JudikaturJustiz20Ds6/20t

20Ds6/20t – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Dezember 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Mitterlehner als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen Berufspflichtenverletzung über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Einstellungsbeschluss des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 4. Februar 2020, D 46/19, TZ 12, gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben .

Es liegt Grund zur Disziplinarbehandlung von *****, Rechtsanwältin in *****, in mündlicher Verhandlung hinsichtlich des Verdachts vor, sie habe in Kenntnis ihrer disziplinären Verantwortung für den Fall der Unrichtigkeit am 8. Mai 2017 bzw am 20. November 2017 die unrichtige Erklärung abgegeben, dass Mag. Dr. ***** seit 6. Oktober 2015 laufend in ihrer Kanzlei während der Normalarbeitszeit, nicht jedoch in deren Freizeit, als Rechtsanwaltsanwärterin in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig war und während dieser Zeit voll und ausschließlich zur Verfügung stand, obwohl sich diese laut Dienstzeitbestätigung der ***** Universität ***** vom 25. Juli 2018 seit 1. Jänner 2008 in einem aufrechten Dienstverhältnis der ***** mit einem Stundenausmaß zwischen 20 und 25 Wochenstunden befand.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Beschluss stellte der Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer fest, dass kein Grund zur (weiteren) Disziplinarbehandlung der Rechtsanwältin ***** im Umfang des Verdachts vorliege, sie habe in Kenntnis ihrer disziplinären Verantwortung für den Fall der Unrichtigkeit am 8. Mai 2017 bzw am 20. November 2017 die Erklärung abgegeben, dass Mag. Dr. ***** seit 6. (richtig:) Oktober 2015 laufend in ihrer Kanzlei während der Normalarbeitszeit, nicht jedoch in deren Freizeit, als Rechtsanwaltsanwärterin in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise tätig war und während dieser Zeit voll und ausschließlich zur Verfügung stand, obwohl sich diese laut Dienstzeitbestätigung der ***** Universität ***** vom 25. Juli 2018 seit 1. Jänner 2008 in einem aufrechten Dienstverhältnis der ***** befand, wobei zu diesem Zeitpunkt das Stundenausmaß 25 Wochenstunden betrug, und habe dadurch eine unrichtige Erklärung abgegeben und gegen §§ 1 DSt, 30 RAO, 39 RL BA 2015 verstoßen “.

[2] Der Disziplinarrat gelangte im Rahmen seiner Würdigung von im Verfahren von der Beschuldigten vorgelegten Unterlagen, insbesondere der von Mag. Dr. ***** geführten Zeitaufzeichnungen, wonach diese Leistungen von zumindest vierzig Wochenstunden in der Kanzlei der Disziplinarbeschuldigten erbracht habe, zur Überzeugung, dass die Beschuldigte unter Berücksichtigung ihres als Bestätigung dieses Ausmaßes aufzufassenden Einschubs „während der Normalarbeitszeit, nicht jedoch in ihrer Freizeit“ eine objektiv richtige Erklärung abgegeben habe, welche den Gesetzeszweck bzw die Vorgaben von § 39 RL BA 2015 erfülle. Hinsichtlich der Frage, ob die Nebenbeschäftigung der Rechtsanwaltsanwärterin als zulässig anzusehen sei, sei dem Verfassungsgerichtshof zu folgen (VfGH 7. 3. 1991, B 1111/90), wonach nicht relevant sei, ob die „andere berufliche Tätigkeit“ untergeordnet, sondern allein, ob die Verwendung der Rechtsanwaltsanwärterin in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise – nämlich hauptberuflich ohne sonstige Beeinträchtigung – erfolgt sei.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf Fassung eines Einleitungsbeschlusses abzielende Beschwerde des Kammeranwalts.

[4] Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat nur gefasst werden, wenn nicht einmal der Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinne des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (RIS Justiz RS0056969, RS0057005; Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 28 DSt Rz 9).

[5] Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Lichte des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) nur dann auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und selbst von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten wäre. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet (RIS Justiz RS0056973 [T5]; jüngst 21 Ds 1/19p sowie 11 Os 124/19y).

[6] Gemäß § 39 Abs 1 RL BA 2015 ist der ausbildende Rechtsanwalt verpflichtet, binnen vierzehn Tagen nach Austritt des Rechtsanwaltsanwärters gegenüber der Rechtsanwaltskammer das Eintritts und das Austrittsdatum des Rechtsanwaltsanwärters sowie das Ausmaß der Beschäftigung (ausgedrückt in der Anzahl der Wochenstunden) schriftlich zu bestätigen. Dieses Verwendungszeugnis hat die Praxiszeit zu bestätigen, ferner ob bzw in welchen Zeiträumen der Rechtsanwaltsanwärter die Praxis in der in der RAO vorgeschriebenen Weise (vgl hiezu § 2 Abs 1 RAO) umfassend und hauptberuflich als vollzeitbeschäftigter Rechtsanwaltsanwärter absolviert hat und der Kanzlei während der ganzen Zeit der Tätigkeit voll und ausschließlich zur Verfügung gestanden ist, andernfalls mit welchen Einschränkungen ( Engelhart in Engelhart et al , RAO 10 § 39 RL BA 2015 Rz 3).

[7] Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nach § 2 Abs 1 dritter Satz RAO unter anderem nur dann anrechenbar, soweit sie ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch die Judikatur des VfGH stellt klar, dass die geforderte hauptberufliche Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt insbesondere deshalb geboten ist, weil lediglich so gewährleistet ist, dass der Rechtsanwaltsanwärter umfassend mit allen Facetten des Berufsbildes des Rechtsanwalts vertraut gemacht werden kann und darüber hinaus dem ausbildenden Rechtsanwalt durch den mit der hauptberuflichen Beschäftigung des Berufsanwärters verbundenen intensiven persönlichen Kontakt die Möglichkeit eingeräumt wird, sich umfassende Kenntnis von den einzelnen Fähigkeiten des Anwärters zu verschaffen und die Ausbildung entsprechend zu gestalten ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 2 RAO Rz 3.4 mwN; Vitek in Engelhart et al RAO 10 § 2 RAO Rz 5).

[8] Entgegen der Ansicht des Disziplinarrats ist aus der zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 7. März 1991, B 1111/90, gerade nicht abzuleiten, dass eine während der Kanzleistunden und solcherart nicht in der von diesen vorgegebenen „Freizeit“ ausgeübte weitere Beschäftigung keine Beeinträchtigung der Verwendung beim Rechtsanwalt darstellt (vgl AnwBl 1991/3813).

[9] Wie der Kammeranwalt zutreffend aufzeigt, ergibt sich vorliegend bereits aus den Arbeitsaufzeichnungen von Mag. Dr. ***** ein durchschnittliches Ausmaß von lediglich 44,80 % an während der Kanzleiöffnungszeiten geleisteten Stunden. Insbesondere aber erhellt aus den in den – vom Disziplinarrat nicht eingeholten, sondern nur im Umfang der auszugsweisen Vorlage von Schriftstücken durch die Beschuldigte in dessen Würdigung eingeflossenen – Akten des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer über den Antrag von Mag. Dr. ***** auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte einliegenden Dienstplänen der ***** Universität *****, dass diese bis 31. Dezember 2016 zunächst zwei verpflichtend „lange“ und einen „kurzen“ Tag, sowie ab dem 1. Jänner 2017 verpflichtend drei „lange“ Tage an der ***** anwesend sein musste. Von einer (bloß) in ihrer „Freizeit“ neben einer in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise ausgeübten hauptberuflichen Tätigkeit bei der Beschuldigten verrichteten Nebenbeschäftigung der Rechtsanwaltsanwärterin bei der ***** kann schon deshalb nicht ausgegangen werden.

[10] Bereits auf dieser Basis besteht der Verdacht, dass die Erklärungen der Beschuldigten – gemessen an § 2 Abs 1 dritter Satz RAO (der keineswegs eine bloß quantitative Dimension hat) – einen § 39 RL BA 2015 widerstreitenden Bedeutungsinhalt haben.

[11] Da somit die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Verfehlung besteht, erweist sich der Einstellungsbeschluss als unzulässig (RIS Justiz RS0056969 und RS0056973 [T3]).

[12] Der Beschwerde des Kammeranwalts war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen den Ausführungen der Beschuldigten – Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne eines Einleitungsbeschlusses zu entscheiden (vgl 21 Ds 1/19p, 28 Ds 6/19z; siehe auch VfGH 28. 9. 2012, B 1148/11; Lehner in Engelhart et al , RAO 10 § 28 DSt Rz 6).

[13] Im Erkenntnisverfahren wird den Ergebnissen des erwähnten Eintragungsverfahrens besonderes Augenmerk zu schenken sein, vor allem dem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 27. August 2020, 19 Ob 1/20s, mit dem der Berufung der Mag. Dr. ***** gegen den ihren Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte, der sich auf die hier gegenständliche Beschäftigungsbestätigung der Beschuldigten stützte, abweisenden Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 13. November 2019 nicht Folge gegeben wurde.

Rechtssätze
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