JudikaturJustiz22Os2/16h

22Os2/16h – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 7. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Mascher und Dr. Waizer sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Tirol vom 13. April 2016, GZ D 13 52, D 13 53 (1 DV 15 34), nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, des Kammeranwalts Dr. Schmidinger, des Beschuldigten und dessen Verteidigers Dr. Danler zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuld und Strafausspruch aufgehoben und der Beschuldigte vom Vorwurf, er habe im Rahmen der von ihm für die Anzeiger Andrea und Brigitte K***** am 23. Mai 2013 bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck überreichten Sachverhaltsdarstellung eine Hausdurchsuchung in den Kanzleiräumlichkeiten des RA ***** angeregt, obwohl hiefür keine hinreichenden Anhaltspunkte vorlagen, damit Ansprüche seiner Mandanten mit unangemessener Härte verfolgt und sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel angewandt, freigesprochen.

Mit seiner Berufung wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen (unzulässigen [RIS Justiz RS0115553, RS0120128]) Teilfreispruch enthaltenden Erkenntnis wurde der Beschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er im Rahmen der von ihm für die Anzeiger Andrea und Brigitte K***** am 23. Mai 2013 bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck überreichten Sachverhaltsdarstellung eine Hausdurchsuchung in den Kanzleiräumlichkeiten des RA ***** angeregt hat, obwohl hiefür keine hinreichenden Anhaltspunkte vorlagen, damit Ansprüche seiner Mandanten mit unangemessener Härte verfolgt und sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel angewandt hat.

Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), Schuld und Strafe.

Der Disziplinarrat traf zusammengefasst folgende wesentliche Feststellungen:

Der Berufungswerber zeigte mit seiner am 25. Mai 2013 bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingebrachten Sachverhaltsdarstellung DI (FH) Carlo B***** wegen des Verdachts des schweren gewerbsmäßigen Betrugs mit einer möglichen Schadenssumme von ca 4.500.000 Euro zum Nachteil seiner Mandantinnen im Zusammenhang mit einem großen Bauvorhaben auf deren Liegenschaften in J***** an. In dieser auch gegen RA ***** gerichteten Anzeige wurde weiters der Verdacht geäußert, dass dieser als vormaliger Vertreter der Familie der Anzeigerinnen an der Tat beteiligt gewesen sein könnte, zumal er sämtliche Verträge – zum Nachteil der Familie der Anzeigerinnen – errichtet und finanziell davon profitiert habe (Erkenntnis S 11 f). Mit dem Hinweis, dass RA ***** über sämtliche Akten betreffend die Familie der Anzeigerinnen und die rechtliche Betreuung des Bauprojekts in J***** verfügen müsse, insbesondere über Akten samt Aktenvermerken, die mit dem Erstangezeigten DI (FH) B***** in Zusammenhang stehen und dass die Gefahr bestehe, dass derartige Unterlagen vernichtet werden, sobald die Angezeigten darüber Kenntnis erlangen, dass ihnen gegenüber Ansprüche geltend gemacht werden, regte der Beschuldigte in seiner Sachverhaltsdarstellung unter anderem auch die Vornahme einer Hausdurchsuchung in den Kanzleiräumlichkeiten des RA ***** an.

Unter Berücksichtigung der vom Disziplinarbeschuldigten vor der Erstattung der Sachverhaltsdarstellung durchgeführten Recherchen und eingehenden Sachverhaltsprüfungen und auch des Verhaltens des RA *****, welcher dem Beschuldigten als Vertreter der Pfandbestellerinnen weder Einblick in die Konten gewähren wollte noch die für den Beschuldigten erweisbare Vertretungstätigkeit auch der Anzeigerinnen einräumte, sondern diese sogar ausdrücklich bestritten hatte, erachtete der Disziplinarrat die Anzeigenerstattung gegen RA ***** aufgrund der gegebenen Verdachtsmomente als gerade noch nicht den Grad einer disziplinarrechtlich zu ahndenden Vorgangsweise erreichend und fällte von diesem (idealkonkurrierenden) Vorwurf einen Freispruch.

Hingegen habe es für die Anregung einer Hausdurchsuchung in der Kanzlei des RA ***** keine genügend konkreten Verdachtsmomente gegen den Berufskollegen gegeben, welche eine solche rechtfertigen könnten. Diese habe damit erheblich die Grenzen des unumwundenen Vorbringens gemäß § 9 RAO überzogen, was für den Beschuldigten auch erkennbar gewesen sei. Er wäre mangels konkreter Verdachtsmomente verpflichtet gewesen, eine derartige Vorgangsweise – trotz anderslautenden Auftrags seiner Mandantinnen – abzulehnen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zielte die vom Beschuldigten angeregte Durchsuchung der Kanzleiräume des RA *****, sohin eines durch das Hausrecht geschützten Ortes (§ 117 Z 2 lit b, 119 Abs 1 StPO) darauf ab, Informationen zu beschaffen, die RA ***** in dessen Eigenschaft als Rechtsanwalt bekannt wurden und sohin der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht (§ 9 Abs 2 RAO) unterliegen. Aufgrund des in den §§ 157 Abs 2, 144 Abs 2 StPO normierten Umgehungsverbots dürfen Informationen, die einem Parteienvertreter iSd § 157 Abs 1 Z 2 StPO in dieser Eigenschaft bekannt geworden sind, im Wege einer Ermittlungsmaßnahme nach § 119 Abs 1 StPO nur beschafft werden, wenn der Parteienvertreter selbst der Tat dringend verdächtig ist. Die vom Beschuldigten angeregte Durchsuchung der Kanzleiräumlichkeiten des RA ***** wäre also nur im Fall der nach sorgfältiger und kritischer Prüfung (RIS Justiz RS0056158) bejahten Annahme eines gegen RA ***** bestehenden dringenden Tatverdachts statthaft gewesen.

Zutreffend weist der Rechtsmittelwerber allerdings darauf hin, dass die Anordnung und Durchführung einer Durchsuchung gemäß § 119 Abs 1 StPO ausschließlich in den Händen der Strafverfolgungsbehörden liegt. Die Durchsuchung einer Wohnung oder eines anderen Ortes, der durch das Hausrecht geschützt ist (hier: Kanzleiräumlichkeiten), ist von der Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen (§ 120 Abs 1 StPO).

Gemäß den Feststellungen des Disziplinarrats (ES 9 f) schloss der Beschuldigte aufgrund der ihm vorliegenden Urkunden, der ihm von seinen Mandantinnen und dem Zeugen Be***** erteilten Informationen, seinen eigenen Recherchen und insbesondere aufgrund des Verhaltens des RA ***** vor Einbringung der Strafanzeige nicht aus, dass DI (FH) B***** und RA ***** sich durch ihre Vorgangsweise zum Schaden der Mandantinnen des Beschuldigten womöglich bereichern wollten. Ein Anfangsverdacht hinsichtlich einer (Mit )Täterschaft des RA ***** war für den Beschuldigten jedenfalls gegeben und hat die Staatsanwaltschaft Innsbruck aufgrund der Angaben in der Sachverhaltsdarstellung vom 23. Mai 2013 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen DI (FH) B***** und RA ***** eingeleitet. Der vom Beschuldigten in seiner Sachverhaltsdarstellung geäußerte Verdacht hat sich im Ermittlungsverfahren nicht erhärtet, sodass die Staatsanwaltschaft Innsbruck dieses am 20. Jänner 2014 eingestellt hat. Hätte sich im Zuge des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Innsbruck der vom Beschuldigten geäußerte Anfangsverdacht in Richtung eines dringenden Tatverdachts verdichtet, wäre es – unabhängig von der darauf zielenden Anregung des Beschuldigten – im alleinigen Ermessen der Staatsanwaltschaft gelegen, ob eine Durchsuchung der Kanzleiräumlichkeiten des ***** – nach Einholung einer gerichtlichen Genehmigung – angeordnet wird.

Der Disziplinarrat hat die Einbringung der Sachverhaltsdarstellung aufgrund der dem Beschuldigten zugebilligten Verdachtslage gegen ***** als disziplinarrechtlich (gerade noch) vertretbar erkannt.

Aus Anlass der Berufung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass selbst bei Ausgehen von den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses sämtliche Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat nach § 3 DSt, nämlich Geringfügigkeit des Verschuldens und keine oder nur unbedeutende Folgen des inkriminierten Verhaltens vorliegen (vgl RIS Justiz RS0113534 [T1 und T2]).

Das Verschulden ist dabei als (hypothetische) Strafzumessungsschuld zu verstehen, deren Prüfung entsprechend den Grundsätzen der §§ 32 ff StGB erfolgt ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 3 DSt Rz 5). Es ist dann als geringfügig einzustufen, wenn die Umstände des Einzelfalls erkennen lassen, dass das Verschulden des gegen das in Rede stehende Verbot verstoßenden Rechtsanwalts in concreto erheblich hinter dem typischer Fälle solcher Verstöße zurückbleibt (RIS Justiz RS0101393 [T4]).

Eine derartige Konstellation ist nach den Konstatierungen des Disziplinarrats gegeben. Nach den ihm vorliegenden, zudem eingehend recherchierten Informationen seiner Mandanten, insbesondere des ingerierten Polizeibeamten Be*****, war es zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung gegen ***** – unbestritten – zu einer „Kostenexplosion“ des betreffenden Bauvorhabens gekommen, für das die Anzeiger volle Sachhaftung übernommen hatten. Der „in den Streit gezogene“ Rechtsanwalt hatte sich als wenig kooperativ gezeigt und überdies Kontakte mit der Mandantschaft des Beschuldigten bestritten.

Wenn dieser nun – ersichtlich unter Verkennung der für das Strafverfahren geltenden, zum Zivilverfahren divergierenden Bestimmungen über die Hausdurchsuchung – fahrlässig überschießend auch eine solche anregte, ist ihm dies zwar vorzuwerfen, seine Schuld aber geringfügig.

Der Anregung war kein Erfolg beschieden; aus der Tat sind somit keine Folgen entstanden.

Es war sohin gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt mit Freispruch vorzugehen und der Beschuldigte mit seinem Rechtsmittel auf diese Entscheidung zu verweisen, ohne dass es eines weiteren Eingehens auf dieses bedürfte.

Rechtssätze
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