JudikaturJustiz1Ob81/19x

1Ob81/19x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** D*****, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 90.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. März 2019, GZ 5 R 159/18v 47, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. August 2018, GZ 77 Cg 53/18t 41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Auch für den Bereich der Amtshaftung gilt der allgemeine Grundsatz, dass die verletzte Vorschrift gerade auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen (Vermögens )Nachteilen zu schützen (RIS Justiz RS0050038 [T1, T6]). Es muss daher geprüft werden, ob Pflichten der Rechtsträger nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse einzelner Betroffener normiert sind (RS0050038 [T27]). Bei der maßgebenden teleologischen Betrachtungsweise ist bei jeder einzelnen Norm der Normzweck zu erfragen, der sich aus der Beurteilung des Sinns der Vorschrift ergibt. Wie weit der Normzweck (Rechtswidrigkeitszusammenhang) reicht, ist das Ergebnis der Auslegung im Einzelfall (RS0027553 [T9, T11]). Trifft das Gesetz eine eindeutige Regelung oder lässt sich im Wege einfacher Auslegung ein eindeutiges Ergebnis erzielen, begründet der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung (hier speziell zum Arbeitsinspektionsgesetz 1993, kurz: ArbIG) fehlt, für sich allein genommen nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (1 Ob 232/11s mwN; vgl RS0042656).

3.1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob Erhebungen des Arbeitsinspektorats sowie der Polizei nach einem Arbeitsunfall (im April 2014) auch der Anspruchsdurchsetzung des durch den Unfall Geschädigten – in concreto der erfolgreichen Geltendmachung einer angemessenen Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG gegenüber der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt – dienen. Dies wurde von den Vorinstanzen mit nicht zu beanstandender Begründung verneint.

3.2. Gemäß § 3 Abs 1 ArbIG ist die Arbeitsinspektion die zur Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeiternehmer/innen und zur Unterstützung und Beratung der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen bei der Durchführung des Arbeitnehmerschutzes berufene Behörde. Sie hat durch ihre Tätigkeit dazu beizutragen, dass Gesundheitsschutz und Sicherheit der Arbeitnehmer/innen sichergestellt und durch geeignete Maßnahmen ein wirksamer Arbeitnehmerschutz gewährleistet wird. Abs 1 erster und zweiter Satz dieser Bestimmung enthalten eine allgemeine Umschreibung der Aufgaben der Arbeitsinspektion. Klargestellt wird in § 3 Abs 1 ArbIG, dass die Arbeitsinspektion nur für die Überwachung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zuständig ist (ErläutRV 813 BlgNR 18. GP 16 [zur Stammfassung]). Der Schwerpunkt der Kontrolltätigkeit der Arbeitsinspektion hat auf der Abstellung gesundheitsgefährlicher Zustände zu liegen (ErläutRV 325 BlgNR 19. GP 4 [zu BGBl 1995/871]).

Wird die Übertretung einer Arbeitnehmerschutzvorschrift festgestellt, hat die Arbeitsinspektion Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten. In der Regel geschieht dies erst nach einer vorangegangenen Aufforderung, den rechtmäßigen Zustand herzustellen (§ 9 Abs 1 und 2 ArbIG; Mosler in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 18 AngG Rz 59). Bei schwerwiegenden Übertretungen ist sofort Anzeige zu erstatten (§ 9 Abs 3 ArbIG).

Das Berufungsgericht führte dazu ohne Fehlbeurteilung aus, dass die Erhebungen des zuständigen Arbeitsinspektorats nach einem Arbeitsunfall nicht der (erleichterten) Anspruchsdurchsetzung des durch den Unfall Geschädigten, sondern allein der Überprüfung, ob Maßnahmen zur Verhinderung künftiger Arbeitsunfälle zu treffen seien, diene. Der behauptete Schaden, der darin liegen solle, dass durch fehlerhafte Unfallerhebungen des Arbeitsinspektorats die Beweismittel für die Durchsetzung seiner Integritätsabgeltung nicht beschafft worden seien, stehe nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit Bestimmungen des ArbIG. Die Ursachenforschung diene der Verhinderung künftiger Unfälle und im Kern nicht dazu, die Tatsachengrundlagen für die Zuerkennung von Leistungen der Sozialversicherung zu schaffen. Seien die Ermittlungsergebnisse des Arbeitsinspektorats für den Geschädigten hilfreich, seien das Nebeneffekte; diese würden aber nicht zum primären Ziel der Erhebung nach einem Arbeitsunfall, sodass die für den Geschädigten leichtere Anspruchsverfolgung ein bloßer Reflex der Tätigkeit des Arbeitsinspektorats sei. Der vermeintliche Schaden stehe daher nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den behaupteten fehlerhaften Unfallerhebungen. Mit dem bloßen Zitat verschiedener Bestimmungen des ArbIG und der unbelegten Behauptung, diese verfolgten den Zweck, ihn als Geschädigten auch bei der Anspruchsverfolgung aufgrund von Arbeitsunfällen zu unterstützen, zeigt der Kläger keine unrichtige Beurteilung des Berufungsgerichts auf.

3.3. Der Kläger war bei einem Bauunternehmen beschäftigt; seine Aufgabe bestand in der Wartung und der Reparatur von Arbeitsmaschinen, wofür er unter anderem eine Teilewaschanlage verwendete. Anlässlich von ihm durchgeführter Reparaturarbeiten an einem Bitumensprühgerät kam es infolge verunreinigten Reinigungsmittels zur Flammbildung und zu einer Explosion. Der Kläger wurde bei diesem Arbeitsunfall schwer verletzt. Er wirft der Kriminalpolizei aus näher genannten Gründen vor, den Ablauf des Arbeitsunfalls unzureichend und falsch ermittelt zu haben. Aufgrund der unzureichenden und falschen Ermittlungsergebnisse drohe ihm als Schaden, dass er keine Integritätsabgeltung erhalte.

Der primäre Zweck des Strafverfahrensrechts liegt in der Verwirklichung des materiellen Strafrechts im Einzelfall mit der richtigen Bewertung von Tat und Täter zum Zwecke gerechter Bestimmung einer Sanktion oder einer anderen gesetzlich dafür vorgesehenen Konsequenz ( Markel in Fuchs/Ratz , WK StPO § 1 Rz 3). Nicht alle Bestimmungen der Strafprozessordnung dienen dem Schutz des durch eine Straftat Geschädigten (RS0050078). Mit der Möglichkeit, für in einer Straftat wurzelnde Ansprüche bereits im Strafprozess vollstreckbare Titel zu schaffen, tritt das Strafprozessrecht aber auch in Beziehung zum materiellen Recht ( Markel aaO § 1 Rz 10), sodass das Strafverfahren – zwar nicht in erster Linie – aber „am Rande“ auch der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche dienen kann (1 Ob 143/07x; 1 Ob 73/16s [5.3.3.] = SZ 2017/12).

Das Berufungsgericht führte dazu aus, dass im Strafverfahren nur ein aus der Straftat abgeleiteter auf Leistung, Feststellung oder Rechtsgestaltung gerichteter Anspruch gegen den Beschuldigten geltend gemacht werden könne (§ 69 Abs 1 StPO). Komme dagegen die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs gegen den Beschuldigten bzw Angeklagten nicht in Betracht, scheide eine Privatbeteiligung aus (12 Os 16/13i ua = SSt 2013/30). Der vom Kläger ins Treffen geführte Anspruch auf eine Integritätsabgeltung richte sich aber gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt als Dritte und nicht gegen den (mutmaßlichen) Täter der vermeintlichen Straftat. Damit könne er bestenfalls die Stellung eines Opfers im Sinn des § 65 Z 1 lit c StPO beanspruchen, dem neben den in § 66 Abs 1 StPO genannten Rechten jedoch gerade kein Ersatzanspruch zukomme. Das aufgrund seines Unfalls eingeleitete Strafverfahren (§ 1 StPO) wegen Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften diene von vornherein nicht auch dazu, ihm einen Titel über den begehrten Anspruch zu verschaffen, sodass die notwendige Beziehung zwischen dem Strafprozess und der angestrebten Integritätsabgeltung nicht gegeben sei. Die Ermittlung der für die Zuerkennung der Integritätsabgeltung notwendigen Tatsachengrundlagen sei nur eine für den Kläger günstige Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens und keine ihm gegenüber bestehende Verpflichtung. Der behauptete Anspruch auf die angestrebte Integritätsabgeltung bestehe gegenüber der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt und nicht gegenüber dem präsumtiven Beschuldigten (Angeklagten), wobei ein Zuspruch im Strafprozess ausscheide. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.

Dass gemäß § 10 Abs 2 StPO (idF des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes I 2016) auch die Kriminalpolizei verpflichtet ist, auf die Rechte, Interessen und besonderen Schutzbedürfnisse der Opfer von Straftaten angemessen Bedacht zu nehmen und alle Opfer über ihre wesentlichen Rechte im Verfahren sowie über die Möglichkeit zu informieren, Entschädigungs oder Hilfeleistungen zu erhalten, zeigt nicht auf, dass die behaupteten polizeilichen Ermittlungsfehler, wodurch die Tatsachengrundlage für privatrechtliche Ansprüche gegenüber einem Dritten (hier der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt) nicht erhoben worden sein sollen, vom Schutzzweck dieser Bestimmung erfasst wären. Dass die Ermittlungsergebnisse der Polizei, in denen sein Eigenverschulden zum Ausdruck kommt, keine Bindungswirkung für das Verfahren auf Gewährung einer Integritätsabgeltung entfalten, stellt der Kläger nicht konkret in Abrede. Es handelt sich dabei um eines von mehreren Beweismitteln. Insgesamt zeigt der Kläger nicht auf, dass die zivilrechtliche Anspruchsverfolgung gegenüber Dritten, die nicht in ein allfälliges Strafverfahren involviert sind, vom Schutzzweck bestimmter Normen des Strafverfahrensrechts erfasst wäre.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO). Zum Leistungsbegehren enthält die Revision (wie schon die Berufung) keine Darlegungen; den Vorwurf, die Arbeitsinspektion hätte vor dem Unfall die Gefährlichkeit erkennen müssen, hielt der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht aufrecht.