JudikaturJustiz20Ds3/23f

20Ds3/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Dezember 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Danler und Dr. Buresch als Anwaltsrichter in Gegenwart der OKontr. Kolar als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung der Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für * vom 12. Jänner 2023, GZ D 15/20 45, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Mag. Anton Gorton zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und * vom Vorwurf, sie habe das Vollmachtsverhältnis gegenüber * B* und * D* mit Schriftsatz vom 6. August 2020 gekündigt, die Vollmachtgeber nicht über die Rechtsfolgen eines allfälligen Nichtbesuchs der Tagsatzung belehrt und sei bei der Tagsatzung am 11. August 2020 für die Vollmachtgeber im Verfahren 14 C 3[8]5/19w des Bezirksgerichts Klagenfurt nicht mehr eingeschritten, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall, § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, im zweiten (zum ersten vgl 20 Ds 9/22m) Rechtsgang ergangenen Erkenntnis wurde Rechtsanwältin * wegen des nun vom Freispruch umfassten Vorwurfs der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 (erster und zweiter Fall) DSt wegen Verstoßes gegen § 11 Abs 2 RAO schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

[2] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5, 8, 9 lit a und 9 lit b StPO relevierende (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung der Beschuldigten.

[3] Die Berufung (Z 9 lit a) zeigt zutreffend auf, dass das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen dazu enthält, ob eine Vertretung durch die Beschuldigte in der Tagsatzung am 11. August 2020 im Sinne des § 11 Abs 2 RAO nötig war. Wie bereits im ersten Rechtsgang fehlen Konstatierungen, warum im in Rede stehenden Verfahren vor dem Bezirksgericht, in dem sich die Parteien ohnehin auch selbst vertreten konnten, eine weitere anwaltliche Vertretung notwendig gewesen wäre, um einen Rechtsnachteil abzuwenden (vgl 20 Ds 9/22m Rz 9; RIS-Justiz RS0134128, RS0016458 [T1]; Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 11 § 11 Rz 14).

[4] Soweit der Disziplinarrat die entsprechende Notwendigkeit darin erblickt, dass die Beschuldigte in der Streitverhandlung am 11. August 2020 zur Wahrung der Interessen der – den Tagsatzungen bis dahin [wie im Übrigen bis zuletzt auch den Disziplinarverhandlungen; OZ 44 S 4] ferngebliebenen (ES 3) – beklagten Parteien gemäß § 279 ZPO die Befristung des Beweismittels der Parteienvernehmung beantragen hätte können und diese notwendige Vertretungshandlung pflichtwidrig unterlassen (ES 5), vernachlässigt er, dass die Rechtsprechung bei einer Fristsetzung nach § 279 ZPO stets einen Antrag des Gegners des Beweisführers fordert ( Rechberger in Fasching/Konecny 3 III/1 § 279 ZPO Rz 2 mwN; RIS Justiz RS0040362).

[5] Dass die beklagten Parteien als Reaktion auf die Kündigung des Mandats durch die Beschuldigte am 6. August 2020 per E Mail ohnehin selbst bereits am 7. August 2020 eine Vertagungsbitte stellten und am 11. August 2020 ihr (abermaliges) Fernbleiben mit Krankheit entschuldigten (vgl ON 45 S 3; ON 25 ff im Akt AZ 14 C 385/19w des Bezirksgerichts Klagenfurt), spricht ebenso dagegen, dass im konkreten Fall die weitere anwaltliche Vertretung notwendig gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht nachvollziehbar, warum es trotz des (im Rotdruck erfolgten) Hinweises der Beschuldigten an die (ehemaligen) Klienten im Schreiben vom 6. August 2020, wonach deren „Zureise“ zum Termin am 11. August 2020 „jedenfalls erforderlich ist“ (Beilage zur Berufung vom 21. April 2022 iVm ON 44 S 3), einer „expliziten Belehrung“ dahin bedurft hätte, dass bei neuerlichem (drittmaligen) Fernbleiben die Verhandlung geschlossen werden würde (ES 4).

[6] Schon aufgrund des zutreffend geltend gemachten Feststellungsdefizits war das angefochtene Erkenntnis in Stattgebung der Berufung der Beschuldigten – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – aufzuheben.

[7] Da Feststellungen dazu, dass eine weitere Vertretung der (ehemaligen) Mandanten notwendig gewesen wäre, um einen Rechtsnachteil abzuwenden (vgl erneut 20 Ds 9/22m Rz 8 f), in einem allfälligen weiteren (dritten!) Rechtsgang (vgl Ratz , WK StPO § 288 Rz 24) nicht zu erwarten sind, war sogleich mit einem Freispruch vorzugehen (RIS-Justiz RS0100239).

[8] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass die Unterstellung des Verhaltens der Beschuldigten (auch) unter § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schon deshalb verfehlt war, weil das Erkenntnis keine Konstatierungen zur hinreichenden Publizitätswirkung (vgl RIS Justiz RS0054876, RS0055086) enthält.