JudikaturJustiz23Ds2/22d

23Ds2/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 18. Oktober 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Lovrek als weitere Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Mitterlehner und Mag. Dorn als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 19. Juli 2021, GZ D 19/05 45, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Kammeranwalts Mag. Philipp, des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Wolfgang Steflitsch zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 31. März 2019 in * im Foyer eines Kinos * * einen Kniestoß in dessen Genitalbereich versetzt.

[3] Nach den wesentlichen Feststellungen des Disziplinarrats machte der Beschuldigte in der Halle eines Kinos in * mit seinem Mobiltelefon Filmaufnahmen von dem ihm aus diversen Gerichtsverfahren bekannten *. Daraufhin begann dieser seinerseits * und sodann – zu einem Zeitpunkt, als der Beschuldigte seine Aufnahmen schon beendet hatte – auch dessen Tochter mit seinem Mobiltelefon zu filmen. In weiterer Folge kam es zwischen den Genannten zu einer verbalen und auch handgreiflichen Auseinandersetzung. Nachdem sich der Beschuldigte und seine Tochter vom (unmittelbaren) Ort des Konflikts in Richtung Ausgang entfernt hatten, kam * zurück und „stürmte regelrecht“ auf * zu. Dieser war dem Beschuldigten nicht nachgegangen und hatte sein – ursprünglich noch zum Ausgang ausgerichtetes – Mobiltelefon (unmittelbar davor) bereits abgesetzt. Auf die Äußerung des Beschuldigten, dass „jetzt Schluss wäre“, antwortete *, er filme, wann er wolle und wie er wolle und werde auch weiter filmen. Daraufhin versetzte ihm * einen Stoß mit dem Knie in den Genitalbereich und eilte aus der Halle (ES 4 f).

[4] Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes verneinte der Disziplinarrat mit der wesentlichen Begründung, dass Persönlichkeitsrechte nicht zu den notwehrfähigen Gütern zählen und der Beschuldigte sich zudem bereits auf dem Weg nach draußen befunden habe, ohne von * verfolgt zu werden, sodass der Angriff durch bloßes Verlassen der Örtlichkeit zwangsläufig beendet worden wäre. Zur Verhinderung der Verbreitung der bereits angefertigten Aufnahmen sei der Kniestoß aber nicht geeignet gewesen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]), der keine Berechtigung zukommt.

[6] Sie behauptet rechtsfehlerhaftes Unterbleiben der Annahme des Rechtfertigungsgrundes erlaubter offensiver Selbsthilfe nach §§ 19, 344 ABGB (der Sache nach Z 9 lit b).

[7] Richtig ist, dass als Rechtfertigungsgrund neben der Notwehr iSd § 3 StGB Selbsthilfe im engeren Sinn in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0009026), die auch zum Schutz nicht notwehrfähiger Güter zulässig ist (RIS-Justiz RS0009029). Der Bildnisschutz gehört zu den Persönlichkeitsrechten iSd § 16 ABGB (RIS-Justiz RS0123001). Diese geben dem Geschädigten Abwehransprüche und allenfalls Ansprüche auf Schadenersatz (RIS-Justiz RS0008994).

[8] Bei nicht notwehrfähigen Gütern hat – im Unterschied zur Notwehr – eine umfassende Interessenabwägung stattzufinden, weil die Rechtsordnung bei erlaubter Selbsthilfe bezüglich der Berücksichtigung des Werts der Güter das Maß nicht festsetzt. Dabei sind insbesondere der durch das Unterbleiben der Selbsthilfe zu erwartende Nachteil und die durch die Selbsthilfe geschehene Güterbeeinträchtigung abzuwägen ( Reischauer in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 19 ABGB Rz 117 f; Lewisch in WK² StGB Nach § 3 Rz 167 mwN; zum Ganzen auch Kienapfel/Höpfel/Kert AT 16 Rz 15.32 ff; Fuchs/Zerbes , AT I 11 17/75 ff).

[9] Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der inkriminierte Kniestoß in den Genitalbereich des Angegriffenen, der nach den Feststellungen der Abwehr (zudem nur vage) angedrohter Fortsetzung der zum Zeitpunkt der Gewaltausübung bereits beendeten Filmaufnahmen dienen sollte (ES 5) und zudem (selbst nach dem Vorbringen des Beschuldigten; vgl auch ON 5 im Ds Akt; ON 12 S 23 in ON 9 im D Akt) zu einer – wenn auch nur leichten – Körperverletzung führte (vgl dazu Lewisch in WK² StGB Nach § 3 Rz 168; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 16 Rz 15.41), unerlaubte Selbsthilfe war.

[10] Die Eignung der Gewaltanwendung, die – nach dem Berufungsvorbringen zu befürchtende – Manipulation und Weiterverbreitung oder sonstige Verwendung des bereits angefertigten Bildmaterials zu verhindern, hat der Disziplinarrat gleichfalls mit Recht verneint, zumal dem Beschuldigten die Identität des * bekannt war (ES 4; vgl dazu Lewisch in WK² StGB Nach § 3 Rz 157 und 164; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 16 Rz 15.37; Fuchs/Zerbes , AT I 11 17/78a; vgl auch RIS Justiz RS0120665).

[11] Da der reklamierte Rechtfertigungsgrund schon aus diesen Gründen nicht vorliegt, erübrigt sich ein Eingehen auf die Behauptung des Zuspätkommens behördlicher Hilfe.

[12] Bleibt nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass auch die – grundsätzlich denkbare – Annahme rechtfertigenden Notstands schon daran scheitert, dass die Abwehrhandlung keineswegs das letzte und mit möglichster Schonung eingesetzte Mittel zur Abwehr des drohenden Eingriffs in Persönlichkeitsrechte war (vgl dazu Lewisch in WK² StGB Nach § 3 Rz 16 ff, Rz 46 ff, 52 ff mwN).

[13] Als Rechtsanwalt hätte der Beschuldigte letztlich um die Unangemessenheit der Gewaltanwendung wissen müssen, weshalb ihm der Angriff – wie vom Disziplinarrat gleichfalls zutreffend erkannt – vorwerfbar ist. Die fahrlässige Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes reicht aber für eine Strafbarkeit gemäß § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt aus ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 S 855).

[14] Die weiters behauptete Verfassungswidrigkeit angewendeter oder (vom Obersten Gerichtshof) erst anzuwendender Gesetze ist kein Gegenstand der Berufung (RIS-Justiz RS0053859 [insb T2]).

[15] Zu einem im Rechtsmittel angeregten Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B VG in Ansehung der § 1 Abs 2 und § 46 zweiter Satz DSt bestand keine Veranlassung. Der Oberste Gerichtshof teilt die vom Berufungswerber geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken in Bezug auf seine These, wonach der „Disziplinarrat … kein Organ des Staates“ und daher „aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zur Ausübung des 'Strafmonopols' des Staates befugt sei“, nicht (vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der erstgenannten Bestimmung [für viele] VfGH B 771/05 VfSlg 17.713; zur Einordnung des Disziplinarrats als Verwaltungsbehörde VfGH G 183/2020 ua; G 13/55, G 18/55 VfSlg 2902; zur verfassungsrechtlichen Grundlage siehe auch Art 120a, 120b B VG). Gleiches gilt für die unsubstantiierten Behauptungen, die durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz BGBl I 2013/190 erfolgte „flächendeckende“ Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung über Rechtsmittel in Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter von der OBDK an den Obersten Gerichtshof (§ 46 DSt) stelle keine „einzelne Angelegenheit“ iSd Art 94 Abs 2 B VG dar (vgl aber Grabenwarter/Frank , B VG Art 94 Rz 3), wobei die mit Art 94 Abs 2 B VG erfolgte „Durchbrechung des Gewaltentrennungsprinzips“ zudem einer Volksabstimmung bedurft hätte (Art 44 Abs 3 B VG).

[16] Der Berufung wegen Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht Folge zu geben.

[17] Auch der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt keine Berechtigung zu.

[18] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 2.000 Euro und wertete keinen Umstand als erschwerend, als mildernd dagegen die lange Verfahrensdauer, den bislang ordentlichen Lebenswandel des Beschuldigten sowie den Umstand, dass es ihm „vorwiegend darum gegangen sein wird, seine Tochter zu schützen“, als mildernd.

[19] Bei der Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuches (§§ 32 ff StGB) sinngemäß anzuwenden (RIS-Justiz RS0054839).

[20] Ausgehend davon erweisen sich die in der angefochtenen Entscheidung angenommenen Strafzu-messungsgründe als nicht korrekturbedürftig, wobei dem zu Gunsten des Beschuldigten gewerteten Motiv für die Tatbegehung insoferne kein besonders hohes Gewicht beizumessen ist, als es nach den Feststellungen zunächst der Beschuldigte war, der * durch Filmaufnahmen mittels Mobiltelefon in seinen Persönlichkeitsrechten verletzte und damit die spätere Auseinandersetzung selbst provozierte.

[21] Unter Zugrundelegung dieser Milderungs- und Erschwerungsgründe entspricht die im untersten Bereich des Strafrahmens von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) bemessene Geldbuße Tatunrecht und Täterschuld sowie Präventionserfordernissen und trägt den (mangels diesbezüglicher Angaben des Beschuldigten zutreffend zugrundegelegten) durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eines Rechtsanwalts angemessen Rechnung (§ 16 Abs 6 DSt).

[22] Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt ebenso wenig in Betracht wie ein Vorgehen nach § 39 DSt idF vor BGBl 2020/19, weil der dem Beschuldigten zur Last liegende körperliche Angriff eine nicht bloß geringfügige Verfehlung darstellt (vgl RIS Justiz RS0075487 [T1]) und die Verhängung einer Geldbuße aus spezial- und generalpräventiven Gründen geboten ist. Die begehrte bedingte Nachsicht der Sanktion konnte schon mit Blick auf die Tatzeit (31. März 2019) nicht gewährt werden, weil § 16 Abs 2 DSt idF BGBl I 19/2020 nur auf Disziplinarvergehen anzuwenden ist, die nach dem 31. März 2020 begangen wurden (§ 80 Abs 6 letzter Satz DSt; vgl auch RIS-Justiz RS0133799).

[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Rechtssätze
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