JudikaturJustiz1Ob211/11b

1Ob211/11b – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bertram Broesigke und Dr. Wolfgang Broesigke, Rechtsanwälte in Wien gegen die Antragsgegner 1. Stadt Wien, Rathaus, vertreten durch Dr. Gerhard Schlager und Dr. Peter Rudeck, Rechtsanwälte in Wien, 2. Dr. G*****, und 3. V*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Christian Kuhn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. August 2011, GZ 44 R 347/11x 74, mit dem über Rekurs der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 29. April 2011, GZ 7 Nc 37/06y 67 bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG iVm

§ 9 Abs 3 NWG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 4 Abs 3 NWG ist die Einräumung eines Notwegs (unter anderem) über bei Häusern befindliche, zur Verhinderung des Zutritts fremder Personen eingefriedete Gärten ausgeschlossen. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 8 Ob 23/10f (= bbl 2010/131 = Zak 2010/403 = RIS Justiz RS0125805) ausgesprochen, dass auch eine Grundfläche, an der ein obligatorisches Nutzungsrecht nach § 17 Abs 1 der Wiener BauO besteht, vor der Übergabe an die Stadt Wien der Schutzbestimmung des § 4 Abs 3 NWG unterliegt, wenn sie mit der angrenzenden Liegenschaft als eingefriedeter Haus bzw Vorgarten genutzt wird. In einem solchen Fall kann sich der Eigentümer der Grundfläche im Notwegeverfahren auf diese Schutzbestimmung berufen.

2. Da bereits eine einzige ausführlich begründete Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS Justiz RS0103384 [T5]), gelingt es der Antragstellerin allein mit dem Hinweis, es würde an einer einheitlichen Rechtsprechung fehlen, nicht, die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels zu erreichen. Dass gegenteilige Entscheidungen vorliegen würden oder an der Entscheidung 8 Ob 23/10f im Schrifttum Kritik geübt worden wäre, macht die Revisionsrekurswerberin nicht geltend (vgl RIS Justiz RS0103384). Auch im vorliegenden Fall soll der Notweg sowohl nach dem Haupt als auch dem Eventualantrag über eine Grundfläche führen, die nach den Feststellungen von obligatorisch Nutzungsberechtigten nach § 17 Abs 1 der Wiener BauO genutzt wird, sodass entsprechend der Entscheidung 8 Ob 23/10f deren Interessen zu beachten waren. Dass dem Rekursgericht dabei eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt das außerordentliche Rechtsmittel der Antragstellerin nicht auf.

3. Die Bestimmungen des NWG müssen grundsätzlich einschränkend ausgelegt werden (s § 4 Abs 1 NWG; Hofmann in Rummel ³ § 480 Rz 5; Egglmeier Schmolke in Schwimann ABGB³ § 1 NWG Rz 5; RIS Justiz RS0070966). In diesem Sinn ist auch § 4 Abs 3 NWG zu verstehen, dessen Schutzzweck darin liegt, der Einräumung eines Notwegs im Interesse der Wahrung des Hausfriedens und einer ungestörten Benutzung der Liegenschaft eine Schranke zu setzen. Dass damit nur Hausgärten allein gemeint seien, kann weder aus dem Gesetz selbst noch aus den Erläuterungen entnommen werden. Es wurde daher bereits ausgesprochen, dass es auf die Größe des Gartens nicht ankomme (1 Ob 457/56). In späteren Entscheidungen (2 Ob 312/74; 5 Ob 528/78) wurde diese Sichtweise zwar relativiert. Demnach sind Notwege, die zwar durch eingefriedete Gärten verlaufen, jedoch in einer größeren Entfernung vom Wohnhaus gelegen sind, nicht generell ausgeschlossen. Jedenfalls ist aber zu Gunsten der geschützten Grundflächen (hier Haus bzw Vorgärten) kein kleinlicher Maßstab anzulegen (8 Ob 23/10f). Die Inanspruchnahme eines eingefriedeten Gartens ist jedenfalls ausgeschlossen, wenn es sich um an Wohnhäuser anschließende Gärten handelt (3 Ob 115/98b = bbl 1999/45 zust Helmberg ).

4. Nach § 4 Abs 3 NWG kommt es nicht darauf an, ob die Einfriedung ein tatsächliches Hindernis für das Betreten des Grundstücks darstellt (7 Ob 69/57). Es genügt, wenn die Absicht des Grundeigentümers oder Nutzungsberechtigten erkennbar ist, Fremde vom Zutritt auf das Grundstück auszuschließen (8 Ob 23/10f). Dabei kann es sich auch um eine lebende Umzäunung als Einfriedung handeln (vgl RIS Justiz RS0071202 [T1]). Eine Sichtweise, nach der eine natürliche Hecke das Merkmal einer Einfriedung nicht ersetzen könnte, entspricht nicht den Intentionen des Gesetzgebers ( Höfle , Notwegerecht 106 f).

5.1 Die Revisionsrekurswerberin stellt nicht in Abrede, dass es sich bei der zwischen den Objekten mit den Bezeichnungen Stiegen 2 und 3 der Wohnhausanlage gelegenen Grundfläche um einen Garten handelt, meint jedoch, dieser sei nicht § 4 Abs 3 NWG zu unterstellen, weil er nicht allseits eingefriedet sei. Im nordöstlichen Teil der sonst eingezäunten bzw durch die Wohngebäude selbst begrenzten Liegenschaft verbleibe zwischen dem Objekt Stiege 3 und dem Nachbargrundstück ein Durchgang (nach den Feststellungen von ca 2½ m Breite); die dort befindlichen Bäume und Büsche seien keine Hecke.

5.2 Maßgeblich ist die erkennbare Absicht des Grundeigentümers oder Nutzungsberechtigten, Fremde vom Zutritt auf das Grundstück auszuschließen (vgl RIS Justiz RS0071202 [T3]). Dass dies auch durch das Bestehenlassen eines natürlichen Bewuchses erreicht werden kann und nicht nur durch eine geordnete Anpflanzung, widerspricht nicht dem Gesetzeswortlaut (vgl Höfle aaO 106 f). Richtig ist zwar, dass ein natürlicher Bewuchs im Regelfall kein so lückenloses Hindernis darstellen wird wie die Umfriedung mit einer Mauer oder einem Zaun. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass Büsche und Bäume, die als natürlicher Bewuchs bei einem sonst durch die Gebäude bzw Umzäunungen abgegrenzten Grundstück über eine Breite von 2½ m bestehen belassen wurden, der erkennbaren Absicht, Fremde vom Zutritt auf die zwischen den Objekten Stiege 2 und 3 gelegene Gartenfläche abzuhalten, entgegenstünde. Jedenfalls begründet diese Rechtsansicht des Rekursgerichts keinen Auslegungsfehler, der einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Als Einzelfallentscheidung ist die Frage nach der Qualifikation der in Rede stehenden Grundfläche als Garten im Sinne des § 4 Abs 3 NWG damit vom Obersten Gerichtshof nicht aufgreifbar (vgl RIS Justiz RS0044088).

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
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