JudikaturJustiz21Ds4/23k

21Ds4/23k – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 29. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Hofmann und Mag. Wagner als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 14. Dezember 2022, GZ D 205, 206/21 17, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen (Teileinstellungs-) Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt * wegen des Vorwurfs bestehe, er habe einen aus Anlass einer Kanzleiüberprüfung am 2. Dezember 2021 vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien abgeforderten „Kontoregisterauszug“ trotz Urgenz am 11. Jänner 2022 und am 9. Februar 2022 nicht vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen erhobene, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses begehrende Beschwerde des Kammeranwalts geht fehl.

[3] Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), setzt voraus, dass kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinne des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS Justiz RS0056969, RS0057005; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 28 DSt Rz 9). Von einem – somit eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Licht des § 212 Z 2 StPO [iVm § 77 Abs 3 DSt]) dann auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Angezeigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist.

[4] Eine diesbezügliche Fehlentscheidung des nach § 28 DSt zu bildenden Senats vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen:

[5] Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, Anfragen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer im Zusammenhang mit der Berufsüberwachung (§ 23 Abs 2 RAO; § 26 RL BA 2015) fristgerecht zu beantworten, damit die Standesbehörde die ihr als Aufsichtsbehörde obliegenden Pflichten erfüllen kann ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 23 RAO Rz 10 und 15 f sowie § 26 RL BA 2015 Rz 5). Die Nichtbeantwortung von im Wirkungsbereich des § 23 RAO getätigten rechtmäßigen Anfragen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer stellt nach ständiger Rechtsprechung eine Berufspflichtenverletzung dar (RIS Justiz RS0055017; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 1 DSt Rz 73).

[6] Der Disziplinarrat vertrat die Auffassung, dass der (als ohne konkrete Vorhaltungen und nähere Begründung erteilt erachtete) Auftrag zur Vorlage eines „Kontoregisterauszugs“, der auch Daten beinhalten könne, die nicht nur das Kammermitglied, sondern – etwa bei Bestehen einer Zeichnungsberechtigung bei Konten des Ehepartners – andere Personen betreffen könne, zu weitgehend sei, eine gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage eines umfassenden „Kontoregisterauszugs“ nicht bestehe und der Auftrag zur Offenlegung sämtlicher beruflicher und privater Konten, bei denen Zeichnungsberechtigung bestehe, für die Zwecke der Kanzleiüberwachung im Sinne der RAO überschießend sei (ES 5).

[7] Dem hält die Beschwerde entgegen, dass ein Rechtsanwalt, der bei mehreren Konten zeichnungsberechtigt sei, auch über diese verfügen und sie daher zweckwidrig für eigene oder missbräuchlich für andere Zwecke gebrauchen könne. Der Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer müsse daher das Vorhandensein solcher Konten ebenso überprüfen können, wie jenes eigener Konten des Rechtsanwalts, um als öffentliche Körperschaft und Behörde im Sinne des § 23 Abs 2 RAO gesetzmäßig tätig werden zu können. Die anlassbezogene Kanzleiüberprüfung, die die in einem Einleitungsbeschluss des Disziplinarrats vom 14. Dezember 2022 (ON 16) wiedergegebenen bedeutsamen Unzulänglichkeiten im Rahmen der Kanzleiführung durch den Disziplinarbeschuldigten ergeben habe, führe zur Verpflichtung des Rechtsanwalts, erforderliche Informationen zu erteilen, im vorliegenden Fall zur Verpflichtung zur Vorlage eines jederzeit „mit einem Klick über Finanz Online“ zu erlangenden Kontenregisterauszugs.

[8] Nach § 1 Abs 1 KontRegG hat der Bundesminister für Finanzen für das gesamte Bundesgebiet ein Register (Kontenregister) zur Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse, zur Durchführung von Strafverfahren, verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren, der Erhebung der Abgaben des Bundes und für den internationalen Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten, sowie zur Verhinderung der Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung und zur Durchführung internationaler Sanktionsmaßnahmen zu führen.

[9] (Elektronische) Einsicht in das Kontenregister steht den in § 4 Abs 1 Z 1 bis 7 KontRegG genannten (Strafverfolgungs-)Behörden und Gerichten für in der zitierten Bestimmung wiedergegebene strafrechtliche, finanzstrafrechtliche, abgaben-, sicherheits- und sanktionsrechtliche Zwecke zu.

[10] Ein Auskunftsrecht (des Ausschusses) der Rechtsanwaltskammer (zu Zwecken der Berufsüberwachung nach § 23 Abs 2 RAO) ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

[11] Soweit betroffenen Personen und Unternehmen gemäß § 4 Abs 4 KontRegG das Recht auf Auskunft zusteht, welche sie betreffende Daten in das Kontenregister aufgenommen wurden, handelt es sich dabei um eine (spezialgesetzliche) Ausformung des durch das Grundrecht auf Datenschutz garantierten – höchstpersönlichen (vgl RIS Justiz RS0042418 [T12, T16]; siehe auch VwGH Ra 2016/04/0044) – Anspruchs auf Auskunft (§ 1 Abs 3 Z 1 und § 26 DSG; Art 8 Abs 2 GRC; Art 15 DSGVO) als zentralem Bestandteil des Selbstdatenschutzes ( Haidinger in Knyrim , DatKomm Art 15 DSGVO Rz 1, 5 und 58; Haidinger/Illibauer in Knyrim , Datenschutzrecht 4 Rz 8.49).

[12] Ein an den Disziplinarbeschuldigten – unter disziplinarrechtlicher Sanktion stehender – Auftrag des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer zur Vorlage eines Kontenregisterauszugs würde die verpflichtende Ausübung des einer betroffenen Person, hier des Disziplinar-beschuldigten, nach § 4 Abs 4 KontRegG zustehenden Rechts auf Auskunft, welche ihn betreffende Daten in das Kontenregister aufgenommen wurden, in sich begreifen. Ein solcher Auftrag des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer kommt als Eingriff in das den Auskunftsanspruch beinhaltende Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 Abs 3 Z 1 DSG; Art 8 Abs 2 GRC; Art 15 DSGVO) nicht in Betracht, zumal weder die RAO noch das KontRegG diesbezügliche Eingriffsbestimmungen im Sinne des § 1 Abs 2 DSG oder sonstige gesetzlich geregelte legitime Grundlagen im Sinne des Art 8 Abs 2 GRC enthalten.

[13] Der insofern fehlenden Rechtmäßigkeit des Auftrags zur Vorlage eines Kontenregisterauszugs vermag auch der von der Beschwerde ins Treffen geführte geringe Aufwand für eine betroffene Person, eine solche Auskunft zu erhalten, nicht abzuhelfen, denn die – grundrechtlich gewährleistete – allenfalls noch so einfache Möglichkeit betroffener Personen und Unternehmer, Auskunft nach § 4 Abs 4 KontRegG zu erhalten, begründet keine Verpflichtung zur Weitergabe der beauskunfteten Daten an den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer.

[14] Im – unter disziplinarrechtlicher Sanktion stehenden – Auftrag des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer zur Ausübung dieses höchstpersönlichen Rechts zum Zwecke der Erlangung ihm gesetzlich nicht zustehender Auskünfte aus dem Kontenregister kann daher kein (iSd § 23 Abs 2 RAO und § 26 RL BA 2015) rechtmäßiger Auftrag an den Disziplinarbeschuldigten ersehen werden.

[15] Dass dieser pflichtwidrig (ihm rechtmäßig erteilte) Aufträge des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer zur Vorlage von Kontoauszügen und -unterlagen, Zahlungsbelegen oder ähnlichen Urkunden verweigert hätte (RIS Justiz RS0055017 [T2]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 11 § 26 RL BA 2015 Rz 5), ist im Übrigen nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses.

[16] Der Beschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.