JudikaturJustiz1Ob137/22m

1Ob137/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. September 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers S*, geboren am *, vertreten durch Mag. Dr. Robert Hirschmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner A*, geboren am *, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abstammung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2022, GZ 45 R 54/22g 37, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. F ür den Beginn der Frist des § 153 Abs 1 ABGB ist entscheidend, wann dem Ehemann Umstände von so großer Beweiskraft bekannt werden, dass er objektiv die Nichtabstammung des Kindes von ihm als höchst wahrscheinlich ansehen muss und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Verfahren nachkommen zu können (RS0048265). Dabei ist auf den Maßstab eines objektiv-verständig denkenden Mannes abzustellen (RS0048265 [T9]). Wann dieser Kenntnis von Umständen erlangt, die eine uneheliche Abstammung höchst wahrscheinlich erscheinen lassen, ist jeweils anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen und begründet typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0048265 [T7]).

[2] 2. Das Rekursgericht ging davon aus, dass es im empfängniskritischen Zeitraum zu keinem „vollendeten“ Geschlechtsverkehr zwischen dem mittlerweile verstorbenen Ehemann der Mutter des Antragsgegners (dessen Gesamtrechtsnachfolger der Antragsteller ist) und dieser bzw zu keinem „Beischlaf im engeren Sinn“ kam. Die Mutter habe dem Ehemann auch mitgeteilt, dass er nicht der Vater sei. Ihm seien daher bereits kurz nach Geburt des Antragsgegners Umstände bekannt gewesen, die dessen Abstammung von ihm als höchst unwahrscheinlich erscheinen ließen.

[3] 3. Der Revisionsrekurswerber tritt dem nicht substanziiert entgegen. Er behauptet bloß, dass es auch ohne „Beischlaf im engeren Sinn“ zu einer Empfängnis kommen habe können. Wie dies im konkreten Fall geschehen sein soll, wird jedoch nicht ausgeführt. Der Antragsteller vermag daher schon aus diesem Grund keine Bedenken an der Beurteilung des Rekursgerichts zu wecken (vgl 1 Ob 619/88). Höchstgerichtliche Entscheidungen, aus denen sich eine vermeintlich uneinheitliche Judikatur zum Beginn des Fristenlaufs nach § 153 Abs 1 ABGB ergeben soll, werden im Rechtsmittel nicht genannt (RS0043654 [T9]). Auch mit der Behauptung, der Oberste Gerichtshof habe noch nicht „über einen Fall, wie den hier vorliegenden“ entschieden und es bestehe keine Rechtsprechung „zu den Rechtsfragen der hier vorliegenden Situation“, legt der Revisionsrekurswerber keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0102181 [insb T12, T14]).

[4] 4. Hat der Ehemann Kenntnis von Umständen, die einem vernünftigen, an der Klärung seiner familienrechtlichen Verhältnisse interessierten Mann seine Vaterschaft zu einem von seiner Ehefrau geborenen Kind in hohem Maß unwahrscheinlich erscheinen lassen, obliegt ihm die Sammlung von Beweismitteln zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung (RS0048160). In diesem Fall beginnt die zweijährige Frist des § 153 Abs 1 ABGB mit der objektiven Möglichkeit einer eindeutigen Klärung der Abstammung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (8 Ob 120/11x mwN).

[5] 5. Der Ehemann der Mutter des Antragsgegners ließ erstmals 2018 eine DNA-Analyse vornehmen, aus der sich seine fehlende Vaterschaft ergab. Da ihm diese bereits seit Jahrzehnten als höchst unwahrscheinlich erscheinen musste, ging das Rekursgericht zutreffend von einer Verfristung des vorliegenden Antrags aus. Das Argument, der 1939 geborene Ehemann habe aufgrund seines hohen Alters keine frühere Kenntnis von der Möglichkeit einer DNA Analyse gehabt, überzeugt schon deshalb nicht, weil die Frist des § 153 Abs 1 ABGB mit der objektiven Möglichkeit zur endgültigen Klärung der Abstammung zu laufen beginnt (8 Ob 120/11x). Der Antragsteller ist zwar als Rechtsnachfolger des Ehemanns der Mutter nach § 142 ABGB zur Bestreitung der Abstammung legitimiert. Er muss aber einen begonnenen oder – wie hier – bereits eingetretenen Fristablauf gegen sich gelten lassen (7 Ob 110/18d; vgl auch 2 Ob 134/21a).

[6] 6. Zu den in der Zulassungsbegründung des Revisionsrekurses als erheblich bezeichneten Rechtsfragen lässt das Rechtsmittel jede Auseinandersetzung mit dem konkreten Fall vermissen. Die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271 [T2]).