JudikaturJustiz1Ob96/16y

1Ob96/16y – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** G*****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei R***** S*****, vertreten durch Dr. Josef Dengg, Dr. Milan Vavrousek und Mag. Thomas Hölber, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen Feststellung (Streitwert 5.800 EUR), Beseitigung (Streitwert 4.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 4.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 3. März 2016, GZ 53 R 308/15y 31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 24. September 2015, GZ 2 C 631/14k 26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Wohnliegenschaften, die nicht im Grenzkataster eingetragen sind. Zwischen 1963 und 1972 errichtete jemand, „wohl“ der damalige Eigentümer der Liegenschaft des Klägers, nahe der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine Steinmauer. Im Zusammenhang mit der Abtrennung der Liegenschaft der Beklagten von einem ursprünglich größeren Grundstück wurde 1977 von den damaligen Eigentümern der benachbarten Grundstücke eine als „Verzeichnis der Eigentümer – Zustimmungserklärung gemäß § 18 Vermessungsgesetz“ betitelte Urkunde mit folgendem Inhalt unterschrieben, wobei die korrespondierende Plandarstellung einen Grenzverlauf in der vom Kläger behaupteten Form aufgewiesen habe: „Die unterfertigten Eigentümer der n.a. Grundstücke sind über den in der Natur festgelegten und im zugehörigen Plan dargestellten Grenzverlauf einig. Eine Änderung der in der Natur festgelegten Grenzen hat nicht stattgefunden.“ Der Verlauf der Steinmauer war diesem Parzellierungsentwurf und der Plandarstellung nicht zu entnehmen. 1988 errichtete die Beklagte gemeinsam mit einem früheren Miteigentümer (ihrem Vater) auf ihrer damals noch unbebauten Liegenschaft ein Gebäude. Im Einreichplan für das Bauvorhaben wird der nunmehr vom Kläger behauptete (und festgestellte) Grenzverlauf dargestellt; die erwähnte Steinmauer ist aus den Plänen nicht ersichtlich. Der Vater der Beklagten ging ohne weitere Nachprüfung davon aus, dass die Mauer „die Grundgrenze darstelle“, bis zu der gebaut werden sollte. Im Baubewilligungsbescheid, der auch den Nachbarn zugestellt wurde, wird unter „Beurkundungen“ unter anderem festgehalten, dass die damaligen Eigentümer der Liegenschaft des Klägers einer Bebauung bis zur Grundgrenze unter anderem unter der Voraussetzung zustimmen, dass ihnen ein gleiches Heranrücken (gekoppeltes Bauwerk) gestattet wird. Die bestehende Mauer müsse unverändert bleiben; eventuelle Beschädigungen müssten auf Kosten des Bauwerbers wiederhergestellt werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Rechtsvorgänger des Klägers jemals eine Zustimmung „zur Grundstücksnutzung oder Überbauung“ gab oder diese bewusst duldete. Durch den vom Vater der Beklagten vorgenommenen Garagenbau, der bis an die bestehende Mauer herangeführt wurde, wurde das Nachbargrundstück im Ausmaß von ca 4 m 2 in Anspruch genommen; auch eine Stützmauer wurde – in der Verlängerung der Garagenwand – außerhalb des planmäßigen Grenzverlaufs errichtet. Der Kläger erwarb seine Liegenschaft Ende 2004, machte sich aber keine Gedanken darüber, wo die Grenze genau verläuft, insbesondere ob die vorhandene Mauer die Grundgrenze darstellen könnte. Im Kaufvertrag wird festgehalten, dass dem Käufer Lage, Größe, Beschaffenheit und Ausstattung des Kaufgegenstands bekannt seien und dass der Kaufgegenstand mit allen Rechten und Befugnissen übernommen wird, also so, wie der Verkäufer den Kaufgegenstand bisher besaß und benützte bzw zu besitzen berechtigt war. Als der Kläger im Jahr 2012 das Grundstück vermessen ließ, ergab sich, dass der vom Vermesser festgestellte Grenzverlauf zwischen den beiden Grundstücken nicht mit der auf dem klägerischen Grundstück bestehenden Steinmauer übereinstimmt.

Der Kläger brachte im Wesentlichen vor, die Beklagte habe bei ihrem Bauvorhaben einen Teil seiner Liegenschaft, nämlich eine hinter der Mauer liegende Teilfläche, in Anspruch genommen, die in Wahrheit zu seinem Grundstück gehöre, was die nachträgliche Vermessung ergeben habe. Auf dieser Teilfläche befänden sich eine Stützmauer, ein Teil einer Garage und ein als Parkplatz verwendeter gepflasterter Bereich. Er begehrte die Feststellung, die Beklagte sei nicht berechtigt, eine Garage, eine Mauer sowie ein Pflaster samt bepflanzter und teilweise geschotterter Fläche auf diesem Grundstücksteil zu errichten und zu erhalten sowie diese in sonstiger Art und Weise zu nutzen; sie sei schuldig, binnen zwölf Wochen die Garage, die von ihr auf seinem Grundstück errichtete Mauer und das dort errichtete Pflaster samt bepflanzter und teilweise geschotterter Fläche zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand durch Rekultivierung (Begrünung) wiederherzustellen, und sie habe schließlich jede ähnliche derartige Handlung und Inanspruchnahme des Grundstücksteils zu unterlassen.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, sowohl ihre Rechtsvorgänger als auch die des Klägers seien immer der Meinung gewesen, die vom Vormann des Klägers errichtete Mauer stelle die Grundstücksgrenze dar; dieser sei auch mit dem Bau der Garage bis zur Mauer einverstanden gewesen. Damit liege auch eine „Naturgrenze“ vor. Der damalige Eigentümer der Liegenschaft des Klägers habe gegen die gesamte Bauführung zu keinem Zeitpunkt Einwendungen erhoben und sei immer in Kenntnis der tatsächlichen Bauausführungen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es führte im Rahmen der Sachverhaltsfeststellungen aus, dass die Grenze zwischen den beiden Grundstücken entlang der vom Kläger behaupteten Linie (zwischen den Vermessungspunkten 1488 und 1486) verlaufe. Im Rahmen der Beweiswürdigung legte es dar, es sei zur Überzeugung gelangt, dass die Grundgrenze – auch wie von den Rechtsvorgängern beider Parteien gewollt – an der vom Kläger behaupteten Grenze verlaufe und jedenfalls dort auch verlaufen sei. Implizit ging das Erstgericht davon aus, dass die Baumaßnahmen auf der Liegenschaft der Beklagten bis an die vorhandene Mauer herangeführt wurden. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dass der Kläger und sein Rechtsvorgänger als Verkäufer beim Vertragsabschluss dem „tatsächlichen Grenzverlauf“ offensichtlich untergeordnete Bedeutung beigemessen hätten. Für den Umfang der Eigentumsübertragung sei sohin der Vertrag und nicht ein Verlauf an der Mauer entlang maßgebend. Der Kläger habe daher sein „grundsätzlich“ erworbenes Eigentum an dem Grundstück beweisen können. Auf einen Eigentumserwerb durch Ersitzung – darauf kam die Beklagte schon in ihrer Berufung nicht mehr zurück – könne sich die Beklagte nicht berufen, weil ihre Rechtsvorgänger das Haus im Jahr 1988 erbaut hätten und bei Schluss der Verhandlung die Ersitzungszeit von dreißig Jahren noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die Beklagte habe auch nicht etwa nach § 418 ABGB Eigentum erworben, weil der Eigentumserwerb durch Bauführung einen redlichen Bauführer voraussetze. Die Redlichkeit werde bereits durch leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen. Es sei die Pflicht des Bauführers sich zu vergewissern, ob er auf fremdem oder eigenem Grund baut. An die Aufmerksamkeit des Bauführers sei ein strengerer Maßstab anzulegen als an die Aufmerksamkeit des Grundeigentümers. Außerdem müsste „die klagende Partei“ in Kenntnis ihres eigenen Rechts dem Überbau zusehen. Hier hätte der Rechtsvorgänger der Beklagten die Grenzen seines Grundstücks den öffentlichen Aufzeichnungen und den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen entnehmen, aber jedenfalls erahnen können, sei aber ohne weitere Prüfung davon ausgegangen, dass die Grenze entlang der Mauer verlaufe. Den Rechtsvorgängern des Klägers sei offenbar nicht bewusst gewesen, dass es sich bei der bebauten Fläche teilweise um ihr Grundstück gehandelt habe. Ein Bauwerk wie eine Steinmauer, welche wohl aufgrund eines Versehens vom Rechtsvorgänger des Klägers nicht direkt entlang der Grundgrenze errichtet wurde, könne aber keinen Anhaltspunkt für den Verlauf einer Naturgrenze liefern, sei sie doch keine typische Eigenart der Landschaft und ergebe sie sich auch nicht aus der Natur selbst. Schließlich stelle die festgestellte abgegebene schriftliche Zustimmungserklärung der Rechtsvorgänger der Streitteile samt Aufnahmeplan einen außergerichtlichen Vergleich im Sinne des § 1380 ABGB entsprechend dem erzielten Vermessungsergebnis dar. Da sohin eine Eigentumsfläche des Klägers von der Beklagten widerrechtlich in Anspruch genommen worden sei, sei der Klage stattzugeben. Eine schikanöse Rechtsausübung liege in Anbetracht der Größe der strittigen Grundfläche sowie der Behauptung des Klägers über sein Interesse an diesem Streifen nicht vor.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Die Frage der rechtlichen Beurteilung der Mappengrenze gehöre zur rechtlichen Beurteilung [sic!], die Frage, wo die natürliche Grenze (tatsächlich) verläuft, sei hingegen eine solche der Feststellung von Tatsachen. Die Grundbuchsmappe mache keinen Beweis über die Größe und die Grenzen der Grundstücke. Entscheidend für den Umfang des Eigentumserwerbs an einer Liegenschaft sei auch nicht die Grundbuchsmappe, sondern der übereinstimmende Parteiwille. Erstrecke sich der Titel auf das gesamte Grundstück nach den dem Voreigentümer zustehenden rechtlichen Grenzen, sei der tatsächliche Grenzverlauf für die Eigentumsübertragung maßgeblich. Eigentum werde nur am wirklich gewollten Gegenstand erworben. Könne das Erstgericht tatsächlich keinerlei Beweise dafür finden, wo die natürliche Grenze zwischen Liegenschaften verläuft, scheitere der Kläger insoweit, als er die richtige Grenze nicht nachweisen könne, weshalb eine actio negatoria mangels Nachweises der Verletzung des Eigentumsrechts abzuweisen sei. Aus der Formulierung im Kaufvertrag des Klägers sei keineswegs die Wichtigkeit einer „Papiergrenze“ abzuleiten. Vielmehr habe die vorhandene Mauer an der Ostseite des Grundstücks gerade eine in der Natur ersichtliche natürliche Grenze dargestellt, wobei der Verkäufer seinen damaligen Nachbarn im Jahr 1976 (gemeint: 1988) noch dazu das Heranbauen an diese Mauer erlaubt habe. Es gebe daher nur Anhaltspunkte dahin, dass der Verkäufer dem Kläger das Grundstück nur bis zu der vor Jahrzehnten erbauten Steinmauer verkaufen habe wollen. Jedenfalls sei dem Kläger der Beweis misslungen, dass ihm ein Grundstück mit der „Papiergrenze“ zwischen den von ihm behaupteten Grenzpunkten verkauft worden wäre. Vielmehr sei der Grenzverlauf vor Jahrzehnten rechtswirksam in der Natur durch die Errichtung einer Steinmauer verändert worden. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil dem Berufungsgericht vorgeworfen werde, es hätte nicht von dem vom Erstgericht feststellten Grenzverlauf abweichen dürfen und es hätte die zu 4 Ob 94/08i ergangene Entscheidung falsch ausgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Zu Recht wendet sich der Revisionswerber gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Auslegung seines Kaufvertrags ergebe, dass er die Liegenschaft nicht in ihrem gesamten Ausmaß, sondern lediglich mit einer Teilfläche – nämlich jener, die bei Betrachtung der Örtlichkeit als Gutsbestand zu vermuten war – erworben hätte bzw nach dem Inhalt des Vertrags erwerben hätte sollen. Zutreffend verweist er insbesondere darauf, dass im Text des Kaufvertrags die Liegenschaft durch Angabe der Einlagezahl unmissverständlich individualisiert wird, was grundsätzlich den Schluss zulässt, dass der Verkäufer die genannte Liegenschaft in ihrer Gesamtheit verkaufen und der Käufer diese kaufen wollte. Auch wenn die Vertragsparteien möglicherweise keine exakte Vorstellung darüber hatten, wo die Grundstücksgrenzen genau verlaufen, besteht kein vernünftiger Grund ihnen im Rahmen der Vertragsauslegung zu unterstellen, dass sich der Vertragsgegenstand auf jenen Teil der Liegenschaft beschränken sollte, der durch die bestehende Steinmauer abgegrenzt wird. Jedenfalls dem Käufer ist bei vernünftiger Vertragsauslegung zu unterstellen, er wolle den gesamten Grundbuchskörper erwerben, auch wenn dessen wahres Ausmaß nicht auf den ersten Blick in der Natur erkennbar ist. Aber auch dem Verkäufer kann nicht zugesonnen werden, er wolle einen kleinen Grundstreifen in seinem Eigentum belassen, wenn sich nachträglich herausstellen sollte, dass auch dieser noch zum Gutsbestand der vertragsgegenständlichen Liegenschaft gehört. Selbst wenn die Parteien des Kaufvertrags übereinstimmend der Ansicht gewesen sein sollten, die durch Angabe der Einlagezahl individualisierte Liegenschaft habe ihre Grenze an der Außenseite der erwähnten Mauer, ergibt eine vernünftige und an redlichen Parteien orientierte (allenfalls ergänzende) Vertragsauslegung, dass Gegenstand des Kaufvertrags die gesamte – allenfalls größere – Liegenschaft war. Dafür spricht nicht zuletzt auch die Vertragsklausel, nach der der Kläger das Objekt so übernimmt, wie der Verkäufer es zu besitzen berechtigt war (vgl auch 1 Ob 703/83 = SZ 56/141).

Wo sich die für die Ermittlung der Grundgrenze maßgeblichen Vermessungspunkte befunden haben, konnte im Verfahren eindeutig geklärt werden. Die Beklagte behauptet auch gar nicht, dass ihr Rechtsvorgänger die Liegenschaft bei seinem seinerzeitigen Eigentumserwerb in anderen Grenzen erworben hätte. Vielmehr steht fest, dass die betroffenen Grundeigentümer im Jahr 1977 übereinstimmend erklärt hatten, sie seien sich über den im „zugehörigen Plan“ dargestellten Grenzverlauf einig. Das Berufungsgericht weist darauf hin, es habe damals „an den genannten Vermessungspunkten“ behauene Grenzsteine gegeben. Die Ausführungen der Revisionsgegnerin zu einer vermeintlichen „Naturgrenze“ im Verlauf der Mauer sind schon deshalb unverständlich, weil diese frühestens 1963 gebaut worden ist, somit lange nach der Grundbuchsanlegung (vgl nur 4 Ob 94/08i). Es bestehen daher keine Bedenken dagegen, dass die Liegenschaft des Klägers ursprünglich die von den Vorinstanzen ohnehin angenommene Grenze zur Liegenschaft der Beklagten aufwies und nach dem bereits Ausgeführten zur Gänze Gegenstand des vom Kläger abgeschlossenen Kaufvertrags war. Ob der Kläger aber – wie er behauptet – auch Eigentum an der gesamten Grundfläche erworben hat, hängt nun davon ab, ob diese zum Zeitpunkt seines Erwerbs noch vollständig im Eigentum seines Rechtsvorgängers stand oder ob die Beklagte bzw ihr Rechtsvorgänger – wie sie behauptet – schon vorher an einer Teilfläche Eigentum durch Bauführung gemäß § 418 letzter Satz ABGB erworben hatte (vgl auch RIS Justiz RS0011076 [insb T3]).

Nach der genannten Gesetzesstelle kann der Grundeigentümer nur den gemeinen Wert für den Grund fordern, wenn er von der Bauführung gewusst und sie nicht zugleich dem redlichen Bauführer untersagt hat. Dann erwirbt Letzterer Eigentum an der bebauten Grundfläche. Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall zugunsten der Beklagten vorliegen, kann aufgrund der insoweit unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen noch nicht abschließend beurteilt werden. Eigentumserwerb durch Bauführung setzt nach dem Gesetzeswortlaut einerseits die Redlichkeit des Bauführers, also dessen vertretbare Annahme, er sei zur Bauführung in diesem Bereich berechtigt, und andererseits das Wissen des Grundeigentümers zumindest um die Bauführung voraus. Widersetzt sich der Grundeigentümer der von ihm wahrgenommenen Bauführung nicht, ergibt die gesetzliche Interessenabwägung für den typischen Fall, dass das Interesse des redlichen Bauführers daran, das Gebäude bestehen lassen und nutzen zu können, höher zu bewerten ist als jenes des Eigentümers an der Erhaltung seines Eigentums im von der Bauführung betroffenen Bereich. Auf seine Interessen ist dann nur noch durch einen Anspruch auf Vergütung des Werts der Baufläche Rücksicht zu nehmen.

Zumeist postuliert die Rechtsprechung ein weiteres Erfordernis für den Eigentumserwerb des Bauführers, nämlich das Wissen des Grundeigentümers um sein Eigentum an der vom Bauführer in Anspruch genommenen Fläche (1 Ob 38/97p, 3 Ob 216/15h ua), wogegen andererseits generell formuliert wird, entscheidend für den Eigentumserwerb sei, dass der Grundeigentümer vom Bau weiß, ihn aber vorwerfbar dennoch nicht untersagt und sich damit verschweigt (RIS Justiz RS0011088; Eccher/Riss , KBB 4 § 418 ABGB Rz 2, Spielbüchler in Rummel , ABGB 3 § 418 Rz 4 ua; ähnlich RS0011121 [T1, T3]). Positive Kenntnis des Grundeigentümers von den Eigentumsverhältnissen bzw den Grundstücksgrenzen in der Natur wird also nicht stets verlangt. Eine den Eigentumsverlust rechtfertigende Nachlässigkeit des Grundeigentümers wurde etwa bereits dann angenommen, wenn er zwar mit dem Bauführer über den Grenzverlauf irrt, allerdings der Bauverhandlung beigezogen wurde oder auf andere Weise Kenntnis von der Bauführung erlangte und keinen Einspruch erhoben hat (6 Ob 323/66 = SZ 39/21): Werde der Grundeigentümer durch Ladung zur Bauverhandlung vor einem drohenden Eingriff in seine Privatrechtssphäre gewarnt und unternehme er trotzdem nichts zur Klärung der Eigentumsverhältnisse, verschweige er sich seines Eigentumsrechts, wenn die Bauführung auf dem Nachbargrundstück teilweise auch sein Eigentum in Anspruch nimmt. Die Untätigkeit des Grundeigentümers bei der Bauverhandlung wurde, auch wenn sie durch einen Irrtum über den Grenzverlauf verursacht war, als unentschuldbar angesehen, weshalb grundsätzlich die gleichen Rechtsfolgen wie bei Kenntnis des eigenen Eigentumsrechts eintreten (ähnlich schon 7 Ob 290/56 = SZ 29/60; 7 Ob 2352/96z). Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung zwischen Bauführer und Grundeigentümer im Regelfall die überwiegende Schutzwürdigkeit des Eigentümers annimmt, wenn dieser nicht weiß, dass sein Eigentum von der Bauführung betroffen ist, andererseits aber in bestimmten Konstellationen doch von einer zum Eigentumsverlust führenden Sorglosigkeit ausgeht, wenn sich die Bautätigkeit im Nahbereich seiner Liegenschaft abspielt und er sich dennoch keine Gewissheit über den wahren Grenzverlauf verschafft.

Die Redlichkeit des Bauführers wird insbesondere dann angenommen, wenn er im Zeitpunkt der Bauführung aus plausiblen Gründen einerseits über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Grund irren durfte oder andererseits aufgrund bestimmter Umstände, etwa einer (allenfalls konkludent zustande gekommenen) Vereinbarung, annehmen durfte und angenommen hat, dass ihm der Bau vom Eigentümer gestattet worden ist (RIS Justiz RS0103699). Im Ergebnis hängt die Beurteilung der Redlichkeit des Bauführers ebenso von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (RIS Justiz RS0103699 [T5]) wie die Vorwerfbarkeit der Nichtuntersagung der Bauführung auf der Seite des Grundeigentümers (vgl auch RIS Justiz RS0011078). Ein besonders strenger Maßstab zu Lasten des Bauführers erscheint – gerade beim Grenzüberbau – auch deshalb nicht geboten, weil der Grundeigentümer für seinen Eigentumsverlust ohnehin angemessen zu entschädigen ist (§ 418 letzter Satz ABGB).

Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte nun darauf berufen, dass der seinerzeitige Grundeigentümer ihrem Rechtsvorgänger die Bauführung bis zur (vermeintlichen) Grenzmauer gestattet habe; alle Beteiligten wären der Meinung gewesen, die vorhandene Mauer stelle die Grundstücksgrenze dar. Das Erstgericht hat dazu lediglich festgestellt, dass die seinerzeitigen Eigentümer der nunmehr dem Kläger gehörenden Liegenschaft die Zustimmung dazu erteilt haben, dass eine Bebauung „bis zur Grundgrenze“ erfolgt; die bestehende Mauer müsse unverändert bleiben. Das Berufungsgericht führte – wenn auch in anderem Zusammenhang – aus, der Rechtsvorgänger des Klägers habe seinem damaligen Nachbarn das Heranbauen an diese Mauer erlaubt. Dagegen wendet der Revisionswerber ein, dass für diese Auslegung keine tatsächliche Grundlage bestehe, sei doch lediglich eine Zustimmung zum Heranbauen an die „Grundgrenze“ festgestellt worden.

Dem Berufungsgericht ist zuzugestehen, dass es durchaus naheliegt, dass die damaligen Nachbarn die (Außenkante der) Mauer mit der Grundgrenze gleichgesetzt und mit der festgestellten Erklärung – im Sinne der Prozessbehauptung der Beklagten – die Zulässigkeit einer Bauführung bis an die Mauer festgelegt haben, hätte der Rechtsvorgänger des Klägers andernfalls die in der Folge bis zur Mauer durchgeführte Bebauung wohl nicht geduldet. Dieser Umstand kann allerdings nicht allein auf rechtlicher Ebene bei der Auslegung der entsprechenden Willenserklärungen berücksichtigt werden. Vielmehr wird von den Tatsacheninstanzen festzustellen sein, welchen Bedeutungsinhalt die damals Erklärenden der Formulierung „Bebauung bis zur Grundgrenze“ beigemessen haben. Die erstgerichtliche Negativfeststellung schließt – neben einer „bewussten Duldung“ – lediglich eine ausdrückliche Zustimmung des damaligen Eigentümers zur Nutzung seiner Liegenschaft aus, die gar nicht behauptet wird.

Sollte sich ergeben, dass den Rechtsvorgängern der Beklagten eine Bauführung bis zur vorhandenen Mauer gestattet worden ist, wäre ein Eigentumserwerb durch Bauführung im Sinne des § 418 letzter Satz ABGB zu bejahen. Einerseits wäre ihnen kein Vorwurf zu machen, sich über den wahren Grenzverlauf nicht – etwa durch Beauftragung eines Geometers – eindeutig informiert zu haben, hätte dazu doch kein Anlass bestanden, wenn der Nachbar seine Zustimmung zur Bebauung bis zur Mauer als vermeintliche Grundgrenze gegeben hat. Andererseits wäre die Schutzwürdigkeit des Rechtsvorgängers des Klägers im Sinne der dargestellten Judikatur zu verneinen, wenn er sich zum einen selbst für den wahren Grenzverlauf nicht interessiert und damit die Inanspruchnahme seines Grundes – trotz Beteiligung an der Bauverhandlung – nicht erkannt hat und darüber hinaus die maßgeblichen Ursachen für den gemeinsamen Irrtum über den wahren Grenzverlauf zu verantworten hat, nämlich den Bau einer vermeintlichen Grenzmauer in gewisser Entfernung von der Grenze und das Unterlassen jeglichen Hinweises, dass die Grenze anders verläuft. Insoweit liegt auch ein für die vorzunehmende Interessenabwägung entscheidender Unterschied zu dem vor kurzem zu 3 Ob 216/15h beurteilten Sachverhalt vor. In jenem Fall war keinem der Beteiligten ein (erheblich) größerer Beitrag zum gemeinsamen Irrtum über den Grenzverlauf vorzuwerfen, hatten sich die Nachbarn doch gemeinsam bemüht, die maßgeblichen Grenzpunkte ausfindig zu machen, und den (vermeintlichen) Grenzverlauf zu ermitteln.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher die Sachverhaltsgrundlage im aufgezeigten Sinn zu verbreitern haben. Sollte sich ergeben, dass – unter Bedachtnahme auf den Empfängerhorizont – eine Zustimmung nicht zum Heranbauen bis zur vorhandenen Mauer, sondern lediglich bis zur (von keinem der damals Beteiligten geprüften) Grundgrenze erteilt wurde, wäre schon die Redlichkeit der Rechtsvorgänger der Beklagten zu verneinen, die unter diesen Umständen gehalten gewesen wären, sich vor der Bauführung Kenntnis über den wahren Grenzverlauf zu verschaffen. Dann hätte auch der Rechtsvorgänger des Klägers das Eigentum an der überbauten Grundfläche nicht verloren und der Kläger als Erwerber der gesamten Liegenschaft könnte die Unterlassung der Inanspruchnahme seines Eigentums durch die Beklagte und die Beseitigung des auf seiner Liegenschaft errichteten Bauwerks – allerdings nicht der gesamten Garage, die sich ja überwiegend unstrittig auf der Liegenschaft der Beklagten befindet – fordern. Die Frage des – von der Revisionsgegnerin bestrittenen – rechtlichen Interesses an den darüber hinaus begehrten Feststellungen wird jedenfalls für den ersten Teil des Feststellungsbegehrens mit dem Kläger zu erörtern sein.

Sollte sich auf Tatsachenebene hingegen ergeben, dass die Erklärung der Rechtsvorgänger des Klägers als Zustimmung zum Heranbauen bis zur Mauer zu verstehen war, wäre ein Eigentumserwerb durch Bauführung zu bejahen, womit der Kläger mangels Berechtigung seines Vormanns kein Eigentum an den dadurch betroffenen Grundflächen erwerben hätte können. Bei der neuerlichen Entscheidung wird allerdings zu beachten sein, dass der Eigentumserwerb des Bauführers lediglich an jenen Grundflächen erfolgen kann, auf denen im Sinne des § 417 ABGB ein Gebäude errichtet wurde (vgl RIS Justiz RS0009921), was ersichtlich nicht für die gesamte vom Klagebegehren erfasste Fläche zutrifft. Für die nicht durch „Gebäude“ bebauten Teile der Liegenschaft des Klägers ist ein Benützungstitel der Beklagten nicht erkennbar.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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