JudikaturJustiz1Ob161/04i

1Ob161/04i – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. August 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde N*****, vertreten durch Hajek Boss Wagner Rechtsanwälte OEG in Neusiedl, wider die beklagten Parteien 1) Dr. Fritz U*****, und 2) Ursula U*****, beide *****, beide vertreten durch Steiner Steiner Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Feststellung, Unterlassung und Beseitigung (Streitwert 21.000 EUR) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Mai 2004, GZ 16 R 90/04d 18, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies die Feststellungsbegehren, das Beseitigungsbegehren sowie das hilfsweise gestellte Unterlassungsbegehren der klagenden Stadtgemeinde ab.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands - offenkundig jedes der einzelnen Begehren - 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach dessen Ansicht kann nur derjenige auf Unterlassung einer weiteren Störung oder auf Beseitigung störender Anlagen in Anspruch genommen werden, der in Rechte des Klägers rechtswidrig eingegriffen habe. Verfüge der Beklagte über ein - gleichviel ob im Privatrecht oder im öffentlichen Recht wurzelndes - (subjektives) Eingriffsrecht oder handle er im Rahmen eines Gemeingebrauchs, so müsse die Negatorienklage scheitern. Die Frage nach dem Bestehen eines Gemeingebrauchs sei zwar dem öffentlichen Recht zuzuordnen, die Gerichte hätten diese Frage jedoch als Vorfrage der Entscheidung über eine Negatorienklage zu beurteilen.

Die Benutzung der tragenden Kraft des Wassers eines öffentlichen oder privaten Gewässers sei seit der Aufhebung der §§ 111 bis 117 WRG 1934 nicht Gegenstand wasserrechtlicher Bewilligungsvorbehalte. § 6 Abs 1 WRG 1959 enthalte keine inhaltliche Regelung der Benutzung der tragenden Kraft des Wassers, sondern verweise auf andere gesetzliche Vorschriften. Überflute das jeweils maßgebende Gewässer eine Grundfläche im Privateigentum, so stehe allein das der Qualifikation als öffentliches Gewässer nicht entgegen. Eine solche Gewässereigenschaft beschränke das Privateigentum an der betroffenen Grundfläche. Das Verfügungsrecht über den Luftraum über der Wasserwelle verbleibe dem Grundeigentümer. Für die Benutzung von Gewässern zur Schiff- und Floßfahrt gälten wegen der Verweisung in § 6 Abs 1 WRG 1959 grundsätzlich nicht wasserrechtliche Vorschriften. Die Benutzung der Gewässer für diese Zwecke beruhe auf einem nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Bestimmungen bestehenden Gemeingebrauch (1 Ob 33/87 = SZ 60/216; VfSlg 4.330). Gemäß § 4 Schiff(f)ahrtsG sei die Schifffahrt auf öffentlichen Gewässern unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften jedem gestattet, dagegen entschieden über die Ausübung der Schifffahrt auf Privatgewässern die über diese Gewässer Verfügungsberechtigten. Nach § 1 Schiff(f)ahrtsG gelte dieses Bundesgesetz für öffentliche fließende Gewässer sowie für die in der Anlage 1 zu diesem Bundesgesetz angeführten öffentlichen Gewässer und Privatgewässer. Gemäß Z 1 der erwähnten Anlage sei das Schiff(f)ahrtsgesetz im Burgenland ua auf den Neusiedler See anzuwenden. Der Umfang dieses Sees sei auf dem Boden der Legaldefinition des § 2 Abs 1 lit a) WRG 1959 zu konkretisieren. Danach seien öffentliche Gewässer die im Anhang A zu diesem Bundesgesetz namentlich aufgezählten Ströme, Flüsse, Bäche und Seen mit allen ihren Armen, Seitenkanälen und Verzweigungen. In Z 1 lit a) des erörterten Anhangs sei auch der Neusiedler See genannt. Gemäß § 2 Abs 1 lit c) WRG 1959 seien überdies alle Gewässer, sofern sie nicht in diesem Bundesgesetz ausdrücklich als Privatgewässer bezeichnet seien, öffentliche Gewässer. Letztlich bestimme § 2 Abs 3 WRG 1959, dass durch die zu anderen als Verbrauchszwecken vorgenommene Ableitung aus einem öffentlichen Gewässer der abgeleitete Teil seine Eigenschaft als öffentliches Gewässer nicht verliere.

Der Umstand, dass der hier maßgebende schiffbare Kanal zum Neusiedler See künstlich errichtet worden sei, stehe seiner Eigenschaft als öffentliches Gewässer nicht entgegen. Das folge - im Licht des allgemeinen Sprachgebrauchs - bereits aus dem Begriff "Seitenkanälen" in § 2 Abs 1 lit a) WRG 1959. Zöge man - der Ansicht der klagenden Partei folgend - die Grenzen des Begriffs "Neusiedler See" für die Anwendung des Schiff(f)ahrtsgesetzes enger, so wäre für deren Standpunkt dennoch nichts gewonnen, weil der streitverfangene Schifffahrtskanal dann gemäß § 2 Abs 1 lit c) WRG 1959 als öffentliches Gewässer einzustufen wäre. Auf das Vorliegen einer Ausnahme gemäß § 3 Abs 1 WRG 1959 habe sich die klagende Partei nicht berufen. § 2 Abs 3 WRG 1959 trage jedoch ohnehin ausdrücklich dem Umstand Rechnung, dass der - wie hier zu anderen als Verbrauchszwecken - abgeleitete Teil eines öffentlichen Gewässers seine Eigenschaft als öffentliches Gewässer deshalb nicht verliere. Infolgedessen hafte der Ansicht des Erstgerichts, den Beklagten stehe "das Befahren des gegenständlichen Kanals (mit einem Segelboot) ... im Rahmen des Gemeingebrauchs" zu, kein Rechtsirrtum an. Dieser Gemeingebrauch decke auch "das Anlegen an dem im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück". Somit habe auch das Eventualbegehren erfolglos bleiben müssen.

Ein Feststellungsinteresse der klagenden Partei sei zu verneinen, weil sich die Beklagten nur auf den im öffentlichen Recht wurzelnden Gemeingebrauch, dagegen nicht auf ein privatrechtliches Nutzungsrecht berufen hätten.

Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil die "Bedeutung der vorliegenden Entscheidung ... über den Einzelfall nicht" hinausgehe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist unzulässig.

1. Die klagende Stadtgemeinde bekämpft im Revisionsverfahren nicht mehr die Abweisung des Feststellungsbegehrens zu Punkt 1. a) und des Beseitigungsbegehrens zu Punkt 3. des Ersturteils. Sie strebt jedoch nach wie vor die Feststellung an, dass den Beklagten keine privatrechtlichen Nutzungsrechte an dem streitverfangenen, in ihrem Eigentum stehenden Teil des mit dem Neusiedler See verbundenen "Bootskanals" zustünden. Überdies will sie, sollte das auf Feststellung gerichtete Hauptbegehren auch im Revisionsverfahren scheitern, das Unterlassungsbegehren als Eventualbegehren durchsetzen. Was den noch nicht rechtskräftig erledigten Teil des Feststellungsbegehrens betrifft, führt die klagende Partei nunmehr allerdings selbst ins Treffen, die Beklagten hätten niemals ein privatrechtliches Nutzungsrecht am streitverfangenen Teil des schiffbaren Kanals behauptet. Sie hebt daher gerade jenen Umstand hervor, auf den die Vorinstanzen die Abweisung des erörterten Teils des Feststellungsbegehrens stützten, ohne dieser Ansicht mit irgendwelchen Gründen entgegenzutreten. Dieser Teil des Klagebegehrens bedarf somit keiner weiteren Erörterung mehr.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage auch dann unzulässig, wenn zwar höchstgerichtliche Leitlinien zu streitentscheidenden Fragen fehlen, aber der Sinngehalt anzuwendender Normen so eindeutig ist, dass vernünftigerweise nur eine Auslegung in Betracht kommt (1 Ob 155/02d; siehe ferner RIS Justiz RS0042656).

3. Ein Erfolg des Eventualbegehrens hängt nur von der Lösung der Frage ab, ob an der tragenden Kraft des Wassers (auch) im streitverfangenen Teil des schiffbaren Kanals Gemeingebrauch besteht. An der Richtigkeit der eingangs referierten Auslegung der maßgebenden Normen des Wasserrechtsgesetzes 1959 und des Schiff(f)ahrtsgesetzes im angefochtenen Urteil kann - nach der insoweit eindeutigen Rechtslage - kein Zweifel bestehen. Eine andere Auslegung ist ernstlich nicht in Erwägung zu ziehen. Ein Ergebnis, das nur die klagende Partei für unrichtig hält, dessen Richtigkeit jedoch keinem vernünftigen Zweifel unterliegen kann, wirft nach der zuvor zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Die Ansicht der klagenden Partei, die Wasserwelle des von ihr hergestellten und mit dem Neusiedler See verbundenen schiffbaren Kanals könne deshalb nicht Teil des Sees sein, weil die nunmehr als Kanal benutzte und vom Seewasser überflutete Grundfläche vor Errichtung des schiffbaren Kanals nicht überflutet gewesen sei, negiert den Begriff "Seitenkanäle" in § 2 Abs 1 lit a) WRG 1959. Dass unter "Kanal" im Gegensatz zu den Begriffen "Armen" und "Verzweigungen" - entsprechend dem offenkundig am allgemeinen Sprachgebrauch orientierten Verständnis des Gesetzgebers - ein durch Menschenhand geschaffenes Gerinne zu verstehen ist, kann - entgegen der Ansicht der klagenden Partei - nicht ernsthaft zweifelhaft sein.