs 2 leg cit nur das Verhalten anderer Straßenbenützer bei der Annäherung an Eisenbahnkreuzungen. Im konkreten Fall stehen der Verstoß der Klägerin gegen die Bestimmungen der §§ 16 Abs 1 und 19 Eisenbahn-KreuzungsVO und ihr Verschulden rechtskräftig fest. Relevant ist nur mehr, ob der Beklagten das zu späte Aufleuchten der für den Kfz-Verkehr geltenden Signale als außergewöhnliche Betriebsgefahr zuzurechnen ist.

Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ist bei einer besonderen Gefahrensituation anzunehmen, die nicht bereits regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb verbunden ist, sondern durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Bereich liegender Umstände vergrößert wurde (RIS-Justiz RS0058461; RS0058467; Schauer in Schwimann ABGB³ VII § 9 EKHG Rz 42). Ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0058444) eine außergewöhnliche Betriebsgefahr als unmittelbare Unfallursache zu bejahen, macht es für die Haftung grundsätzlich keinen Unterschied, ob sie durch einen Dritten oder sogar durch höhere Gewalt ausgelöst wurde (2 Ob 215/07t mwN). Es kommt daher nicht darauf an, ob die Beklagte zur Sicherung der Kreuzung verpflichtet war und ihr eine Verletzung dieser Sicherungspflicht als Verschulden vorzuwerfen ist. Ursache für das verzögerte Aufleuchten des Gelblichts war, dass das Signal für die Straßenbahn, das seinerseits zwei Sekunden danach das Gelblicht aufleuchten ließ, nicht sofort beim Bügelkontakt ausgelöst wurde, sondern mit einer Verzögerung von rund zwei Sekunden. Die durch das verspätete Aufleuchten des Gelblichts hervorgerufene besondere Gefahrensituation als außergewöhnliche Betriebsgefahr der Beklagten zuzurechnen (mit dem Ergebnis einer Schadensteilung 1 : 1), entspricht den Grundsätzen höchstgerichtlicher Judikatur (2 Ob 224/00f; 2 Ob 159/03a).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

Rechtssätze
9