JudikaturJustiz2Ob100/67

2Ob100/67 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 1967

Kopf

SZ 40/63

Spruch

Die Nichtanbringung einer Schutzvorrichtung an einer Maschine muß kein grobes Verschulden bedeuten. - Es liegt im Ermessen des Vorsitzenden des Berufungsgerichtes, wie er bei der Beweiswiederholung vorgeht.

Entscheidung vom 28. April 1967, 2 Ob 100/67.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Gestützt auf § 334 ASVG. begehrt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 7507.10 S s. A., sowie die Feststellung, daß der Beklagte für alle Pflichtaufwendungen, welche die Klägerin ihrer Versicherten Angela H. auf Grund des Arbeitsunfalles vom 15. Mai 1964 zu erbringen habe, hafte.

Der Beklagte beantragt Klagsabweisung, weil ihn an dem Unfall kein Verschulden treffe.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Angela H. war als Arbeiterin im Betrieb der Blech- und Metallwarenfabrik C. am 15. Mai 1964 an der Exzenterpresse mit dem Pressen von Metallofenblechen auftragsgemäß beschäftigt. Um 15.15 Uhr ersuchte sie den Beklagten, der als fachkundige Person mit den Einstell- und Umstellarbeiten an der Presse beauftragt war, die Presse umzuspannen. Der Beklagte brachte nun verschiedene Preßwerkzeuge und Formstücke, die zur genauen Einstellung und Einrichtung der Presse erforderlich waren. Nach Durchführung von Probepressungen überließ er der Versicherten die Presse zur Fortsetzung der Preßarbeiten. Über ihr neuerliches Ersuchen ließ der Beklagte den Preßhebel aufsteigen und legte eine neue Schiene ein. Dann nahm er neuerlich einige Probepressungen vor. Als eine Platte klemmte, nahm er diese wieder heraus, um sie an der noch nicht bearbeiteten Ecke geradezubiegen. Sodann legte er die Metallplatte wieder in die Presse ein. Dabei rief er der Versicherten zu: "Druck's nieder", womit gemeint war, die Versicherte solle die Platte niederdrücken. Sie tat dies mit ihrer linken Hand. In diesem Augenblick senkte sich der Preßstempel, da der Beklagte mit seinem rechten Fuß auf den Fußhebel der Presse stieg und dadurch den Preßhub auslöste. Die Versicherte erlitt eine Ouetschung der linken Hand.

Der Erstrichter war der Ansicht, daß der Beklagte gegen die Schutzbestimmungen der Dienstnehmerschutzverordnung dadurch verstoßen habe, daß er der Versicherten gestattete, sich neben der Preßmaschine sitzend aufzuhalten und es unterlassen habe, sie ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, nicht in die Presse hineinzugreifen, weil er mit dem Fußhebel den Preßhub auslösen werde.

Über Berufung des Beklagten wiederholte das Berufungsgericht das Beweisverfahren zu der Frage, ob der Beklagte die Versicherte aufforderte, das Werkstück niederzudrücken, bevor sie mit ihrer linken Hand in den Stempelweg hineinlangte, durch neuerliche Vernehmung der Zeugen H. und T. sowie des Beklagten als Partei. Auf Grund dieser Beweiswiederholung stellte das Berufungsgericht folgenden Sachverhalt fest: Der Beklagte sagte der Versicherten nicht, sie solle die Platte hinunterdrücken. Sie griff vielmehr ohne jede Aufforderung von Seiten des Beklagten mit der linken Hand in den Stempelweg.

Das Berufungsgericht meinte, dem Beklagten falle kein Verstoß gegen die Vorschriften der allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung zur Last, denn das bloße sitzende Verweilen der Versicherten neben der Presse habe für diese noch keine Gefahrenlage begrundet. Dasselbe gelte für das Fehlen der Schutzvorrichtung. Der Beklagte habe nicht voraussehen können, daß Angela H. trotz ausdrücklicher seinerzeitigen Belehrung ohne Aufforderung während des vom Beklagten durchgeführten Preßvorganges mit einer Hand in den Stempelweg hineinlangen würde. Eine konkrete Gefährdung habe daher nicht bestanden. Das Berufungsgericht wies daher das Klagebegehren ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revisionswerberin behauptet, die Art und Weise, wie das Berufungsgericht die Beweiswiederholung vornahm, stelle - ungeachtet erfüllter Formalität - eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar. Die zweite Instanz habe sich nämlich darauf beschränkt, die beiden Zeugen und den Beklagten nebeneinander Aufstellung nehmen zu lassen, ihnen kurz resumierend die Aussagen im Verfahren erster Instanz mitzuteilen und sodann die Frage zu stellen, ob sie bei ihren Aussagen bleiben, was alle drei bejahten. Dieser Vorgang stelle keine Beweiswiederholung dar.

Die Revisionsbeantwortung führt aus, die Darstellung in der Revision entspreche nicht dem tatsächlichen Ablauf der Vernehmung. Der Berufungssenat habe vielmehr die beiden Zeugen und den Beklagten einzeln vernommen und jeden nach ausführlichem Vorhalt der entscheidenden Angaben im erstinstanzlichen Verfahren eindringlich gefragt, ob diese Aussagen aufrechterhalten würden. Nach Bejahung dieser Fragen, sei auch an die anwesenden Parteienvertreter die Anfrage gerichtet worden, ob sie an die Vernommene noch irgend welche Fragen stellen wollten.

Die Zivilprozeßordnung enthält keine Vorschriften darüber, wie die Beweiswiederholung durch das Berufungsgericht vor sich gehen müsse. Aus §§ 488, 463 ZPO. ist lediglich zu entnehmen, daß dabei die Vorschriften für das erstgerichtliche Verfahren anzuwenden sind. Diese besagen aber (§ 340 ZPO.), daß nach Feststellung der persönlichen Verhältnisse der Vorsitzende an den Zeugen die geeigneten Fragen über diejenigen Tatsachen, deren Beweis durch die Aussage hergestellt werden soll, zu richten hat.

Das Protokoll über die mündliche Berufungsverhandlung weist aus, daß die Zeugen nacheinander vernommen nach Angabe ihrer Personaldaten wie vor dem Erstgericht ausgesagt haben. Hierin ist nichts weiter als eine zulässige Erleichterung der Protokollierung zu erblicken (ebenso Entscheidung vom 19. September 1956, 7 Ob 373/56). Ob der Vorsitzende die einzelnen Zeugen dazu anhält, eine zusammenhängende Darstellung ihres Wissens von den maßgebenden Umständen zu geben, oder ob er ihnen einzelne Fragen stellt, oder, ob er ihnen vorhält, was sie in erster Instanz ausgesagt haben und sie befragt, ob sie diese Aussage aufrechterhalten, ist seinem pflichtgemäßen Ermessen anheimgestellt. Dieses wird davon geleitet sein müssen, welches Vorgehen im gegebenen Fall der Wahrheitsfindung am dienlichsten ist. Der Vorwurf, es sei bei letzterer Vorgangsweise eine Beweiswiederholung nur zum Schein erfolgt, ist daher jedenfalls unberechtigt. Im übrigen wäre es Sache des in der Berufungsverhandlung anwesenden Klagevertreters gewesen, nötigenfalls auch seinerseits Fragen zu stellen; außerdem wäre es ihm obgelegen, allfällige sonstige Mängel des Verfahrens sogleich zu rügen (§ 196 ZPO.). Dies ist aber nicht geschehen. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor.

Eine unrichtige rechtliche Beurteilung sieht die Revision in der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Unterlassung der Anbringung der Schutzvorrichtung bei unmittelbarer Gegenwart der Versicherten kein grobes Verschulden gebildet habe, zumal ja die Schutzvorrichtung aus Anlaß einer behördlichen Beanstandung angefertigt hätte werden müssen.

Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend dargelegt, daß nicht schon der Mangel der Schutzvorrichtung schlechthin ein grobes Verschulden des Beklagten darstellen kann. Der Beklagte hat über Ersuchen der Versicherten an der Maschine gearbeitet und sich dabei höchstens selbst gefährdet. Für Angela H., die neben der Maschine saß und - nach den für die dritte Instanz maßgebenden Feststellungen des Berufungsgerichtes - keinerlei Anlaß hatte, sich in diesem Zeitpunkt an der Maschine zu betätigen, war sohin keine konkrete Gefährdung gegeben. Ihre Verletzung ist ausschließlich auf ihr eigenes vorschriftswidriges Eingreifen zurückzuführen.

Es liegt also auch der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht vor.