JudikaturJustiz1Ob260/01v

1Ob260/01v – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlagsgruppe N***** Gesellschaft m. b. H., ***** vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17 19, wegen 188.468,40 S sA und Feststellung (Streitwert 300.000 S) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. Juni 2001, GZ 4 R 151/01i 18, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 19. 1 1. 1999 wurde der klagenden Partei die Veröffentlichung nachstehender Mitteilung in der periodischen Druckschrift "NEWS" aufgetragen:

"Mitteilung gemäß §§ 8a Abs 5, 37 Abs 1 MedG:

In der Ausgabe Nr. 45 vom 11. 11. 1999 in der periodischen Druckschrift 'N*****' erschien auf der Titelseite eine Darstellung des Antragstellers als Teufel. Daneben sind die Schlagzeilen 'FEINDBILD H*****, Wie er doch an die Regierung will, Die Demo: Wer gegen ihn auftritt' und 'Wie er jetzt weiter zündelt' veröffentlicht.

Der Antragsteller Dr. Jörg H***** hat wegen dieser Titelseite Anträge nach dem Mediengesetz gegen die Antragsgegnerin ... (die klagende Partei) ... als Medieninhaberin gestellt.

Ein Verfahren ist anhängig."

Der Beschwerde der klagenden Partei wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. 12. 1999 nicht Folge gegeben. Daraufhin regte die klagenden Partei bei der Generalprokuratur erfolglos die Einbringung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an. Über eine Beschwerde der klagenden Partei an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen einer behaupteten Verletzung des Art 10 EMRK durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. 12. 1999 wurde noch nicht entschieden. Mit Urteil vom 11. 7. 2000 erkannte das Landesgericht St. Pölten, dass durch das Titelbild der NEWS Ausgabe Nr. 45 vom 11. 11. 1999 die Tatbilder des Vergehens der üblen Nachrede und der Beleidigung objektiv verwirklicht worden seien. Es verurteilte die klagende Partei gemäß § 6 Abs 1 MedG zur Leistung einer Entschädigung von 100.000 S, zur Urteilsveröffentlichung und zum Kostenersatz und erkannte ferner auf Einziehung der noch zur Verbreitung bestimmten Exemplare der betroffenen NEWS Ausgabe. Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 18. 12. 2000 dahin abgeändert, dass aus der Verurteilung die objektive Verwirklichung des Tatbestands der üblen Nachrede entfernt und die der klagenden Partei auferlegte Entschädigung auf 80.000 S herabgesetzt wurde.

Die klagende Partei begehrte - gestützt auf den Titel der Amtshaftung - den Ersatz von 188.468,40 S sA und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien vom 22. 12. 1999. Sie behauptete die Unvertretbarkeit dieser Entscheidung.

Die beklagte Partei wendete ein, der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. 12. 1999 sei rechtmäßig.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die außerordentliche Revision ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof löste die auch für das Ausgangsverfahren bedeutsamen Rechtsfragen bereits in den Entscheidungen 14 Os 118, 119/97 (= EvBl 1998/71) und 12 Os 96, 97/89 (= MR 1990, 92 [ Weis ]). Vor deren Hintergrund ist in der rechtlichen Beurteilung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien vom 22. 12. 1999 durch das Berufungsgericht nach den besonderen Umständen dieses Falls zumindest keine gravierende Fehlentscheidung als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu erblicken. Soweit die klagende Partei ins Treffen führt, die Entscheidung 12 Os 96, 97/89 (= MR 1990, 92 [ Weis ]) beziehe sich nicht auf eine "politikbezogene Karikatur eines prominenten Politikers", entkräftet dieser Hinweis nicht deren über den dort entschiedenen Fall hinausreichende Bedeutung. Danach kommt es für die medienrechtliche Pflicht zur Veröffentlichung der Mitteilung über ein eingeleitetes Verfahren gemäß § 37 MedG nur auf die Verwirklichung des objektiven Tatbilds eines Medieninhaltsdelikts an. Ein solches Delikt kann selbst dann begangen werden, wenn "der Verbreitung in bezug auf den Medieninhaber oder -mitarbeiter aus einem dem Rechtsschutzinteresse des Tatopfers widerstreitenden öffentlichen Interesse der Charakter der Rechtswidrigkeit fehlt".

Die klagende Partei verkürzt ferner eine auf den Wortlaut des Vorbehalts des Art 10 Abs 2 EMRK bezogene Passage jener Entscheidung, darf doch die Freiheit der Meinungsäußerung nicht nur dann beschränkt werden, wenn derartige Maßnahmen - wie es die klagende Partei sieht - der Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung dienen, sondern unter anderem auch dann, "wenn sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse ... des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern ...". In diesem Zusammenhang betont gerade der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), auf den sich sonst auch die klagende Partei beruft, dass der Schutz des guten Rufs anderer Personen ein legitimes Ziel von Maßnahmen gemäß Art 10 Abs 2 EMRK ist (ÖJZ 1997/29 [ Oberschlick II ]; ÖJZ 1995/41 [ Oberschlick/Prager ]). Nicht zweifelhaft kann schließlich sein, dass die üble Nachrede nach § 111 Abs 2 StGB und die Beleidigung nach § 115 StGB als Medieninhaltsdelikte gemäß § 1 Abs 1 Z 12 MedG unter die Anwendbarkeit der §§ 6 Abs 1, 8a Abs 5 und 37 Abs 1 MedG fallen.

2. Die klagende Partei missversteht die Tragweite der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die Bindungswirkung der Urteile des EGMR im innerstaatlichen Bereich (SZ 70/243; SZ 68/102). Dessen Urteile gelten nicht gleichsam als generelle Rechtsnormen, wie es offenkundig die klagende Partei unterstellt. Die Staatsgewalt darf vielmehr entgegen dem Ausspruch des EGMR (auch) im Rahmen von Akten gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Vollziehung nur nicht die Auffassung vertreten, das staatliche Verhalten sei im entschiedenen Fall konventionsgemäß gewesen. Abgesehen davon unterliegen die Urteile des EGMR der Auslegung, um dadurch deren über den entschiedenen Fall hinausreichende Bedeutung zu ergründen.

Die von der klagenden Partei als Stütze für ihren Standpunkt herangezogenen Urteile des EGMR (ÖJZ 1997/29 [ Oberschlick II ]; ÖJZ 1991/15 [Oberschlick I] und MR 1986, 11 [ Lingens ]) sind nicht so zu verstehen, dass im Interesse der durch die Konvention gewährleisteten Freiheit der Meinungsäußerung der in der Rechtsordnung vorgesehene Persönlichkeitsschutz gegen eine nach dem Strafgesetzbuch (objektiv) tatbildliche üble Nachrede oder Beleidigung bei allen Akten staatlicher Vollziehung unter allen Umständen zurückzutreten habe, sobald sich die üble Nachrede oder Beleidigung gegen einen Politiker richtet. Der EGMR betont ferner immer wieder, die innerstaatlichen Behörden hätten bei ihren Entscheidungen einen gewissen Ermessensspielraum, "ob und in welchem Ausmaß eine Notwendigkeit für einen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung besteht" (ÖJZ 1995/41 [ Oberschlick/Prager ]; idS auch MR 1986, 11 [ Lingens ]). Das muss insbesondere auch für Fälle gelten, in denen sich der behördliche Zwang bloß auf die Veröffentlichung einer Mitteilung über die Einleitung eines Medienverfahrens bezieht. Daraus folgt, dass die auf dem Boden der Leitlinien der Rechtsprechung des EGMR im jeweiligen Fall vorzunehmende Interessenabwägung als Akt der rechtlichen Beurteilung im Ausgangsverfahren unvertretbar gewesen sein müsste, um einem Amtshaftungsanspruch als taugliche Grundlage dienen zu können. Die Zulässigkeit der Revision im nunmehrigen Amtshaftungsverfahren hängt gemäß § 502 Abs 1 ZPO überdies - wie bereits erwähnt - noch vom Vorliegen einer gravierenden Fehlbeurteilung der maßgebenden Vertretbarkeitsfrage durch das Berufungsgericht ab. Der erkennende Senat vermag nach allen bisherigen Erwägungen keinen derartigen Entscheidungsfehler zu erkennen. Das gilt auch in Hinsicht auf die in der Revision erörterte Grenze des Persönlichkeitsschutzes für Politiker nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

3. Im Lichte der voranstehenden Gründe ist die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Rechtssätze
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