JudikaturJustiz1Ob573/87

1Ob573/87 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 1987

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Verlassenschaft nach Franz Josef S***-S***, verstorben am 29. Juni 1986, vertreten durch die erbserklärten Erben 1.) Marie Valerie S***, Wien 13., Pröllgasse 1,

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes, der in seinem Punkt 1 als nicht angefochten unberührt bleibt, wird in seinem Punkt 2

a) insoweit, als der Beschluß des Erstgerichtes in seinem Punkt 2 ersatzlos aufgehoben wurde, als nichtig aufgehoben und

b) insoweit, als das Rekursgericht den erstinstanzlichen Beschluß auch in dessen Punkt 3 ersatzlos aufgehoben hat, aufgehoben; dem Gericht zweiter Instanz wird in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Revisionsrekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Verlassenschaftsverfahren nach dem am 29. Juni 1986 verstorbenen Franz Josef S***-S*** ist beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängig (A 333/86). Das Abhandlungsgericht hat mit Beschluß vom 29. Juli 1986 die von den erbl. Töchtern Marie Valerie S***, Maria-Antoniette G***-S***, Maria Christine W*** und Marie-Sophie S*** je zu einem Viertel des Nachlasses auf Grund des Gesetzes abgegebenen unbedingten Erbserklärungen zu Gericht angenommen, deren Erbrecht als ausgewiesen erkannt und ihnen die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen. Der Erblasser war zu 15.445/100.000 Anteilen Miteigentümer der Habsburg-Lothring'schen Güter in Persenbeug, Martinsberg und Wimberg (EZZ 437, 591 und 657 je der NÖ. Landtafel). Die Antragsgegner sind gleichfalls - zu verschiedenen Anteilen - Miteigentümer dieser Liegenschaften.

Am 6. August 1986 beantragten die erbserklärten Erbinnen die Beweissicherung durch Schätzung sämtlicher auf den Gütern Persenbeug, Martinsberg und Wimberg vorhandenen Gegenstände, wie "Inventar, Möbel, Bilder, Teppiche, Silber, Besteck sowie weiters Maschinen, Fahrzeuge etc." durch einen Sachverständigen. Sie seien nun Miteigentümerinnen am gesamten Grundbesitz samt allen darauf befindlichen Immobilien (fünf Schlösser, ca. 60 Häuser) und Mobilien (wie Möbel, Bilder, Statuen, Geschirr, Silberbestecke und einer Vielzahl anderer Vermögenswerte); dennoch habe ihnen der Erstantragsgegner am 1. August 1986 erklärt, er könne ihnen keine Inventarliste übergeben, weil diese Gegenstände nicht sein Eigentum seien. Es sei deshalb zu besorgen, daß der Nachweis des vorhandenen Inventars erheblich erschwert werden würde, würden die Ansprüche der Antragstellerinnen im ordentlichen Verfahren ohne vorhergehende Beweissicherung verfolgt werden. Den Antragstellerinnen seien weder die Inventarlisten noch die Schlüssel zu den einzelnen Gebäuden ausgehändigt und die Einsicht in die Geschäftsbücher verwehrt worden. Begehrt werde die Vornahme der Beweisaufnahme noch vor Zustellung des Beweissicherungsbeschlusses an die Antragsgegner, weil deren vorherige Vernehmung zumindest drei Tage in Anspruch nehmen würde und innerhalb dieses Zeitraumes maßgebliche Vermögenswerte verbracht werden könnten.

Das Erstgericht bewilligte diesen Antrag mit Beschluß vom 8. August 1986 (ON 2), ohne die Antragsgegner zu hören. Es bezeichnete die Angelegenheit darin als "Außerstreitsache", führte jedoch als Begründung lediglich aus, daß die Voraussetzungen der §§ 384 ff ZPO vorlägen.

Mit Beschluß vom 13. August 1986 (ON 8), in dem das Verfahren wiederum als Außerstreitsache bezeichnet wurde, ordnete das Erstgericht jedoch an, daß die schon begonnene Beweisaufnahme bis zur Zustellung des Beschlusses ON 2 und bis zur fristgerechten Äußerung der Antragsgegner nicht fortzusetzen sei.

Mit Beschluß vom 1. September 1986 (ON 17) wies es - unter anderem - die von den Antragsgegnern gegen den Beschluß ON 2 erhobene Vorstellung bzw. deren Rekurs zurück (Punkt 1), hob die Beschlüsse ON 2 und 8 auf (Punkt 2) und wies den Antrag, Beweis durch Schätzung der schon genannten Fahrhabe zuzulassen, ab (Punkt 3). Das durch die Antragstellerinnen eingeleitete Beweissicherungsverfahren sei nach den §§ 384 ff ZPO zu beurteilen, auch wenn es als "Außerstreitsache" bezeichnet worden sei. Die Zivilprozeßordnung sehe das Rechtsmittel der Vorstellung nicht vor; gegen einen dem Beweissicherungsantrag stattgebenden Beschluß sei ein Rechtsmittel überhaupt ausgeschlossen. Der Beschluß ON 2 sei als Beweisbeschluß zu beurteilen. An die einem solchen Beschluß zugrunde liegende Auffassung sei das Gericht nicht gebunden, sodaß es einen solchen Beschluß jederzeit abändern könne. Dem Beweissicherungsantrag sei als Ziel zu entnehmen, sämtliche auf den genannten Gütern vorhandenen Gegenstände zu erfassen, um danach zu beurteilen, ob und inwieweit diese Liegenschaftszubehör seien. Es hätten demnach offenbar nur Umstände erhoben werden sollen, von denen auf die allfällige Zubehörseigenschaft geschlossen werden könnte. Ein solches Ziel dürfe jedoch im Beweissicherungsverfahren nicht verwirklicht werden, zumal es auf die Zulassung eines Ausforschungsbeweises hinauslaufe.

Dem nach dem Inhalt der Rechtsmittelerklärung und des Rechtsmittelantrages ausschließlich gegen Punkt 3 dieses Beschlusses von der Antragstellerin erhobenen Rekurs wies das Gericht zweiter Instanz, soweit sich das Rechtsmittel gegen die Aufhebung der im Beschluß ON 2 (Punkt 2) getroffenen Anordnung der Schätzung der genannten Fahrhabe und gegen den im Punkt 3 erfolgten Widerruf der Anordnung dieser Beweisaufnahme richtete, zurück; in teilweiser Stattgebung dieses Rechtsmittels hob es hingegen den angefochtenen Beschluß insoweit (ersatzlos) auf, als das Erstgericht die Bewilligung der Beweissicherung dem Grunde nach aufgehoben und den darauf abzielenden Antrag der Antragstellerin abgewiesen hatte. Es sprach in Ansehung der Zurückweisung und der Stattgebung des Rekurses jeweils aus, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes 300.000 S übersteige. Dem Erstgericht sei beizupflichten, daß das Beweissicherungsverfahren ungeachtet der unrichtigen Bezeichnung nach den Bestimmungen der Zivilprozeßordnung abzuführen sei. Nicht nur die Antragstellerin habe sich schon in ihrem Antag auf § 384 Abs. 1 ZPO berufen, sondern auch das Erstgericht habe seine stattgebende Entscheidung ON 2 auf die §§ 384 ff ZPO gestützt. Im Verfahren außer Streitsachen komme eine förmliche Beweissicherung außerdem nur dann in Betracht, wenn die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Beweise ausdrücklich für anwendbar erklärt werden. Dagegen habe das Erstgericht zu Unrecht den Beschluß, mit dem eine Beweissicherung bewilligt wird, dem Beweisbeschluß im Sinne des § 277 ZPO gleichgesetzt. Ein solcher Beschluß entspreche nur insoweit einem Beweisbeschluß, als die Tatsachen, über die Beweise aufzunehmen sind, und die Beweismittel bestimmt zu bezeichnen seien. Mit dem Beschluß, mit dem einem Beweissicherungsantrag stattgegeben wird, werde auch über einen Rechtsschutzantrag abgesprochen. Soweit § 388 Abs. 1 ZPO auf die allgemeinen Bestimmungen über den Beweis durch Zeugen, Sachverständigen und durch Augenschein verweise, werde nur zum Ausdruck gebracht, daß die mit dem Beweissicherungsbeschluß zugelassenen Beweise nach denselben Regeln aufzunehmen seien wie die mit dem Beweisbeschluß zugelassenen Beweise. Daraus folge, daß gemäß § 388 Abs. 1 ZPO die allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über den Beweis und die Beweisaufnahme, soweit der Beweissicherungsbeschluß einen Beweisbeschluß in sich schließe, anzuwenden seien, und somit auch § 277 Abs. 2 und 4 ZPO, wonach das Gericht den Beweisbeschluß bis zum Schluß der Verhandlung jederzeit ändern könne und dieser nicht abgesondert anfechtbar sei. Der angefochtene Beschluß beinhalte insoweit ein Abgehen von dem im Beweissicherungsbeschluß ON 2 enthaltenen Beweisbeschluß, als das Erstgericht mit der in Punkt 2 verfügten Aufhebung des Beschlusses ON 2 auch die darin enthaltene Anordnung der Beweisaufnahme durch Schätzung der näher bezeichneten Fahrhabe aufgehoben und im Punkt 3 den Widerruf der Anordnung dieser Beweisaufnahme verfügt habe. In diesem Umfang wirke aber auch der Rechtsmittelausschluß des § 277 Abs. 4 ZPO, es sei daher ein abgesondertes Rechtsmittel unzulässig und der Rekurs zurückzuweisen. Anders verhalte es sich, soweit über den Beweissicherungsanspruch abgesprochen werde. Das sei in den Punkten 2 und 3 des angefochtenen Beschlusses insoweit geschehen, als der Beschluß ON 2 aufgehoben und der Beweissicherungsantrag abgewiesen worden sei. Da der Beschluß ON 2 in diesem Umfang gemäß § 386 Abs. 4 ZPO der Anfechtbarkeit entzogen sei, hätte umso weniger das Erstgericht von seinem die Beweissicherung als solche bewilligenden Beschluß abgehen dürfen. In diesem Umfang sei der Beschluß ON 2 in Rechtskraft erwachsen, woran auch das Erstgericht gebunden sei. Da die Rekurswerberin beantragt habe, den angefochtenen Beschluß im Punkt 3 aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Beweissicherungsverfahrens aufzutragen, sei ungeachtet der Rechtsmittelerklärung zu erschließen, daß auch Punkt 2 angefochten werde. Daher sei der angefochtene Beschluß in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang ersatzlos zu beheben. Der Antrag im Rekurs, dem Erstgericht die Fortsetzung des Beweissicherungsverfahrens aufzutragen, sei dagegen nicht berechtigt, weil nach dem Widerruf des Sachverständigenbeweises derzeit keine Beweisaufnahme beschlossen sei. Auf die Fragen, ob die Antragstellerin einen unzulässigen Ausforschungsbeweis angestrebt habe und ob die Voraussetzungen für die Anordnung der Beweissicherung überhaupt vorlägen, könne nach dem Wegfall des Beweismittels und infolge Rechtskraft des Beschlusses ON 2 nicht eingegangen werden. Der Antragstellerin bleibe es vorbehalten, im Rahmen der rechtskräftig bewilligten Beweissicherung Beweisanträge zu stellen.

Der von den Antragsgegnern erhobene Revisionsrekurs ist zulässig, aber auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Trotz der zweimaligen Bezeichnung des vom Erstgericht abgeführten Verfahrens als "Außerstreitsache" (ON 2 und 8) war dessen Enscheidungswille auf die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens nach der Zivilprozeßordnung gerichtet. Das folgt nicht nur aus dessen Bezugnahme auf die §§ 384 ff ZPO im Beschluß ON 2 und - mittelbar - auf § 386 Abs. 1 ZPO im Beschluß ON 8, sondern ist vor allem der Begründung des Beschlusses ON 17 zu entnehmen.

Gelangen die Beweissicherungsvorschriften der Zivilprozeßordnung zur Anwendung, ist zunächst zu prüfen, ob der in § 386 Abs. 4 ZPO angeordnete Rechtsmittelausschluß eingreift. Nach dieser Bestimmung kann der Beschluß, der dem (Beweissicherungs )Antrag stattgibt, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden; das muß auch gelten, wenn die Beweissicherung vom Rekursgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses bewilligt wird (vgl. EvBl. 1966/59). Das Erstgericht hat mit dem in zweiter Instanz angefochtenen Beschluß ON 17 - unter anderem - seine Beschlüsse ON 2 (Anordnung der Beweissicherung durch Schätzung) und ON 8 (vorläufige Sistierung der Beweisaufnahme) aufgehoben (Punkt 2) und den Beweissicherungsantrag abgewiesen (Punkt 3). Obwohl die Antragstellerin nach ihrer Anfechtungserklärung im Rekurs an die zweite Instanz (ON 17, S 271) ausdrücklich nur Punkt 3 des erstinstanzlichen Beschlusses bekämpfte und auch nur den Rekursantrag stellte, den angefochtenen Beschluß in seinem Punkt 3 aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Beweissicherungsverfahrens aufzutragen, hat das Rekursgericht aus dem Rechtsmittelantrag auch die Anfechtung des Punktes 2 insoweit, als das Erstgericht dort auch seinen Beschluß ON 2 aufgehoben tatte, erschlossen. Mit dieser Auffassung hat sich das Gericht zweiter Instanz nicht nur über die eindeutig formulierte Anfechtungserklärung und den Rechtsmittelantrag hinweggesetzt, sondern auch den zweiten Teil des Rekursantrages mißverstanden. Dort ist nicht von der Fortsetzung der Beweisaufnahme auf Grund des Beweissicherungsbeschlusses ON 2, sondern von der Fortsetzung des Beweissicherungsverfahrens entsprechend diesem Beschluß die Rede. Es sollte also nur die Konsequenz aus der beantragten Abänderung des Punktes 3 des Beschlusses ON 17 gezogen, nicht aber der Beschluß ON 2 wiederhergestellt werden. Daraus folgt aber, daß der Beschluß ON 17 in seinem Punkt 2 mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsen ist und das Beweissicherungsverfahren damit in die Lage vor der Beschlußfassung am 8. August 1986 (ON 2) zurückgetreten ist. Es trifft wohl zu, daß der Beschluß, mit dem die Beweissicherung angeordnet wird, nicht nur Beweisbeschluß im Sinne des § 277 ZPO, sondern (auch) ein Beschluß ist, mit dem das Gericht über den Beweissicherungsanspruch einer Partei abspricht; erwächst dieser Beschluß in Rechtskraft, bleibt das Gericht - im Gegensatz zu bloß prozeßleitenden Beschlüssen - für die Dauer des Verfahrens daran gebunden (§ 425 Abs. 2 ZPO; SZ 50/126 ua.; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1588 ff). Hebt das Gericht einen solchen Beschluß aber dennoch (ersatzlos) auf, so erwächst auch dieser Aufhebungsbeschluß mangels Anfechtung in Rechtskraft (SZ 54/62 ua.). Von seinem Standpunkt ausgehend hat das Erstgericht zutreffend (erneut) über den nun wieder offenen Beweissicherungsantrag abgesprochen. Da das Gericht zweiter Instanz nicht den Beweissicherungsantrag in Abänderung der erstgerichtlichen Entscheidung (Punkt 3) bewilligt, sondern diesen Beschluß ersatzlos aufgehoben hat, ist die rekursgerichtliche Entscheidung nicht als ein dem Antrag stattgebender Beschluß zu beurteilen. Auf diese Entscheidung ist der Rechtsmittelausschluß des § 386 Abs. 4 ZPO nicht anzuwenden. Soweit das Rekursgericht durch die ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses in seinem Punkt 2 in dessen Rechtskraft eingegriffen hat, ist sein Beschluß wegen Verletzung der Rechtskraft als nichtig aufzuheben.

Das Gericht zweiter Instanz wird im fortgesetzten Verfahren über den Rekurs der Antragstellerin gegen Punkt 3 des Beschlusses, mit dem das Erstgericht den Beweissicherungsantrag abgewiesen hat, zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.