JudikaturJustiz1Ob20/95

1Ob20/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ernestine E*****, und 2.) Henriette H*****, beide vertreten durch DDr.Manfred Nordmeyer und Dr.Widukind W.Nordmeyer, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Feststellung und grundbücherlicher Einverleibung des Eigentumsrechtes (Streitwert S 70.000,--), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 16.Dezember 1994, GZ 4 R 104/94-104, womit infolge Berufung der klagenden Parteien und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 30.März 1993, GZ 1 Cg 238/92-87, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei je S 2.232,56 der mit insgesamt S 4.465,12 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung:

Die Klägerinnen sind je zur Hälfte Miteigentümer einer am Attersee gelegenen Liegenschaft. Bei einer vom örtlich zuständigen Vermessungsamt am 22.Juli 1986 durchgeführten Grenzverhandlung entstand zwischen den Streitteilen eine Meinungsverschiedenheit über den Grenzverlauf, weil der Verwalter des öffentlichen Wasserguts der in der Natur vorhandenen Grenze zwischen deren Grundstücken die Anerkennung verweigerte. Die umstrittene Grundfläche wurde vorbehaltlich einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung in das Verzeichnis des öffentlichen Wasserguts aufgenommen. Der Rechtsvorgänger der Klägerinnen erwarb deren Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 31.August 1978. Das umstrittene Grundstück gehörte ursprünglich zur Seefläche. Nach der zwischen 1823 und 1830 angelegten Urmappe war die aus den nicht umstrittenen Grundstücksteilen bestehende Liegenschaft der Klägerinnen nur etwa halb so breit wie heute; deren Vergrößerung war jedoch bereits eingetreten, als es etwa zwischen 1870 und 1875 zu einer Wiederbegehung durch Vermessungsbeamte zum Zweck der Erneuerung der Katastralmappe gekommen war. Im Verlauf dieser "Reambulierung" wurde die Grenze des nicht umstrittenen Grundstücks der Klägerinnen auf der Linie der Punkte 1079 - 681 des Plans des Vermessungsamts vom 9.März 1987 festgelegt; die Größe des von den Punkten 681, 1022 und 1079 umschriebenen Grundstücksteils beträgt 22 m2. Nicht feststellbar ist dagegen, ob der umstrittene Grundstücksteil, soweit er nicht innerhalb der Punkte 1079, 1022 und 681 liegt, am 31.Oktober 1894 bereits angeschüttet und somit Festland war.

Die Klägerinnen begehrten die Feststellung ihres Eigentumsrechts an dem vorläufig in das Verzeichnis des öffentlichen Wasserguts aufgenommenen Grundstück und die Verurteilung der beklagten Partei zur Einwilligung, daß dieses Grundstück aus dem Gutsbestand ihrer Liegenschaft abgeschrieben und dem Gutsbestand der den Klägerinnen je zur Hälfte gehörenden Liegenschaft zugeschrieben werde. Sie brachten im wesentlichen vor: Das umstrittene Grundstück sei von ihnen und ihren Rechtsvorgängern im gegenwärtigen, sich seit über 100 Jahren gleichbleibend aus der Natur ergebenden Zustand in seinem gesamten Umfang rechtmäßig besessen worden. Eigentumsgrenze sei stets die Uferlinie gewesen, die sich seit mehr als 100 Jahren nicht verschoben habe. Die beklagte Partei sei nie Eigentümerin von Festland gewesen und habe in Ansehung der strittigen Grundfläche auch nie Eigentums- oder Besitzhandlungen ausgeübt.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein: Die gegenwärtige Grenze zwischen dem von der Wasserwelle überspülten Teil des Seebetts und der strittigen Landfläche bilde eine Ufermauer. Der landeinwärts liegende Teil sei eine Anschüttung, die erst nach dem 31.Oktober 1894 ohne Zustimmung der beklagten Partei oder deren Rechtsvorgänger und ohne behördliche Bewilligung vorgenommen worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang des von den Punkten 1079 - 681 - 1022 umschriebenen Teils des Grundstücks laut Plan des Vermessungsamts vom 9.März 1987 statt und wies das Mehrbegehren ab. Es nahm für den von der Klagestattgebung betroffenen Grundstücksteil den Nachweis des Ablaufs der 40-jährigen Ersitzungszeit noch vor dem 1. November 1934 deshalb an, weil diese Teilfläche bereits bei der 1875 durchgeführten Reambulierung als Teil des heute den Klägerinnen gehörenden Grundstücks erfaßt worden sei. Abgesehen davon verneinte das Erstgericht jedoch den Nachweis der Ersitzung, weil nicht feststehe, ob "das Grundstück nördlich der Bootshütte" am 31.Oktober 1894 bereits existent gewesen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im zweiten Rechtsgang, sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu. Es vertrat im wesentlichen die Ansicht: Gemäß § 4 Abs 3 und Abs 5 WRG in der Fassung vor der Novelle 1990 sei für die konkret zur Anwendung kommende Ersitzungsregelung wesentlich gewesen, ob sich das jeweilige Gewässer in der allgemeinen Verwaltung des Bundes befunden habe oder durch einen Bundesbetrieb verwaltet worden sei. Die Wahl der Verwaltungsart liege in der Dispositionsfreiheit des Eigentümers. Grundflächen, die als öffentliches Wassergut anzusehen seien, bedürften eines qualifizierten Schutzes zur Erreichung der in § 4 Abs 2 WRG angeführten Ziele. Eine dieser Schutzmaßnahmen sei der gemäß § 4 Abs 6 WRG (§ 4 Abs 5 WRG idF vor der Novelle 1990) angeordnete Ausschluß der Ersitzung. Dagegen sei eine solche Schutzmaßnahme für Grundstücke, die in der Verwaltung eines Bundesbetriebes stünden, nicht erforderlich. Zum einen komme "durch die Unterstellung in die Verwaltung eines Bundesbetriebes das allgemeine Interesse im Sinne des § 287 ABGB und der öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Nutzung, Abwehr und Pflege der Gewässer dienende Widmungszweck des öffentlichen Wassergutes besonders klar zum Ausdruck", zum anderen sei durch die Spezialisierung eines solchen Betriebes auf Grundstücksverwaltung und - pflege gewährleistet, daß ein Eigentumserwerb durch Ersitzung praktisch unmöglich sei. Der Ersitzungsausschluß stelle im übrigen die Regel dar; zum Unterschied davon bildeten die in § 4 Abs 3 WRG genannten Grundstücke die Ausnahme. Bei Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz (22.Jänner 1993) sei die 1990 erfolgte Novelle zum Wasserrechtsgesetz bereits in Kraft gewesen. Die rechtliche Beurteilung habe daher nach den novellierten Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes zu erfolgen. Die Neufassung des § 4 Abs 10 WRG sei so auszulegen, daß vom Ersitzungsausschluß nunmehr auch Grundstücke betroffen seien, die in der Verwaltung eines Bundesbetriebes stünden. Wären die Regelungen des § 4 Abs 3 in Verbindung mit Abs 5 WRG alter Fassung anzuwenden, träfen die von den Klägerinnen vorgebrachten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs 3 WRG alter Fassung aus den eingangs dargestellten Gründen nicht zu; auch der Oberste Gerichtshof habe § 4 Abs 3 und 6 (Abs 5 alter Fassung) WRG mehrfach anzuwenden gehabt und "keine verfassungsrechtlichen Bedenken gefunden". Er habe auch in seinem in diesem Verfahren erlassenen Aufhebungsbeschluß vom 19.April 1994 "keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert, und zwar trotz des Umstandes, daß im Hinblick auf die erstgerichtlichen Feststellungen zur Ersitzungsfrage die anzuwendenden Ersitzungsregelungen inhaltlich in die höchstgerichtliche Beurteilung eingebunden" gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes könnte die allfällige Verfassungswidrigkeit einer einfachgesetzlichen Bestimmung des Wasserrechtsgesetzes in der Fassung vor der Novelle 1990 (BGBl 252) dann entscheidungswesentlich sein, wenn eine solche die rechtliche Grundlage eines auf das öffentliche Wassergut bezogenen und die Rechtsposition der Klägerinnen belastenden Ersitzungsausschlusses gewesen wäre. Unterbliebe nämlich die Anwendung einer solchen Bestimmung auf den hier zu beurteilenden Anlaßfall wegen Verfassungswidrigkeit und hätten die Klägerinnen deshalb schon vor Inkrafttreten der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 durch Ersitzung Eigentum an dem noch strittigen Grundstücksstreifen erworben, könnte daran ein vom einfachen Gesetzgeber später verfassungskonform angeordneter Ersitzungsausschluß nichts mehr ändern; zuvor erworbene Rechte müßten nämlich voll gewahrt bleiben (1 Ob 14/93; 1 Ob 3/93; SZ 56/111; EvBl 1979/213). Ein Eigentumserwerb durch die Klägerinnen schiede also nicht schon deshalb aus, weil - nach Ansicht des Berufungsgerichtes - die schon bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz (22.Jänner 1993) in Kraft getretene Wasserrechtsgesetznovelle 1990 den Ausschluß einer Ersitzung am öffentlichen Wassergut in verfassungskonformer Weise angeordnet habe; die bestehende Eigentumsordnung sollte vielmehr, wie der erkennende Senat erst jüngst aussprach, auch durch die Wasserrechtsgesetznovelle 1990 nicht angetastet werden (EvBl 1993/193).

Daraus ist für die Klägerinnen jedoch nichts zu gewinnen. Gemäß Art 89 Abs 2 B-VG hat der Oberste Gerichtshof oder ein zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof nur dann zu stellen, wenn gegen dessen Anwendung aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken bestehen. Das gilt gemäß Art 140 Abs 4 B-VG auch für ein von den Gerichten anzuwendendes, bereits außer Kraft getretenes Gesetz; der Verfassungsgerichtshof hat dann auszusprechen, ob das Gesetz verfassungswidrig war. Die Revision bestreitet nicht, daß das öffentliche Wassergut für die Wasserwirtschaft, aber auch für die Allgemeinheit von großer Bedeutung ist (EvBl 1979/213; Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht Rz 1 zu § 4; Rossmann, Das österreichische Wasserrechtsgesetz2 Anm 2 zu § 4) und deshalb besonderen Schutzes bedarf. Dieser Schutz wird auch dadurch verwirklicht, daß gemäß § 4 Abs 6 WRG (§ 4 Abs 5 WRG in der Fassung vor der Wasserrechtsgesetznovelle 1990) das Eigentum oder ein anderes dingliches Recht am öffentlichen Wassergut seit 1.November 1934 durch Ersitzung nicht mehr erworben werden kann. Diesen durch das Wasserrechtsgesetz angeordneten Ersitzungsausschluß hatte der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals zu beurteilen, ohne daß er je Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung gehegt hätte (1 Ob 14/93; 1 Ob 3/93; 1 Ob 597/89; EvBl 1979/213 ua).

Verfassungsrechtliche Bedenken wurden auch im Schrifttum nicht geäußert. Selbst die Revision hält die Rechtslage nach der Wasserrechtsgesetznovelle 1990 ausdrücklich für verfassungskonform; sie meint lediglich, § 4 Abs 3 WRG sei vor Inkrafttreten der Novelle unter Bedachtnahme auf den damaligen § 4 Abs 5 WRG verfassungswidrig gewesen, weil die vom Eigentümer willkürlich zu treffende Entscheidung, wer ein Grundstück zu verwalten habe, nicht ausschlaggebend dafür sein könne, ob der Ersitzungsausschluß für ein solches Grundstück zu gelten habe oder nicht. Die Anwendung des § 4 Abs 3 WRG kommt jedoch im vorliegenden Fall gar nicht in Betracht, weil das streitverfangene Grundstück - mangels Verwaltung durch einen Bundesbetrieb - seit jeher zum öffentlichen Wassergut gehört. Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof ausspräche, daß § 4 Abs 3 WRG unter Bedachtnahme auf § 4 Abs 5 WRG in der Fassung vor der Novelle 1990 verfassungswidrig war, könnte dies daher in Ansehung des noch streitverfangenen Grundstückteiles nicht zur Klagestattgebung führen, weil sich dadurch nichts an dessen Eigenschaft als nicht ersitzbares öffentliches Wassergut änderte. Eine solche Feststellung wäre vielmehr nur für die hier nicht erhebliche Frage bedeutsam, ob der auf das öffentliche Wassergut bezogene und sachlich zu rechtfertigende Ersitzungsausschluß auch auf die in der Verwaltung eines Bundesbetriebes gestandenen, aber gleichen Zwecken wie das öffentliche Wassergut dienenden Grundstücke anzuwenden gewesen wäre.

Mangels Anwendbarkeit des § 4 Abs 3 WRG und wegen der in der Revision gar nicht in Frage gestellten besonderen Schutzbedürftigkeit des öffentlichen Wassergutes hängt also die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von der Lösung jener verfassungsrechtlichen Problematik ab, die im Rechtsmittel der Klägerinnen als erhebliche Frage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO behandelt wird und das Berufungsgericht veranlaßte, die ordentliche Revision zuzulassen. Gemäß § 508a ZPO ist das Revisionsgericht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden; die Revision ist daher zurückzuweisen.

Da die beklagte Partei auf die Unzulässigkeit der Revision hinwies, waren ihr die Kosten der Revisionsbeantwortung gemäß §§ 41 und 50 ZPO zuzusprechen.

Rechtssätze
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